MNagsMe. An 5er schwülen, siaubigen Luft merkte er, daß vor noch nicht langer Zeit exerziert worden war. Nichts als breitgetretener sckmutziger Kies bedeckte den Hof. Kein Baum— kein Grashälmchen war zu sehen. Längs der hohen Mauer befanden sich etliche Querbäume, wie er sie in der Kaserne kennen gelernt hatte. Dicht vor dem großen schmiede- eisernen Tore, das ins Gefängnistor führte, war ein kleiner Brunnen, und gleichmäßig im Hofe verteilt, standen vier hölzerne Laternenpfähle. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verdoien.Z. Die Tortur und ihre Hbfcbaffunöf. 1] Bon Niels Möller. Am 21. Juni 1630, morgens 1/35 llhr, ging ein Mann namens Piazza durch eine Straße der italienischen Stadt Mailand . Es regnete ein wenig und er ging darum dicht an den Häusern entlang, um sich im Trockenen zu hallen. In der einen Hand hatte er ein Stück Papier und möglicherweise auch ein Tintenfaß, die man damals häufig bei sich trug, mit der anderen mackte er im Gehen allerlei Aufzeichnungen. Die Finger waren vermutlich mit der Tinte in Berührung gekommen; er strich sie an der Mauer ab, wo er vorüberging. Einzig und allein auf Grund dieser Tatsachen wurden Piazza und ein Barbier namens Mora einen Monat später als Verbrecher durch die Stadt geführt, die zum Tode verurteilt worden waren. Unterwegs wurden sie vom Büttel mit glühenden Zangen gezwickt, die rechte Hand wurde ihnen abgehauen; als sie die Nichtstätte erreicht hatten, wurden sie aufs Rad geflochten. Sechs Stunden später schnitt man ihnen den Hals durch, verbrannte ihre Leiber und streute die Asche in den Fluß. Dann wurde das Haus des BarbierS niedergerissen und auf dem Grundstück eine Schandsäule errichtet, die alle guten Bürger verscheuchen sollte, damit sie nicht von dem Fluch dieses Erdenflecks angesteckt würden. Und mehrere andere unschuldige Menschen verloren ihr Leben oder wurden entsetzlichen Folterqualen unterworfen, nur weil Piazza an jenem Junimorgen die Finger an den Häusern abgestrichen hatte, an denen er vor- überging. Es berührt heute wie ein bloßer Traum oder die Dichtung eines Irrenhäuslers, damals aber war es harte und häßliche Wirklich- keit. In jenem Sommer raste in der Stadt die Pest, die viele Menschen dahinraffte; niemand wußte einen Rat oder ein Hell- mittel anzugeben, und das Entsetzen machte die Leute fieber« krank. Mir ihren erhitzten Gehirnen grübelten sie über die Ursachen der rasenden Sterblichkeit. Es lagen viele Ursachen klar auf der Hand; die sanitären Verhältnisse waren schlecht, eine gräßliche Unsauberkeit herrschte überall, die Bevölkerung war in ihren Häusern geradezu zusammengepfercht, und in den Kirchen hockten sie massenweise zusammen, so daß die ansteckende Krankheit überall offene Wege fand. Diese einfachen und sachlichen Ursachen befriedigten indessen die Phantasie des Volkes nicht, wenn sie ihnen überhaupt auffielen. Man suchte nach abenteuerlichen Gründen. Einige begnügten sich damit, in der Pest eine Strafe des Himmels für die Sünden der Menschen zu sehen; andere hingen viel gefähr» sicheren Träumen nach. Nach der Art unwissender Menschen sahen sie in der Pest die Folgen eines persönlichen Einflusses. Die eigentliche Wahrheit war an sich traurig genug, aber allzu einfach und natürlich; sie wollten eine Historie mit Form und Farbe daraus machen. Die ganze Sache mußte von bösen Menschen angerichtet sein. Im allgemeinen meinte man in solchen Fällen, daß