IZchelnSwerien und belachenSwürdtgen Zügen. Diese Eigenschaft MannS ist in seinem neuesten Buch zu außerordentlicher Kunst ge- diehen und wirkt als die feinste und zugespitzteste Ironie. Wie Gustav Freytag in seiner„Verlorenen Handschrift" greift Thomas Mann hinein in das höfische Getriebe eines mittel- deutschen Kleinstaates, eines Großherzogtums im Duodez-Format, das nicht genannt wird, das man sich aber auf der thüringischen Landkavte beliebig aussuchen kann. Das Ländchen, dessen Wirt- schaftliche Verhältnisse wenig entwickelt sind, ist erheblich der-- schuldet und durch systemlosen Raubbau— Abholzung der Waldungen, Verfall der Bergwerke— ökonomisch sehr herabgckommen: Die Kurse stehen entsetzlich tief, und allem Scharssinn der Finanz- minister will es kaum noch gelingen, zu den ungünstigsten Bedin- gungen Anleihen zu plazieren. Mit dem Lairde ist auch die Dynastie verarmt: man sucht im großherzoglichen Hofhalt zu sparen, hat den Bestand des Marstalls herabgesetzt und verschiedene Oberhofämter in eins zusammengezogen. Trotzdem den Groß- herzog erbärmlich friert, ist es ihm der Kosten halber unmöglich, das Schloß mit einer Zentralheizung versehen zu lassen, die bereits ein reicher Seifensieder der Residenz hat, und der Bruder des Herrschers trägt lieber Uniform als Zivil, weil er so wohlfeiler lebt und mit zwei, drei Röcken im Jahr auskommt. Die Lust- schlösser endlich im Lande verfallen, und im Rcsidenzschloß der Hauptstadt herrscht eine verschlissene Eleganz: die Serdentapeten an den Wänden sind verblichen und aus manchem protzigen Prunk- fauteuil quillt das Seegras heraus. In diese schäbige Eleganz und in dieses glänzende Elend stellt Thomas Mann nun ein paar Menschen hinein, die weder Tyrannen noch Trottel sind, die ganz und gar durchschnittlich leben, die manchen sympathischen Zug ausweisen und auf jeden Fall recht harmlos sind, und doch durch ihre Existenz schon das Parasitäre, das überflüssig Schmarotzerhafte ihres monarchischen Berufs so unterstreichen, wie es kein Nero und kein Caligula , in der benga- lischen Beleuchtung weltgeschichtlicher Dramatik, zu tun vermöchte. Nachdem Johann Albrecht in dem festlich erleuchteten Schloß zeremoniös und dekorativ gestorben, hat sein ältester Sohn Albrecht ll. den Thron der Väter bestiegen: ein ungefährlicher Degenerationstyp mit zarten Nerven und dünnem Blut, der, scheu und zurückhaltend, der(Deffentlichteit wie den Staatsgeschäften abgewendet lebt. Es ist das Gefühl seiner vollständigen Entbehrlichkeit das ihn niederdrückt und Schatten auf seine Stimmung wirft. Was er tagsüber für die Zivillisde von einer halben Million leistet, drückt er, sich selbst ironisierend, so aus:„Ich muß be- kanntlich das Land regieren, dazu bin ich da. Heute habe ich die gnädigste Entschließung gefaßt, zu gestatten, daß irgendein Staats- bürger— es tut mir leid, seinen Namen vergessen zu haben— einen fremden Orden annimmt und trägt. Ferner habe ich ein Telegramm an die Jahresversammlung der Gartcnbaugescllschaft abgeben lassen, worin ich das Ehrenpräsidium dieser Gesellschaft annehme und mein Wort verpfände, ihre Bestrebungen auf alle Weise zu fördern— ohne daß ich freilich wüßte, was ich außer dem Telegramm noch zur Förderung beitragen soll, denn die Herren besorgen ihre Angelegenheiten ganz gut allein. Außerdem habe ich geruht, die Wahl eines gewissen braven Mannes zum Bürgermeister meiner guten Stadt Siebenberge zu bestätigen— wobei sich fragen ließe, ob dieser Untertan durch meine Bestäti- gung ein besserer Bürgermeister wird, als er ohne sie sein würde..." Und mit nicht minder schmerzlichem Spott zieht er für sein fürstliches Wirken den treffenden Vergleich:...Hier in der