Anterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 47._ Dienstag den 8. März. 1910 (Nachdruck detdot«.) 471 Im JSamen des Gesetzes. Von HanS Hyan . Doch Georg Hellwig setzte sich gleich wieder ans seinen Schemel nieder. Er legte die gefesselten Hände neben das Buch aus der Anstaltsbibliothek, das er heute früh bekommen, aber noch nicht berührt hatte. Haben Sie vielleicht noch'n Wunsch?", fragte der alte Aufseher, der feinen Fehler gern etwas wieder gut machen wollte. Wie aber der Gefangene, wiederum ohne ihn anzu- blicken, wieder ein einsilbigesNein, danke I" darauf hatte, da ging Pflüger mit leichtem Achselzucken. Er schloß die Zelle. wie immer, sorgfältig zu, und überzeugte sich draußen mit einem Blick auf den Spion, daß der Gefangene auch jetzt ruhig auf seinem Schemel saß... Der wartete mit dem geschärften Gehör des lange Zeit Einsamen das leise Klappen des kleinen Eisenblechstiickchens hinter der winzigen runden Glasscheibe in seiner Zellentür ruhig ab. Dann erhob er sich mit einem Seufzer und begann mit ganz leisen Schritten, förmlich auf den Zehen durch die Zelle zu wandern... Er zählte dabei die Schritte, wie er es in der ersten Zeit seines Hierseins getan hatte, wo ihm die Zeit so gar nicht vergehen wollte. Damals hatte er auch noch gelesen in den langweiligen Büchern aus der Anstaltsbiblio- thek... Ha, nich'n einzigen vernünftigen Roman hatten sie dal... Fetzt brauchte er das schon lange nicht mehr?... Auch das Zählen war nur so zum Spaß... er hatte genug zu tun mit seinen Gedanken!... Na, nu noch vielleicht zwei Stun- den, dann wärS ja soweit.... Natürlich dem Aufseher durfte er nichts sagen, diesem Idioten!... Der verstand das doch nicht... Was wußte der von solchem Prozeß I Und dann war ja auch viel böser Wille dabei, bei den Leuten, sie gönnten eben einem Gefangenen nicht, daß er freikamt Und besonders in solchem Fall, der, das war ja gar nicht zu leugnen, doch immerhin verhältnismäßig schwer lag... Wenn er bloß nich immer zu ihm in die Zelle kommen wollte, der alte Esel, der Pflügerl Nicht? wie einem die Ohren vollquatschen, kann er! (Ä meint's ja vielleicht gar nicht so böse, solche Leute, die ihr Lebelang solchen ordinären Beruf haben, die kennen's eben nich besser.... Aber'n Fehler wars von ihm selbsh daß er immer wieder darauf anspielte.... Nein, kein Wort sagen vorher, kein Wort!... Wenn er dann nachher in der Haupt- Verhandlung mit seinen Beweisen anrückte, wenn er seine große Rede hielt, die er sich bis aufs Tüpfelchen ausgeknobelt hatte, und wenn dann mit einemmal die Geschworenen herein- kamen, aus dem Beratungszimmer in den GerichtSsaal, und der Obmann verkündete mit lauter Stimme dasNicht- schuldig l", dann wars immer noch Zeit, über die Gesichter dieser Affen zu lachen!... Gott ja. der Rechtsanwalt, dieser Herr von Solfers- bansen, der gab sich ja gewiß Mühel Und er hatte ja auch schließlich alle Ursache dazu!... Das Verhältnis mit Ella, von dem ihm der Mensch selbst sone Art von Mitteilung ge- macht hatte, das war gerade nich sehr schön!... Aber schließ- lich, die Ella hatte ja nu auch'n Knacks weg und allzu große Ansprüche konnte sie jetzt nich mehr stellen!... Aber, wenn er bloß erst draußen war, dann wollte er sich jedenfalls'n biß- chen mehr um die Geschäfte kümmern!... Hier wars am besten, man sagte gar nichts, und tat so, als glaubte man all den Schwindel, den sie einem vormachten. Natürlich, son Rechtsanwalt, der will doch sein Geld auch verdient haben! Und wenn schließlich auch kein anderer an seiner Freisprechung schuld sein würde, als Georg Hellwig selber man konnte dem Solfershausen doch immer'n bißchen Honig ums Maul schmieren: sonst wurde der noch am Ende kribbelig und machte absichtlich'n Schwupperl... Die Hauptsache war, so zu tun, als ob! un sie dadurch alle bei guter Laune zu erhalten!... Wenn das nicht gewesen wäre, dann hätte er den Deibel was getan und sich hier so stille verhalten! Dann hätten die Kaschuben mal sehen sollen, was Muskeln haben heißt und Fäuste. Aber so wars besser!... Er wünschte nur, er Hütt' es von Anfang an so gemacht! Besonders damals beim Untersuckstingsrichter, dem er'n ganzen Tisch mit Akten über'n Ballon gestülpt hätte. Ha. ha, die Tinte floß nicht schlecht über die weißen Manschetten und die ollen ekligen Spinnenhändel... Na, der war aber auch unerträglich ge» Wesen!... Bis er selber schließlichja" sagte, da wars auf einmal gut, mehr wollten sie ja auch nich!... Gewiß, eo hätte ja noch leugnen können aber wozu?... Und dann der Anzug, die Blutflecken!... Daß er dabei gewesen war, daß sah man!... Und das war ja auch wahr!... Er war dabei gewesen, gewiß!... So wie einer bei der Sache is und sie macht, ohne daß er eigentlich das geringste damit zu tun hatl Man steht da, der andere nimmt's Messer, drückt's einem irr die Hand und nun kommt das Sonderbare!... Man will gar nicht!... Man denkt überhaupt nicht daran! Aber der andere, der denkt!... Der denkt daran! Und da kommt der Gedanke, oder was es sonst is, und der hebt die Hand, wodrin der das Messer hält, der gar nichts machen will! Un dann stößt er mit zu! Mitten rein in den Hals von die Frau, daß das Blut man so aufspritzt!... Kann da von'n Mord die Rede sein? Oder überhaupt bloß von'n Verbrechen? Ja, bei den, der's gedacht hat und gewollt hat, aber doch nich von mir!... Georg Hellwig lachte leise in sich hinein. --- Ob sie denn wirklich den Mörder nich fanden? Der Grüne war ja'n verdammt schlauer Kunde! Aber schließ- lich, wo an jede Straßenecke'n Schutzmann steht und überall laufen Geheime'rum, dann kann's doch am Ende nich so schwer sein, den Mörder zu verhaften!... Bloß, die wollten gar nich!... Sie hatten ja einen, dachten siel Aber den Spaß würde er Ihnen gründlich versalzen! Haha! Was die für dumme Gesichter machen würden, wenn es nachher hieß:Der Hellwig is unschuldig!"... Und sie mußten von neuem anfangen zu suchen!... Der Gefangene hielt inne in seiner die Sohlen so bchut- sam an den Steinboden der Zelle schmiegenden Wanderung. Ihm war. als näherten sich schon wieder Schritte der Zellen- tür... Die konnten ihn auch nicht einen Augenblick in Ruhe lassen!... In der Tat wurde die Tür geöffnet. Mit leichtem Zucken der Gesichtsmuskeln sah Georg, daß außer dem alten Pflüger noch ein anderer Aufseher in die Zelle trat. Na, Hellwig, jetzt geht's zur Verhandlung," sagte der alte Mann. Draußen schlössen sich ihnen noch zwei Aufseher an, große, offenbar sehr kräftige Leute. Man nahm dem Ge- fangenen die Fesseln ab eine Maßregel, die zweifellos nur in der Oeffentlichkeit und in der dadurch bedingten Kontrolle des Publikums ihren Grund hatte. Dann wurde Georg Hellwig durch den glasbedeckten Gang, über andere Gänge und Treppen hinaufgeführt in den großen Schwurgerichts- saal des Moabfter Kriminalgerichts. Mehr neugierig als scheu sah er sich die schwarzen Ge- stalten am Richtertisch an, während er den Staatsanwalt, den er von einer unangenehmen Seite kannte, keines Blickes würdigte.... Dann blickte er hinauf zu dem Kaiserbildnis und den buntverglasten Fensterscheiben und begrüßte seinen Anwalt, der eben an die Barriere der Anklagebank heran- trat, mit einem Händedruck. ES schlug neun Uhr. Im Saal war es sehr hell und warm. Drüben auf den Zeugenbänken, die vor der Schranke standen, die den Gerichtssaal vom Zuschauerraum trennte, saßen seine Schwester und seine Mutter. Er suchte ihre Augen mit den seinen und nickte ihnen ernst und gemessen zu. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Geschworenenbank und prüfte mit seinen scharfen Augen jeden einzelnen der Geschworenen sozusagen auf Herz und Nieren.... Von ihnen hing sein Schicksal ab, auf sie wollte er nachher Ein- druck machen mit seiner großen Rede!... So überhörte er beinahe die erste Frage des Schwur». gerichtspräsidenten nach seinen Personalien. Aber dann ging das alles schnell und ohne jeden Aufenthalt. Ja, er gab auch die Vorstrafe zu!... Was war denn das schon!... Nicht der Rede wert!... Auf die Frage, ob er sich schuldig bekenne, in der Nacht vom zweiundzwanzigsten und dreiundzwanzigsten Juli die Witwe Amanda Poppe in ihrer an der Thomaskirche zu Berlin. belegenen Wohnung vorsätzlich getötet zu haben, er, widerte Georg Hellwig: