muh dem materiell und physikalisch fertig gebildeten Ton nochFarbe und Seele gegeben werden durch die senfitiv-nervösenElemente des künstleri'chea Temperaments. Welch ein langwierigerProzeh! Welch eine Unsumme von sicher beherrschten ftrüslen desKörpers und der Seele gehört aber dazu, bevor Herr IL oder Frl. R.aus der Bühne oder im Konzertsaale uns mit dem gesühl»vollen Bortrag einer Mozartschen Arie oder eines SchubertschenLiedes ans Heiz greifen und die Miseren des Alltags vergessenmachen kann.Der mit.Stimme' begabte Natursänger, der seine Gaben zurkünstlerischen Verwertung ausbilden lassen will, muh. gering gerechnet,einen Lehrgang von 3— l Jahren durchmachen. Beim Singen istmehr wie bei jedem anderen Instrument die Tonbestimmung ganzdem Willen des Sängers überlassen. Jede Bewegung der Kehl-muskeln ergibt einen Laut. Diesen mehr oder minder unartikuliertenLaut in die Sphäre des musikalischen Klangs zu heben, aus ihmeinen klingenden, durch Resonanz, Atem, Farbe. Gefühl und Ausdruckbeherrschten Ton zu gestalten: das ist die schwierige Aufgabe desSängers. Die zur Erzielung eines richtigen Touaniatzes— dieTonbildung ist die wichtige Grundlage aller Gesangskunst—nötige Vorstellungsrcihe nimmt demnach nach der LangeschenBezeichnung folgende Gestaltung an: Tonzeichen— Tonvorstellung—Lautierung— Bewegung. Der Tonbildungsschüler kann bei seinenllebungen das Won entbehren, er arbeitet mit möglichst einfachenLauten. Diese Lautierung, auch Solmisation genannt, ist in einegroße Reihe von Systemen gebracht worden, die alle den doppeltenZweck verfolgen, die Bildung der Vokale und Borbereitung fürreine gure TextauSsprache.Was der Blasebalg für die Orgelpfeife, daS ist der Atem fürdie Singstnmne. Rationelle Stemtechiilk ist daher neben der Lau-tierung eines der wichtigsten Kapitel für den angehenden Sänger.Falsches Atmen, falsche Oekonomie beim Ausatnien erzeugt denflackernden, unruhrgen und gepreßten Ton; volle Alembeherrschungbedingt den edlen, tragsähigen Ton und seine reiche dynamischeAbstufung. Die modernen Stimmbildner, die alle auf physiologisch-anatomischer Grundlage das Organ zum Instrument erziehen, legendaS Hauptgewicht auf das richtige Tonansatzftudium, bedingtdurch willkürliche Schulung bestimmter Atemmuskelgruppen. Welche,darüber gehen die Schulmeinungen vorläufig noch weit auseinander.Die Annahme früherer, speziell romanischer Gesanglehrer, daß diemenschliche Stimme in mehrere, ihrem Klaugcharakter nach ver-schiedene, streng gerrennte Register zerfiele sz. B. Kopfstimme undBrustslimme) wird gegenwärtig als überwunden hingestellt. Heutegilt die Registerfrage als gelöst. An Stelle der teillos scuweren Kunstdes Registerwechsels tritt die willkürliche Vereinigung vonBrust- und Kopfklang in allen Lagen, wodurch ein edlerStimmflang von der tiefsten Tiefe bis zum hohen.ABC! des Wagnertenors und der.Walkürenstimme" erreicht werden soll. In der be-wußten Mischung von Brust- und Kopfktang soll auch die Lösung desProblems vom sogenannten„Stimmbruch" liegen. Weitere wichtigeMomente der Stimmbildung sind neben dem Ansatz, der Lauiierung,der Atmung und der RegisterauSgleickung vor allem die ErweiterungdeS natürlichen Stimmumfanges, das Schmiegsam- und Biegsam-machen der Stimme, die Ausbildung des Gehörs durch svitematischeTreffübungen. Uebungen in deuilicher, reiner Texrausiprache. endlichim letzien Abschnitt der Ausbildung, das Rollenstudiiim. der kiiust-lerische Bortrag. Die methodische