laufig zur Strafe für ihren Exzeß eine dreitägige Haftstrafezu verbüßen. Von draußen hörte man noch das Gekreischder Hysterischen.Ella Hellwig stand noch immer vor dem Richtertisch,aber sie hatte sich, ohne mehr daran zu denken, wo sie sichbefand, nach der Zeugenbank umgedreht. Hinter dieser warder Zuschauerraum, und in diesem stand krampfhaft dasLächeln auf feinem todblassen Gesicht festhaltend— Kurtvon Solfershausen.Während der ganzen Verhandlung hatte er draußen aufdem Korridor gestanden. Und sobald Ella den Gerichtssaalverlassen hätte, wollte er sie in seine Arme nehmen undwollte sie trösten l Er wollte ihr sagen, daß sie selbst ja ganzunschuldig sei an dem Schrecklichen, an dem eklen Jammer,der sie eine Zeitlang umfangen gehalten hatte wie ein Un-geheuer, dem der wegmüde Wanderer in den Rachen fällt,wenn er am meisten nach Ruhe und Frieden sucht... Erwollte sie küssen und ihr gut sein, so lange, bis sie die traurigeStunde und die schmachvollen Erinnerungen ganz vergessenhätte, die eine brutale Rechtspflege wachruft und mit denensie oftmals über das Schicksal eines Menschen für immerentscheidet l... Er wollte... ja, er wollte!...Ta!... was war das für ein Heulen?... Was tatman ihr, die er liebte?... Einen Moment, den er spätertausendmal bereute, verließ ihn seine ruhige Ueberlegung—er trat rasch in den Zuschauerraum, hörte noch die letztenwidrigen Worte jener Dirne und sah in das von Grauen ent-stellte Antlitz seines armen Liebchens...Er sah sie, fuhr niit der Hand über die Augen undglaubte, ein Spuk äffte ihn: Da, da, wo noch eben EllaHellwig gestanden, war niemand mehr!... Ella war fort!war fort!... Und so schnell er den Zuschauerraum verließ,so schnell er den Korridor und die Steintreppe hinabeilte—sie blieb verschwunden?Kurt wußte, daß er nicht hineingehen brauchte, um siezu suchen... Er ging und fand sie nicht... Und wartetevergeblich auf die Rückkehr, diesen und alle anderen Tage.(Fortsetzung folgt.)lNachdruck verboten.)Oer Kämpfer.Won Max Halbe.(Fortsetzung.)Natürlich kam ich auf alle möglichen Gedanken. JungerMensch! Da lernte ich also meine spätere Frau kennen. Sie warWirtschafterin auf dem Gut. Ich sah sie alle Tage. So ziemlichdas einzige weibliche Wesen, das in Betracht kam. Und man warzwanzig Jahre altl Sie siebzehn. Und die hübsche Nationaltracht!Ich verliebte mich eigentlich in die Tracht... Ja, Sie lachen!"„O, nein, durchaus nicht, bitte sehr! Ich begreife das voll'kommen. Ich kann mir das so gut vorstellen. Ich freue mich nur,wie Sie das alles so erzählen! So alles in dem gleichen Ton!Als ob das alles gar nichts sei! Und dabei doch wieder... Mankönnte die Fäuste ballen! Aber bitte, weiter!"„Ja, das sagen Sie! Mir war das damals auch gar nichts.Wir verlobten uns einfach. Ich wollte sie schlankweg heiraten.Als ich das nach Hause schrieb, da war der Teufel los. Natürlichsetzte ich erst recht meinen Kopf auf. Hätte man mich irgendwiedarauf aufmerksam gemacht, wie ich mir das eigentlich dachte!wovon wir leben wollten! wie das werden sollte! Wer weih, obich mich nicht besonnen hätte! Aber da kennen Sie meinen Vaterschlecht. Kein Wort von so etwas! Von vernünftigem Vorstellen!Bloh Flüche und Vorwürfe! Mein Stand und ihr Stand! Ent'erbung und Verstotzung und solche Scherze mehr! Natürlich hieltich nun erst recht fest.Da kam mir der Gedanke mit Amerika. Ich stellte mir dasin den glänzendsten Farben vor. Es konnte mir gar nicht fehlen.Meine Frau stimmte mir bei. So zogen wir los. Drüben heirateteich sie. Und hinter mir warf mein Vater mir seinen fürchterlichstenFluch nach. Es ist damals ein Dokument aufgesetzt worden, worinich feierliehst enterbt wurde. Mich lieh das alles kalt. Mit meinemVater war ich fertig."