ganzen Sumpf entlang. Er war also umgeschmiffen worden, hatte fich nicht wieder aufzurichten vermocht, hatte fick aber nun, um sich gegen die Schläge und Bisie des wütenden Pferdes zu schützen, weiter und weiter gewälzt, und das konnten sie bis auf den festen Boden hin verfolgen. Erregt von der frischgebackenen Kunde, die der Kampfplatz gab, wurden die Knechte hellhöriger und schlauer, und nun konnten sie in der stillen, sonndurchzitterten, nach dem Regenwetter noch feuchten Lust die Schellen der Stute aus dem Laubwalde am Fuße der Berghalde hören. Sie eilten hin. aber Blacken stürzte ihnen entgegen und verbot ihnen mit feucrsprühen- den Augen, näherzukommen. Er war nicht wieder zu erkennen. Mit hocherhobenem Kopfe und wallender Mähne trabte er in großen Kreisen um Stute und Fohlen herum, und erst nach vielen guten Worten und mit Hilfe von Salz, das sie bei sich hatten, gelang es, ihm wieder in Erinnerung zu bringen, daß es gute Freunde waren, die da kamen. Aber diese Großtat Blackens, die einzig in ihrer Art dastand, verbreitete um seinen Namen einen solchen Glanz, daß sein bisheriger Namen.Pastorblacken" zu„Bärenblacken" erhöht wurde. Ein übers andere Mal, Jahr für Jahr, hatte er einen Strauß mit dem Bären, und jedesmal war er noch lange nachher nicht zu bändigen. Einmal kam er mit Merkmalen von den Klauen des Bären heim. Ein alter Riese, der ihm seine Klaue dicht unter den Augen eingesetzt und, als das Pferd seinen Kopf losließ, ihm eine fürchterliche Schmarre heruntcrgekratzt hatte. Einen so alten Hengst fcharfbeschlagen auf die Trift zu lassen, war sonst gefährlich; allein die Pferde kannten ihn und flohen, und wenn auch eines oder das andere noch dumm genug war, sich verhauen zu lassen, so hatte man doch Nachsicht mit Blacken, um seines großen Ruhmes willen. Ein Pferd, das den Bären unterkriegte, mußte ja tun dürfen, was rS wollte. Wie bewundert er war. konnte man am besten sehen, wenn wir. was selten geschah, gezwungen waren, ihn als Kirchenpferd zu ge- brauchen. Sollte die ganze Familie nebst Haushälterin und �aus- lehrer fahren, so mußte Blacken drei oder vier von uns in ei.wm alten Gig fahren, in dem man„nicht bloß zu eitler Lust" saß. Sx' keines der gewöhnlichen Staatsgcschirre groß genug war, mußte er in seinem Arbeitsgeschirr einhertrotten, und da ihm die schwere, widerhaarige Mähne in die Augen hineinhing, sah er just nicht danach aus, als wäre er auf der Kirchenfahrt. Man mutzte ihn immer zuhinterst fahren lassen, denn einmal wollte er nicht laufen, sondern nur langsam wie vor dem Arbeitskarren gehen, und dann wollte er mit seinen Insassen in alle die Waldwege, an die er ge- wöhnt war, hinauf. War er jedoch der hinterste in der Reihe, so folgte er. wenn auch auf eigne Weise: wenn die anderen Pferde liefen, machte Blacken Sprünge, und so kamen die. die im Gig saßen, ruckweise oder wie auf hoher See an, und einmal sogar mit wirklicher Seekrankheit. Bei der Kirche trat dagegen«ine voll- kommene Veränderung ein. Dort waren nämlich viele andere Pferde; er erhob sofort den Kopf und stieß einen herausfordernden Kampstuf aus. Dieser wurde von allen Seiten ringsum beant- wartet, und nun wollte er mit dem Gig los, wurde aber gehalten, ausgespannt und angebunden. Ein ganz besonderes Spannstück wurde stets für ihn mitgenommen, und dann wurde er nach einem Platze dicht unter dem Felsenabhang gebracht, damit er so fern wie möglich von den arideren Pferden wäre. Aber er wollte dahin, zerrte am Riemen, hob sich auf den Hinterbeinen, schüttelte die Mähne und wieherte ins Tal hinunter. Um ihn waren mehr Men- schen versammelt als in der Kirche. Wenn er einen Augenblick ruhig war, streichelten sie ihn und maßen seine Brust, seinen Hals, seine Lenden, griffen wohl auch nach seinem Maule, um sein Ge- biß zu betrachten: sobald aber eines der anderen Pferde wieherte, riß er sich los, richtete sich auf und wieherte zurück,— das deuchte alle der herrlichste Anblick, den sie je gehabt hatten. Ich meincsteils bin wohl nie wieder auf irgendetwas so stolz gewesen, wie ich da- mals auf Blacken war, wenn ich unter den Bauern stand und die saftigen Lobsprüche mit anhörte. Und hier auf der Höhe seiner Siegeslaufbahn will ich ihn ver- fassen. Ich kam in die Welt hinaus und bekam andere Ziele für meine Bewunderung und andere Helden als Borbild. Ver englische MaKlreformKampf von 1830 bis 1832. L Die farblose und die mittelparteiliche Presse möchte gern glauben machen, daß eine Wahlresorm am ersten zu erhalten sei. wenn man sich auf bescheidenes Bitten beschränke und vor allem sich hüte, auf irgend eine Art das Mißfallen einer hohen Polizei zu erregen. Diese Herrschaften halten uns immer gern England als Muster vor, von dem man politisch lernen könne. Wenn aber England in der Me- thode dcS WahlrechtSkampfeS als vorbildlich gelten soll, so müssen sich die liberalen Leisetreter eine andere Kampfesweise an- geivöhncn atS bisher. Die erste siegreiche, große Wahlrechts- bcwegung ist der englische Reform kämpf von 1830 b i S 1822. Man kann davon immer noch einiges lernen, wenigstens in bezug auf die Energie, mit der ei» solcher Kampf geführt werden muß, um znm Ziele zu gelangen. Was daS Ziel selber angeht, so ist die englische Neformbewegnng steilich nicht alS vorbildlich zu betrachten. Sie ging nämlich von bürgerlicher Seite au» und wurde von den Massen unterstützt, insbesondere von den Arbeiter», die, soweit sie schon einiges Klasienbewußtiein besaßen, zwar bereits dos allgemeine Wahlrechi verlangten, aber in ihrer Masse noch nicht weil genug waren, einen Kampf dafür selbständig zum Siege zu führen. So ließ sich das Proletariat mit vagen Per- sprechungen abspeiien und unterstützte mit dem größten Nach- druck als der eigentliche Gewallhaufe des WahlrechtSkampfeS diese bürgerliche Bewegung, deren bürgerliche Namr schon daraus zur Genüge spricht, daß ein Zeniuswablrecht an Stelle der bisherigen Karikatur eines Wahlrechts treten sollte. Das Unterhaus kam bis dahin immer noch auf Grnnd von schier vorsündflutlicven Bestimmungen zustande, die die Masse der Be- völkcrung fast überall vom Wahlrecht ausschlössen. Auf dem Lande hatten nur Grundbenyer das Stimmrecht, in den meisten Städten nur die Mitglieder einer geschlossenen Clique von Spießbürgern, die auch die städtischen Aemrer in den Händen hatten. Dabei waren die durch die industrielle Entwickelung hochgekommenen Städte teils ungeeignet, teils gar nicht im Parlament vertreten. Hingegen hatten zahlreiche Flecken, die nur noch eine ganz un- bedeutende Einwohnerzahl auswiese», das Recht, Abgeordnete ins Parlament zu schicken. Und in diefen Hunderten von„verfaulten Berggflecken", von denen 75 jeder unter 50 Wähler hatten,� kam eben die„Wahl" darauf hinaus, daß die Wähler— Krämer, Wirte usw.— entweder ans wirtschaftlicher Abhängigkeit so stimmten, wie die benachbarten Großgrundbesitzer verlangten. oder aber geradezu gelaust wurden. Wie der Stimmhandel so spielte auch der Mandathandel eine große Rolle. Für gewöhn» sich verfügten die verbündeten Klassen der großgrundbefitzenden Aristokratie und der Finanzaristokratie über die Mehrzahl der Mandaie und schickten eine starke Majorität konservativer TorieS inS Unterhaus. Mit diesem Zustande wurde die großindustrielle Bourgeoisie je länger um so mißvergnügter. Sie verlrat damals der konservativen Schutzzöllnerei gegenüber steihändlerische Tendenzen und wollte ihre wirtschaftlichen Interessen im Unterhause zur Herr- scbaft bringen. Dazu aber bedurfte eS eines anderen Wahlrechts und einer anderen Wahltreiseinleiiung. Den Kamps gegen das herrschende Junkertum machten die anderen Schichten des Bürgertums, mittleres und Kleinbürgenum, mit. aber auch das Proleiariat. Bei den Massen waren die Grundherren aufs äußerste verhaßt durch ihren Brotwucher wie durch ihre eigennützige Steuerpolitik, die alle Lasten in Gestalt indirekter Abgaben aufs Volk wälzten und fich mit den StaatSgeldern mästeten. Eine wohlfeile Re- gierung wurde vom Volk erhofft, wenn eine Wahlresorm zustande tämc, und man erwartete überhaupt eine Besserung der traurigen materiellen Lage, wenn ein reformiertes Unterhaus nicht mehr von der bisherigen Clique von Bcuiepolitikern beherrscht würde. Fanden demnach die liberalen Reformer außerhalb des Parlaments warme Bundesgenossen an den Volksmaffen, so wurde ihnen im Parlament die allerdings nicht sonderlich warme Unterstützung der Minderheits- Partei, der Wbigs. Seit langer Zeit in de? Minorität und nicht ganz so koniervuliv wie die Tories, obwohl gleichfalls unter aristo» statischer Führung, intereifierten fich die Whigs jetzt für die Wahl» rechiSsrage, wobei sie aber zunächst in der ärgsten Hcu'hheit stecken blieben, um erst hernach durch den Druck von außen weiter getrieben zu werden, als sie je gedacht hatten. Roch im Februar 1820 halte das Unterhaus einen lahmen whiggistischen Reformanlrag Ruffell abgelehnt. Derweil wurde daS Verlangen nach einer wirklichen Reform im Lande lauter und lauter. Neben den beschränkten Wünschen der Mittelklaffe und ihrer Reform- vereine, die überall aus der Erde schössen, machte sich auch das Ver- langen nach dem allgemeinen Wahlrecht geltend. So entstand neben einem bereits bestehenden Birmingbamer Verein für allge- meines Wahlrecht ein großer Londoner Verein, der kurz nach der Ablehnung des Russellschen Antrages seine erste Ver- iammlung abhielt und allgemeines Stimmrecht, aber auch ein Zu- sammengcben der unteren mit den Mittelklaffen im Resormkampf wollte. Einen großen Antrieb gab. der Reformbewegung die im Juli de« Jahres 1820 in Paris zum Siege gelangende Revolution. die aus der britischen Seite des Kanals mit großer Begeisterung begrüßt wurde. Diese Stimmung wirkte kräftig ein auf die Wahlen, die bald darauf in England erfolgten und durchaus unter dem Einfluß der Wahlrechtssrage vor sich gingen. DaS Parlament war Ende Juli ausgelöst worden, weil der König Georg IV. endlich zu Grabe getragen worden war; sein Nachfolger Wilhelm IV. galt für einen Freund der Whigs und einer gemäßigten Reform. Seine Haltung war aber eine sehr zweifel- hafte. Die Wahlen ersetzten zahlreiche Anhänger des alten Systems durch mehr oder minder entschiedene Freunde einer Reform. Eines der Londoner Reformblätter konstatierte als Gesamteindruck des Wahl- ergebnisics. das Volk, das Eigentum besitzt, beginne einzusehen, daß es der Willkür eines Hausens betitelter Bettler preisgegeben sei. Die Erregtheit der Stimmung kam in der Tat schon bei Eröffnung des Parlaments dadurch zum Vorschein, daß der Premierminister Wellington beim Rachhauiereiten von einer riesigen Menge mit Pfiffen empfangen und mit einem Steinbagel begrüßt wurde, der ihn zwang, in gestrecktem Galopp das Weile zu suchen. Den König geleiteten nach der Thronredesitzung die seindseligen Rufe der Masse gegen die Minister und die Polizei nach Hause; im unmittel- baren Anschluß kam es zu einem heftigen Zusammen- stoße mit der Hermandad, wobei diese nicht in der üblichen Weise ihr Mütchen kühlen konnte, sondern
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27 (11.2.1910) 30
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