das angstschwere Atmen ihrer Vrust. Eine Weile standen sie so— nach Besinnung ringend. „Bereust Du schon, was geschehen ist? Oder ist es die Furcht vor dem Vater?" sagte er endlich ganz leise, doch mit einem Lächeln, das unfehlbar ihren jungfräulichen Stolz wecken mußte. Klapp, klappt gingen drüben wieder die Schritte. Tuuut! machte ein Nebelhorn in der Ferne.!Da hatte er sie vollends gewonnen. Tie Furcht fiel von ihr ab wie vertrocknete Haut, und das Herz befahl ihr, ihm ein stummes Zeichen der Zuneigung zu geben. So legte sie nun ihm blitzschnell die Arme um den Hals als Buße für ihre Ver- zagtheit und küßte ihn mitten auf die Lippen. Denn welcher, so weit sie auch sann und schaute, konnte ihr bessere Bürg- schuft bieten als daS lumpige Tobelbürschlein von dazumal? tForrleymig folgt.) C5!aa�ni(t vervotcn.) Die Pariserin. � Von äffen französischen Personen und Sachen wird keine im Ausland so sehr verkannt wie die Französin. Daran sind im Grunde die Franzosen selber am meisten scbuld. Zwar hat Michelet in seinem Buch über die Frau der Französin ein begeistertes Lob- licd gesungen, aber auf einen Michelet kommen zloanzig Prevost, Maupassant , Zola , die im Ausland hunderttausend Leser finden, wo sich Michelet mit einem einzigen begnügen muß. Wer seine Kenntnis der französischen Frau auS Zola und Maupassant hat— der stellt sich die Französin als«in perverses Wesen vor, das seine ganze Zeit mit sexuellen Dingen hinbringt und jeden Augenblick seiner Existenz einzig und allein an die Be° fricdigung amoroser Gelüste denkt. Und wenn dann der so be- fangen« Ausländer nach Paris komm! und die eleganten Damen des Boulevards und des Bois-de-Boulogne , ja sogar des Moulin- Rouge und des Jardin de Paris, sieht, dann wird er in seiner falschen Ansicht noch bestärkt und verhärtet. Ter Deutsche und Engländer verbindet nämlich mit seinem Begriffe von Anstand und guter Sitte die Forderung von Einfachheit und Alltäglichkeit. Seiner Ansicht nach darf eine anständige Frau nicht auffallen, weder durch natürliche Sdjönheit noch durch geschmackvolle Toilette. In der Heimat fallen nur solche Frauen auf, die aus ihrer Sckön- Hut oder aus ihren sonstigen Vorzügen und Reizen Gewinn ziehen, und das darf natürlich die anständige Frau nicht. Kommt also der Durchschmttsdeutsche nach Paris , wo in diesem Punkte ganz andere Ansichten herrschen, so kühlt er sich zuerst verwirrt. Dann erinnert er sich an die französischen Romane, die er gelesen hat, und alles wird ihm klar. Wenigstens bildet er sich ein, klar zu sehen, wenn er sich sagt:„Nun ja, das sind eben lauter„Dämchen", lauter feile Frauenzimmer." Und nachdem er das gesagt hat, hält er sich nicht nur selber für einen ungeheuer ge'cheiten Lterl, sondern zu- gleich steigt in ihm auch so etwas wie sittliche Entrüstung auf, und er ruft innerlich aus:„Was kann aus einer Nation Gutes kommen, wo alle Frauen Dirnen sind!" Und Stolz erfüllt seine Seele beim Gedenken der Frauen der Heimat, deren Tugend und Treue so manches schöne deutsche Lied besingt und preist. Leider gibt es ebenso viele französische Lieder, welche die Tugend und Treue der französischen Frau besingen. Die Lieder beweisen also nichts, nichst mehr als die Romane. Um die fran- zösischen oder die Frauen irgendeines Landes zu beurteilen, darf man sich nicht damit begnügen, sie auf der Straße zu beschauen. Andere Länder haben eben andere Sitten, und vielleicht benehmen sich die französischen Frauen auf der Straße anders als die deutschen, ohne deshalb weniger tugendhaft zu sein. Weil es in Deutschland ein Zeichen von Unanständigkeit ist, weim eine Frau irgendwie ausfallend gekleidet ist, deshalb hält der Deutsche so ziemlich alle Pariserinnen für Dirnen, denn so ziemlich all« Pa- riserinnen kleiden sich in einer Weise, die dem Deutschen auf- fallend vorkommt. Damit aber ist nicht gesagt, daß sie auch dem Franzosen auffällt, und ferner ist nicht bewiesen, ob hier wie dort die auffallende Kleidung die Etikette des Dirnentums ist. Die Französin, das läßt sich nickt ableugnen, ist viel gefall- süchtiger und koketter als ihre deutsche oder englische Schwester, aber man geht doch etwas weit, wenn man Koketterie und Gefall- sucht gleich mit viel schlimmeren Dingen in Verbindung bringt. Eine Frau kann sehr wohl Gefallen daran finden, bewundert und verehrt zu werden, ohne im geringsten daran zu denken, ihren Be- wunderen Gehör zu schenken, und das, was man nun einmal gute Sitte nennt, beiseite zu setzen. Auf der anderen Seite kann eine •) Wir entnehmen diese Skizze, di? eine Probe sein mag von der frischen Beobachtung und munteren Darstellung eines er- fahrenen Pariser Chroniqneurs, Karl Eugen Schmidts Pariser Typen. lMit Titelzeichnung von Leandre, in Leinen gebunden 2,50 Mk. Berlin NW. 23, Haendelftr. 3. Verlag Max Lande.) Frau äußerlich kalt, still und bescheiden austreten und es doch. wie man zu sagen pflegt, dick hinter den Ohren haben. In Frank- reich gilt es sogar, was gewiß den deutschen Lesern sonderbar vorkommen wird, für ein Axiom, daß das deutsche„Gretchen" unter seiner anscheinend spröden und abweisenden Schale einen feurigen Kern verbirgt, den man leichter zum Flammen und Lodern bringen kann als das Herz der Französin, und im allgc- meinen ist jeder Franzose davon überzeugt, daß seine Frauen tugendhafter sind als die Engländerinnen und die Deutsche. Daß sie sich so tugendhast gebärden in Deutschland und England, schreibt er einfach ihrer Heuchelei zu, und für ihre einfache und oft un- schöne Kleidung macht er nicht etwa Tugendhaftigkeit, sondern ganz einfach scklechten Geichmack verantwortlich. Fast bin ich in Versuchung, die Koketterie der Frau nicht nur zu entschuldigen, sondern geradezu als eine Tugend zu preisen. Jedenfalls führt diese Gefallsucht zu einer ganzen Reihe von Eigenschaften, die jeder Ehemann gern an seiner Frau wahr- nimmt. Neulich war ich in London und sah wieder einmal den großen Unterschied zwischen der Engländerin und der Französin: so zierlich und nett die eine, so schlampig und unappetitlich ist die andere. Da sieht man abgerissene Knöpfe, zerrissene Röcke, zer- fetzte und schmutzige Hüte an Frauen und Mädchen, die offenbar in den Bureaus der City arbeiten und ihrem ganzen Aeußeren nach durchaus nicht zu den Aermsten gehören. In Paris werden Sie ein« solche Unordmmg, einen solchen Schmutz selbst bei den Alleräraisten nicht zu sehen bekommen, und daran ist eben die Gefallsucht schuld. Ein Mädchen kann uns nicht gefallen, wenn sein Kleid zerrissen und schmutzig ist. Um hübsch zu sein, muß sie sauber sein, und um sauber zu sein, muß sie ordentlich sein. Uni» die Ordnung, die sie sich bei ihrem Anzüge angewöhnt hat, folgt ihr auch in Wohn- und Schlafstube, in Küche und Hausgang, und so kommt es vor, daß die Französin, welche von dem oberflächlichen fremden Beobachter für ei» nur eitles, gefallsüchtiges und kokettes Geschöpf gehalten wird, in Wirklichkeit Eigenschaften besitzt, die gerade der Deutsche am höchsten an der Frau zu schätzen pflegt. Die Französin ist im allgemeinen eine ganz ausgezeichnete Hausfrau. Sie ist ordentlich, sauber, sparsam und fleißig, lauter Eigenschaften, die man mit wenig Mühe aus ihrem anscheinenden Hauptfehler, aus ihrer Gefallsucht nämlich, herleiten könnte. Denn die Arbeiterin, die in der Woche nur zwanzig oder dreißig Franken verdient, muß in der Tat sehr ordentlich und sparsam sein, wenn sie sich hübsch und nett kleiden will. Dieses Wunder aber bringt sie fertig, und dabei spielen die geheimen Einkünfte, auf die der Skeptiker sofort verfällt, in Wirklichkeit eine weit geringere Rolle, als man anzunehmen geneigt ist. Denn in der» allermeisten Fällen ist der„Petit-Ami" der Arbeiterin, mit dem sie ihren Sonntagsausflug nach Meudon oder Robinson macht, ein armer Teufel von Ladcnjüngling, der im nämlichen Geschäfte wie die Arbeiterin arbeitet und selber keine drei Heller übrig hat. Die Zahl der Leute, die sich mit einer solchen kleinen Arbeiterin anfreunden und ihr pekuniäre Unterstützuirg zukommen lassen, ist verhältnismäßig verschwindend klein, und die Mehrzahl der jungen Mädchen, deren schmuckes und hübsches Aussehen uns in den Straßen von Paris auffällt, verdanken ihren gefälligen Anzug einzig und allein ihrer Arbeit, ihrer Ordnungsliebe und ihrer Sparsamkeit. Der Skeptiker� der dies bezweifelt, braucht sich nur zu überzeugen, daß auch in diesem Punkte das Angebot weit größer als die Nachfrage ist, respektive daß es viel mehr junge und arme Arbeiterinnen gibt als alte und reiche Verführer. Ich glaube also, daß es im Grunde mit der weiblichen Tugend in Frankreich nicht schlimmer bestellt ist als in irgendeinem anderen Lande. Natürlich aber darf man nickt Paris mit Dinkelsbühl oder Krähwinkel vergleichen. Man vergleiche die Pariserin mit der Londonerin, Wienerin oder Berlinerin, und ich bin überzeugt. die Pariserin wird in keiner Beziehung minderwertig erscheinen. Man vergleiche die Bewohnerin von Beauvais , Chateaudun oder Poitiers mit den Damen von Peterboro, Linz oder Heilbronn , und man wird finden, daß der Unterschied äußerst gering ist. Die aller» meisten Fremdlinge aber, die nach Paris kommen, sind Klein- städter, und was sie für besondere Lasterhaftigkeit der Französin halten, kommt einfach auf Rechnung der Großstadt. Und dazu kommt dann noch, daß die Fremdlinge naturgemäß nur solche Französinnen kennen lernen, die man an öffentlichen Plätzen kennen lernen kann: die Müllerinnen vom Woulin-Rouge, die Gärtnerinnen vom Jardin de Paris, die Tänzerinnen vom Ball Bullier und die Peripatetickerinnen von den BoukvardS. Daß diese von der Galanterie lebenden Damen nicht besser sind als ihr Ruf und als ihre Kolleginnen im Auslände, liegt auf der Hand. Der unbefangene Fremdling aber, der nachher sieht, daß so ziemlich alle Damen, denen er in den Straßen von Paris begegnet, ebenso auffallend gekleidet sind wie diese Priesterinnen der Venus, wirft die ganze Gesellschaft in«inen Topf und kehrt mit dem erhebenden Gefühle in die Heimat zurück, daß wir Wilde doch viel bessere und tugendhastcri: Menschen sind. Wenn er nur einen Augenblick nachdenken wollte, so würde er ganz ohne weitere Beweise aus die Idee kommen, täß das fran- zösische Volk doch schon längst zu existieren aufgehört hätte, wenn die Französinnen wirklich alle so schlimm wären, wie sie für deutsche Kleinstadtaugen aussehen und wie sie von ihren beliebtesten und gelcsensten modernen Schriftstellern geschildert werden. Bessere Bekanntschaft mit Frankreich und mit seiuen Bewohnern würde
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26 (3.12.1909) 235
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