AnterhaltungsSlatt des Vorwärts Nr. 2. Dienstag> den 4 Januar. 1910 iNaSdruck verSolen.) 21 Im j�amen cles 6elet2es. Von Hans Hyan . Frau Martha, die die beiden vergebens hatte beschwich- tigen wollen, war, aus Furcht, durch die Einmischung des Vaters könne die Sache nur noch schlimmer werden, gleich mit einer Erklärung bei der Hand. Sie zanken sich wieder mal, Vata!.. Und zur Tochter gewandt: «Laß doch den Georg reden, Ella, ich versteh' Dich ja «ichl.. Aber sie dasteht michl" höhnte Georg. Und in die wütende Entgegnung des Mädchens, das laute zornige Dreinreden des Vaters und die ängstlichen Ver- söhnungsversuche der Mutter tönte plötzlich scharf mehrmals hintereinander der Ton der Entreeglocke. Ella floh rasch in die Stube, der Vater sagte:Nanu, wer is denn da schon in aller Herjottsfrühe?!" und die Mutter öffnete. Zwei Männer, die draußen gestanden hatten, betraten sofort die Küche. Was denn?" fragte Frau Hellwig ratlos,was wünschen Sie?" Ja, was wünschen Sie denn?" fragte nun auch Vater Hellwig in etwas schärferem Tone. Wohnt hier ein Georg Hellwig?... Ihr Sohn, nicht wahr?" fragte einer der beiden Männer. Anton Hellwig, der Vater, nickte, etwas verdutzt. Ja... der is eben mal rausgegangcn..." Georg war auf dem Klosett. Na, denn rufen Sie'n bitte!" Aber was ist denn?... was wollen Sie denn, meine Herren?" fragte die Mutter, die vor Angst mit schnellem Atem sprach. Hat denn unser Jeorch was jemacht?" Derselbe Beamte, der vorhin gesprochen hatte, zuckte die Achseln. Rufen Se'n man rein... Er wird schon wissen!..." Anton Hellwig besann sich für einen Augenblick auf seine Würde als Familienvater. Wer sind Sie denn eijentlich?" sagte er mit unwilligem Kopsschütteln,was?... Daß Sie hier so mir nichts, Dir nichts in'ne Wohnung von anständige Leite eindringen?" Von Ihnen wollen wir ja jar nichts", sagte der andere Beamte, jetzt einlenkend,«wir suchen bloß den Georg Hellwig!" Dem Alten schwoll der Kamm. Ja, das is aber meine Wohnung, un ick bin der Vata von den jungen Mann..." Georg kam, angelockt durch das Gespräch mit offenbar fremden Leuten: Da is er ja!" Der von den Beamten, der eben gesprochen hatte, ging auf den jungen Mann zu. faßte ihn bei der Hand und sagte: Wir haben den Auftrag, Sie zu verhaften!" Im Nu war auch der andere Kriminalschutzmann dabei, den Arrestanten beim anderen Arm zu packen. Aber dieser Jüngling, über dessen gerader Nase, die groß und unvermittelt zwischen den stark hervortretenden Backen- knochen hervorragte, ein paar Augen voll rücksichtsloser Scharfe blitzten dieser junge Arbeiter galt nicht umsonst in seinen Kreisen als Kraftmensch und zukünftiger Herkules eine einzige, gewaltsame Drehung! und die beiden Schutz- leute flogen rechts und links an die Wand. Im nächsten Augenblick war Georg im Zimmer drin bei der aufkreischenden Ella und den Kindern, die erwacht waren und weinten. Die beiden Kriminalschutzleute, erbost über ihre Nieder- läge, standen weder der weinenden und lamentierenden Mutter noch dem Vater Rede, dessen angenommene Würde längst wieder einer zitternden Angst gewichen war. Sie waren drauf und dran, die Tür zu erbrechen, hinter der Georg mit einem eichenen Knüppel in der Faust stand, als Frau Martha sich aufs Bitten legte. Sie war die einzige, die hin und wieder noch Macht über den harten Sinn dieses Störrigen hatte. Jeorch!... liebster, bester Jeorrich, mach doch uff!. bitte, bitte, mach doch die Tür auf!...'Sis ja nischt!.. 