Noch aber waren Lamettries Gönner stark genug, so daß er 1742 eine gute Stellung als Militärarzt erhielt. Er vergaß aber die pflichtschuldige Dankbarkeit; denn nicht nur ließ er unter dem TitelNaturgeschichte der Seele" einegottlose" philo- sophische Schrift drucken, sondern er schrieb auch lästerliche Pam- phlete über die Kurpfuscherei berühmter Pariser Salonärzte. Das eine fiel dem Regimentspfaffen arg auf die Leber, das andere er- regte nicht minder geschwollene Kämme; denn das Grundgesetz Unter allen Medizinmännern der Welt lautet: eine Krähe soll der andern die Augen nicht aushacken. Lamettries Schriften wurden also feierlichst dem läuternden Feuer anvertraut und er selber ge- schaßt. Als die Sache soweit gediehen war. daß man ihn mitsamt seiner Philosophie hinter Schloß und Riegel bringen wollte, machte er sich aus dem Staube und ging wieder nach Holland  . Es kam nun. was nicht anders kommen konnte. Friedrich II.   von Preußen, der fran- zösclnde Philosoph, selber ein Schriftsteller(allerdings nur in einer angelernten fremden Sprache), aufgeklärter Freigeist für sich und Despot für die andern, betrieb sportsmäßig das Einladen ausran- gierter Franzosen nach den Gärten von Sanssouci  . Er schrieb daher sogleich an Maupertuis  :Ich möchte den Lamettrie gern bei mir haben, er ist das Opfer der Theologen und Dummtöpfe. Hier wird er in aller Freiheit schreiben können. Ich habe mit den verfolgten Philosophen ganz besonderes Mitleid." Lamettrie erschien also Anfang 1748 in Potsdam  , und da er ein heiterer und sarkastischer Gesellschafter war. stieg er bald zur Würde eines länglichen Vor- lesers empor und wurde auch zum Mitglied der Akademie ernannt. Lamettrie schwamm nun im Fett, genoß nach Kräften, wie es Seiner genußfreudigen Natur zusagte, und nahm sich'- sogar heraus, >em allmächtigen und gemeingefährlich boshaften Voltaire gegen- über aufzutrumpfen. Sein äußeres Auftreten war jedenfalls der- art, daß bei seinem plötzlichen Tode seine Feinde, d. h. so ziemlich alle Welt, mit Fingern nach ihm wiesen und höhnisch frohlockten, eS hätte ja gar nicht anders kommen können. Bei einem Festessen im Hause des ftanzösischen Gesandten in Berlin   hatte sich nämlich Lamettrie an einer offenbar verdorbenen Pastete übernommen. Daß der gräßlicheMaterialist" an einem zu gierig geschluckten Bissen erstickt sei, wie man behauptete, ist allerdings unwahr. Es ist in der Tat, was selbst F. A. Lange in der Geschichte des Materialis  - Mus anzweifelt, über jedes Bedenken erhaben, daß es sich nur um «ine Vergiftung gehandelt hat. Immerhin geben die Nebenumstände von Lamettries Tode, ähnlich wie bei Lassalle, einen gewissen Miß» klang in der Harmonie der gesamten geistigen Persönlichkeit. Als Lamettrie starb, war er knapp 4L Jahre alt. Dennoch ist die Reihe seiner Schriften ziemlich groß. Genau ist fie nicht zu umgrenzen, weil viele? anonym erschien und Lamettrie sich sogar öfter bemühte, durch besondere Tricks in der Widmung durch Gegen- kritiken und scheinbare Gegenschriften die Vermutung der Autor- schaft von sich abzulenken. Das ist wohl weniger Feigheit gewesen, als vielmehr die Zeitmod«, kühne Streitschristen zunächst für sich selber ohne die Autorität des Berfassernamens reden zu lassen. Hierbei sprach vielleicht auch die damalige Schutzlosigkeit des geisti- gen Erzeugnisses mit; die Verfasser konnten doch nur in seltenen Fällen Honoraransprüche durchsetzen. Von den zweifelhaften ano- nymen Werken möchte ich denEssai über die Freiheit" hervorheben, den Poritzky in seiner großen Biographie mit Gewiß- heit unserm Lamettrie zuschreibt. Lamettrie verneint darin die Frage, ob in der Gesellschaft einer das Recht habe, die Gedanken der andern einzuschränken. Auch einem Atheisten dürste der öftent- liehe Vortrag seiner Gesinnung nicht verwehrt werden. Die Er- kenntniS von der Nützlichkeit der Dinge sei allein maßgebend, und auch der Atheist könne seine Ansichten für einige andere als nützlich erachten. Was ist das für eine Art. heißt eS weiter, die Aeutzerung einer Gesinnung zu verbieten, wenn sie Gegenstand des Zweifels ist! oder soll das Volk dadurch von der Religion überzeugt bleiben, daß man Atheisten und Freigeistern den Mund verbietet? DaS Pathos der Theologen, womit sie die unwissende Masse gegen die freien Denker aufreizen, entspringe nur einer hündischen Gemüts- art, dazu der Furcht vor dem herrschsüchtigen Regenten, der� den Willen der Untertanen in der Gewalt habe. Der Herrscher selbst könne nicht vollkommen sein und sei daher in der Regel ein Feind der Aufllärung. Wäre ein Herrscher imstande, nach jJiecht und Billigkeit zu regieren, so hätte er keinerlei Freiheit der öftentlichen Meinung zu befürchten. Schließlich seien noch Hinderungsgründe: Denkfaulheit, mangelndes Wissen, Ehrgeiz und die Furcht, sich Blößen zu geben. Wie man sieht, ist Lamettrie   hier trotz der Schärfe seiner Kritik noch nicht bis zum sozialen Gedanken durch. gedrungen. Er ist eben ein Zeitgenosse des dicksten Absolutismus  ; zwar versteigt er sich in Wort und Tat bis zur höchsten Unehr- erbietigkeit vor Thronen, aber die Throne selber stehn für ihn noch fest. Den Inhalt der philosophischen Werke Lamettrie  ? in wenigen Zeilen darzulegen, ist fast unmöglich, weil er mst dem ganzen Ge- triebe der damaligen Geisteswissenschaft aufs engste nach allen Richtungen hin verknüpft ist. Ein Berg von Schmähungen wurde ihm zum Grabhügel getürmt. So ist eS denn erklärlich, daß die Originalität vieler seiner Ideen anderen zugeschrieben, ja daß andere dafür preisgekrönt wurden. Eine landläufige Weltgeschichte weiß zu berichten, Lamettrie sei ein Ignorant und unverschämter Plagiator gewesen. Erst F. A. Lange und Du Bois-Rcymond unternahmen sogenannte Ehrenrettungen unseres Autors. Sein wichtigstes Werk ist unstreitigDerMenschalS Maschine", veröffentlicht Anfang 1748 und in dem packenden Titel, wie mir scheint, angeregt durch die schon 10 Jahre zuvor stattgehabte Vor» führung von Vaucansons menschlichen Automaten, von denen an dieser Stelle schon ausführlich die Rede Nor. Lamettrie führt in diesem Werke aus, die einzigen Führer auf dem Weg zur Erkenntnis dürsten nur. Erfahrung und Beobachtung sein. Philosophie allein, ohne medizinische, d. h. naturwissenschaftliche Grundlage, gebe noch nicht das Recht, über das seelische Prinzip zu entscheiden. Am allerwenigsten könnten die Theologen davon reden. Der Mensch stelle eine derart komplizierte Maschinerie dar, daß es unmöglich sei, sich a priori, also aus dem angeborenen, rein instinktiven Wissen heraus, eine richtige Vorstellung darüber jju bilden. Betrachte man aber, der Erfahrung folgend, a posteriori(auf Grund der Ersah» rung) den OrguniSnius und seine Gliederung, so könne man. wenn auck nicht zur Gewißheit, so doch zum höchsten Grad der Wahr- scheinlichkeit gelangen. Es ist unnötig zu sagen, daß sich auf diesem Grundgedanken unsere modern? Naturwissenschast aufgebaut hat. An die Stelle früherer übersinnlicher Spekulationen ist die Ersah» rungstatsache und das Experiment getreten, die dann erst zu wei» teren, streng logischen Schlüssen berechtigen. Lamettrie begleitet seine Darstellung mit einer Fülle von medizinischen Details, die heut in allen Lehrbüchern der Physiologie und Pathologie stehen und uns durcki ihre Selbstverständlichkeit überraschen könnten. Man darf aber nicht vergessen, daß heute auch die Vircbowsche Aera bereits wieder hinter uns liegt und daß Lamettrie, ausgesprochen und unausgesprochen, in jeder Zeile gegen einen verderfüichen theo­logischen Seelcnbegriff zu Felde zieht, der jetzt glücklicherweise auch nicht dem mäßigsten Volksschüler mehr in solcher Reinkultur ein- zuimpfen ist, wie er damals in den bedeutendsten Köpfen spukte. Leben und Erziehung von heute machen uns relativ voraussetzungs- los. wir überblicken durch die tägliche Zeitung das Getriebe deS ganzen Erdballes, und mft der analphabetischen Klausur des Volkes", worin allein gewisse nraffige metaphysische Voraus- sctzungcn gedeihen, ist es heute endgültig vorbei. Das muß man sich vor Augen halten, will man Lamettries Gedankenarbeit nach Gebühr schätzen. Mehr als den Anschein hat, hat gerade er den Weg bahnen helfen zur allgemeinenmaterialistischen" Auffassung, die für uns, wenn auch mit allerhand Modisikationen, die unent- behrliche Basis des Denkens ist. A. K. Kleines f euiUeton. Eofin und Verwandtes. Das Eofin, dag wegen feiner ver- Wendung zum Denaturieren von Futtergerste vor kurzem eine vor- übergehende Tagesberühmtheit erlangt hat, ist einer jener Teer- farbstoffe, die wegen ihrer ungeheueren Ausgiebigkeit auch in der größten Verdünnung eine ausgedehnte technische Verwendung ge- simden haben. Unentbehrlich für die Seiden- und Wolliärberei, ist es der Faibstoff, mittels dessen den Geologen der Nachweis der längst aufgesiellien Behaupruiig gelang, daß die kargen Wässer der in trockeneii Sommern bei Jmniendingen gänzlich verschwindenden oberen Donau   durch unterirdische Verbindungsspalten im Kalk» gebirge der Radolfzeller Aach und damit dem Bodensee  (Untersee  ) und Rheine   zuströmen. Die Gärtnerei bedient sich deS EosinS und anderer Teerfarbstoffe in wässeriger Lösung schon seit Jahren, um an den blühenden Zweigen vieler hellblühender Pflanzen, besonders an weißein Flieder. Kunstfärbungen hervorzubringen, die übrigen? meist recht unnatürlich wirken. Sehr seltsame Tiersärbungen«nt- stehen auch, wenn man Wasserschnecken und andere Mollusken in mit Eosin gefärbtes Wasser hält. Verfärbungen dieser Art find übrigens keineswegs neu. Vor wenig mehr als einem Menschenalter kam auS PanS die Mode, weiße Tauben, Papageien. Kaninchen. Mäuse und Katzen mit allen Farbe» des Regenbogens zu färben, indem man die Tiere nach voran» gegangener Entfettung des Felles für kurze Zeit in eine Atmosphäre von Anilindämpfen brachte. Um Kanarienvögel, und weiße Papa- geicn rot zu färben und als sogenannte.Pfeffervögel" teuer zu ver» kaufen, verabreicht man ihnen während der Mauser, noch ehe die neuen Federn hervorbrechen, ein Gemisch von feinem, geweichten Weizenbrot und rotem Cayennepfeffer. An 200 Millionen Menschen in Asien  , die dem Genusie des BeltelkauenS ergeben sind, ziehen sich durch den Genuß dieser Mischung von Betelblänern und Arekanutz eine intensive Braunfärbung von Lippen und Zahnfleisch zu, während die Zähne daS tiefe Schwarz des Ebenholzes annehmen, und betrachten diese Bersärbungen als eine sehr erwünschte ver» schönerndc Drauigabe. Sehr ärgerlich ist aber die Tatsache, daß ähnliche Verfärbungen zuweilen auch nach dem Gebrauch ge- wisier Medizinalsloffe eintreten. Wer bei schwerer Magen» und Darmerkrankung längere Zeit Höllenstein(salpetersaureS Silber) einnehmen muß. läuft Gefahr, daß das vom Körper nicht au«» gescviedcne überschüssige Metall sich als amorphes, schwarzes Silber in seinen Geweben, besonders in der Oberhaut, niederschlägt. Di« Haut erleidet dadurch eine fahlgraue bis schwärzliche, nur sehr selten zu entfernende Verfärbung, und der davon Betroffene wandelt herum wie ein eben den, Orkus entstiegenes grauscö Gespenst. An Eofin und anderen Teerfarbstoffen führte Deutschland   als Hauptproduzent im Welthandel allein 1S08 Mengen von nicht weniger als 99 Millionen Mark nach dem Ausland an».