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Minuten so gleichgültig, verfinfen wir nicht im Gegenteil mit jeder Minute tiefer in ihren Reichtum? Bei Münzer und den anderen haben wir, so groß auch die Bildflächen sind, immer erft cine oder einige der blitzschnellen Auf nahmen des Malerauges vor uns erst Hunderte davon gesammelt und ineinanderverschmolzen, ergäben ein Kunstwerk", eine Voll­endung dieses Gegenstandes. Diese aber sind mit des einen Jm­preffion bereits ganz zufrieden und am Ende ihres Wollens.

Ferner ist im Salon erstmalig Carlo Böcklin   ausgestellt, bedeutend wegen seiner auffälligen Unbedeutendheit im flüchtigen Wiederholen ganz nebensächlicher Landschaften. Es ist nicht an­genehm, an derselben Stelle, an der die großen Visionen seines Baters dem Hohngelächter der noch stark preußisch klassischen Kunst­welt standhielt den Sohn achselzuckend ablehnen zu müffen. Der Frankfurter   Teichmann hält noch recht ängstlich an den Traditionen der gefärbten Zeichnung fest; er ist malerisch noch recht zurüd, so sehr man sich seiner Tüchtigkeit und ehrlichen Wärme erfreut.

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Ansätze zu bedeutenderer Vertiefung der Malerei nach dem Gehalt hin bieten wohl des Freiherrn   b. Khayna ch's Werke, aber als fertige Arbeiten sind sie doch leider bedenklich unfertig. Neben schönen Begabungsproben stehen Zeugen eines Unvermögens, die Arbeit gleichwertig durchzuführen, neben richtiger Naturbehandlung Kulissenmalerei. Dem weißen Pfau", wie dem Anaben mit dem Löwen" wird man starken Gehalt nicht absprechen. Bei so ernſtem Kunstwillen wäre es sehr bedauerlich, wenn der Künstler nicht zur Beherrschung der Mittel käme.

Einen ungetrübten Genuß bieten die Landschaften des Düffel­dorfer Kukut. Was geht uns schließlich seine Malweise an, wenn sein Einsamer Baum" uns so eigene Luftstimmtungen voll wunder­barer Reize übermitteln kann. Und gar erst seine Airaje" recht­fertigt diese Technik, die das Vibrieren der Lichtwellen auf den Steinen so ursprünglich vorführt, daß man die von den Mauern zurückgestrahlte Wärme zu spüren wähnt.

Bielleicht überschäßen wir das einer Maler- Generation Mög­liche. Vielleicht tun wir diesen Künstlern unrecht, wenn wir von ihnen, die immerhin die Waffen schmiedeten, schliffen und blank hielten, auch bereits die Kunst verlangen, die sie vielleicht selbst mit uns ersehnen, die uns über den Alltag hinausführt und Ziele und Hoffnungen gibt, Willen und Kraft für unsere Kämpfe. Mehr als eines der Bilder gibt uns doch die Gewißheit, daß wir vor einer Zeit der Reife stehen der Vollendung auch in der Malerei.

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Der Golfftrom.

R. G.

aufgehenden Sonne und der Kirschenblüte sagt bon der Herrlichkeit des Golfstromes:" Für mich ist der Anblick eines lebhaften Blau stets von einer wahren Gemütsbewegung des Entzückens begleitet. Einmal steigerte sie sich zur Ekstase, das war, als ich zum ersten Male den Golfstrom sah. Seine magische Großartigkeit machte mich an meinen Sinnen zweifelnd; ein flammendes Azur, als wären eine Million Sommerhimmel zu einer reinen, fließenden Farbe fondensiert."

Der erste Entdecker des Golfstroms nahe an seiner floriba. nischen Enge war Francisco de Alaminos, der Pelot des Ponce de Leon  . Er sab ihn am 22. April 1513. Bis zum 17. Jahrhundert hieß er auf allen Karten Canal de Bahama, und unter diesem Namen beschrieb ihn im Jahre 1600 Herrera. Dann kamen die zwet Jahrhunderte, in denen die Ostküste Nordamerikas   entdeckt und besiedelt wurde. Aber das Wesen des Golfstroms vermochte keiner unter den vielen Seefahrern zu ergründen. Erst dem scharfen Ver­stande Benjamin Franklins   enthüllten sich Ursachen und Eigen­schaften dieser Meeresströmung, der Franklin   auch zuerst ihren jebigen Namen beilegte.

