»Du armer Gefährte meiner Jugend, wer hätte ahnen können, daß Dir Deine Liebe zu mir den Hals brechen würde?" dachte Heinrich, indessen der Tau seiner Augen aus die lockere Erde fiel.Wir mußten, Kinder noch, auseinander- gehen, und das war gut, aber als Große wieder zusammen- kommen, und das war unser aller Verderben!" Nein, er konnte sich nicht mehr helfen, er mußte sich über das armselige Häuflein Erde Wersen, den kalten Stein umfassen, auf den« nur ein toter Name stand, und schluchzen nach Herzenslust. Die vielen:Weißt Du noch?" mit denen sie in guten Stunden zusammen Kindheitswege und-taten auferweckt hatten, klangen wider in seinem Innern. Oft genug war der gefürchtete Knabe Jörg für den zagen, schwachen Freund und Bruder in die Bresche gesprungen. Er hatte manchen Streich gerächt, den der andere empfing, und sein letzter Einstand war zugleich die erste Niederlage geworden. Im Aufstehen wußte Heinrich Anderegg bereits, wohin sein Kompaß zeigte. Doch ging er noch nicht gleich hinaus, hier dünkte ihn der rechte Ort zu sein, um mit sich selber Rat zu Pflegen. Erst ein auf dem. Kies bald vernehmlicher Schritt störte ihn auf. Mit einem uinfassenden Blick nahm er einmal noch Abschied. Dann sah er sich scheu, gezwungen um und gewahrte irgendeine trauernde Frau mit einem großen Kranz in der Hand, die geradenwegs Elsbeth!" entfuhr ihm ein Schreckenslaut, und doch sah er nirgends ein Möglichkeit, sich und ihr diese furchtbare Begegnung zu ersparen. Gleich nach ihm erkannte auch die versonnen schreitende Kranzträgerin die fragwürdige Friedhofsgestalt. Ihre eine Hand griff vor Eptsetzen an die Schläfe, sie blieb unverweilt, wie angewurzelt stehen, riß die Augen auf, und als er in der Absicht, bescheiden grüßend an ihr vorbeizugehen, eine Be- wegung wagte, machte sie auf der Stelle kehrt und ergriff die Flucht, so schnell sie die bebenden Füße tragen wollten. Das, lieber Gott, ihr grausamen Götter, o, das war zuviel... zuviel an einem Tage! Trug er ein Kainszeichen an der Stirn? War er ein toller Hund. Er lief ihr, alle Kräfte ausbietend, nach und holte sie auf halbem Wege zum Dorf ein. Zu Hilfe!" rief die Erschöpfte und tat noch einen ver- zweifelten Sprung über einen Graben, eh' sie sich gegen den Verfolger zur Wehr setzte. Ihre Miene verriet Todesfurcht, ihre Lippen und Wangen waren kreideweiß. O wie sie ihre Hände ausstreckte! Ihm ging es zwar nicht viel besser: er hätte jedoch am liebsten vor ihren Augen eine tödliche Waffe gegen die eigene Brust gerichtet. Wodurch hatte er dieses Urteil verdient? Was wollen Sie noch von mir! Wie können Sie's über- Haupt wagen" rief sie ihm außer Atem schon auf fünf Schritte entgegen. Er hingegen machte nicht den Sprung über den Graben, wie sie wohl befürchtet hatte. Dir sagen, daß ich weder ein Lump noch ein Mörder bin!" gab er sehr ernst und mit offenem Blick zurück.Du brauchst also, falls wir uns noch einmal begegnen, vor mir nicht davonzulaufen. Aber danken muß ich Dir doch, daß Du mir so deutlich gezeigt hast, wozu Du mich für fähig hältst. So weit mußte es noch mit mir kommen!" Und seine aus Blindheit tauchende, scheue Seele erkannte das ver- lorene Paradies. Es ist mir leid im ersten Schreck-- will's Gott, es war nicht so bös gemeint," stotterte sie mit nieder- geschlageilen Augen. Alles Blut strömte wieder in ihr Gesicht.« «Dann möcht' ich Dich nur noch um eins bitten. Magst Du mir als Trost auf eine weite Reise ich muß nämlich heut noch fort willst Du mir also noch einmal im Ver- trauen die Hand geben? Getraust Du Dich, das zu tun?" Wie hätte ihn Elsbeth verstehen sollen? Sie konnte sich nur denken: demnach zieht er mit seinem Gespons über Land... weit fort, vielleicht nach Ainerika, wohin ja soviele junge arme Pärchen zielten... Und darum atmete sie schier erleichtert auf. Wenn es Dir noch etwas bedeutet dann wünsch' ich Dir also von Herzen Glück." Sie sing unter der Macht seiner ergreifenden Stimme, im Gefühl seiner Verkommenheit und einer schweren Traurigkeit, die aus seinen, ganzen Wesen sprach, stark zu zittern an. Er hüben, sie drüben so; reichten sie sich zum letztenmal die Hände. Hingegen ihre Blicke trafen sich nicht mehr. Bevor er jedoch des Mädchens? unbekleidete Rechte fahren ließ, kam es ihn an wie einst im i Bahnwagen: er küßte sie schuldbewußt, in reiner Demut und l sagte:Leb' wohl, Elsbeth, und glaub' mir, daß ich immer nur im guten an Dich denke!" Dann ging er, nicht fragend, wohin, immer geradaus, an der Schmiede vorbei, wo die Hämmer klangen, und auf der anderen Seite zum Dorf hinaus. Ihn verlangte jetzt nur noch, zu wandern bis in die tiefe Nacht hinein, sich, wenn er müde war, unter einen Baum im freien Feld zu betten und mit der Sonne aufzustehen zu einem neuen, besseren Tage- werk. Wie Lot vor dem brennenden Sodom, floh Heinrich Anderegg vor dem unheimlichen Tobelhaus, und nicht ein einzig Mal schaute er zurück. Ihm war. ein Notschrei könnte ihn niederwerfen: er bangte, ein verzweifeltes Weib mit fliegendem Haar, flehend gereckten Armen und hündisch bettelnden Nachtaugen jage hinter ihm» her und breche im Staub der Straße ohnmächtig zusammen mit der Last, die er ihr aufgebürdet hatte. All seine Habe bestand in einen» schlechten Gewand, Mantel und Hut, den Wanderstab und etlichen Zehrpfennigen. Des andern Tags, nach einer Nacht voll Heulen und Zähneklappern, erhielten die Leute im Tobel Bericht von dem. ! Flüchtling. Aber keinen Anhalt, wo sie ihn suchen konnten. Er schrieb, seine Heimkehr sei ein Unglück gewesen, sein Bleiben hätte ihn zugrunde gerichtet, doch sein Fortgang werde vielleicht ihm und ihnen noch einmal zum Segen ge- reichen. Erst nach Wochen, hundert Meilen von der Heimat ent- fernt, erfuhr er das Ende der schwarzen Marei, die sich noch in selbiger Stunde im See ertränkte. Es ist halt Tobelvolk!" sagten die wohlhabenden Haldensteiner. Die menrcblicbe Stimme als Instrument. »Gesang, Gesang und abermals Gesang, ihr Deutschen ! Gesang ist nun einmal die Sprache, in der sich der Mensch musikalisch mit- teilen ioll. Die menschliche Summe ist die praktische Grundlage aller Musik und soweit diese sich auf dem ursprünglichen Wege ent- wickeln möge, immer wieder wird doch die kühnste Kombination deS TonsetzerS oder der gewagteste Vortrag deS Fnstrumentalvinuosen an dem rein Gesanglichen schließlich das Gesetz für seine Leistungen wieder aufzufinden haben." Es erscheint nicht unzeitgemäß, auf diese Mahnung Richard Wagners hinzuweisen. Denn gerade seine irregeleitete Gefolgschaft ist es ja, dir in ihren amelodischen modernen»Musikdramen" das natürliche Recht der Singstimme, in der Oper melodieführendes Haupunstrument zu sein, auf das schmählichste vergewaltigt I Gab nicht erst vor kurzem, wie wir aus dem Munde der tresilichen Frau Schumann-Heink erfuhren, ein Richard Strauß. beute unbestreitbar der fanatischeste Ver- iechier des Prinzips:»Mufik als dramatischer Ausdruck" die befteiende Parole aus:»Die Singssimme ist ganz Nebensache; meine Opern sind als Orchesteropern zu be- trachten"? Niemand, der die Geschichte der Opernentwickelung unbeirrten Sinnes verfolgt hat, kann eS leugnen, daß die Ent- Wickelung von der melodischen Mozarr-Oper zur Wagnerichen Oper niid schließlich zur Strautzschen Orchester- oder Sinfonieoper ein Abwärts bedeutet, einen Irrweg und«.ine Sackgasse. Nein: der Endzweck der Oper ist der singende Mensch, die höchste Kundgebung der Musik überhaupt geht von der menschlichen Stimme aus. Wo die reine Instrumentalmusik mit ihrer sinnlich-nbersinnlichen Sphäre des vagen Gefnhlsausdrucks versagt, ruft der Tondichter das edelste und kostbarste Instrument zu Hilfe, die Singstimme als Verkünderin des DichterworreS.»O Freunde, nicht diese Töne!" ruft Beethoven den vergeblich gegen die Schranken ihrer materiellen Existenz ringenden Contrabässen im Schlußsätze der IX. Sinfonie zu und Wendel sich dann zu dem Chor der Freude:sondern laßt uns an- genehmere anstimmen!" Auf keinem künstlichen Instrument ist die Erlernung des SpielenS so schwierig wie auf dem natürlichen der Singstimme. Am einfachsten ist der Prozeß der richtigen Tonertcugung natürlich bei Instrumenten mit feststehender Stimmung, wie beim Klavier oder Harfe. Nehmen wir die gute» Bezeichnungen Dr. G. Langes-Breslau, nämlich Tonzeichen Tonname Tonvorstellung Tongriff Lautierung und Beivegung als die Stationen auf dem Weg« der Tonerzeugung an, so braucht der Klavierspieler nur Tonzeichen und Tongriff, der Spieler auf Instrumenten mit veränderlicher Stimmung, wie z. B. Violine oder Oboe dagegen schon eine längere Reihe, nämlich Ton- zeichen Tonname Tonvorstellung'Tongriff. Der Apparat zur Erzeugung des Singloncs ist nun ein sehr kompliziertes In- ! strument, selbstverständlich ohne feststehende Stimmung. Es»st der Kehlkopf mit den dazu gehörigen Muskelgruppen, wozu als»Blase- balg" für die Atmung die Muskeln des Brustkorbes nnd des Zwerchfells, als Resonanzkörper aber die Hohlräume des Körpers, l speziell die Stirnhöhle und der Rasenrachenraum trete», schließlich