1900 wurde et aufs neue in Paris mit Ehrungen überhäuft. Bis nach Mexiko und Kuba hat der Bielbcwegte seine Reisen aus« gedehnt. Und doch ist er der Heimat treu geblieben. In Gopsmor, :em Ufer eines Gebirgssees, mitten in mächtigen, uralten Wäldern, hat er sich vier Bauernhäuser, echte dalekarlische Holzhäuser, auf- Ischlagen lassen und malt und radiert dort die starken, breithüftigen blonden und rotbäckigen Baucrnmädel, nackt, wie sie Gott geschaffen shat. Das Licht in seiner Einwirkung auf den Körper hat ihn von jeher interessiert. Dazu brauchte er natürlich nackte Modelle. Die badende Frau, die vorsichtig am felsigen Seeufer hinabsteigt, von IbSS, ist wohl von diesen Freilichtschöpfungen die vollkommenste, Das Ausprobieren aller Lichtwirkungen nur in Schwar�Weiß, in der Technik der Radierung, hat ihm auch vor allem die unbegrenzte Hochschätzung der Franzosen eingetragen. Denn die malerischen Aufgaben des Impressionismus sind es, die er als Griffelkünstler gelöst hat. Wohl auch als Maler. Seine Oelmalerei ist abge- schlössen, fertig, vollendet wie seine graphische Technik. Sie zeigt Leben und Unmittelbarkeit. Das blühende Fleisch seiner Frauen- leiber erinnert an Rubens . Wer den nackten Körper so liebt wie Zorn, der mußte ihm mit der Oelfarbentechnik beizukommen suchen. Im Dämmerlicht des Waldcsdickichts oder im roten Schein des Herdfeuers hat er seine strammen Dalckarlierinnen gemalt. Des- gleichen wußte er für vornehme, breit hingesetzte Bildnisse die unter- stützende Kraft der saftigen Töne, die mit der Oelfarbe heraus- zuholen sind, Tvohl zu schätzen und auszunützen. Den schwarzen Frack, die bunte Uniform, das helle Gesellfchtftskleid der Dame weiß er zur Charakterisierung der Persönlichkeiten zu verwenden und immer die Farben aufs Feinste zusammenzustimmen. Ueberall ist insbesondere der flotte Schwung seiner Pinselführung zu be- Wundern, der all seinen Bildern die besondere Frische gibt. Nir- gcnds kommen diese Vorzüge mehr zur Geltung, als auf seinem Selbstbildnis in den Uffizien zu Florenz , der berühmtesten und köstlichsten Gemäldesammlung Italiens . Jeder Jtalienfahrer nimmt von Florenz oen Namen Anders Zorn mit heim, wenn er es nicht versäumt, die Selbstbildnisse der Maler zu betrachten, denn seines überstrahlt alle übrigen Modernen. Und trotz seiner Meisterschaft als Maler ist er als Radierer doch noch bedeutender. Diese Technik entspricht seiner Natur noch mehr. Ganz Bewegung, Unmittelbarkeit, Kraft, Fülle und Deut- lichkeit kann er sich erst da ausleben, wo er feine Einfälle gleich ifcrtig hinwerfen kann, wo auch die augenblicklichen Eingebungen einer g�jstdurchtränkten Beobaibtung zum Ausdruck kommen. Er ist kein Phantasiekünstler und Grübler, sonst würde er sich in sein EehäuS einspinnen und Welt Welt sein lassen, sondern im Gegen- teil Realist, Wirklichkcitsschilderer. Ein Mensch mit einem unge- wöhnltch entwickelten Instinkt für das Wesentlichste in allen Er- schcinungcn und dabei ein Künstler von der höchsten Empfänglich- leit für die Schönheitswerte seiner Umwelt. Eine Entdcckernatur, den die Furcht davor, es könne ihm eine von den Schönheiten der Welt entgehen, immer wieder in die Weite treibt. Ein Schätze- sammler, wie Oskar Wilde einer gewesen ist. Er weiß viel zu gut in der Welt Bescheid, um nicht die sozialen Besonderheiten hcrauszuspüren. Das, was ihn zum modernen Künstler stempelt, ist die Charakterisierung seiner Porträtfiguren als Klasscnangchörige. Das, was der kürzlich verstorbene R e z- n i c e k sein wollte und nach dem Urteil kurzsichtiger Kleinbürger auch war, der untrügliche Schilderer der vornehmen Gesellschaft, das