Der Untersuchungsrichter wandte sich nach dem Schreiber hin und sagte halblaut, scheinbar nur für diesen berechnet, aber mit der vollen Absicht, von allen verstanden zu werden: „Das verkörperte böse Gewissen!.. Dann fragte er wieder: „Na, Hellwig, den Mann kennen Sie Wohl auch nicht, was?" Georg drehte schwerfällig seinen Kopf nach links. Seine großen, in Angst erstarrten Augen richteten sich beschwörend c�'f den Dieb. Und dabei rasten die Gedanken durch seinen Kopf: sollte er's sagen? Sollte er's zugeben, daß er ihn kannte?... Vorhin, bei der Uhr, da hätte er„ja" sagen sollen!... Da Hütt' er sich noch ausreden können und er- klären, wie harmlos die ganze Geschichte war.... Aber jetzt, wo er bei der Uhr gelogen hatte, jetzt durfte er den Franz Wiese auch nicht kennen!... Er schüttelte nur den Kopf. „Sie kennen ihn nicht?" „Nein." Der Schreiber machte mit den Lippen Bewegungen der Entrüstung, und der Schutzmann sah förmlich ergrimmt aus. Der Untersuchungsrichter lachte leise, höhnisch in sich hinein. „Sagen Sie mal, Wiese," begann er dann, nur ganz wenig trommelnd,„sagen Sie mal. was taten Sie dann, nachdem sie bei Ihrer Wirtm die beiden Uhren gestohlen hatten?" „Ich ging zu Hellwig," sagte der Dieb,„un der stand zufällig jrade unten vor'n Torweg un denn fragt' ich'n, ob er mich nich das Monogramm aus die Uhr rausmachen wollte..." „Aus der goldenen?" warf der Richter ein. „Jawoll!... Aus die joldene!..." „Und warum gingen Sie gerade zu Hellwig?" „Na, weil'a doch jelernter Schleifer is un sowat früher jemacht hat... un ick kannt'n ooch von frieha...". „So, Sie kannten ihn... hm... da haben Sie Wohl auch schon früher hin und wieder'n Ding zusammen ge- dreht?" (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verdolen.) frucbtdarkeit/) Von August Strindberg . Erföar Hilfsarbeiter im Handelsamt mit 1AX1 Kronen Gehalt. Er hatte ein junges Mädchen ohne Mitgift geheiratet; aus Liebe, wie er selber erklärte; um nicht mehr auf Bällen und Straßen umherlaufen zu müssen, wie seine Freunde meinten. Jedenfalls war das Zusammenleben des Paares anfangs glücklich. Wie billig ist es, als Verheiratete zu leben, rief er eines Tages aus, nachdem die Hochzeit überstanden war. Dieselbe Summe, die kaum verschlug, als man Junggeselle war, reicht jetzt für Mann und Frau. Die Ehe ist doch eine ausgezeichnete Er- findung. Man hat alles zwischen seinen vier Wänden: Wohnung. Kneipe, Cafe— alles. Keine Speisekarte mehr, kein Trinkgeld, lein neugieriger Portier, wenn man morgens mit seiner Frau ausgeht. Das Leben lächelte ihm. seine Kräfte wuchsen und er arbeitete wie ein ganzer Mann. Noch nie hatte er sich so voll überströmen- der Lebenskraft gefühlt; des Morgens sprang er elastisch und bei allerbester Laune aus dem Bett; er war verjüngt. Als zwei Monate verstrichen waren, noch ehe sich die Lange- weile eingefunden hatte, teilte ihm die Frau geivisse Hoffnungen mit. Neue Freude, neue Sorgen, aber so angenehm zu tragen! Es war notwendig, sofort die Einkünfte zu vermehren, um den unbekannten Weltbürger würdig empfangen zu können. Er ging hin und verschaffte sich eine Uebersctzung. Niedliche Kinderkleidchen lagen auf den Möbeln umher, im Flur stand eine Wiege und wartete, und das Kindchen kam gesund auf die Welt der Sorgen. Der Vater war entzückt. Doch konnte er sich ewer gewissen Angst nicht erwehren, wenn er an die Zukunft dachte. Ausgaben und Einkünfte wollten sich nicht die Wage halten. Es war nichts anderes zu machen, als sich in der Kleidung etwas einzuschränken. Der Gehrock begann in den Nähten zu glänzen, die Hemdbrust wurde ') In der deutschen Gesamtausgabe von StrindbergS Werken, die Emil Schering in Gemeinschaft mit Strindberg selber im Vor- läge von Georg Müller in München herausgibt, sind jetzt die unter dem Titel„Heiraten" gesammelten zwanzig Ehcgeschichten er- schienen. Obivohl bereits im Jahre 1884 geschrieben, sind sie noch beute da? beste und kühnste, was die neuere Literatur über diese Probleme der bürgerlichen Gesellschaft hervorgebracht hat. Wir bieten in der„Fruchtbarkeit" eine Probe daraus. unter einer großen Krawatte verborgen, die Hosen bekamen Fransen. Die Tiener im Amt verachteten ihn allerdings wegen dieser schäbigen Kleidung. Außerdem sah er sich gezwungen, seinen Arbeitstag zg ber- längern. Jetzt