1

164

nur gegenseitige Ergänzungen wären. Man braucht nicht lange zu suchen, um genügend Material als Belege dieser Anschauung zu finden. Da tut es denn einmal ordentlich wohl, in ein Fürsten­basein hineinzusehen, das sich bei allen dunklen Schattenseiten eines Herrscherlebens doch durch eine oft bis zur Frivolität gehende derbe Ehrlichkeit auszeichnet.

Einen solchen Einblic gestattet ein soeben erscheinendes felt­sames Buch, das der Verlag Langewiesche- Brandt( München ) unter; dem Titel: Eine preußische Königstochter" als ersten Band einer Reihe menschlich- allzumenschlicher Lebensdokumente aus vergange­nen Jahrhunderten herausgibt. Es ist eine Neuauflage der vor just einem Jahrhundert bei Cotta erschienenen" Denkwürdigkeiten ber Markgräfin von Bayreuth ", die kurz nach dem Zusammenbruch des preußischen Staates ein ungeheures Aufsehen erregten, weil darin die Zustände am Berliner Hof von einer Kennerin ersten Ranges beleuchtet wurden. Die Verfasserin war die Tochter des alten Pedanten und Soldatennarren Friedrich Wilhelm I. und bie Schwester des alten Friz. Sie muß ein geist- und temperament­bolles Frauenzimmer gewesen sein und war lange Jahre hindurch die einzige Vertraute ihres Bruders. Welchen Grad diese Ver­trautheit erreichte, geht aus einem in der Literatur wie in der Geschichte wohl einzig dastehenden, im Anhang dieses Buches mit geteilten Briefwechsel zwischen ihr und ihrem Bruder hervor, den fie ihren Schoßhund mit der Hündin ihres Bruders führen läßt. Voltairescher Zynismus wechselt darin mit graziöser Anmut und die umständliche Briefrhetorik des 18. Jahrhunderts mit er­schütternden Durchbrüchen rein menschlicher Empfindungen. Die beiden verliebten Hunde teilen sich ihre Verachtung für das Menschengeschlecht und die Gefühle ihrer Herrin und ihres Herrn mit; sie bekennen einander aber auch und das ist der Punkt, wo der Briefwechsel auch für nicht zimperliche Naturen von heute unverständlich ist, da die Briefschreiber Bruder und Schwester sind ihre rein fleischlichen Sehnsüchte. Wenn die Schwester ihren Hund nur weiblich reserviert sprechen läßt, so antwortet die Hündin des Bruders recht deutlich folgendermaßen:

-

Aber, liebreizender Folichon( so heißt das Windspiel der Markgräfin ), wollen wir Bergnügungen nur in der Erwartung genießen? Wollen wir nicht der Wirklichkeit entgegenführen, was die Sehnsucht unserer Herzen und den Gipfel unserer Wünsche aus­macht? Wollen wir auch so verrückt sein wie die Menschen? Die nähren sich mit Wünschen, übersättigen sich mit Hirngespinsten, und während sie ihre Zeit mit nichtigen Projekten verlieren, er­faßt sie heimlich der Tod und hebt sie hinweg mit all ihren Plänen. Lassen Sie uns weifer sein, lassen Sie uns nicht dem Schatten nachlaufen, sondern die Sache selbst ergreifen."

Was unter der zu ergreifenden Sache bei diesem sehr real­politisch veranlagten Hund verstanden ist, geht aus dem Anfang des Liebesbriefes der Hündin hervor, der troß seiner stilistischen Biselierkunst mit seiner Pointe gegen den bürgerlichen Hund" von einer einfach überwältigenden unfreiwilligen Komit ist: " Ich bin eigentlich nicht daran gewöhnt, Artigkeitsbezeugungen entgegenzunehmen, ich habe immer die strengste Keuschheit der Damen meines Landes beobachtet und jeden romantischen Helden­mut durch ein kleines Abenteuer, bei dem ich mir meine Taille ein wenig verdarb, eingebüßt, aber Folichon verzeihe ich, was ich einem bürgerlichen Hunde nicht hingehen lassen würde." Die Verfasserin des Hundebriefes war schon fünfzehn Jahre verheiratet, als sie ihren Hundebrief schrieb. Und obwohl der alte Frib, diese seltsamste Erscheinung auf einem Fürstenthron, in sexueller Hinsicht gar nicht einwandsfrei war, so ist doch nach dem Inhalt des übrigen Briefwechsels zwischen ihm und der Mark­gräfin von Bayreuth nicht anzunehmen, daß es sich um mehr als geistige Geschwisterliebe, allerdings auf dem unter französischen Einfluß nicht sehr verwunderlichen Hintergrund ästhetischer Sodomiterei gehandelt hat.

ganze Ladung fiel mir, ohne mir den geringsten Schaden zu tun, auf den Leib. Meine Hofmeisterin schrie ohne Aufhören wie ein gerichteter Sünder: 0, mein Gott und Heiland, erbarme dich meiner. Ich fragte sie: ob sie sich wehe getan hätte? fie verneinte und fuhr fort zu schreien. Der ganze Auftritt war so tomisch, daß ich, beladen wie ein Maulesel unter all meinem Gepäck vor Lachen fast erstickte."

Dieser Kleine Ausschnitt wirkt in seiner Lebendigkeit und kulturhistorischen Anschaulichkeit wie eine Zeichnung des alten Kupferstechers Chodowiecki .

Die Pfaffen mochte die Bayreutherin ebensowenig wie ihr Bruder. Köstlich ist die Schilderung von Geistlichkeit und Adel bei einem Empfang in der damaligen markgräflichen Stadt Hof : Auch die Geistlichkeit beehrte mich mit ihrer Begrüßung. Das waren nun wieder andere Art Geschöpfe. Die hatten große Hals­krausen wie Wäschekörbchen; ihre Anreden wurden sehr langsam vorgetragen, damit ich sie besser verstehen könnte, sie sagten das lächerlichste Beug von der Welt, und ich hatte wieder alle Mühe, mein Gelächter zu unterdrüden.

Endlich schaffte ich mir alle unbarmherzigen Redner vom Leibe und setzte mich zu Tische. Ich versuchte mehrere Gegenstände, um meine adelige Tischgesellschaft zum Sprechen zu bringen, aber es war vergeblich. Endlich brachte ich sie auf das Wirtschaftsfach, und da ging ihnen das Herz auf. Augenblicklich erhielt ich kenntnis von ihren Herden und Höfen, ja es erhob sich sogar ein sehr geist­reicher und interessanter Streit, bei dem es darauf ankam, zu ent­scheiden, ob die Ochsen im Ober- oder Unterlande fetter wären. Man hatte mir gesagt, ich müßte den folgenden Tag, weil es ein Sonntag fei, in Hof bleiben und die Predigt mit anhören, so eine Predigt hatte ich denn auch noch niemals gehört! Der geist­liche Herr begann damit, alle Heiraten herzuzählen, die von Adam bis Noah stattgefunden hatten, er erließ uns nicht den geringsten Umstand, so daß die Männer lachten und die Weiber bis an die Nagelspitzen erröteten."

Das Buch der preußischen Königstochter ist ein Quellenbuch ersten Ranges zum Studium der aufgeklärten" Despotie und der Zustände unter derselben. Aber ob uns Wut und Entrüstung bei der Lektüre erfaßt, oder ob wir hell auflachen müssen, die derb­fröhliche Ehrlichkeit der Darstellung hat immer etwas Erfrischendes, und so stellt sich uns diese interessante preußische Urtante" als eine willkommene Ausplauderin vor, die vor anderen preußischen Königs­töchtern den Vorzug hat, immer interessant zu sein. H. H.

Kleines feuilleton.

Klima und Mensch bildete das Thema eines anregenden Vor­trages, den Prof. 8 ung am Dienstag in der Urania bielt. Er ging aus von der Tatsache, daß der Mensch eine Anpaffungsfähigkeit an das Klima besitzt wie kein anderes höher organisiertes Wesen, und daß diese Erscheinung der Hauptsache nach ein Ausfluß feines Intellektes fei, der ihn befähige, sich durch künstliche Hilfsmittel gegen die Unbilden der Witterung und des Klimas zu schügen, ob­wohl er eines natürlichen Schutzes entbehrt. Ein sehr bedeutsamer Faktor bei der steten Aktivität des Menschen ist die gleichbleibende törpertemperatur. Die Tiere, die sie nicht befizen, werden in ihrer Lebenstätigkeit abhängig von der Außentemperatur. In höherer Temperatur werden sie sehr lebhaft, bei niedriger lethargisch. um bei gewiffen Grenzen eine besondere Tätigkeit ganz einzu des näheren über diesen Gegenstand und legte dar, wie die Vorgänge stellen, nur noch fortvegetieren. Der Vortragende verbreitete fich dabei verlaufen und wie sie der wissenschaftlichen Erforschung und Messung zugänglich gemacht werden. Sodann besprach er die Ein­übermäßige Hige und Kälte vorhanden sind, wie die verschiedenen richtungen des menschlichen Körpers, die zum Schuße gegen die Selimaten es mit sich bringen. Auch die Wirkungen des Gebirgs­flimas auf den Menschen und die heilkräftigen Einflüsse wurden an den physiologischen Erscheinungen, wie sie bei der Atmung in größeren Höhen mit verdünnter Luft eintreten, largelegt. Die heilfräftigen Wirkungen des Gebirgsklimas find hauptsächlich auf die Anregung der Bluttätigkeit durch die Einatmung verdünnter Luft zurückzuführen. daß Diefe bringt es es mit trot der günstigere Ausnutzung des Luftsauerstoffes in den Lungen und berminderten Sauerstoffeinatmung doch eine eine reichlichere Sauerstoffernährung stattfindet. Hinzu tritt aber noch die allgemeine Anregung, die der Mensch durch seine Sinnes­werkzeuge, vornehmlich auch durch die Haut, in bewegterer und reizenderer Luft erfährt. Zum Schluß ging Prof. Bunz noch auf einen praktischen Fall ein, nämlich den Typus des Amerikaners, der sich aus europäischen Elementen gebildet hat und doch eine ganz neue Erscheinung hervorzubringen vermochte. Das unterschiedlichere Man hatte eine trächtige Stute an meinen Wagen gespannt, Klima im Sommer und Winter, die anderen Einflüsse des wechseln faum hatten wir zwei Stationen zurückgelegt, so stürzte das Tier, deren Wetters, die Kreuzung vieler verschiedener Völkerschaften usw. der Wagen ging über sie und ward umgeworfen. Wir hatten mit( ob die wirtschaftlichen Faktoren nicht auch hierbei entscheidend find? sehr vorsichtigen Leuten zu tun, die irgendeine Entführung be- Die Red.), bedingen im ganzen eine größere Aktivität des dortigen fürchtet haben mochten, denn es befanden sich zwei geladene Lebens, die ihre Einflüsse auf die Körperfonftitution die ja be Pistolen im Wagen, und außerdem noch ein paar sehr schwere fanntlich zur Magerkeit und Zähigkeit neigt schon in so ver Koffer, die wenigstens weder Wechsel noch Gold enthielten. Diese hältnismäßig furzer Zeit äußern fonnte. Berantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin . Drud u. Verlag: Vorwärts Bucheruderet u.Berlagsanstalt Baul Singer& Co..Berlin SW

Aber auch damit ist es genug. Und es ist gut, daß gerade bei Herrschern, die, wie der alte Friß, auch von freien Köpfen im Glanze des untadeligen Helden und ersten Dieners" des Staates gesehen werden, das Menschlich- Allzumenschliche schonungslos und vollständig bekannt wird, denn die Hundebriefe des königlichen Geschwisterpaares sind unseres Wissens bis jetzt nur in der franzö­fischen Originalausgabe der Deuvres de Frédréric le Grand" er schienen. Die Hundebriefe find menschliche Dokumente. Sie zeigen den Preußenkönig und seine Schwester, wie sie waren, genial bis zur Verrücktheit, und ehrlich bis zur Frivolität. Es fehlt wenigstens nicht die Großzügigkeit, welche des alten Frib Nach folger immer nur zu fopieren suchten.

der

Welcher rassige humorvoll überlegene Geist in der Verfasserin Denkwürdigkeiten" lebte, deren schriftstellerisches Talent zweifellos größer war als das ihres Bruders, geht aus der Schilde­rung eines Reiseunfalls hervor, den sie ein halbes Jahr nach ihrer Hochzeit in gesegnetem Zustande erlitten.

-

-

-

sich,