Stadt lebt ein Mann, ein kleiner Rentner mit einer Warzennase. Jedes Kind kennt ihn und ruft Juchhe, wenn es ihn sieht; er heißt Fimmelgottlieb, denn er ist nicht ganz bei Tröste; einen Nach- namen hat er schon lange nicht mehr. Er ist überall dabei, wo etwas los ist, obgleich seine Narrheit ihn außerhalb aller ernst- haften Beziehungen stellt, hat eine Rose im Knopfloch und trögt seinen Hut auf der Spitze seines Spazierstockes herum. Ein paar- mal am Tage, um die Zeit, wenn ein Zug abfahren soll, geht er auf den Bahnhof, beklopft die Räder, inspiziert das Gepäck und macht sich wichtig. Wenn dann der Mann mit der roten Mütze das Zeichen gibt, winkt Fimmelgottlieb«dem Lokomotivführer mit der Hand, und der Zug geht ab. Aber Fimmelgottlieb bildet sich ein, daß der Zug aus sein Winken hin abgeht. Das bin ich. Ich winke, und der Zug geht ab. Aber er ginge auch ohne mich ab, und daß ich winke, ist nichts als ßlffentheater.. Sehr verständlich, daß dieser blasse Skeptiker die Bürde des Berufs sehr bald an seinen Bruder Klaus Heinrich abgibt, ihn mit vielen Vollmachten ausstattet und mit dem Titel„Königliche Hoheit" ziert. Auch Klaus Heinrich trägt ein Degenerationsmerk- mal: von Geburt ist sein linker Arm verkrüppelt und nur halb gebrauchsfähig: aber dafür ist seine«Seele frisch und rotwangig. Ein guter Junge im ganzen und ein bißchen sehr dumm; aber eben deshalb, und da er von allem nur eins besitzt: Haltung, zum Repräsentieren wie geschaffen. Und so verfließt sein Leben in auf- geputzten Nichtigkeiten, indem er Ausstellungen, Einweihungen, Festen und Tagungen aller Aot durch seine Anlvrsenhcit die Weihe gibt:„Ohne rechten Alltag war sein Leben und ohne rechte Wirk- lichkeit; es setzte sich aus lauter hochgespannten Augenblicken zu- !ammen. Wohin er kam, da war Feier- und Ehrentag, da verHerr» ichte das Volk sich selber im Feste, da verklärte sich das graue Leben uild ward Poesie. Der Hungerleider lvurde zum schlichte« Mann, die Spelunke zur friedlichen Hütte, schmutzige Gassenkinder wurden zu prächtigen kleinen Mädchen und Buben im Sonntags« staat, das Haar mit Wasser geglättet, ein Gedicht auf der Lippe, und der dumpfe Bürger wurde in Gehrock und Zylinder sein selber mit Rührung bewußt. Aber nicht nur er, Klaus Heinrich, sah die Welt in diesem Lichte, sondern sie selbst sah sich so, für die Dauer seiner Anwesenheit. Eine seltsame Unecktheit und Scheinbarkeit herrschte auf den Stätten seiner Berufsübung, eine ebenmäßige, bestandlose Ausstattung, eine falsche und herzerhebcnde Per» kleidung der Wirklichkeit aus Pappe und vergoldetem Papier, aus Kranzgewiüden, Lampions, Draperien und Fahnentüchern war hingezaubert für eine schöne Stunde, und er selbst stand im Mittel« Punkt des Schaugcpränges auf einem Teppich, der den nackten Erd« boden bedeckte, zwischen zweifarbig bemalten Masten, um die sich Girlanden schlangen, stand mit geschlossenen Absätzen im Dufte des Lacks und der Tannenreiser und stemmte lächelnd seine linke Hand in die Hüfte." Diese hohle Scheinexistenz füllt ihn aus und befriedigt ihn. bis Jmma Spoelmann in sein Leben tritt. Spoelmann ist ein amerikanischer Milliardiär von der Vermögensstaffel der Rocke » feller, Harriman und Vanderbilt . In der kleinen deutschen Resi» denz mit ihren heilkräftigen Quellen läßt er, der an Nierensteinen Krankende, sich mit seiner Tochter nieder, und wieder sprüht hier die feine Ironie auf: auch dieser Mann auf des Lebens so- genannten Höhen, dieser Kapitalgewaltige, ist ein spöttischer De» generationstyp, der seltene Gläser sammelt und im übrigen fast den ganzen Tag mit Breiumschlägen auf dem Magen im Zimmer liegt— auch er ein höchst Entbehrlicher. In seine Tochter Jmma aber verliebt sich Klaus Heinrich, die Königliche Hoheit, weil sie alles hat, was ihm fehlt: Intelligenz und Energie, und Einblick in die wesentlichen Seiten des Lebens. Man vermag es psycho» logisch nicht ganz glaubhaft zu machen, daß dieses kluge und couragierte Mädel sich entschließt, dem Dekorationsprinzen die Hand zu reichen, und vor allem scheint mit der Heirat beider ein neuer Roman zu beginnen. Aber wie dem auch sein mag, auf jeden Fall entlädt sich auch hier wieder ein«Schuß boshafter Ironie. Denn einmal ist die erste und einzige Tat, durch die Klaus Heinrich seinem Lande wirklich nützt, eine Heirat, und zum zweiten ist eS e i n einziger Mann, noch dazu aus der bürgerlichen Kanaille und sogar mit Jndianerblut in den Adern, der mit seinen gigantischen Kapitalien das Staatsschiff einer souveränen deutschen Macht wieder flottmacht: zu kulanten Bedingungen bewilligt er dem Staat eine Anleihe von dreihundertundfünfzig Millionen Mark und gibt seiner Jmma eine Mitgift von hundert Millionen: jetzt kommt die Zentralheizung doch ins«Schloß... „Königliche Hoheit" ist ein sorgfältig geschriebenes Buch, der besten eines, die in den letzten Jahren der Büchermarkt gesehen hat, das man mit innigem Vergnügen liest, Seite für Seite, ob der Charakterisierungskunst des Perfassers und ob der charakteri» sicrten Personen. Aber es öftnet nicht nur amüsante, sondern auch nachdenkliche Perspektiven, wie man denn als Motto auf die erste Seite die Worte setzen könnte, die der Ironiker Albrecht II. aus- spricht:„Es ist ein erbärmliches Ding um menschliche Hoheit, und mir scheint, daß alle Menschen das einsehen müßten, daß alle sich menschlich und gütig gegeneinander verhalten und einander nicht erniedrigen und beschämen sollten. Ohne«Scham den Hokuspokus der Hoheit mit sich treiben zu lassen, dazu muß wohl eine dicke Haut gehören." Und da solide Moral das Buch verkündet und den Hokuspokus der Hoheit mit Narrenglöckchen zu Grabe geleitet, ist es nicht nur ein gutes, sondern auch ein tapferes Buchl Hermann Wendel . kleines femUeton. Astronomisches. D i e Astronomie der alten Inder. Die Sternkunde hat bei den alten Indern einen außerordentlichen Grad der Voll» kommenhcit erreicht, der eine ganze Reihe grundlegender Erkennt- nisse späterer Zeiten vorweggenommen hatte. Und doch ist diese Tatsache vom Abendlande erst in der allerneuesten Zeit bekannt geworden. Was die indischen„Rischi " geleistet haben, ehe die europäischen Völker sich überhaupt entwickelt hatten, ist in einem Aufsatze des„Vedischen Magazins" zusammengestellt worden. Die Schwerkraft war von den alten Indern ganz der modernen An- schauung entsprechend aufgefaßt worden. Arya Bhatt gibt eine klare Definition von dem Wesen der«Schwerkraft. Auch über die Gezeiten war eine unserer heutigen Auffassung durchaus ent» sprechende Vorstellung entwickelt worden. Der Vischnu Purana nämlich sagt: daß Ebbe und Flut nicht durch Verminderung zu- stände kämen, sondern daß der Mond die Wassermasson hebe und senke. Die Puranas und andere alte Quellen berichten auch von verhältnismäßig sehr vollkommenen astronomischen Instrumenten, mit deren Hille die Neigung der Erdachse sowie die Gestalt der Erde richtig ermittelt werden konnten. Nicht nur die große Leistung des Kopernikus war in Indien längst vorher vollbracht. sondern auch die Auffassung des Gesamtsystems aller sichtbaren Sterne ähnlich der unseligen ausgebildet worden. ßerantw. Redakteur: Emil Nnzer, Grunewald.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei».Verlegsan statt Paul Singer scTo..Berlin LW.
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26 (2.11.1909) 213
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