muh dem materiell und physikalisch fertig gebildeten Ton noch Farbe und Seele gegeben werden durch die senfitiv-nervösen Elemente des künstleri'chea Temperaments. Welch ein langwieriger Prozeh! Welch eine Unsumme von sicher beherrschten ftrüslen des Körpers und der Seele gehört aber dazu, bevor Herr IL oder Frl. R. aus der Bühne oder im Konzertsaale uns mit dem gesühl» vollen Bortrag einer Mozartschen Arie oder eines Schubertschen Liedes ans Heiz greifen und die Miseren des Alltags vergessen machen kann. Der mit.Stimme' begabte Natursänger, der seine Gaben zur künstlerischen Verwertung ausbilden lassen will, muh. gering gerechnet, einen Lehrgang von 3 l Jahren durchmachen. Beim Singen ist mehr wie bei jedem anderen Instrument die Tonbestimmung ganz dem Willen des Sängers überlassen. Jede Bewegung der Kehl  - muskeln ergibt einen Laut. Diesen mehr oder minder unartikulierten Laut in die Sphäre des musikalischen Klangs zu heben, aus ihm einen klingenden, durch Resonanz, Atem, Farbe. Gefühl und Ausdruck beherrschten Ton zu gestalten: das ist die schwierige Aufgabe des Sängers. Die zur Erzielung eines richtigen Touaniatzes die Tonbildung ist die wichtige Grundlage aller Gesangskunst nötige Vorstellungsrcihe nimmt demnach nach der Langeschen Bezeichnung folgende Gestaltung an: Tonzeichen Tonvorstellung Lautierung Bewegung. Der Tonbildungsschüler kann bei seinen llebungen das Won entbehren, er arbeitet mit möglichst einfachen Lauten. Diese Lautierung, auch Solmisation genannt, ist in eine große Reihe von Systemen gebracht worden, die alle den doppelten Zweck verfolgen, die Bildung der Vokale und Borbereitung für reine gure TextauSsprache. Was der Blasebalg für die Orgelpfeife, daS ist der Atem für die Singstnmne. Rationelle Stemtechiilk ist daher neben der Lau- tierung eines der wichtigsten Kapitel für den angehenden Sänger. Falsches Atmen, falsche Oekonomie beim Ausatnien erzeugt den flackernden, unruhrgen und gepreßten Ton; volle Alembeherrschung bedingt den edlen, tragsähigen Ton und seine reiche dynamische Abstufung. Die modernen Stimmbildner, die alle auf physiologisch- anatomischer Grundlage das Organ zum Instrument erziehen, legen daS Hauptgewicht auf das richtige Tonansatzftudium, bedingt durch willkürliche Schulung bestimmter Atemmuskelgruppen. Welche, darüber gehen die Schulmeinungen vorläufig noch weit auseinander. Die Annahme früherer, speziell romanischer Gesanglehrer, daß die menschliche Stimme in mehrere, ihrem Klaugcharakter nach ver- schiedene, streng gerrennte Register zerfiele sz. B. Kopfstimme und Brustslimme) wird gegenwärtig als überwunden hingestellt. Heute gilt die Registerfrage als gelöst. An Stelle der teillos scuweren Kunst des Registerwechsels tritt die willkürliche Vereinigung von Brust- und Kopfklang in allen Lagen, wodurch ein edler Stimmflang von der tiefsten Tiefe bis zum hohen.ABC! des Wagner­tenors und der.Walkürenstimme" erreicht werden soll. In der be- wußten Mischung von Brust- und Kopfktang soll auch die Lösung des Problems vom sogenanntenStimmbruch" liegen. Weitere wichtige Momente der Stimmbildung sind neben dem Ansatz, der Lauiierung, der Atmung und der RegisterauSgleickung vor allem die Erweiterung deS natürlichen Stimmumfanges, das Schmiegsam- und Biegsam- machen der Stimme, die Ausbildung des Gehörs durch svitematische Treffübungen. Uebungen in deuilicher, reiner Texrausiprache. endlich im letzien Abschnitt der Ausbildung, das Rollenstudiiim. der kiiust- lerische Bortrag. Die methodische