Erweiterung des Stimmunifangessman teilt die verschiedenen Arten der Singstimme bekanntlich ein inSopran sdramalischer, lyrischer), Mezzosopran und Alt; TenorsHeldentenor, lyrischer), Baryton und Baß) geht aus von den demSänger natürlich bequem liegenden Tönen, in deren Mitte gewöhn-lich der sogenannte Primärton liegt. Bon diesem nalürlichen Zentral-Punkt aus, den herauszufinden des Lehrers erste Aufgabe ist, wirddann nach oben und unten ein Ton nach dem andern„fertiggestellt",bis die Töne wie«ine Schnur leuchtender Perlen beliebig aneinandergereiht werden können und der ausgebildete Sänger reif ist, auf dieMenschheit losgelassen zu werden.Die Grundlage jeder ernsten Stimmbildung war stüher derBelcanto-Stil, d. h. der italienische Koloramrgeiang. Der Kuriofitäthalber mögen hier die Regeln für den Koloralnrgesang stehen, dieder Neapolitanische Gesangsmeister M äff ei lbSL aufstellte unddie Prof. F. K a b ö ck- Wien kürzlich in der.Mufik" wieder aus-gegraben hat:.1. Man soll natürlich, ungezwungen, nicht affektiert fingen.Einbildung ruft nur allgemeinen Spott hervor.2. Die UebungSzcit ist der Morgen oder vier bis fünf Stundennach einer Mahlzen, weil, wenn der Magen voll ist, die Luitröhreund damit die Stimme nicht die nötige Reinheit und Klarheit zumUeben der„Gorga"(Gurgel) besitzt.3. Zum Ort der Uebung wähle man schattige Täler undhöhlemeiche Felsen, wo allein das Ecko auf Wort und Ton ant-wortet und wie eine lebendige Stiinme anzeigt, ob die Passagengut gemacht find.4. Am Körper darf sich während des Singens außer demEimbalarekuorpel(das zungenfönnige Organ in der Mitte desSckildknorpels, der Sitz der Stimme) nichts bewegen; wir sehen ananderen, wie häßlich es ist. mit den, Kopfe zu wackeln, mit denLippen zu zittern, die Hände oder die Füße zu bewegen.5. Der Sänger soll sich in einem Spiegel beobachten, um allehäßlichen Grimassen zu vermeiden.S. Die Zunge muß so ausgestreckt sein, daß ihre Spitze dieWurzeln der unteren Zähne erreicht und berührt.7. Man halte den Mund offen und gerade, nicht mehr alswie im freundlichen Gespräch.8. Mau gebe nur nach und nach seinen Atem mit der Stimmeaus und hüte sich, ihn durch die Nase oder den Gamnen gehenzu lasten.8. Man verkehre mit gutgeschulten Sängen», deren Anhörenim Gedächtnis gewisse Bilder und Ideen zurückläßt, die sehrförderlich find.18. Man muß diese Uebungen oft und ausdauernd machen,faule Ausreden nützen nichts, nur gewissenhaftes Studium führtzum Ziele."Diese trefflichen 18 Gebote deS altitalienischen Kunstgesangeshaben auch heute nichts an Wert und Gültigkeit verloren. AberKeilich heute lächelt man erdaben über die„veraltete" Belcanto-Methode, beute herrscht der dramatische Sprechgesang im ZeichenWagners, das deklamatorische Parlando als oberstes Prinzip. DieMufik Mozarts, Rossinis und Verdis wird mehr und mehr zurück-gedrängt durch den überragenden Koloß des Musikdramas. DieRachstage»ach Wagnersängern ist viel größer als das Bedürfnisnoch Mozartsängern. Siegfried, Tristan und die Walküren wuchtenmit Pathos über die deutsche Bühne, und die Koloratursängerinsteht einiam da als vergessenes Ornament, als verkörperte Erinne-rung an vergangene musikalische Stilepochen. Seitdem die natura-listische Stinimbehandlung mit dem einzigen Endziel, ein möglichstgroßes Organ möglichst schnell zu züchte», eingerissen ist, geht esrapide bergab mit der rationellen Geiangskunst. Man verlangt vonden jungen Sängern keine stnnliche