'S kann da keina was anhaben!... Wer weeß, am Ende ist's bloß'n Mißverständnis!... Sieh ma, se schlaren ja de Tür ein!... Komm' doch raus!.,. bitte, bitte, lieb» Jeorch!..." Auf der anderen Seite parlamentierte der Meister mit den Beamten... Nein, sie durften die Tür nicht demo- lieren! Das wäre seine Wohnung!... Und ob sie denn überhaupt'n Verhaftsbefehl hätten?" Nein, den hatten die beiden Schutzleute nicht! Die sagten's nicht, aber sie selber wußten recht wohl, daß sie in einer Privatwohnung keine Verhaftung ohne Haftbefehl vor» nehmen durften. Das war ungesetzlich, aber es geschah tau- sendmal. die Verhaftung wurde angeordnet, der Haftbefehl vielleicht ausgeschrieben, aber der Beamte, der weiß, daß ihm das Publikum fast nie Widerstand entgegensetzt, vergaß ihn eben... Hier lag die Sache etwas weniger einfach, der festgenommen werden sollte, setzte dem Widerstand entgegen und dessen eigener Vater, welcher zugleich Wohnungsinhaber war, fragte nach dem Haftbefehl, den sie nicht bei sich hatten. Die beiden sahen sich gegenseitig an und verständigten sich durch Blicke, ihre Absicht vorläufig wenigstens aufzugeben. Sie wollten schon gehen und der eine sich eben mit einer Art von Erklärung an die leise weinende Frau wenden, als plötzlich die Tür aufging und Georg, der vorläufig nur mit Hemd und Hose bekleidet war, heraustrat. Den Knüppel, den er in der Hand hielt, warf er mit einer verächtlichen Gebärde den Beamten vor die Füße und sagte:Wat is denn nu eijentlich?... Wcswejen vahaften Se mir denn?" Die Beamten mochten eingesehen haben, daß hier im Guten mehr zu erreichen war. Der vorher zuerst Hand an den jungen Mann gelegt hatte, sagte jetzt weit höflicher: Das wissen wir selbst nicht. Aber Sie tun besser. wenn Sie ruhig mitkommen... Widerstand nutzt Ihnen ja doch nichts!"..." Dabei zog er seine Browningpistole aus der Paletot« tasche. Um Jotteswillcn!" schrie Frau Hellwig auf. während ihr Gatte ratlos, entrüstet und doch voller Angst hin- und herlief. Aber Georg lachte. Lassen Se man ruhig stecken!... Davor fürchten wa uns ooch noch nicht... Un iebrijens kann ick ja ooch mitkommen... beruhige Dir doch man, Mutter, det muß sich ja doch allens uffkleeren!... Wer weeß, wer ma det Ei jelegt hat und hat mir denunziert?..." Frau Hellwig weinte immer heftiger. Ella, die jetzt wenigstens mit einer Taille bekleidet war, an der sie noch herumknöpfte, schluchzte auch. Und wie sich nun Georg zum Fortgehen fertig machte, kam plötzlich die kleine Mascha aus der Stube, hing sich an ihn und wollte ihn nicht loslassen. Auch als er endlich fertig war zum Mitgehen die Mutter hatte ihm feinen Hut gesucht und der Vater fragte ihn mit zitternder Stimme zum zehnten Male: ..Sag' et doch Junge, wenn De wat ausjefressen hast! sag' et doch lieba!..." Auch da war die Kleine nicht zu bewegen, das Bein des großen Menschen loszulassen. Aus ihren dunklen Kinderaugen stürzten die Tränen und liefen in die Locken, die wild über das Gesichtchen her« abhingen. Nein, nein!" schrie sie immerfort,er soll nich wech. gehn!... Er soll hierbleiben!... Georg soll bei uns bleiben! Er soll nich wech!" Da nahm der große Mensch das niedliche Mädchen aus den Arm, preßte den Wuschelkopf an seine Wange und es war etwas Dumpfes, Zerbrochenes in seiner Stimme, als er sagte: Laß man, Kleinchen, ich komm ja balde retuhr!... laß doch man, Masche, ja?... komm, sei'n liebet, klcenet Meechen!.., atjeh...'