Physiologisches. Vom Schreck. Ueber die psychischen und physischen Nrsochen de« Schreck« hat Oberarzt Dr. Walter Kühne auf dem internationalen Äerztekongrctz zu Budapest   einen interessanten Vortrag gehalten, der in der Umschau wiedergegeben wird. Die Wirkung des Schrecks gleicht der des einschlagenden BliyeS in der Plötzlichkeit des Ent­stehens. der Kürze der Dauer und der Verderblichkeit der Wirkungen. In, Bewußtsein tritt eine momentane Leere an Vorstellungen ein," so hat Domrich 1849 in klassischer Weise das Erschrecken geschildert,ein Vergehen derselben, Verwirrung der vorhandenen, Schwindel und im höchsten Grade gänzlicher Verlust des Bewußtseins. Die Atmuugs- muskeln werden momentan zuckend zusammengezogen, dann gelähmt, ihre Bewegungen plötzlich unterbrochen, der Atem wird eng und bleibt stecken, oder es folgt eine plötzlich gellende Ausatmung ohne neue Einatmung, der Atem vergeht. Die Bewegung des Herzens stockt, steht minutenlang vollständig still, der Pulsschlag hörl auf, Leichenblässe lagert sich über das Gesicht und den ganzen Körper. Das Auge ist starr und stier. Sliinme und Glieder fahren bei der momentan heftigen Erregung de? Rückenmarkes zuckend zusammen, aber die erregende Kraft der Muskeln ist vernichtet, sie versagen den Dienst. Die Knie wanken. Ein Ge- fiihl eisiger Kälte läuft längs des Rückens bis in die Fußspitzen, die Gesichtszüge werden schlaff, die gelähmten Muskeln vermögen der Schwere nicht mehr Widerstand zu leisten, der Mensch fäll, sinnlos, bewegungslos und bewußtlos zur Erde". Ueber die Ent- stehung dieser schweren Begleiterscheinungen des Schrecks sind mannigfache Untersuchungen angestellt worden; man bat seine starke Wirkung aus Blutdruck und Herzbewegungen festgestellt, und im Gehirn eine fast momentan einsetzende hocheMdige Zusammenzichung der Gefäße konstatiert, durch die das Gehirn- Volumen vermehrt wird. Nach wenigen Sekunden erfolgt dann eine Erschlaffung der Gehirngefäße und eine Abnahme de? Volumens. Durch diese plötzlich eintretende Blutleere im Gehirn läßt sich der Ausbruch einer Reihe von Geistesstörungen erklären, die bisweilen nach einem großen Schreck auftreten. Jedoch muß immer schon eine Veranlagung zu Geistesstörungen vorbanden sein, so daß der Schreck nur die auslösende Ursache der Erkrankungen ist. Von einem gesunden Menschen wird auch der größte Schrecken ohne Schaden ertragen. Durch da? heftige Andringen des Blutes gegen die Gehirnwände kann ein schwaches Hirn schwer erschüttert werden. Lähmungserscheinungen können eintreten und auch ein so- genannter Schlaganfall kann erfolgen, der tödlich verläuft, wenn die ins Gehirn ergossene Blutmenge zu groß ist. Außerdem hat man auch aus eine Verlangsamung des Herzschlages aufmerksam gemacht, die sich einige Zeit nach Einwirken des Schreckens einstellt. Das Gehirnvolumen weist unmittelbar nach dem Schreck eine geringe Zu- nähme auf. Durch diese Veränderungen der Blutzufuhr in der Hirn- rinde läßt sich der Tod durch Erschrecken erklären. Bisweilen rufen ihn aber auch Veränderungen an anderen lebenswichtigen Organen hervor. So fand mau z. B. bei König Philipp V.   von Spanien, der aus Schreck über eine Niederlage seines Heeres ge- storben war, einen Riß durch die Herzwandung. Der Schreck kann auch ein plötzliches Ergrauen der Haare hervorrufen. Das Auftreten von roten Flecken, der sogenannten Gänsehaut, des kalten Schweißes und anderer Störungen der Körperfunktionen sind alle insofern nervöser Natur, als sie durch Vermittelung des Nervensystems hervorgerufen werden. Ihr Auftreten ist ebenfalls nur verständlich, wenn man annimmt, daß die durch den Sckrcck in Mitleidenschaft gezogenen Organe bereits vorher geschwächt oder erkrankt waren. Die Phänomene werden durch ein besonderes Ncrveugeflccht, den so- genannten Sympathikus, hervorgerufen, der alle die Organe, die in- folge einer Schreckwirkung ihre Tätigkeit ändern, unter einander verbindet. Bei Leuten, deren syinpathischeS Nervengeflccht sich dauernd in gesteigerter Erregung befindet, geht bei Einwirkung eines Schreckens die Erregung vom Gehirn durch den Sympathikus weiter und äußert ihre Wirkung an dem am wenigsten widerstandsfähigen Organ. Aus dem Tierleben. Der Lachs als Hnngerkünstler. Man schreibt der Frankfurter Zeitung  ": Daß Fische längere Zeit ohne jegliche Nahrung leben können, ist eine bekannte Tatsache. Wir können uns davon bei Fischcrcicrusstellungcn, auch wenn diese mehrere Tage und selbst Wochen dauern, überzeugen, bei denen die ausgestellten Fische, damit jegliche Verunreinigung des Wassers hintangehalten werde, in der Regel keinerlei Nahrung bekommen, sondern hungern müssen. Der größte Hnngerkünstler aber ist der Hauptwanderfisch des Rheines, der Lachs, der bekanntlich ein- bis zweimal in seinem Leben aus dem Meere in die Binnengewässer aufsteigt, bis zu den Rinnsalen der Alpenkette vordringt, um dort dem Fortpflanzungs- gcschäft obzuliegen, und dann wieder zum Ozean zurückkehrt. Auf dieser ganzen Fahrt nun so war bisher die allgemeine Annahme also überhaupt während des ganzen Aufenthalts im Süßwasser nimmt der Lachs keine Nahrung zu sich: ein Hungerexperiment, das uns physiologisch um so mehr in Erstaunen setzen muß, als dieser Aufenthalt in einigen Flüssen sich auf sechs bis acht Monate, in anderen selbst auf zwölf Monate erstreckt. Daß der Lachs hierbei zum Skelett wird, ist selbstver- ständlich. Nach den Untersuchungen Prof. Mierschers-Basel, der sich mit der Erforschung dieses größten Fastcncxperimcnts, das die Physiologie kennt, eingehend beschäftigt hat. bestreitet z. B. der weibliche Lachs alle seine Ausgaben im Süßwasser zur Sclbsterhal- tung sowohl wie zum Aufbau des aus 20 000 bis 30 000 Eiern be­stehenden Eierstocks aus den Bestandteilen der Seitenmuskulatur. Jeder entstehende Gewichtsteil Eierstocksubstanz bedingt das Ver- schwinden des gleichen Gcwichtsguantums vom Rumpfmuskel. Ein volles Drittel der festen Bestandteile des Körpers geht auf diese Weise in das Quantum über, während gleichzeitig der Rumpfmuskel 50 bis 60 Proz. von seinem Werte verliert. Während beim Eintritt des Lachses in das Süßwasser die Geschlechtsdrüsen kaum% Proz. des Körpergewichts ausmachen, beträgt ihr Gewicht zuletzt nicht weniger als das Fünfzigfache. Trotz dieser Untersuchungen fehlte es nicht an Gegnern dieser Theorie, die dem Lachse das Ver­mögen, auf sehr lange Zeit sich der Nahrung zu enthalten, rundweg absprachen. Daß aber dieser Wanderfisch par excellence in der Tat ein Hnngerkünstler ersten Ranges ist, das ist in neuester Zeit auch durch einen wissenschaftlichen Versuch erhärtet worden. Prof. Paton hat nach derFish Gazette" einen männlichen Lachs während eines ganzen Jahres so gehalten, daß er kein Futter erlangen konnte. Der Fisch war arm an Fett, wog nur 5 Pfund und war 12 Monate vorher abgestrichen worden, um Lachseier künstlich zu befruchten. Er wurde in einem Behälter von 1,85: 3,65 Meter gehalten bei etwa 30 Zentimeter Süßwasser. Nach 12 Monaten ohne Futter noch reifte seine Milch von neuem, so daß er noch- mals mit Erfolg für die künstliche Befruchtung verwendet werden konnte, ehe er getötet wurde. Dieser Fall beweist unzweideutig, daß der Lachs den oben angegebenen Zeitraum im Süßwasser recht gut ohne Futter leben kann. Der Wanderfisch ohnegleichen, der sich allen Hindernissen zum Trotz im Kampfe gegen Wehre, Schleusen und Stromschnellen den Weg vom Meer zum Fels bahnt, ist auch ein Hungcrkünstler, der Succi und Genossen weit übertrifft. Hydrographisches. Eine Krankheit des Adriatischen Meeres.Mar sporeo",schmutziges Meer", so bezeichnet der Volksmund eine eigentümliche Erscheinung, die von Zeit zu Zeit in der nördlichen Adria   auftritt. Hierüber macht die neue MonatsschriftAdria  " interessante Mitteilungen. Bei dieserKrankheit" handelt eS sich um ein unvermitteltes, massenhaftes Ruftreten eines zähen, durch- sichtigen Schleims an der Oberfläche und am Grunde des Meeres. DieseMeeresverschleimung" hat nicht nur biologisches Jnter- esse, sondern ist auch für das Leben der Fischer, die ihren Unterhalt dem Adriatischen Meere verdanken. von höchster Wichtigkeit, denn der Schleim verklebt alle Netze und beeinträchtigt so den Fischfang in hohem Grade. Nach den Beobachtungen deZ Professors Cori tritt das Mar oporeo in drei verschiedenen Formen auf. An der Flachküste zeigt sich der Schleim ganz an der Oberfläche des Meeres in Forin von dünnen, durchsichtigen Hänichen, vermengt mit zahlreichen Geißeltierchen, meist im eingekapselten Zustande, und mit Glas- bläschen sowie zuweilen auch Kieselalgen. Zweitens findet sich der Meeresschleim in Form von langen, weißlichen Strängen, die in fünf bis sechs Meter Tiefe senkrecht schweben. Diese Schleim« stränge sind von großen Mengen von Kieselalgen und Glasblasen erfüllt. Endlich findet sich der Schleim in einer dicken Schicht auf dem Meeresgrunde lagernd. Unter dem Mikroskop erscheint der Schleim als durchaus gleichförmige, durchsichtige Substanz, in die die fiieselalgen, Geißeltierchen und andere PlanktonorganiSmen ein- geschlossen sind; der Schleim, der vom Meeresgründe stammt, ent- hält außerdem noch zahlreiche Sandkörnchen, Kieselnadeln von Schwämmen und mikroskopische Bewohner des Schlammes. Zu- weilen haben Fischer beobachtet, daß der Schleim ein Brennen an der Haut hervorruft, was durch das gelegentliche Vorhandensein von Rcsselzellen abgestorbener Pflanzentiere erklärt werden kann. So viele Forscher bisher nach der Ursache dieser Meeres- verschleimung gesucht haben, es ist ihnen doch nicht gelungen, diese verwickelte Erscheinung völlig klarzustellen. Nach den Untersuchungen Dr. Adolf Steuers stammt der Schleim hauptsächlich von Geißel« tierchen her: die Schleimbildung ist eine Begleiterscheinung der Fort- Pflanzung bei den Geißeltierchen. Zurzeit der Sporenbildung, die eine Schutzeinrichtung des pflanzlichen Organismus zum Ueber« dauern ungünstiger Vegetationsperioden ist, treten zwischen dem aus mehreren Platten zusammengesetzten Panzer der Geißeltierchen aus dem geschrumpften PlaSma neue, stark quellbare Hautschichten auf. Diese sprengen durch Ouellung und Wasscraufnahme den Panzer, und die eingeschlossene Spore wird frei. Während Pouchet annimmt. daß die Gallertbildung einen krankhaften Zustand der Kieselalge bedeute, ist Schutt der Anschauung, daß die Gallerthülle als ein Bakterienfilter wirke und den Bakterien das Vordringen zu dem sonst unbeschützten Plasmaleib unmöglich mache. Die Schleim- erzeugung steht also mit der abnorm starken Vermehrung der Geißel- tierchen insofern im Zusammenhang, als nach Erreichung eines unverhältnismäßig hohen Produktionsmaximums die normalerweise freischwimmenden Organismen in ein Dauerstadium übergehen, für daS die Ausscheidung der Gallerte charakteristisch ist. Cori schließt sich der Meinung Steuer? an und bezeichnet die Geißeltierchen als die eigentlichen Urheber des Mar sporoo. Daß tat Kieselalgen sich in dem Schleim so ungeheuer vermehren, hat seiner Ansicht nach seinen Grund darin, daß der Schleim für sie einen außerordentlich günstigen Nährboden bildet. Verantwortl. Redakteur: Emil Unger, Berlin. Druck u. Verlag: Vorwärt« Buchdruckerei u.Berlaglaiistalt Paul Singer L-Eo.. Berlin   ZW.