Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 255.

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Tobelvolk.

Freitag den 31. Dezember.

( Nachdruk berbotex)

Eine Dorfgeschichte von Paul Jig.

( Schluß.)

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1909

Nun waren ja auch die Sommervögel" wieder im Land zum Leidwesen des Posthalters und seiner Gesinnungs­genossen. Die Wirtschaften hatten kantonale oder Landes­flaggen gehißt, und durch die Gärten, über die Terrassen der herrschaftlichen Landsize gingen hellgekleidete Damen und Herren, die ihre Zeit mit Rasenspielen, Reiten, Baden, mit Was will er jetzt auf einmal in alten Geschichten herum- Segel- und Motorbootfahrten verbrachten. Singende stöchern? Was geht ihn der Vater vom Bertele an. Ich Touristen mit Rucksäcken zogen auf der Heerstraße dahin, fag's noch einmal eins auf oder ab es kann bei uns und schnell nacheinander flogen die Nadfahrer an ihnen vor­sein, und damit punktum. Dafür soll er auch gegen uns han- bei. Die alle hatten es wohl recht gut. Sie konnten fröhlich deln wie ein Christenmensch. Die Marei hat sich gegen ihn sein. Aber die zwei zerfallenen Burgen an vorspringenden nichts zuschulden kommen lassen. Dafür leg' ich die Hand Punkten des Hügelzugs gemahnten vielleicht manche Schau­ins Feuer. Sie ist häuslich und geduldig und wird's wohl lust und Daseinsfreude an das baldige Ende des Festes. auch bleiben. So, jest wißt Thr, wie ich's meine. Hei, vor- Tausend Jahre hatten sie ausgehalten, und seit hunderten märts Alter, to ir können die Arbeit nicht mit solchen Narre - dienten sie nur noch geln, Fledermäufen, Dohlen und Eulen teien versäumen." zum Aufenthalt. Jedes zehnte oder zwanzigste Jahr lösten Sturm und Regen wieder einen Block aus dem zackigen Mauerfranz und warfen ihn nach altem Gesetz und Recht hinab in den Hof, wo von seinesgleichen bereits eine statt­liche Schar zerschmettert den Erdboden drückte, Magnete für Würmer, Käfer und Engerlinge. Heinrich hatte diese zwei Beugen der romantischen Zeit schon als Knabe mit Ehrfurcht betrachtet, als er noch nicht imstande war, solche Ideen von Werden und Vergehen daran zu knüpfen. Sie standen da in müder Abendruh', das kühle, schon gefärbte Licht der unter­gangsnahen Sonne glomm sachte an ihrem grauen, moosigen Gestein empor.

Sie ging hinaus, weil sie fest an den Erfolg ihrer Be­redsamkeit glaubte. Auch der Better stand auf. Was seine Frau gesprochen hatte, dünfte ihn nur halb gerecht. Vor allen Dingen konnte er in seiner Herzenseinfalt nicht ein­sehen, warum Heinrich, der in der Hauptsache doch verträglich) tvar, ein zufälliger, unglücklicher Umstand verschwiegen werden sollte. Die Aufklärung machte Marei weder besser noch schlechter. Darum sprach er's jetzt schlicht und offen aus: " Ich bleibe bei meiner Ueberzeugung. Und wenn Du's also durchaus wissen willst: der gleiche, der unseren Großen auf dem Gewissen hat- also der hat vor zwei Jahren auch das dumme Maitle da angeschmiert. Mehr ist mir nicht bekannt. Tu Du jetzt, was Dir recht scheint."

In der Heimat ist es schön"

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Diese Empfindung wurde von all dem Schauen und Das Brautpaar war wieder allein. Aber von alledem, Sinnen so übermächtig, daß sie bald in linde Tropfen zer­floß. was Heinrich vor einer Stunde bewegte, regte sich jetzt kein Fünklein mehr in seinem Innern. Leergebrannt war die Seele. Auch des Vetters Häuschen konnte er genau sehen, O hätte ich... o wäre ich" seufzte die erwachende Stätte. Weder legte er sich aufs Fluchen, noch stellte er meil es am Rain über der Tobelmulde stand. Als er sich jetzt Marei weiter zur Rede; er wehrte sie nicht einmal mehr ab, aus solcher Entfernung der Menschen unter diesem Dach er­als er, im Begriff, den Hut zu holen, von ihr wie ein Sturm überfallen wurde. Noch weniger freilich waren ihm Worte innerte, kamen ihm ihre Schmerzen und Sorgen plößlich des Trostes gegeben, wenngleich ihm ihr entsetzliches Gebaren wissen schüttelte, rüttelte sich; ihn gelüftete allbereits nach nicht mehr so wichtig, zwingend und bannend vor. Sein Ge­ins Herz schnitt. Gar zu grausam hatten ihn diese Menschen einem scharfen Messer, unwürdige Fesseln durchzuschneiden. und verborgenen Mächte betrogen und zugrunde gerichtet. In solchen Gedanken mochte er der Schritte nicht achten, ,, Sag' mir jetzt auch das andere noch aufrichtig es die von der Seite auf ihn zufamen. Erst als der Aufbruch tommt ja doch auf eins heraus. Hat es sich damals im April, schon mehr einer Flucht geglichen hätte, Femerkte er die als der Vater einmal zum alten Stadler hinunter mußte- Du sagtest damals nur wegen Steuern- hat es sich da biel Gruppe von würdigen Männern, darunter er den alten leicht um das Geld zu Deiner Aussteuer gehandelt?" fragte Stadler, den Notar, den Vorsteher, den Doktor erkannte. Es war der Haldensteiner Gemeinderat, welcher in Gesellschaft er die untröstliche, zerrissene Seele, zwar ohne Hohn, doch in der Sachverständigen eine Besichtigung vornahm. Der Plan einer Art, die jede Lüge im Keim ersticken mußte. Marei des Kantonsrats, das Ried in bescheidene Anlager zu vers nickte denn auch zweimal bejahend mit dem Kopf, und Heinrich brach unter der Last all der zum Himmel stinkenden wandeln, war durchgedrungen. An Stelle der Hütte Wett­steins sollte das neue Badehaus erstehen. Schande zusammen.

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Ja, das muß ich sagen, wir sind ja prächtige Hochzeits- und tat, als seien ihm Sören und Sehen vergangen. Aber Heinrich blieb ihnen abgewandt dreist im Grase liegen Leutchen!" stammelte er, seiner selbst kaum bewußt. Alles aus ich weiß, alles, alles!" schrie sie immerfort. einmal erkannte er hinter sich des Vorstehers Stimme. Drunten polterte schon wieder das Ungetim von Stahl ,, Eigentlich ist es schad' um die alte Bude da. Wir hätten und Eisen, des ehrlichen, guten und schwachen Betters Bastian ia jest wieder einen Stumpan, der hineinpaßt!" Worauf ei Der seltsame melkende Kuh, die beständige, zuverlässige, selten fehlende unterschiedliches Gelächter zu hören war. Maschine, die er weit inniger liebte als irgend ein Ebenbild Jüngling merkte wohl, wen es anging, er wußte sogar genau, Gottes unter seinem Dache. Mochte kommen, was da wollte: daß kaum einer der Männer sich mehr die Mühe machen mit ihr im Bunde fonnte er den Satansschlichen noch lange würde, den Hut zu lüften, falls er grüßend an ihnen vorbet­ginge. Aber noch nie zuvor war ihm so bitterlich ins Be Troß bieten. wußtsein gedrungen, daß er, längst dem Fluch der Lächerlich­feit verfallen, feinen einzigen Freund mehr im Dorfe hatte. Taten ihm diese Leute Recht oder Unrecht an? Er konnte es selber nicht entscheiden. Als sie in genügender Entfernung gingen, machte er sich schnell auf und davon. Vielleicht mochte er sich irgendeinen Rat, eine rettende Tat erlaufen? Doch nahm er seinen Weg wie gewohnt am Friedhof vorbei, der außerhalb des Dorfes lag, und fand sich in dessen Anblick be­wogen, einzutreten in die stille Gräberstadt, dem Andenken an seinen Getreuen, den er im Tod weit herzlicher lieben fonnte, eine zarte Regung zu weihen. Das nur mit einem bescheidenen Sandstein gezierte Grab war durch zwei gleiche Hügel getrennt von dem der Kantonsrätin, auf dem eine umzäunte kostbare Marmorsäule auch an dieser Stätte noch den Unterschied zwischen arm und reich zur Anschauung brachte.

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Gegen Abend lag Heinrich Anderegg neben der einsamen und ausgeräumten Hütte des Philosophen am Wasser und bedachte die wechselnden Lose, die sein Geschick seit dem Tage der Rückkehr in die Heimat für ihn gezogen hatte. Eine andere Ruhe als die der letzten Wochen war über ihn ge­kommen, eine durchgeistigte, wachsame, wie sie großen Entschließungen vorangehend den geprüften, erleuchteten Seelen eigen ist. Er sah jedoch nicht über den See nach der Insel und dem goldenen Turmkreuz, sondern ließ den Blid über Riedgras, Difteln und Silberbüschel gemächlich nach dem Dorf hin und auch bergan wandern. Bei jedem Haus suchte er sich dessen Bewohner, ihre Verhältnisse und Eigen­heiten zu besinnen. Allein er fand keines, das ihn mehr ab­schreckte als das des Betters Bastian.