böse Menschen die Brunnen ver« giftet hätten. Hier erfand die aufgescheuchte Phantasie etwas anderes. Die Pest sollte von geheimnisvollen Verbrechern stammen, die die Häusermauern mit Gift bespritzt hatten—. Piazza und der Barbier Mora wurden die ersten Opfer dieses Wahns. Als Piazza an jenem Morgen die Tinte von den Fingern strich, saß in einer Tür ein Weib, die ihm mit den Augen folgte. Die Gerüchte von den Giftmischern begannen in ihrem einfältigen Gehirn aufzuwachen uird sie kombinierte sofort, daß Piazza einer von diesen Verbrechern sein müßte. Noch vor Abend lief das Geschwätz durch die Straßen und verwirrte die Geister der Bewohner. Sie meinten die Mauern entlang einige gelbe Gift- flecke sehen zu können und erschienen mit Feuer- und Räucher- werk, um sie zu entfernen. Das Gerücht lief nun weiter durch die Stadt und die Berichte nahmen fortwährend an Genauig« keit zu. Man wußte bald, daß der Mann das Gift in einem Gefäß getragen und mit einer Schreibfeder ausgeschmiert hatte. Die Polizei erfuhr von der Sache und kam zur Stelle. Sie berichtete an ihre Vorgesetzten, was sie hörte, und konnte hinzufügen, daß an der Mauer ein fetter gelber Stoff wahrzunehmen sei, der offenbar mit einem Finger angeschmiert worden wäre. Diese Spuren hatte sie obendrein erst gefunden, nachdem die Bewohner die Mauern der ganzen Straße mit Feuer- und allerlei Rauchwerk behandelt hatten. Bis jetzt hatte es sich nur um dummes Geschwätz gehandelt, nun aber griff das Gesetz mit aller Macht und Strenge durch. Das Gesetz, sagt ein Schriftsteller, gleicht dem spanischen Stier. Es senkt den Kopf und schließt die Augen, bevor eS darauf losrennt, und entweder trifft es sein Ziel gar nicht oder läßt es in einer Lache von Blut zurück. Hier geschah das letztere. Die Richter, denen die Affäre in die Hand kam, waren schwerlich viel anders, als Menschen im allgemeinen find, sie waren nur genau so unwissend und leicht- gläubig und furchterfüllt wie der Pöbel, sie gierten nach einem Opfer, sie wollten ein Exempcl statuieren, und hatten darum bereits Partei ergriffen, als sie sich auf die Untersuchung der Sache ein- ließen. Sie nahmen Piazza fest, fesselten ihn, untersuchten sein Hans, ohne etwas zu finden und brachten ihn ins Verhör. Aber Piazza würde wohl sofort den Zusamnienhang aufklären können? Nein, denn Piazza wußte nicht, warum er gefesselt worden war. Er wußte vielleicht gar nicht, daß er das Haus berührt hatte, und die Richter sagten ihm nichts davon. Sie fragten ihn, ob er davon Kenntnis habe, daß man dort und dort fettige Flecken an der Mauer gefunden habe. Er antwortete nein; er wohnte in einem ganz anderen Stadtviertel. Die Richter fanden es sehr unwahrscheinlich, daß er davon nichts gehört haben sollte. Und damit wurde er auf die Folterbank gelegt. Wenn man nämlich einen Verdächtigen auf einer Unwahr- scheinlichkeit ertappte, war es nach dem Gesetz die Regel, daß man ihn der Folter unterwerfen konnte, um die Wahrheit aus ihm herauszukriegen. Freilich sollte die Frage, um die es sich handelte, für den Gang der Sache von Bedeutung sein. Wenn der Verdächtige sowohl ja als nein antworten konnte, ohne sich zu nützen oder zu schaden, war die Tortur ungesetzlich. Ueberdies mußte der Verdacht durch die begleitenden Umstände verstärkt werden, es durfte sich nicht um ein bloßes Gerücht handeln. Wenn man nun davon ausging, daß er wirklich die Mauer mit Gift bespritzt hatte, war es