Erweiterung des Stimmunifanges sman teilt die verschiedenen Arten der Singstimme bekanntlich ein in Sopran sdramalischer, lyrischer), Mezzosopran und Alt; Tenor sHeldentenor, lyrischer), Baryton und Baß) geht aus von den dem Sänger natürlich bequem liegenden Tönen, in deren Mitte gewöhn- lich der sogenannte Primärton liegt. Bon diesem nalürlichen Zentral- Punkt aus, den herauszufinden des Lehrers erste Aufgabe ist, wird dann nach oben und unten ein Ton nach dem andernfertiggestellt", bis die Töne wie«ine Schnur leuchtender Perlen beliebig aneinander gereiht werden können und der ausgebildete Sänger reif ist, auf die Menschheit losgelassen zu werden. Die Grundlage jeder ernsten Stimmbildung war stüher der Belcanto-Stil, d. h. der italienische Koloramrgeiang. Der Kuriofität halber mögen hier die Regeln für den Koloralnrgesang stehen, die der Neapolitanische Gesangsmeister M äff ei lbSL aufstellte und die Prof. F. K a b ö ck- Wien kürzlich in der.Mufik" wieder aus- gegraben hat: .1. Man soll natürlich, ungezwungen, nicht affektiert fingen. Einbildung ruft nur allgemeinen Spott hervor. 2. Die UebungSzcit ist der Morgen oder vier bis fünf Stunden nach einer Mahlzen, weil, wenn der Magen voll ist, die Luitröhre und damit die Stimme nicht die nötige Reinheit und Klarheit zum Ueben derGorga  "(Gurgel) besitzt. 3. Zum Ort der Uebung wähle man schattige Täler und höhlemeiche Felsen, wo allein das Ecko auf Wort und Ton ant- wortet und wie eine lebendige Stiinme anzeigt, ob die Passagen gut gemacht find. 4. Am Körper darf sich während des Singens außer dem Eimbalarekuorpel(das zungenfönnige Organ in der Mitte des Sckildknorpels, der Sitz der Stimme) nichts bewegen; wir sehen an anderen, wie häßlich es ist. mit den, Kopfe zu wackeln, mit den Lippen zu zittern, die Hände oder die Füße zu bewegen. 5. Der Sänger soll sich in einem Spiegel beobachten, um alle häßlichen Grimassen zu vermeiden. S. Die Zunge muß so ausgestreckt sein, daß ihre Spitze die Wurzeln der unteren Zähne erreicht und berührt. 7. Man halte den Mund offen und gerade, nicht mehr als wie im freundlichen Gespräch. 8. Mau gebe nur nach und nach seinen Atem mit der Stimme aus und hüte sich, ihn durch die Nase oder den Gamnen gehen zu lasten. 8. Man verkehre mit gutgeschulten Sängen», deren Anhören im Gedächtnis gewisse Bilder und Ideen zurückläßt, die sehr förderlich find. 18. Man muß diese Uebungen oft und ausdauernd machen, faule Ausreden nützen nichts, nur gewissenhaftes Studium führt zum Ziele." Diese trefflichen 18 Gebote deS altitalienischen Kunstgesanges haben auch heute nichts an Wert und Gültigkeit verloren. Aber Keilich heute lächelt man erdaben über dieveraltete" Belcanto- Methode, beute herrscht der dramatische Sprechgesang im Zeichen Wagners, das deklamatorische Parlando als oberstes Prinzip. Die Mufik Mozarts, Rossinis und Verdis wird mehr und mehr zurück- gedrängt durch den überragenden Koloß des Musikdramas. Die Rachstage»ach Wagnersängern ist viel größer als das Bedürfnis noch Mozartsängern. Siegfried, Tristan und die Walküren wuchten mit Pathos über die deutsche Bühne, und die Koloratursängerin steht einiam da als vergessenes Ornament, als verkörperte Erinne- rung an vergangene musikalische Stilepochen. Seitdem die natura- listische Stinimbehandlung mit dem einzigen Endziel, ein möglichst großes Organ möglichst schnell zu züchte», eingerissen ist, geht es rapide bergab mit der rationellen Geiangskunst. Man verlangt von den jungen Sängern keine stnnliche