Aber das Kind war nicht zu beruhigen. Als die anderen alle schon ihrer Arbeit nachgegangen nmen, der Vater mit Fluchen, das seine Ergriffenlieit verdecken sollte, und Ella ebenso wie ihre Mutter nervig und verweint, da schluchzte und schrie die kleine Mascha immer noch: Unser Jeorch soll wiederkommen!... Die soll'n mich mitnehmen... die ollen Männerl... Ieorich..... Jeorichl... 2. Als Ella Hellwig an diesem Wend aus dem(Äeicyast kam. wußte sie wirklich nicht, was sie tun sollte. Zu Hause war die Mutter sicher sehr elend von der schrecklichen Geschichte mit Georg und wartete auf sie, um mit ihr zu reden... Und Ella hätte auch gern selbst gewußt, was mit Georg ge- worden war, ob man ihn wieder freigelassen hatte; denn daß er wirklich was Schlechtes getan haben sollte, daran glaubte sie nicht... Ihr Vater hatte heute Gesangverein. aber ob er hingchen würde mit der Blamage, daß sie seinen Aeltesten verhaftet hatten?... Am richtigsten wäre es wohl gewesen, sie wäre vom Geschäft aus direkt nach Hause ge- gangen.... Und es ging schon auf neun... Sie mußte sich ent- schließen!... wenn sie sich jetzt noch aufhielt, dann würde Adalbert vielleicht denlen, sie käme heute überhaupt nicht mehr, und dann zogen er und seine Freunde womöglich los, auf den Bummel. Nein!... sie wollte auf jeden Fall hink.... Um ihrem Zögern und Zaudern selbst ein Ende zu machen, rief sie eine Droschke an, sprang'rein und sagte: Körnerstraße 27... aber fix, Kutscher !..." Während der Fahrt hatte sie gar keine angenehmen Ge- danken. Die schreckliche Situation zu Hause schob sich immer wieder wie ein schwarzer Vorhang vor das üppige Bild des Amüsements, dem sie entgegenfuhr... Und dann bedrückte es sie auch, daß der Vater heute wohl zu Hause sein und sie vermissen würde... Sonst hatL° sie sich, wenn sie spät in der Nacht heimkam und er es einmal merkte, heraus- geredet, mit Hilfe ihrer Mutter, die wie eine verschwiegene Freundin die heimlichen Wege ihrer Tochter vertuschte. Und das war nicht schwer, dem Alten gegenüber, der selten ganz nüchtern aus seinein Nauchklub, Skat- oder Gesangverein heimkehrte... Auch die Mutter erfuhr nicht die Wahrheit. Aber die fragte auch selten. Es genügte der Frau, daß ihr schönes Kind Erfolge hatte und, wie sie wohl sagte, auch seinen Anteil vom Leben abbekam... Sie wußte am besten, wie- viel lange, arbeitsvolle und entbehrungsreiche Jahre hin- durch man nachher von diesen paar glänzenden Stunden zehren mußte. lFortsetzuug folgt.) lNachdrnl verrole») Das vierbeinige Gefebenk. «SÄUtz.) Inzwischen ist es Feühling, ist es Sommer geworden, und Manne zieht Feld und Garten dem Aufenthalt zu meinen Füßen bei weitem vor. Wenn Kinder im Garten sind, vor allem, wenn Roswitha dabei ist. bevorzugt er den Garten vor allen anderen Plätzen.(Auch ein Beweis für Mannes feinen Instinkt, daß ihm die Kinder lieber sind als die Erwachsenen.) Er erlaubt dann gütigst, daß man ihn spazieren fahre. Die Kinder setzen ihn in den Blockwagen, bedecken ihn bis an den Hals mit Birken-, Erlen- und Weidenkätzchen, so daß nur der interessante Kopf hervorschaut; zwei ziehen und eines geht hinterher und hält den Sonnenschirm über ihn. Er aber blickt um sich mit dem lässigen Behagen eines Elegants, der mit dem chickstcn Gespann der Welt durch das Boulogncr Wäldchen fährt. Wenn keine Kinder da sind, bin ich ihm gut genug, ja, wenn ich Miene mache, nach den Stiefeln zu greifen, macht er die hals- brechendsten Versuche, mich zu küssen. Ich brau�-e von dem Worte ausgehen" nur die erste Silbe zu sprechen, so steht er schon Ivonneheulend an der Haustür. Es ist der Forfcherdrang, der ihn chinaustrcibt. Denn unterwegs gibt es keinen Garten und kein Gehöft, keine Tür und keine Pforte, durch die er nicht eindränge, Hill eine gründliche Lokalinspektion vorzunehmen, so daß ich mir schon gedacht habe, er sei im stillen mit der Abfassung eines Adreßbuches für Hunde beschäftigt Man kann nie wissen, waS in so einem Dackel steckt und was er vorhat. Wenn weder die Kinder noch ich zu seiner Unterhaltung ver- sagbar sind, liegt er auf dem Rasen in der hellsten und heißesten Sonne. Es ist nicht zu sagen, was solch ein Tier an Sonne in sich aufnehmen und an Faulheit hervorbringen kann. Dackel sind der schlagendste Beweis gegen die Theorie, daß Wärme sich in Be» 6- wegung umsetze. Manne nun hat gar die Faulheit zur Genialität entwickelt. Der trägste Maurersmann ist eine Biene im Vergleich zu ihm, und wenn Otto der Faule ein Denkmal erhalten hat. so verdient Männe eine ganze Siegesallee. Halbe Tage lang liegt er» den Kopf auf die Vorderpfoten