Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 10.
10]
Freitag den 14. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Im Namen des Gesetzes.
Bis in die Mitte der Zelle gehend, umfing er mit einem Blick die primitive Einrichtung: links das eiserne Gurtbett, das, in geschmiedeten Haspen an der Wand hängend, hochgeflappt war. Dahinter an derselben Wand das türlose Schränkchen und in diesem Trinkbecher, Eßnapf, Bürsten, Buzzeug und die wenigen Kleinigkeiten, die der Bequemlich feit des Gefangenen dienen. An der der Zellentür gegen überliegenden Schmalwand, über mannshoch beginnend, das mit starken Traillen vergitterte Fenster, dessen Glasberkleidung in eisernem Rahmen an einer Gleitstange aus demselben Material herabzulassen war. An der Wand zur Rechten befanden sich ein Tisch und ein Bänkchen, beide zum Aufklappen. Ferner waren in der Ecke der Unrateimer und die Wasserleitung, deren Hahn jedoch nur mit einem vom Aufseher verwahrten Schlüssel zu öffnen war. Außerdem hing an dieser Wand mehr nach dem Fenster zu die Haus ordnung.
Die Hausordnung... ein ziemlich breites, eng bedrucktes Plakat mit einer ganzen Reihe von Paragraphen, in denen zu lesen war, wie der Gefangene fich zu verhalten und wie er sich nicht zu verhalten habe.
Die Fülle von Anordnungen machte den Knopforüder Stubig. Man mußte ja das förmlich auswendig lernen, um nicht reinzufallen!... Es war eigentlich so gut wie alles berboten!... Er fing noch einmal an zu lesen und dann, wie er eingesehen hatte, daß er das so schnell doch nicht bewältigen würde, wandte er sich mit einem Achselzucken ab, ging zum Fenster und zog sich an der Gleitstange im Klimm zug hoch. Er mußte doch wenigstens mal sehen, wo er war! Aber indem er hinaussah und den Klimmzug wiederholte, fiel ihm ein, daß das Hinaussehen aus dem Fenster der Hausordnung zuwiderlief. Sofort ließ er fich herunter, 30g aber seinen großen Körper in der nächsten Minute wieder hinauf... Es sah ihn ja teiner... und... In dem Augenblid, wo er diesen Gedanken tropig beenden wollte, hörte er einen flingenden Ton an der Tür und sah, sich umwendend, hinter dem Spion, dem talergroßen Glasfensterchen in eisengepanzerter Tür die fleine Klappe schwingen. Gleichzeitig schloß es an der vieredigen TürKlappe, die nach innen fällt und durch die das Essen hinein gereicht wird. Das schwarzbärtige Geficht des Aufsehers erschien in der Deffnung, der sagte in scharfem Ton:
Das Raussehn aus dem Fenster is verboten! Lesen Se fich gefälligst die Hausordnung durch, Sie!..."
Er betonte das letzte Wort, und der Gefangene fah ihn mit einem heimlichen Lachen auf dem Gesicht an.
Aufseher Bartelmann blickte noch durch den Ausschnitt, als ob er etwas sagen wollte. Aber dann schlug er die Klappe heftig zu, und Georg Hellwig hörte ihn gleich darauf in die Nachbarzelle treten
Da, nebenan, wo wahrscheinlich auch einer seinen Knast im Dunkeln abschob, war jest jemand eingetreten. Der dadrin hatte schon immerzu gestöhnt und hatte sich auch heute früh, wo er sein Brot bekam und das Waschwasser herausgab, zum Arzt vormelden lassen... Nüten würd' es ihm ja wohl faum! Denn da mußte schon einer fotkrant sein, um aus dem„ Keller" rausgelassen zu werden. Und es versuchten's ja auch zuviele! Ebenso abends mit den Decken.. Wenn weniger als fünf Grad Wärme waren, sollten die im Arrest Sißenden eine Decke kriegen, und da hatte ihm sein Nachbar, mit dem er im Zentral des Hauses gestanden hatte, bis der Kelleraufseher die Arrestanten übernahm, zugeflüstert, er müßte abends bei der Revision Klosettpapier im Wasser aufweichen und die nassen Kugeln gegen das Quecksilber drücken. Dann fällt das Thermometer und dann giebt's' ne Decke!
1910
schmerzenden Gliedern umherzulaufen, sich wieder hinzusetzen und abwechselungshalber einmal die Kleider auszuziehen und fich damit zuzudecken. Doch der Körper ließ sich durch diesen Betrug nicht täuschen, er zitterte wie Espenlaub, bis die Wanderung durch die Finsternis von neuem begann, in dieser Belle, deren Maß- und Größenverhältnisse man bald besser fannte wie seine Handfläche.
Auch die zornige Wut hatte in dem Knopfdrücker allmählich nachgelassen. Diese fieben Tage Dunkelarrest, von denen er jetzt erst den dritten abmachte, hatten ihn überzeugt, daß mit offenem Widerstand in diesem Hause nichts zu er reichen sei. Und er ärgerte sich über seine Unklugheit, die ihn schon am fünften Tage seines Aufenthalts im Gefängnis mit dem Aufseher Bartelmann in einen Streit hatte kommen lassen, der in Tätlichkeiten ausartete.
Angezeigt hatte der Aufseher ihn, wie vorauszusehen war, zuerst nicht. Aber dafür hatte er jede Rücksicht, die man folchen gering bestraften Neulingen im Gefängnis sonst wohl erweist, fortgelassen. Wenn das Eßgeschirr nicht blizsauber war, oder das viel zu kleine Handtuch, mit dem Gott weiß was gemacht werden sollte, nicht ganz affurat an seinem Blake hing, so monierte das der Aufseher in der schärfsten Form. Nie konnte ihm Hellwig, der an sich fein hauswirtschaftliches Genie war, das Bett zu Dant aufmachen. Früh war er nicht schnell genug dabei, die Müllschaufel mit dem Kehricht in den Korb des rasch vorbeieilenden Kalefaktors zu leeren und später hatte der Aufseher die nicht sauber genug gefegte Belle zu tadeln. Mit einem Wort, es gab immer etwas, und wenn sich der Gefangene auch nur den leisesten Widerspruch erlaubte, so schnauzte ihn der Aufseher wütend an, wobei er ganz dicht und sehr rasch an den Gefangenen herantrat, der übrigens auch nicht einen Boll breit zurückwich. Der Gefangene war mit Kartonkleben beschäftigt und die Arbeit ging dieſem geschickten Menschen, der die Handgriffe im Umseben erlernte, auch gut von statten. So stellte er denn auch schon am dritten Tage das Pensum fertig, was den Arbeitsaufseher veranlaßte, ihn sehr zu loben. Dem Knopfdrücker stieg dieses Lob hier erst recht/ zu Kopf. Erwies er hier nicht wieder, daß er zu den ganz Tüchtigen gehörte, daß er ein ordentlicher, brauchbarer Mensch war, dem diese vornehme Bande wegen nichts und wieder nichts seine Existenz und seine Ehre geraubt hatte?!... In ihm bildete sich immer mehr das Gefühl heraus, mit dem der Märtyrer seinen Qualen standhält. Und allmählich setzte sich in ihm die Ueberzeugung fest, seine Kollegen und Freunde, würden das auch einsehen und würden, statt ihn zu verachten, ihn jetzt erst ganz besonders hoch schäßen und ehren.
Diese Empfindung gab ihm immer größere Standhaftig. feit, und wäre er zufällig auf eine andere Station gekommen, die ein nachsichtigerer Aufseher tommandierte, so hätte er wahrscheinlich seine Strafe ohne jede besondere Unterbrechung abgeseffen.
Aber am fünften Tage, gleich nach dem Essen, passierte ihm das Malheur, daß er den Kleistertopf umwarf und da durch sein Material an Goldpapierstreifen verdarb. Seine Instruktion ging dahin, in solchen Fällen sofort die Klingel zu ziehen, um von dem Aufseher die Beschaffung neuen Materials zu erbitten.
Er flingelte.
Aufseher Bartelmann hatte sich einen Augenblick hin. gelegt unten in seiner Zelle, er hörte wohl das Klingeln, aber es erweckte ihn nicht ganz. Nicht lange darauf ging die Klingel wieder, und als sich nun der Beamte noch ein wenig .berschlafen langsam erhob, da schrillte die Glocke oben wieder und jetzt ununterbrochen.
Georg Hellwig verschmähte alle solche Mätchen. Auch thm wurde die Nacht in der Kälte, auf der harten Holzpritsche furchtbar lang. Man schlief ja immer nur eine Viertelstunde, um dann aufzustehen, frostklappernd und mit
Nun kam der Aufseher wie ein Ungewitter die Treppe herauf und in Hellwigs Belle.
Was wollen Sie?"
Dabei stürmte er in seiner gewohnten Weise, den Bauch vorreckend, auf den Gefangenen los und berührte ihn. Nanu, man nich so dichte ran!" sagte der Knopfdrüder Was?... was?" Bartelmanns Zähne krirschten, et freidebleich.
ganz laut.
war
Was fagen Sie da?"
Und dann, sich besinnend, daß er ja selbst wieder die Ver