ist Anders Zorn in seinen Radierungen wirklich. Ein Tropfen seiner Satice hilft ihm die Platten ätzen, wenn die Säuren die Linien von seiner sicheren Hand vertiefen. Die Tanzgesellschaft im Salon, ein Meisterstück der Bewegung, oder die bunt gewürfelte Gesellschaft im Pariser Omnibus im harten Licht des Winter- morgens: der blasse Geschäftsmann mit dem Seidenhut neben dem schlafenden Arbeiter mit dem Barett und dieser neben der zarten Modistin mit ihren Riescnschachteln, und dann all die unzähligen Künstler, Gelehrten, Großkapitalistcn. Fürsten und ihre Frauen, alle sind sie mit den knappsten Mitteln gekennzeichnet. Die Bügel- Ifalte der Hose, der seidene Aufschlag des Fracks sind dabei ebenso richtig wie die Haltung des Kopfes, die Stellung. Ein Freiherr konnte die Gesellschaft nicht beobachten wie der Proletarierfohn, der hon außen an sie herantrat. Und der Freiherr V. Reznicek war hon vornherein ein schwächlicher, dekadenter Routinier, während Anders Zorn ein kraftstrotzendes, ursprüngliches Temperament ist, hin stets Lernender und unermüdlich Aufsteigender. Die Welt hat Respekt vor ihm. Dr. Hermann Hieber. kleines femUetou. Volkskunde. Der böse Blick. Das Thema Aberglaube ist jetzt in der Wisienschafr beliebter denn je. Und zwar handelt eS sich fast bei jedem neuen Opus, das herauskommt, nicht etwa darum, dem Aberglauben einen letzten tödlichen Streich zu versetzen, sondern man unterbreitet ihn objektiv, rubriziert, katalogisiert, eruiert und liebkost ihn förmlich bis i» die letzten Winkel vergessener Folianten hinein, wo noch Hokuspokusse schlummern, die kein Lebender mehr anwendet. Die Hochachtung, mit der man unter der Flagge einer Volkskunde, Volksmedizin oder Volkspsycholoaie so viele Streifzüge in das Gebiet geistiger Finsternis unternimmt, ist die natürliche Reaktion auf jenen krassen Materialismus, dem die Medizin in dem Augen« blick erlag, als das Mikroskop als allein seligmachendes Erkenntnis« mittel triumphierte. Borniert und fanattsch zugleich, wie eS nun einmal gute medizinische Tradition ist, verhöhnte man zwei Generationen hindurch alles, was nicht nach Cellularpathologie roch. Nun, der Rückschlag ist, wie gesagt, seit einiger Zeit da und wird sobald noch nicht abflauen. Das Werk des Hamburger Augenarztes Dr. Seliamann Der böse Blick"(2 Bände, Verlag Barsdorf) gehört in diesen Zusammenhang. Er legt den Gegenstand materialmäßig dar und macht dann den Schluß, daß eine Reihe von mißverstandenen Beobachtungen am Menschen- und Tierauge zu dem Glauben führte, da? Auge sei der Sitz der Seele; daß ferner eine Reihe von Er« scheinungen, die sich der primitive Naturmensch nicht erklären konnte. mit der im Auge wohnenden Seele in Zusammenhang gebracht wurde, wobei die SuggestionSwiekung des starrenden Blicks be» sondere Erwähnuug verdient. Hieraus habe sich nun die An» schauung entwickelt, daß die Seele das Auge verlassen und am anderen Orte Unheil stiften könne. Diese Schlußfolgerung, die gerade die letzte von rund tausend Druckseiten anfüllt, macht sich etwas kahl und befriedigt wenig. Verfasser hat auf dem ganzen übrigen Raum einen gut sortierten Zettelkasten abdrucken lassen, der nur beweist, daß er an 2000 Werke, wenn auch nicht immer im Original, auf sein Thema hin durchgesehen hat. Niemand kann derartigeslesen". Es ist hier eine Verwechselung zwischen gelehrt und unlesbar unterlaufen. Die Jnventuraufnahme aller bösen Blicke des Erdballs, auch wenn sie zwanzig Jahre währte, durste nur die erste Etappe einer solchen Arbeit oarstellen. Au» dem fleißigen Material mußte allein das Typische und besonders Auffällige zur Druckerschwärze befördert und der Umfang der Untersuchung dann weit über das bloß Philologisch- Pathologische hinaus ausgedehnt werden. Denn der böse Blick ist ein Symptom neben anderen von einer komplizierten Entwickelungskrankheit der Gattung homo sapiens, einer Krankheit, die sich ohne kulturelle und soziale Ausschau gar nicht diagnostizieren läßt. Alfred Kind. Medizinische?. Die Sterblichkeit an Appendizitis. Außerhalb der ärztlichen Kreise gebraucht man auch für die Appendizitts, die jetzt vielleicht die meisten aller Operattonen veranlaßt, gewöhnlich die allgemeine Bezeichnung Blinddarmentzündung, weil jener Begriff nur auf umständliche Weise als Entzündung des wurm» förmigen Blinddarmfortsatzes ausreichend wiedergegeben werden könnte. Der Unterschied ist natürlich sehr bedeutend, weil dieser Fortsatz nur ein verhältnismäßig kleines, unwichtiges Anhängsel des Blinddarmes ist und ohne Schaden und Gefahr beseitigt werden kann, wenn nicht die Entzündung schon weiter um sich gegriffen hat oder andere ungünstige Um- stände hinzukommen. Ein Arzt, der eine ungewöhnlich ausgedehnte Erfahrung in diesen Operationen besitzt, Dr. Le Grand Guerry, hat imJournal der Amerikanischen Medizinischen Bereinigung" eine Abhaudluug über die Sterblichkeit an Appendizitts auf Grund von S45 Operationen, die er in den letzten vier Jahren ausgeführt hat, veröffentlicht. Von diesen Kranken starben nur zwei, was den außerordentlich geringen Verlust von 0,3 Prozent ergibt. Der Sach- verständige teilte jene große Zahl von Operattonen in mehrere Gruppen. um die Sterblichkeilsgefahr nach den verschiedenen Umständen zu untersuchen. Bei 240 der Fälle handelte eS sich um chronische Ent« zündung, die in einer Ruhezeit operiert wurden. Von diesen Kranken. starb kem einziger, und der Arzt mein», daß sollhe Patienten über- Haupt eine sichere Aussicht auf Heilung durch die Operation haben. wenn nicht unvorhergesehene Unglücksfälle eintreten. Zu der zweiten Gruppe gehören 92 Fälle akuter Erkrankung, die innerhalb von höchstens 36 Stunden nach deren Eintritt operiert wurden. Hier scheint die Schleunigkeit des Eingriffs entscheidend zu sein. und der Chirurg empfiehlt daß dieser stets sofort vor­genommen werden sollte, sobald da« Leiden sicher erkannt ist. Alsdann ist die Aussicht gleich günstig wie bei der vongen Gruppe. und nur in dem dritten Fall, daß akute Erkrankungen erst am dritten oder vierten Tage operiert werden, wächst die Lebensgefahr. Leider ist diese Verzögerung sehr häufig, denn von jenen 646 Fällen stellten 213 den Arzt vor diese Ausgabe. Bekam er den Kranken überhaupt erst am dritten oder vierten Tage zu sehen, so wurde nicht sofort operiert, sondern die Zeit der großen Gefahr abgewartet und der Eingriff erst einige Tage später vorgenommen. In diesem Punkte bestehen bei den Ehirurgen noch große MeinungS- Verschiedenheiten, aber Dr. Legrand hat die Ueberzeugung gewonnen, daß er seinem Verfahren die geringe Sterblichkeit zu danken hat. Er bekennt, daß er mit diesem Standpunkt auch dem Kranken gegenüber oft eine schwierige Stellung hat, weil dieser gewöhnlich die soforttge Operatton verlangt und Mißtrauen gegen den zögernden Arzt schöpft. Die Zahlen sprechen jedenfalls deutlich zugunsten dieses Verfahrens, und die beiden einzigen Todesfälle, die Dr. Le Grand Guerry zu beklagen hatte, bezogen sich auf einen Kranken, der gleichzeitta an Nierenwberkulose litt, und auf einen anderen, eines erst siebenjährigen Mädchens, da» erst am zehnten Tage zu ihm gebracht wurde._ fverantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin. Druck u. Verlag: Vorwärr««uch»ruckerei u.«erta«»anjtall Paul Singer SlEo..«erlinLA