fteiltch unwahrscheinlich, daß er von den Dingen nichts gehört haben sollte; nur nahm man dann als Boraus- setzung, was erst zu beweisen war. Auch hatte man in rein förmlicher Beziehung einige tatsächlichen Umstände, auf die man sich stützen konnte: das Zeugnis der Frau die ihn beobachtet hatte, wie er mit der Hand über die Mauer strich, und einen Polizeibericht von den gelben Flecken. Man hatte freilich keinen Schatten vou Beweis, daß diese Flecke von Piazza stammten, auch war durch nichts bewiesen worden, daß sie Gift ent- hielten, aber da? nahmen die Richter auf die leichte Achsel. Ganz Mailand wußte ja, daß Piazza etwas an die Mauer geschmiert hatte, und nun sie ihn in ihrer Macht hatten, sollten sie ihn nicht zum Bekenntnis zwingen dürfen? Ueberdies war es Norm, daß bei schrecklichen Verbrechen über die Grenze des Gesetzes hinausgegangen werden durfte. Die Richter zweifelten von vornherein durchaus nicht an seiner Schuld. Es bandelte sich einfach darum, ihn zum Bekennen zu bringen. Wenn er selbst ein Geständnis ablegte, brauchten sie sich um weitere Zeugen nicht zu bemühen. Und darum legten sie ihn auf die Folterbank und zerrten ihm die Glieder aus den Gelenken, damit er das bekennen sollte, was sie die Wahrheit nannten. Er hielt die Folter zweimal auö, ohne die Giftmischerei ein- zugestehen, die sie ihm nunmehr auf den Kopf zusagten. Rede die Wahrheit I riefen sie ihm zu. Er jammerte und flehte: Ich habe die Wahrheit gesagt I sie lassen ihn frei und fragen ihn ausS neue. Ich weiß von nichts, antwortet er, gebt mir einen Tropfen Wasser. Etwas anderes war trotz der Tortur nicht aus ihm heraus- zubekommen. Als er aber im Gefängnis durch die ausgehaltenen Qualen geistig gebrochen war, gelang es diesen Männern des Gesetzes, ihn in ihre Gewalt zu kriegen, sie sicherten ihm Straflosigkeit zu, wenn er bekennen wollte. Piazza war vermutlich ein redlicher Durchschnitts- mensch, ein fester Charakter aber war er nicht, und die Wahl zwischen unerträglichen Folterqualen und Erlösung hätte einen Stärkeren schwankend machen können. Ihn brachte es zu Fall. Er schlug den Ausweg ein, den sie ihm boten, ohne zu überlegen, welchen Preis sie von ihm fordern würden. (Fortsetzung folgt.) (Nachdrua vervoten.) Das Problem der Sonnenflecken und die(Macben ihres Entstehens. Zu den vielen Theorien, die die Erscheinungen auf der Sonne zu deuten versuchen, die uns Fernrohr und Spektroskop kennen ge- lernt haben, ist vor kurzem eine neue hinzugetreten. Die neue Anschauungsweise von A. Amaftounsky geht aus von einer Er- klärung der Entestehung und Wirkung der Sonnenprotuberaizzen. Die Protuberanzen sind merkwürdige Erscheinungen, die man gelegentlich der vollständigen Verfinsterungen der Sonne durch das Zwischentreten des Mondes zwischen Erde und Sonne als Hervor- ragungen über der schwarzen Mondscheibe beobachtet hatte. Ge- legentlich der Sonnenfinsternis vom Jahre 1860 verfertigte der gewissenhafte Genfer Astronom Plantamour eine Zeichnung von der verfinsterten Sonne und den Protuberanzen, welche in der fachwissenschaftlichen Welt eine lebhaften Meinungsstreit hervor- rief. Zur Ergründung der merkwürdigen Protuberanzenerschei- nung richtete man bei der Sonnenfinsternis vom 18. August 1863 das damals noch ganz neue Spektroskop auf sie und erkannte mgs
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26 (19.10.1909) 203
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