Klangichönheit. keinen Schmelz der Kannlene mehr, sondern nur Bärenkrast und Ausdauer, um die stimmverderbeiiden offenen Wagnerorchester zu überbrüllen. Das Geschlecht der großen Donna Anna, der Susannen und Don Giovannis stirvt mehr und mehr aus; der Sänger muß zurücktreten hinter den dramatischen Darsteller. Salome kreischt und Elektro wimmert.. Wann werden die deutschen Stimmbildner endlich ivieder die Größe des Tons in zweite Linie stellen, sich besinnen aus die Qualität und Schönheit der ihnen anoertrarnen Organe und zurückgreisen auf die alt-italienischen Belcanto- und Solfeggw-Melhoden, die allein die Siitgstimme zum vollendeten künstlerischen Jnstrumenr machen können? W. Mauke. Junge und alte Kultur in Aegypten  . Von H. T h u r o w. Die Frage, wie weit im Orient die Kultur im Bordringen begriffen ist, wird je nach dem Sinn, den man mit dem Wort verbindet, verschieden beantwortet. G. Maspero  , der General- direktor der ägyptischen Sammlungen, einer der verdientesten Archäologen der Jetztzeit, schreibt, daß der Abstand zwischen dem uralten und dem neuen Aegypten   eigentlich nur ein zeitlicher sei. Er hat dabei weniger die äußere, materielle als die innere, geistige Kultur im Auge. Die Tiefen des Volksbewußtseins hat die Neuzeit mit ihren himmelsstürmenden Ideen und Erfindungen noch wenig berührt. Pierre Loti   dagegen, der seine dichterische Wehmut neben jeden Tempelstein ergießt, der den Stauungs- arbeiten der englischen Ingenieure zum Opfer fällt, tat den ver- wegenen Ausspruch, daß Aegypten   sich in den letzten zwanzig Jahren mehr umgestaltet habe, als in den vorhergehenden fünf Jahrtausenden. In beiden Auffassungen liegt geschichtliche Wahrheit, obgleich der Franzose Loti, auch wenn er nur die äußerliche Veränderung des gesellschaftlichen Lebens in Betracht zieht, mit seinem Urteil weit übers Ziel schießt. Noch sind die ökonomischen Grundlagen früherer Epochen in Aegypten   kaum ins Wanken gekommen. Der Jndustrialismus sucht erst nach Angriffspunkten, an denen er mit seiner revolutionierenden Tätigkeit einsetzen kann. Der Fellache bedient sich eines Pfluges, dessen Konstruktion so alt ist wie die Pyramiden. Manche unserer Leser, die das kulturgeschichtlich und literarisch so wertvolle Buch von Max Ehth:Hinter Pflug und Schraubstock" kennen, werden sich erinnern, daß dieser Ver- treter einer englischen Maschinenfirma schon Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den Dampfpslug nach Aegypten   verpflanzte. Welche Hoffnungen knüpften sich in den Kreisen der Interessenten damals an diese ersten Versuche, der Dampfkultur im Nillande Eingang zu verschaffen! Der Maschinenpilug ist aber auf die Bewirtschaftung der Güter einiger weniger Großgrundbesitzer, besonders der Mitglieder der vizc- königlichen Familie, beschränkt geblieben. Man zeigt noch die Stelle, wo ein Pflugungetüm des Herrn Max Eyth  , das mit seinen schwarzen Robraugen wie eine neue Sphinx den Bewohnern Schrecken einflößte, restlos im Schlamm versunken ist! Vorbedingung für die Verbreitung der Dampfkultur in der Landwirtschaft wäre in Aegypten  , wo der Kleinbesitz an Grund und Boden absolut vorherrscht, die Erweckung genossenschaftlichen Geistes, durch dessen Betätigung sich die Anwendung technischer Hilfsmittel leicht ermöglichen ließe. Praktische Solidarität der Schwachen ist aber keine Forderung im Programm der herrschenden Gesellschaft. Das Verständnis für die Gleichartigkeit seiner Interessen, die Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge