„Meine liebe Grete I Meinen herzlichsten Dank für Deinen letzten Brief. Es kat mir so unendlich wohl. Deine lieben Zeilen zu lesen. Ich trage ihn immer mit mir herum, bis ich Deinen nächsten habe. Ich lese aus ihm mehr Worte heraus, als Du mir geben wolltest. Beim Anblick Deiner Zeilen fühle ich Dich in meiner Nähe, wie ich Dich verlassen mußte, sehe ich Dich vor meinen Augen— und das gibt mir wieder Mut, das Kasernenleben zu ertragen. Aber um eins bitte ich Dich. Mach Dir um mich keine Sorgen. Wenn ich Dir auch in meinen Briefen ein bißchen klage, ängstige Dich nicht, ich kämpfe mich schon durch, dessen kannst Du versichert sein. Es ist nur für mich eine Erleichterung, wenn ich einer mitfühlenden Seele offenbaren kann, wie mirs zumute ist. Natürlich hüte ich mich hier, von mir selbst zu reden. Beim Militär läßt man so etwas hübsch bleiben. Uebrigens fühle ich bei jedem diese nagende Unzu- friedenheit. Auf jeden wirkt das Militärleben in dieser Weise. Wie Du mir schriebst, möchtest Du gern eine möglichst detail- lierte Milieuschilderung von hier haben. Meine liebe Grete, es ist wirklich nicht leicht, sie Dir zu geben. Die Verhältnisse sind hier so verwickelt und verschiedenartig das muß man durchleben, um es richtig kenneu zu lernen. Jetzt ist Sonntag abend. Unsre Korporalschaft ist eben von einem Spaziergang zurück unter Leitung des Korporal- schaftsführers. Ich brauche Dir nicht zu schreiben, daß der- artige Ausflüge nicht zu den Annehmlichkeiten gehören, wie sie kleine Schuljungen machen, geführt von ihrem Lehrer. Hier muß man aber alles mitmachen. Das ist Befehl vom Hauptmann, da gibt es kein Ausschließen! Jetzt sind wir wieder in der Kaserne und haben freie Zeit bis zum Zapfen- streich. Die benutze ich stets, um Dir zu schreiben. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Auch an das bittere Soldatenleben. Der erste Eindruck ist vorüber, und zum weiteren Grübeln hat man nicht viel Zeit. Jeder Tag ist fast bis auf das Minimum in Dienst aufgeteilt. Jeder tut, was ihm geheißen— willenlos wie eine Maschine. Das Essen wird hinuntergeschlungen. Ob es schmeckt oder nicht, ist Neben- fache, Hauptsache ist. daß man eben ißt. Das Exerzieren auf dem Platz ist noch zu ertragen, obgleich man vor Langeweile umkommen kann. Aber der Dienst in der Kaserne! Flicken— Putzen— Waschen! Widerwärtig alles, widerwärtig vor allem die Behairdlung. lFortsetzung folgt.) (Nachdruck vcrvoten.) 13 Die Hoaka. ;Con Otto Alscher . Jeden Morgen, wenn die Zigcunerkinder erwachten, krochen sie aus den Zelten und kauerten sich in die Sonne. Diese schwang sich über den Berg empor, der hinter dem rumänischen Dorfe stand, glühte in das Tal hinab, daß die weichen Morgennebel danipfend flüchteten. Die Erwachsenen waren schon längst fort. Sie konnten eS nicht, daß sie den ganzen Tag im Zelte liegen blieben, da war die Unrast in ihnen zu groß. Der eine nahm einen Kupfcrkessel auf den Rücken und wanderte ins Dorf hinein, der andere steckte sclbstgeschnitzte Holz- löffel in den breiten Ledergürtel, um sie zu verkaufen, der dritte aber band ein Ferkel am Hinterfüße fest und trieb es die Straße hinaus. Das Ferkel zerrte vor, schoß hin und her und, am armen, halb- verrenkten Bein immer wieder zurückgerisien, quiekte es grunzend. Der Platz vor den Zelten war hartgetreten. Die Sonne brannte ihn bald durch, so daß er warm wie eine Ofenbank wurde. Da lagen denn die Kinder still und verfroren wie frosterstarrte Reptilien, und erst wenn das Morgenlicht ihr Blut erwärmte, begannen sie sich wohlig zu regen. Bald spielten sie auch ein wenig, lachten und plauderten, rmd sobald die Sonne sich vollends durch die Morgen- dämpfe durchgefunden, sammelten sie sich und liefen das steinige Bachbett hinab, an dessen Rande der den Zigeunern für die Zelte zugewiesene Platz lag. liefen in das Dorf, in die Felder hinaus. Dort dampfte die Landschaft von weichen Schleiern, wie der Leib eines Mädchens, der sich aus warmeni Bade hebt. An diesem Morgen schien alles so ferne zu liegen, selbst das Nahe war un- bestimmt, die Bäume auf den Feldern klein und eingesunken, und die Weiden am Flusse unten schienen weit und unerreichbar. Die Kinder standen und wußten nicht, wohin sie sich wenden sollten. Sie hörten die Rufe ackernder Rumänen herankommen, das Plaudern und Lachen von Mädchen, die irgendwo im Morgen draußen das Feld bebauten, und deren Lachen klang, als würde es wie ein Metallsiück weit und hell hinausgeschleudert. Und noch immer standen die Kinder und warteten, als sollte etwas von diesem Morgen kommen. Ein Weih strich über ihre Köpfe weg. Er glitt so leicht hin, als wäre da oben eine feste, glatte Bahn für ihn, die ihn sanft und sicher führte. Und wie die Kinder den Weih sahen, jauchzten sie auf, liefen ihm nach und sangen: Mit den Flügeln um dich schlag» Roter Vogel, schlag. Bringe uns den lichten Tag! Bring uns Kuchen, bring uns vielen. I Wollen auf der Wiese spielen. Sie liefen so lange, bis sie plötzlich am Flusse standen. Es war, als rauche das Wasser. Kurze, leichte Schwaden hoben sich von der ganzen Fläche, standen gedrungen auf und verwehten. Vom Ufer herauf kam ein regelmäßiges Klopfen. Waschende Rumäninnen knallten da mit dem Wäschepracker aus nasse Bündel Linnen los, die sie auf großen Steinen, vom JBZasser bespült, vor sich liegen hatten. Dula, das älteste der vier Zigeunerkinder, liebte das Wasser. Sie war mager, doch feinknochig, ihr Gesicht aber jetzt schon eine Sammlung aller Rasseseltsamkeiten einer Zigeunerin. Die Kinder lagen auf dem Bauche und schauten den zwei waschenden Rumäninnen zu. Und starrten über diese hinweg in das Geflimmer und Gleiten der Wellen, in den Fluß, der gleiste und bebte, so daß es aussah, als zitterten auch die beiden Gestalten an seinem Rande da unten mit. Aula schloß wie in betäubender Lust die Augen und ließ ihren Blick in dem Sonncgeriesel der Wogen mitschwimmen. Vodas, der siebenjährige, der nie lange stillhalten konnte, sprang wieder auf und ließ Steine über das Wasser schnellen. Er wollte auch Meila dazu bereden, Meila mit dem verstümmelten Gesicht, dessen Nase, da er noch Säugling war, ein Schwein angefressen hatte. Aber der widerstrebte; denn er fürchtete dabei wieder einen Stein auf den Kopf zu bekommen, wie schon oft, wenn VodaS für seine Teufeleien ein Opfer brauchte. Anrus, der jüngste, lag noch immer still und träumend da. Sein schmales Kindergesicht, in dem Elend und Kindlichkeit mit- einander kämpsten, war freudig geworden, und wurde immer leuchtender. Und dann murmelte er stotternd, stammelnd: iLäl päni duy rakla beshen mäy shukära.,, DeS Bächleins Wellen rasch weitergehen— Zwei schöne Mädchen am Ufer stehn. Fula aber setzte sich auf, warf sinnend Steinchen ins Wasser und sprach die Liedstrophe zu Ende: rnrv vodyi somores. Trüb ist zu Mute mir, J&aen most mäy duresl Scheid ich doch jetzt von hier! E päni shilälo Klaren Bächleins klare Welle, jänel sär sikärdye? Warum eilt sie doch so schnelle? Die Rumäninnen waren jetzt erst auf die Zigeunerkinder auf- merlsam geworden. Sie schauten mißtrauisch auf und holten rasch die Wäsche näher, welche oben auf der Uferbank lag. Aber die Kinder achteten nicht darauf, nur Vodas, und dieser warf nun seine Steine dicht über die Köpfe der Weiber hinweg. Sie kreischten auf, schimpften auf den Zigeuner und drohten dem Knaben mit dem Wäschcpracker. Vodas lachte, sprang einige Schnitte weiter und warf seine Steine nach einer anderen Richtung. Der einen Rumänin war die Seife entglitten und rollte nun im Wasser flußab. Als dies das andere Weib sah. griff sie rasch danach, überzeugte ficki, ob die andere es nicht bemerke, und ließ die Seife unter ihrer Wäsche verschwinden. Aber als die Nachbarin die Seife vermißte, half sie ihr suchen. Sie spähten das Waffer ab, den Sand am Ufer; nirgends war sie. Da deutete die eine auf die Zigeuner. Und die Weiber gerieten in Wut und stürzten auf die »iiidcr los, um sie zu faffen. Die aber, welche die Seife gestohlen, gebürdete sich am zornigsten» schwang den Wäschcklopfcr und schleuderte Steine nach den Kindern. Alle waren geflüchtet; nur Anrus, der Fünffährige. in einem Traum von Wohlsein befangen, börte nichts als das Wellenrauschen. sah nichts als die Sonne im Gesicht. Da schrak er auf. Er sah ein wütend geiferndes Weibergesicht über sich gebeugt, eine Hand drohend erhoben. Und mit einem Ruck schnellte er empor, lief schreiend davon, lief und lief, bis der Schreck sich löste, seine Füße ins Stolpern kamen und er hinfiel. Er stand auf und sah, daß er weit und allein draußen im Felde war. Langsam ging er heimwärts. Die Sonne schaute hoch und klein in den Märztag hinein und zu ihr enipor stiegen die Lerchen» die noch immer trillerten, stiegen in den Vormittag, doch nicht mehr so hoch hinauf. Di« Bauern auf den Feldern machten Frühstückspause. Die Zigeuner über dem Dorfe waren weidend schon hoch hinauf geklettert, und vom Dorfe her kam Geklirr und Geraffel, Gepoch und Gedengel. Der Zigennerknabe aber kroch im Bachbett unter den Häusern auf hohem Ufer hin. Er duckte sich scheu, und sein Kinderfinn war plötzlich voll Angst vor den Häusern, von zitternder Furcht vor denen, die da oben wohnten, erfüllt. .* Wie es Abend wurde, kam der Mond und der Friede. Und als sich die Dämmerung wie ein blauer Rauch niederfcnkte, stieg Plötz- lich ein seltsames Geratter allenthalben auf. Das war hell und weittönend wie ein Geschmetter, wie ein Rufen. Erst schwang es sich in der Ferne auf, Antwort kam herauf von da und dort, von
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26 (7.10.1909) 195
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