gestreckt, in der Sonne und schlürft das Dasein in sich ein als ein Schlemmer, der die ewige Seligkeit durch einen Strohhalm einsaugt. Nur zuweilen steht ihm der Sinn nach anderem Pläsier. Tann kommt niemand, auch der harmloseste Spaziergänger nicht» an unserem Garten vorbei, ohne daß ihn Männe ohne allen Grund und Zweck auf die heftigste Weise angebellt und angeschnauzt hätte. Er bleibt wohlweislich hinter dem Gitter; aber er schnauzt wie toll:Was haben Sie hier zu suchen! Scheren Sie sich augenblicklich fort, oder!" Ich denke mir. daß er in einem früheren Dasein Polizeibeamter in Deutschland gewesen ist. und daß es sich nur um gelegentliche Rückfälle, um eine Art Atavismus handelt. Wenn er auch dieses Vergnügens müde ist und sich gar nichts anderes mehr bietet, trottet Männe nach dem Hintergarten und holt aus einem Versteck den ewigen Knochen hervor. Es ist ein vollkommen abgenagter, steinharter, gebleichter Knochen, von dem auch nicht das geringste mehr herauszubeißen ist; aber was will man dazu sagen? Man kann daran nagen und kauen. So hat der Mensch die Erinnerung..... In Alexander Dumas wundervollem LügenromanDer Graf von Monte Christo " gibt es einen alten Mann namens Noirtier, der so schwer vom Schlage gerührt ist, daß er weder sprechen noch ein Glied rühren kann; aber Augen hat er. Augen, in denen sich sein ganzer Lebensrest konzentriert. Mit alleiniger Hilfe dieser Augen unterhält er sich, macht er Testamente, entlarvt er Gift» mischerinnen, führt er Liebende zusammen ich erinnere mich nicht, ob er auch Klavier spielt; aber Dumas würde auch das auf sich nehmen kurz: macht der alte Herr Sachen, bei denen im Vollbesitz ihrer Kräfte befindliche Menschen in Schweiß geraten würden. An die Augen des Noirtier muß ich jedesmal denken, wenn ich in Männes Augen schaue. Auch er macht und sagt mit den Augen alles. Es gibt nichts Klügeres und dabei Unergründ- lichcres als Tackelaugen, nichts Ausdrucksvolleres, Wechselvolleres als ein Dackelgesicht; denn der Dackel ist derjenige unter den Hunden, der ein wirkliches Gesicht hat. Manchmal, wenn ich ganz allein bin und keinen anderen Gesellschafter habe als ihn» spreche ich stundenlang mit ihm die tiefsten Dinge über moderne Literatur und Kritik. Das Resultat dieser Dialoge gedenke ich einmal alsUnterhaltungen mit einem Hunde" herauszugeben. Wie köstlich sind auch seine Antworten, wenn er sich in meiner Abwesenheit eine Wurst vom Frühstückstisch geholt hat! Ach bitte, verehrter Männe, komm doch mal her!" Seine ganze Reaktion besteht darin, daß seine Ohren leise zucken. Männe!" Er hebt langsam den Kopf von den Pfoten. «Hörst Du nicht, Männe?" Er erhebt sich langsam und streckt sich in den Vorderbeinen. Hierher, Männe!" Er wiederholt dieselbe Freiübung in den Hinterbeinen Na?!" Jetzt läßt er sich langsam herbei. Wo ist die Wurst geblieben?" Wie meinen?" versetzt er. indem er mit sanftem Augen- ausschlag den Kopf auf die Seite legt. Wo die Wurst geblieben ist, will ich wissen." Sie verzeihen, ich höre auf diesem Ohr nicht gut," erklärt er und neigt den Kopf auf die andere' Seite. Wer hat die Wurst hier weggenommen?" Gestatten Sie eine Frage: WaS ist Wurst?" erwidert er. Ich ziehe ihn an seinem Halsband an den Tisch, stelle ihn auf, einen Stuhl und deute auf den Teller, um ihm seine Schandtat durch die Sinne in Erinnerung zu bringen. Ich danke," bemerkt er.ich habe keinen Appetit." Pfui, Männe." ruf ich, indem ich ihn schüttele,Du stiehlst Würste? Schäm Dich, Du Lump!" Er blickt mich voll an mit den Augen des Herrn Noirtier und versetzt:Auf diesen Ton einzugehen verbieten mir Er- ziehung und Selbstachtung." Kurz, es ist ihm nicht beizukommen. Er stellt sich konsequent auf den Standpunkt:Solange man unschuldig tut, kann man noch Dumme finden, die's glauben", und erinnert mich dann immer an den bekannten biederen, krummbeinigen Bürgersmann, der es faustdick hinter den Ohren hat und die allgemeine Achtung seiner Mitbürger genießt. Nun wird mir vielleicht der eine oder andere meiner Leser einwenden, ich übertriebe und schätzte die Intelligenz meines Dackels denn doch zu hoch ein. Solchen Opponenten will ich noch ganz was anderes sagen. Die Menschen haben jahrtausendelang die Erde für das Zentrum des Weltgebäudes gehalten und sind furchtbar damit hineingefallen. Dann hat es noch lange Zeit Leute genug gegeben, die da hofften, daß wenigstens der Mensch da? Zentrum der Welt sei. Ihre Blamage hat nicht auf sich warten lassen. Daß er Gipfel und Zentrum der organischen Erdenwelt sei, das glaubt der Mensch noch heute. Wie aber, wenn er eines