„Und wie stehen Sie heute zu Ihrem Vater?"„O�ganz gut! Natürlich war ich nicht untergegangen. Ichbrachte sogar noch Geld mit. Was denken Sie sich, das imponiertedoch meinem Vaterl Solchen Leuten imponiert nur der Erfolg!Er hielt es für seine Pflicht, äuherlich wieder anzuknüpfen, undich kam ihm entgegen. Aber wir sind uns fremd. Er weih, wasich von ihm halte. Das sind alles Vorurteile, mit der Vaterliebeund sonst! Ich kenne keine Vaterliebe! Ich kenne nur noch dieallgemeine Menschenliebe und vielleicht die Mutterliebe! Vielleicht!Ich bin mir noch nicht klar, ob das nicht auch nur Egoismus ist.Aber alle» andere ist Vorurteil!Vorurteile? Ja, die brachte ich genug mit nach drüben. Dasist der Vorteil, wenn man rauskommt, in«in fremdes Land. Sieglauben gar nicht, wie mir das hier alles verbarrikadiert vorkommt IJetzt! Mir ist das alles so klar. Ich begreife gar nicht, daß dieLeute das nicht einsehen. Aber damals war ich selbst so voll-»gepfropft mit Vorurteilen. Das muhte ich alles über Bord werfen.Wenn ich zurückdenke, wundere ich mich, dah ich nicht untergegangenbin. Es hat auch ein paarmal nicht viel gefehlt.Zuerst fingen wir ein Barbiergeschäft an. Denken Sie sich,aufs Geratewohl ein Barbiergeschäft!Wir blieben in New Jork. Englisch konnte ich nicht. MeineFrau natürlich auch nicht. Ich hatte don Hause noch tausendDollar mitbekommen, als Reisegeld. Mein Vater war ja froh,dah er mich los war! So, als letzte Abfindungl Die gingennatürlich drauf. Nach drei Monaten waren wir fertig. Und dannging erst das Leben los. So lange waren wir ja Bourgeois ge-Wesen, immer noch Europäer. Aber dann kam's! Tann kam'S...!"Mein Genoffe atmete tief auf, während wir schon durch diemenschenleeren Ströhen von Charlottenburg schritten und unterunseren Sohlen das Pflaster klirrte, dah die Häuser den Klangzurückwarfen, die dunkelen Häuser mit ihren erloschenen Fensterngleich stieren Augen. Und mein Nachbar erzählte weiter in seinergedämpften Art und schwenkte seinen Stock, und daS dumpfeDröhnen unserer Schritt« geleitete uns.„Ich weih, was das heiht, Proletarier werden! Ich Hab' daskennen gelernt, wie man so allmählich vertiert! Wenn ich abendsnach Hause kam, von der Arbeit, in der ersten ZeiHegte meine Frauimmer eine weiße Decke über den Tisch, das Essen stand auf derDecke, und Teller und Messer und Gabeln dabei. Da waren wirnoch bürgerlich angehaucht. Da mutzte noch alles nach was aus-sehen. Sonst fühlten wir uns nicht wohl. Aber nachher kam fürdie weiße Decke ein Wachstuch, und dann blieb das auch weg. DasEssen stand auf dem bloßen Tisch in einer Schüssel, und ich fuhrmit dem Löffel hinein und aß mit einer Gier! Da macht maukeine Umstände, wenn man den ganzen Tag auf dem Gerüst ge-standen hat. Da wird einem alles gleich. Bloß satt werden! Sattwerden? Ich schlang das herunter, und wenn ich voll war, gingich ins Nebenzimmer und warf mich aufs Bett. Manchmal brannteich mir noch eine Pfeife an und las in'ner deutschen Zeitung.Aber schließlich auch das nicht mehr! Kaum lag ich, dann schliefich und gleich durch bis zum Morgen. Und am Morgen ging'svon neuem los. Ja, da sah ich erst, was das Leben war! Dalernt' ich's erst von der richtigen Seite kennen! Das muß mandurchgemacht haben! Und dann keine Aussicht, daß es mal anderswird! Proletarier bleiben!"„Ja, da liegt's," warf ich ein.„Proletarier bleiben!. Waswaren Sie, wenn ich fragen darf?"„Ich polierte zuerst. Aber damit war nichts zu verdienen.Das wird schlecht bezahlt dadrüben. Was blieb mir weiter übrig!Ich verstand ja nichts. Ich war froh, daß ich dabei ankam. Ichwar ja so schrecklich unpraktisch! In seder Beziehung! Ich fandmich furchtbar schwer in das Leben! Auch mit der Sprache undmeinen Kollegen! Das machte mir alles solche Schwierigkeiten,mich da hineinzufinden! Das waren die Früchte meiner Erziehung.Erst allmählich ging mir das auf. Ich mußte das alles erst lernen,eigentlich von der Pike anfangen. Die einfachsten Handgriffe?Dabei kam ich nicht weiter. Ich war zu schwerfällig, das ganzeSystem ekelte mich an. Diese wahnsinnige Konkurrenz! Diesgegenseitige Uebertölpeln! Dies Ducken nach oben und Drückennach unten! Das wurde mir alles viel schwerer als den anderen.Ich empfand alles so schrecklich!....Ich wehrte niich, so lang es ging. Aber ich kam nicht weiter.Bis mir das Wasser am Halse saß Ich hatte die Wahl, unterzu-gehen oder es zu machen wie die anderen. Mit meinem Lohn alsPolierer war nicht zu leben. Meine Frau hatte eine Stelle als Auf-Wärterin, nachher als Dienstmädchen. Aber das half auch nicht viel.Da war guter Rat teuer. Das Schiff war am Versinken.Aber ich hatte schon ausgelernt. Ich sah, wie's die anderenmachten. Ich war schon geschmeidiger geworden. Ich sagte mir:Jetzt machst Du noch einen letzten Versuch. Wenn der mißglückt,dann gibst du's auf. Aber frech! frech!... Ich wußte, daßLackierer besser bezahlt wurden. Es wurde damals viel gebaut. Ausden Neubauten braucht man Lackierer. Wissen Sie, zu den Türenund Fenstern und so weiter. Ich hatte keine Ahnung, wie mandas macht. Aber warum sollte ich das nicht ebenso gut können wiedie anderen? Sie sehen, ich paßte mich schon an.Ich ging einfach zu einem Unternehmer. eS war ein fürchterlicher Schinder, und fragte, ob ich eine Stelle als Lackierer be»kommen könne. Er fragte mich:„Haben Sie schon lackiert?"„Ver-steht sich", antwortete ich,„sonst stund' ich nicht hier."„Wo?'"fragte er._„Da und da", sagte ich und wußte natürlich, daß ernicht nachfragen würde.„Wieviel verlangen Sie?" fragte er.„Unter sieben Dollar die Woche kann ich's nicht machen."„Schön",sagte er,„sollen Sie haben, aber leisten Sie nichts, werden Sie ent-lassen."„Versteht sich", sagte ich und ging. Die Stelle hatte ichalso.� Am nächsten Morgen trat ich an. Ich sah so'n bißchen von derSeite, wie's die anderen machten, und fing an. Erst so, dann so.Das ging ja. Aber neben mir stand einer, der war hingesetzt, auf-zupassen. Den kaufte ich mir. Ich horchte ihn erst ein bißchen aus.Er schien zugänglich. Ich gab ihm Schnaps und versprach ihm dieHälfte von meinem Wochenlohn der ersten Woche. Dafür zeigte er