muß man aber Schluß machen mit diesen kleinen Dingern, sagte er sich. Doch wie soll man das anfangen? Das wußte er nicht. Drei Monate spater bereitete seine Frau ihn in gewählten Worten darauf vor, daß sich seine Vaterfreude bald verdoppeln werde. Sehr freuen tat er sich über diese Mitteilung nicht. Aber es kam jetzt darauf an. den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, wenn sich auch die Ehe als eine durchaus nicht billige Sache erwies. Es ist wahr, dachte er und sah heiterer aus. der Jüngere erbt die Windeln des Aelteren! Auf diese Weise kostet er nichts. Uebrigens leben werden sie schon, sie ebenso gut wie andere. Er wurde Vater zum zweitenmal. „Du gehst ja tüchtig ins Zeug," ließ sich ein Kamerad hören. der verheiratet war, aber nur ein Kind hatte. „Was soll man machen?" „Man muß verständig sein!" „Verständig? Hör mal, mein guier Freund, man verheiralet sich doch, um... ich meine, nicht nur um... aber jedenfalls auch um... Wir sind eben verheiratet, und da ist die Sache doch klar." „Durchaus nicht. Etwas anderes, Freund: wenn Du die Mittel erhalten willst, ein frisch gestärktes Hemd zu tragen, und Dir an Beförderung liegt, so ist es durchaus notwendig, daß Du Hosen ohne Fransen hast und einen Hut, der nicht in Rotbraun übergeht." Und der Verständige flüsterte ihm verständige Worte ins Ohr. So war denn der arme Ehemann, der es so gut zu haben glaubte, auf halbe Kost gefetzt. Jetzt begannen die Wirrungen. Zuerst waren die Nerven überreizt, die Nächte schlaflos, die Arbeit am Tage schlecht. Dann kam der Arzt. Drei Kronen für jedes Rezept! Er müsse sich der Arbeit enthalten. Er habe zu viel gearbeitet, sein Gehirn sei überanstrengt. Aber nichts tun, das wäre ja der Tod für sie alle! Und arbeiten, das sollte auch der Tod sein! Und er arbeitete! Eines Tages, als er auf dem Amt saß, und sich über die endlosen Zahlenreihen beugte, bekam er einen Schwindel und sank zu Boden. Ein Besuch bei einem Arzt, der Spezialist war— 18 Kronen. Neue Verordnung: Urlaub infolge von Kränklichkeit, eine ordent- liche Reittour jeden Morgen, zum Frühstück Beefsteak mit einein Glas Portwein. Reiten und Portwein! Was aber schlimmer war, eine gewisse Kälte gegen die geliebte Frau stieg in ihm auf; woher sie kam, wußte er nicht. Er hatte Furcht sich ihr zu nähern, und zu gleicher Zeit fühlte er ein Ver- langen nach ihr; er liebte sie, liebte sie noch immer, aber dieses Gefühl war mit einer gewissen Bitterkeit gemischt. „Du magerst ab," sagte ein Kamerad. „Ja, ich glaube wirklich, ich bin mager geworden," erwiderte der arme Ehemann. „Du spielst ein falsches Spiek, alier Junge!" „Ich begreife nicht!" „Ein verheirateter Mann mit Halbtrauer! Nimm Dich rn acht, mein Freund!" „Ich verstehe wahrhaftig nicht ein Wort von dem, ttaS Dir sagst." „Gegen den Wind fahren, geht auf die Dauer nicht. Nein, brasse nur voll. Du, und Du wirst sehen, daß alles wieder gut wird. Glaub mir. ich kenne das. Die Anspielung verstehst Du doch!" Er ließ die guten. Ratschläge vorläufig liegen, wohl wissend, daß sich die Einkünfte nicht im Verhältnis zu den Kindern ver- mehren, aber überzeugt, daß er jetzt die Wurzel zu seiner Krankheit gefunden hatte. Der Sommer war gekommen. Die Familie war aufs Land gezogen. An einem schönen Abend waren die Gatten allein spazieren gegangen, an dem steilen Seeufer entlang, das von eben grün gewordenen Erlen beschattet wurde. Sie setzten sich ins GraS, still und niedergeschlagen. Er war finster und mutlos; düstere Gedanken arbeiteten in seinem schmerzenden Gehirn. Das Leben kam ihm wie ein Abgrund vor, der sich öffnete, um sie alle zu ver- schlingen, alle, die er so liebte. Sie begannen davon zu sprechen, daß er bald seine Stellung verlieren werde; sein Chef hatte es nämlich übel aufgenommen, daß er neuen Urlaub verlangt. Er beklagte sich über das Betragen der Kameraden, er fühlte sich von allen verlassen; besonders aber leide er darunter, daß sie seiner müde sei. Nein, keineswegs, sie liebe ihn noch immer ebenso sehr wie in den glücklichen Tagen, als sie sich eben verlobt! Könne er daran zweifeln? Nein, er habe aber so viel gelitten, daß er nicht Herr seiner Gedanken sei.
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27 (11.1.1910) 7
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