Die Breite des Golfstroms schwankt zwischen 50 und 160 Kilo. meter; man darf sich unter ihm also nicht einen einfachen, ein paar Kilometer breiten Fluß vorstellen. Er ist ein Meer, das sich in schneller, fließender Bewegung befindet, und das sich an den Rän dern haarscharf von den Fluten der See abhebt. Man vermag genau mit dem Auge die Grenze zu erkennen. Ja, noch mehr: an der Küste Nordamerikas  , wo westlich vom Golfstrom die arktische Labra dor- Strömung nach Süden fließt, ist die Trennungslinie so scharf, daß ein Schiff, das die Grenze der beiden Strömungen durch schneidet, zu gleicher Beit am Bug 21 Grad, am Hed 4,4 Grab Celsius Oberflächen- Wassertemperatur messen kann. Im Karibischen Meere ist das Wasser des Stromes 30 Grad Celsius warm; in der Floridaftraße hat es selbst im Winter 25 Grad, in 33 Grad nördlicher Breite 24, in 40 Grad nördlicher Breite 19%, in 42 Grad nördlicher Breite 16% Grad Celsius. Im Sommer steigert sich bie Oberflächentemperatur des Wassers auch in der Floridastraße auf 28,3 Grad. Die Tiefe des Stromies geht bis 3b 800 Metern hinab; doch ist nur das obere Drittel von großer Wärme. Die unteren Schichten des Golfstromes sind kalt, entsprechend dem allgemeinen Gesetz der Meerestemperaturen, die beeinflußt sind durch den großen Kreislauf des Waffers im Ozean. Am Aequator  fließt das Oberflächenwasser, das von der Tropensonne erwärmt ist, nach den Polen   ab, während von dort die kalten Fluten in der Tiefe dem Aequator wieder zuströmen. Den Anstoß zum Ab­strömen der Aequatorialfluten nach den Polen   geben die Luft­strömungen, und das Zurückfließen des Polarwassers bildet nur eine forrespondierende Bewegung. Die Geschwindigkeit der Strömung schwankt zwischen 4 und 8 Kilometer in der Stunde, Sie wird da am stärksten, wo, wie in der Floridastraße und zwischen den Karibischen Inseln, die Bahn eingeengt ist. Die durch schnittliche Geschwindigkeit der Strömung schreitet in der Stunde etwa im Tempo eines bequemen Fußgängers, nämlich mit vier Kilometer.

Immerwährend wird vom Golffirom gesprochen; jedermann er wähnt ihn, wenn die Rede ist von dem milden Klima der westeuro­päischen Küsten bis zum hohen Norden hinauf. Aber kaum jemals hat einer eine richtige Vorstellung davon, was der Golfstrom eigent­lich ist, und wie er sich den Bliden des Seefahrers zeigt. Diese Wcher stammt nun das wundervolle Blau des Golfstromes? merkwürdigste Wasserströmung der Erde ist reißender als der Man glaubt, daß diese Färbung von den feinen Schlammteilchen Mississippi  , breiter als der Amazonenstrom, ist länger als diese herrührt, die der Mississippi   in den Golf von Mexiko trägt, und beiden Flüsse, der Kongo   und Nil zusammengenommen. Seine die der Golfstrom durch die Floridastraße in das Weltmeer ent Uranfänge liegen fern auf der südlichen Halbfugel, beim Kap; führt. Aber diese Erklärung genügt allein nicht. Denn schon vor ale südatlantische Strömung fließt er nordwärts bis zum Busen seinem Eintritt in den Golf leuchtet seine Farbe in tiefem Blaus von Guinea  , überschreitet dann als Aequatorialströmung den Atlan- wenn dieses Blau hier auch noch nicht jene berückenden Tinten tischen Ozean an der Südfeite des Aequators und strömt in vielen, beißt. Zur natürlichen Farbe des durch die Strömung reinerhal durch den westindischen Archipel verursachten Armen in den Golf tenen Wassers wird auch noch die Spiegelung des blauen Himmels von Merifo. Wenn er diesen durch die Floridastraße verläßt, be­schleunigt durch die Zusammenpressung seines Wasserschwalls in der in der klaren slut kommen, und die Reinheit der Atmosphäre über engen Straße, erhitzt durch die Tag für Tag auf ihn herabftrahlende dem Ozean, die diese Farbe ungebrochen im Waffer reflektiert. Tropensonne, mit einem wundervollen, intensiven, leuchtenden, nirgends sonst auf der Erde in dieser Farbenpracht vorkommenden Blau sich von den Fluten des Ozeans abhebend, so ist er das größte Wunder, das das tausend Wunder bergende Welt­meer hervorgebracht hat. In südlichen Ländern gibt es blaue Seen, über denen in ewigem Blau der Himmel lacht, die von linden Lüften umspielt sind, und die das Paradies auf Erden darzustellen scheinen. Aber deren Schönheit verblaßt vor der un­begreiflichen Herrlichkeit des Golfstroms, vor diesem fließenden, schimmernden, warmen, in Myriaden von Sonnenblißen sich spies gelnden Meeresflusse. Und unter allen seinen Herrlichkeiten ist die größte, unbegreiflichste, die Farbe. Es gibt feine Sprache, die Seren Schönheit schildern, ihre tausend Nüancen wiedergeben, ihren Glanz beschreiben fönnte; es gibt auf der ganzen Welt kein Blau, das es mit dem Blau des Golfstroms an Farbenwirkung aufzus nehmen vermöchte; mit diesem Blau, das alles umfaßt, was der Farbensinn eines Böcklin unter diesem Begriffe verstehen, was tünstlerische Phantasie in blauen Reflexen ausdenken könnte. Des Golfstroms Farbe erschöpft alle Stalen vom lichten Himmelblau gum leuchtendsten Azur, vom violetten Ton prangender Veilchen­beete bis zum tiefen, fatten, fast schwarz sich spiegelnden Ultramarin. Alle Himmelsfarben find in ihm vereint: bom matten Blau des deutschen Frühlingshimmels bis zum fräftigen Azur, das sich über den Fluten des Gardasees ausbreitet, bom grünlichen Blau des Firmaments an nordischen Meeresfüsten, bis zum grellen, flammen den, leuchtenden Blau des Tropenhimmels.

Wenn Europas   mildes Klima lediglich dem Golfstrom zu geschoben wird, so ist das doch eine erhebliche Ueberschäßung von der wärmenden Kraft dieses Stromes. Wir haben oben gesehen, daß seine Temperatur in höheren Breiten beträchtlich abnimmt, und es ist undenkbar, daß selbst ein Strom von 150 Kilometer Breite die Winterkälte eines großen Festlandes paralysieren könnte. Der Golfstrom als solcher kommt aber auch gar nicht bis an die Küsten Westeuropas  . Auf seinem Wege über den Atlan­ tischen Ozean   nimmt seine Tiefe ab, seine Breite dagegen außers ordentlich zu. Seine Strömung berlangsamt sich außerordentlich: aus dem Golfstrom wird die Golfstromtrift, die hunderte, ja tausende Kilometer breit den Nordatlantischen Ozean bedeckt, seine ganzen Gewässer überflutend, erwärmend und nordwärts bewegend. Bu der strömenden Kraft des Golfstromes tritt hier die polare Ablenkung der äquatorialen Meeresfluten durch die Grdrotation. Denn wie die warmen Luftschichten vom Aequator nach Norden strömen, in gewaltigen Wirbeln den Ozean treuzend, um so bie Wärme der Tropen in unseren Nordwinter zu tragen, so strömt ewig tas erwärmte Tropenmeer, im Golfstrom beginnend, und in der Golfstromtrift an unseren Küsten endigend, dem Norden und Nordosten zu und hält die Kälte des Polarmeeres von Europas  Gestaden fern. Hier liegt das Geheimnis der ungleichen Er. wärmung an der Westseite und an der Ostseite der Kontinente. Denn wie Westeuropa  , so ist auch das westliche Nordamerika   bis in den hohen Norden, an Alaskas   Südküste, von warmen Fluten bespült, während Nordamerikas   und Asiens Ostküsten im Banne eisiger Polarströmungen stehen.

Lafcadio Hearn  , der phantafievolle Schilderer des Landes der Berantw. Redakteur: Richard Barth  , Berlin.- Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Beriagsanstalt Baul Singer& Co..Berlin   SW.