Klangichönheit. keinen Schmelzder Kannlene mehr, sondern nur Bärenkrast und Ausdauer, um diestimmverderbeiiden offenen Wagnerorchester zu überbrüllen. DasGeschlecht der großen Donna Anna, der Susannen und Don Giovannisstirvt mehr und mehr aus; der Sänger muß zurücktreten hinter dendramatischen Darsteller. Salome kreischt und Elektro wimmert..Wann werden die deutschen Stimmbildner endlich ivieder die Größedes Tons in zweite Linie stellen, sich besinnen aus die Qualitätund Schönheit der ihnen anoertrarnen Organe und zurückgreisen aufdie alt-italienischen Belcanto- und Solfeggw-Melhoden, die allein dieSiitgstimme zum vollendeten künstlerischen Jnstrumenr machen können?W. Mauke.Junge und alte Kultur in Aegypten.Von H. T h u r o w.Die Frage, wie weit im Orient die Kultur im Bordringenbegriffen ist, wird je nach dem Sinn, den man mit dem Wortverbindet, verschieden beantwortet. G. Maspero, der General-direktor der ägyptischen Sammlungen, einer der verdientestenArchäologen der Jetztzeit, schreibt, daß der Abstand zwischen demuralten und dem neuen Aegypten eigentlich nur ein zeitlicher sei.Er hat dabei weniger die äußere, materielle als die innere, geistigeKultur im Auge. Die Tiefen des Volksbewußtseins hat dieNeuzeit mit ihren himmelsstürmenden Ideen und Erfindungennoch wenig berührt. Pierre Loti dagegen, der seine dichterischeWehmut neben jeden Tempelstein ergießt, der den Stauungs-arbeiten der englischen Ingenieure zum Opfer fällt, tat den ver-wegenen Ausspruch, daß Aegypten sich in den letzten zwanzigJahren mehr umgestaltet habe, als in den vorhergehenden fünfJahrtausenden.In beiden Auffassungen liegt geschichtliche Wahrheit, obgleichder Franzose Loti, auch wenn er nur die äußerliche Veränderungdes gesellschaftlichen Lebens in Betracht zieht, mit seinem Urteilweit übers Ziel schießt. Noch sind die ökonomischen Grundlagenfrüherer Epochen in Aegypten kaum ins Wanken gekommen. DerJndustrialismus sucht erst nach Angriffspunkten, an denen er mitseiner revolutionierenden Tätigkeit einsetzen kann. Der Fellachebedient sich eines Pfluges, dessen Konstruktion so alt ist wie diePyramiden. Manche unserer Leser, die das kulturgeschichtlichund literarisch so wertvolle Buch von Max Ehth:„Hinter Pflugund Schraubstock" kennen, werden sich erinnern, daß dieser Ver-treter einer englischen Maschinenfirma schon Anfang dersechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den Dampfpslug nachAegypten verpflanzte. Welche Hoffnungen knüpften sich in denKreisen der Interessenten damals an diese ersten Versuche, derDampfkultur im Nillande Eingang zu verschaffen! DerMaschinenpilug ist aber auf die Bewirtschaftung der Güter einigerweniger Großgrundbesitzer, besonders der Mitglieder der vizc-königlichen Familie, beschränkt geblieben. Man zeigt noch dieStelle, wo ein Pflugungetüm des Herrn Max Eyth, das mit seinenschwarzen Robraugen wie eine neue Sphinx den BewohnernSchrecken einflößte, restlos im Schlamm versunken ist!Vorbedingung für die Verbreitung der Dampfkultur in derLandwirtschaft wäre in Aegypten, wo der Kleinbesitz an Grundund Boden absolut vorherrscht, die Erweckung genossenschaftlichenGeistes, durch dessen Betätigung sich die Anwendung technischerHilfsmittel leicht ermöglichen ließe. Praktische Solidarität derSchwachen ist aber keine Forderung im Programm der herrschendenGesellschaft. Das Verständnis für die Gleichartigkeit seinerInteressen, die Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge