gewordenen Philister offenbar die Absicht hatte», auch auf eine ganz friedliche, unbewaffnete Demonstralion ihre Kuhfüße abzufeuern, waren im Volkswahlkomilee die Ansichten ge- teilt, ob man gut daran tue, an dem geplanten Umzüge fest- zuhalten. Eine starke Minderheit trat aus dem Komitee ans, dar- umer auch die beiden Hauplleiter der eben einsetzenden Lrgani« sationsbestrebungen des Berliner Proletariats, der Schriftsetzer Stefan Born und der Goldarbeiter Bisky, beides Sozialisten. Sie waren schon als.Kommunisten" und.Anarchisten" von den klein- bürgerlichen Demokraten im Wahlkomitee angefeindet worden. Wenn sie nun bei Gelegenheit der Demonstrationsfrage austraten, so hatte das offenbar seinen Grund darin, daß sie nicht der schieß- lustigen Bürgerwehr Gelegenheit zu einem Blutbade unter den un- bewaffneten Arbeitern geben wollten, die in der Hauptsache den Zug gebildet haben würden. Aus der Demonstration wurde nun nichts, und am Gründonnerstag war, nach einem Berliner Witzwort jener Tage, alles ruhig mit Ausnahme der Bürgcrwehr. Sie hielt, bis an die Zähne bewaffnet, alle strategischen Punkte, besonders den Alexanderplatz , besetzt und harrte des Feindes, der nicht kommen wollte. Seitdem verlief die Volksbewegung in den üblichen Gleisen. Die Presse arbeitete mächtig. und zahlreiche Volksoersammlungen wurden täglich in allen Stadtvierteln abgehalten, in denen man Wahlmännerkandidoten ins Auge faßte, auch schon Kandidaten für die Abgeordnetenposten austreten sah. Die Zahl derer, die hierauf reflektierten, wurde immer größer. Schließlich waren im ganzen bei zehn zu vergebenden Sitzen 103 Kandidaten auf dem Platz. Die sich bekämpfenden Gegensätze wurden im allgemeinen als liberal und konservativ angesprochen. Die Konservativen aber nannten sich selbst Koustiftrnonelle. Die Liberalen wieder zerfielen in gemäßigte Liberale«nd in die mehr oder weniger„Entichiedenen". Die radikale bürgerliche Richtung repräsentierte der politische Klub, der neben den üblichen demokratischen Forderungen auch die Errichtung eines Arbeiterministeriuin« auf> einem Programm hat», um auch dem Proletariat etwas zu bieten. Die Arbeiter, unter denen daS Klassenbewußtsein eben erst zu erwachen anfing, leisteten im ganzen noch der bürgerlichen Demokratie Ge- folgschast, deren hochtrabende Redensarten sie noch im Bann hielten. Indes strebte auch schon der mehr oder weniger sozialistisch denkende oder fühlende Teil der Arbeiterschaft, der sich seit dem 13. April um das Zentralkomitee für Arbeiter mit Born und Bisky an der Spitze zu scharen begann, auf die Wahlen zur Berliner Nationalversainm« lung Einfluß zu gewinnen, und, wie der Ausfall der Abgeordnelen- Wahlen zeigt, nicht ganz ohne Erfolg. Der 1. Mai 1848 fiel aus einen Montag. Berlin hatte aber an diesem Tag ein durchaus feiertägliches Gevräge. Durch könig- liche Order war bestimmt worden, daß am 1. Mai die für die Sonn- und Feiertage geltenden Bestimmungen angewandt werden sollten. Alle Läden, Werkstätten und Fabriken waren geschlossen. In einer Zahl von über 60 000 strömten die Berliner Wähler den 140 Wabl- lokalen zu. Der öffentliche Sicherheitsdienst wurde, damit alle Stimmberechtigten erscheinen konnten. von den Bürgerwehr» leuten unter 24 Jahren, dem Swdcntenkorps, bewaffneten Gymnasiasten usw. versehen und zwar, ausdrücklicher Anordnung gemäß, in einer Weile, als ob das Einrücken eines geiährlichen Feindes jeden Augenblick zu erwarten sei. Es hieß, daß die Stadt von einem revolutionären Einbruch der Arbeiter, besonders der sogenannten Rehberger, bedroht und das Eigentum gefährdet sei. Und so zogen unzählige Patrouillen durch die Straßen. Sie stießen aber nicht aus die kleinste Zusammenrottung. Die wahlberechtigten Arbeiter waren natürlich auch in den Wahllokalen, um ihr politisches Recht auszuüben. Die Demokraten erklärten, von den Wahlmännerwahlen nicht unbefriedigt zu sein; indes ließen sich die Ergebniffc noch nicht über- sehen. In den nächsten acht Tage» nach dem 1. Mai fanden öfters Wahlmännerversammlungen statt, wobei es mitunter sehr verworren und sehr stürmisch zuging. Am 8. Mai wurde dann in den fünf Wahlkreisen eine bunie Mischung von Vertretern der verschiedenen politischen Schattierungen gewählt. Die eine Hälfte der Auserkorenen war mebr oder weniger bürgerlich radikal, die andere Hälfte teils gemäßigt liberal, teils mehr oder weniger kon- servativ. DaS merkwürdigste war, daß in der Jerusalemer Kirche, dem Wahllokale des dritten Kreises dieselben Wablmänner einen Abgeordneten wählten, der auf der äußersten Rechten, und einen zweiten, der auf der äußersten Linken der Nationalversammlung Platz nahm. Dieser letztere, der Buchdruckereibesitzer Behrcnds, war zweimal gewählt. Er hatte eS fertiggebracht, in seinem gedruckten Glaubensbekenntnis.eine republikanische Regierung und an der Spitze einen König" zu fordern. Au politischer Unklarheit und auch an unsteiwilligem Humor hatte die Wahlbewegung überhaupt eine ganze Menge zutage gefördert. Für jeden Abgeordneten war noch ein Stellvertreter zu wählen, und unter den Ersatzmännern war nun auch e i n Arbeiter, BiSku vom Zentralkomitee. Er bekam 84 Wahlmännerftimmen, während die beiden zuvor erwählten eigent- lichen Abgeordneten. Waldeck und Grabow , nur 64 bezw. 68 Stimmen erhalten hatten. Mehr war bei der damaligen großen numerischen Stärke des Kleinbürgertums und der politischen Unerfahrenheit des Proletariats nicht zu erwarten. Die.Arbeiterzeitung" rirt ihren Lesern zu:.Ihr Arbeiter seid in bezug auf das Re'ultat der Wahlen ebenso zu bedauern wie der— Konstitutionelle Klub, nur daß ihr euch nicht wie dieser getäuscht habt." Die von Stephan Born re- digierte„Verbrüderung" schrieb im Herbst 1848 über den Ausfall der Frühjahrswahlen:.Das Volk wählte unter Anleitung der Bourgeoisie nicht die Männer seines Vertrauens (die ihm damals fehlten, weil ihm bisher alles öffentliche Leben ge- fehlt hatte), sondern die Vertreter der Bourgeoisie tind glaubte nun blind genug, diese Leute würden daS Jmeresse des Arbeiters, an das sie mit keiner Idee dachten, wahren und mit Nachdruck wahr- nehmen." Mit diesem 48er Stand der Dinge braucht man bloß den heutigen zu vergleichen, um sich darüber klar zu werden, wie sehr sich die Zeiten seitdem geändert haben: in derislbcn Stadt Berlin , die 1848 bei allgemeinem, gleichem Wahlrecht bloß einen sozialistischen Arbeiter erwählte und aucr bloß als Lückenbüßer, kann heute nicht einmal das elendeste aller Wahlsysteme das Proletariat verhindern, Vertreter seiner Interessen in den Landtag zu entsenden. a. o. (Nachdruck verdoten.t Allerlei IWenweiskeil:. Von Else Kind. Die Nase des Menschen ist ein merkwürdiges Gewächs: sie hat den Rücken vorn, die Flügel unten und die Wurzel oben. Trotz dieser offenbaren Verkehrtheit behauptet der Gcsichtserker einen bevorzugten Platz im Einklang der menschlichen Sinnesorgane. „Eine gute Nase ist ein gesuchter Artikel, um Arbeit für die übrigen Sinne auszuwittern", wie Äntolycos in Shakespeares„Winter- märchen" sagt. Deshalb glaubt der Sprachgebrauch, einem alles .an der Nase ansehen zu können", ohne„naseweis" zu sein. Wer aber eine„feine Nase" hat, merkt sich bald Leute, die in„alles ihre Nase stecken", obwohl sie doch wissen sollten, daß jede„Spür- nase" zuguterletzt ihren„Nasenstüber" bekommt. So sehr uns manches„in die Nase sticht", so müsien wir doch„die Nase davon lasten", damit uns nicht etwa„die Tür vor der Nase zugemacht" wird, und wir„mit langer Nase abziehen können". Wenn man auch noch so sehr bemüht ist,„seiner Nase nachzugehen" und«sich an seine eigene Nase zu fassen", so kann es einem doch passieren, daß man„eine Nase erhält", die man„einstecken" muß. Das soll noch immerhin bester sein, als wenn einem„eine Nase gedreht" oder man.an der Nase herumgeführt" wird, da man besonders in dem letzten Fall noch das„Naserümpfen" der lieben Mitmenschen einzustecken bat, ohne darüber die„Nase hängen lasten" zu dürfen. Am besten ist's, wenn man sich„nichts auf die Nase binden" läßt, damit einem nicht noch hinterher eine„lauge Nase gemacht wird". Selbst bei Kanzler- und Mir.isterwechseln soll das Rieeborgan von einschneidender Bedeutung sein, wenn man Lavater glauben will, der in seinen„Physiognomischen Fragmenten " ausruft:„O, Ihr Fürsten , wenn Ihr Eure Minister wählt, seht vor allem ihre Nase anl" Bei Lavater find die Menschen ganz einfach nach ihren Nasen zu charakterisieren. Nack ihm sind„die Werke aller Künstler unsterblich, deren Nasenrücken von der Wurzel an bis zum Knopf« parallel und von merklicher Breit« ist!" Eine richtige„Spürnase" ist nach Lavater der Gründer des Jesuitenordens Ignatius Loyola gewesen, denn er behauptet von ibm,«er scheine alles von ferne zu riechen, was für und was wider ihn ist". Eine schön« Nase ist ein ebenso gesuchter wie seltener Artikel. Man findet tausend schöne Augenpaare, bevor man eine einzige vollendet entwickelte Nase konstatieren kann, die nie in einem häß- lichen Gesickt sitzt. Es gibt eine Unzahl Anforderungen, die man an die„klassische" Schönheit der Nase stellt, und die armen Nasen haben eS wirklich schwer, nur den kleinsten Teil dieser Ansprüche zu erfüllen. Sollte das die Ursache sein, daß die Liebeslyrik so wenig« Strophen zum Preise der Nase der Geliebten enthält, während an schönen Augen und Lippen ein großer Ueberfluß darin zu finden ist? Nur das Lied der Lieder, das„Hohelied Salomonis", vergißt auch nicht, der Schönheit der Nase Erwähnung zu tun, von der es darin heißt:„Deine Nase ist wie der Turm auf Libanon , der gegen Damaskus stehet!" Daß dieser Vergleich, der ein recht statt- liches Nasengebäude zur Voraussetzung hat, nicht etwa sarkastisch gemeint ist, erhellt die vorhergehende Strophe, die lautet:„Du bist schön, meine Freundin, wie Thirza, lieblich wie Jerusalem , schrecklich wie Heeresspitzenl" Allgemein bevorzugt man im Leben die kleinen Nasen mehr als die großen, während in der Physiognomik große Nasen als ein Zeichen für schärferen Verstand gelten. So wird man niemals auf der Äühne einer Helden mit einer kleinen Stumvfnass darstellen, sondern adlernasige Masken für solche Rollen wählen. Die Anthro» pologie bemüht sich, nachzuweisen, daß innerhalb des menschlichen Geschlechts die Nase ein gewisses Rassenmerkmal ist, nämlich je höher die Rasse, je größer und bestimmter ausgebildet die Nase. Es sei nur an die Negervölker erinnert, die eine flache, kurze Nase haben. Einem Gesicht kann keine grauenhaftere Entstellung wider. fahren als durch den Verlust der Nase, die die Römer den Ehren- schmuck des Antlitzes nannten. Diebe bestrafte man im Mittelalter durck Abschneiden der Nase, worauf Onkel Bräsigs Wort hindeutet: „Daß Du die Näs ins Gesichte behältst I" Bei den Tataren ist das Nasenabschneiden auch heute noch für Pferdediebstahl im Schwünge. Im alten Aegypten setzte man den Verlust der Nase als Straf«
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26 (26.10.1909) 208
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