Unterhaltimgsblatt des VorwärtsNr. 81.Sonnabend, den 12. März.1910lNa»druck ontoten.)51]Im JVamen des Gefetzee»Von Hans Hyan.(Schluß.)Endlich, nach fast einer halben Stunde, war es so weit!Der Beamte von vorhin kam herein und sagte:„Bitte, Herr Rechtsanwalt!"Draußen auf dem Gange traf Kurt Ella, die in ihremschwarzen Kleide, mit verwemtem Gesicht und dabei dochreizend, das Mitleid der Männer wachrief.•..Vor der Zelle empfing sie der alte Pflüger:„Er will nur Sie sehen, Herr Rechtsanwalt.... DasFräulein Schwester erst dann... na, Sie wissen ja schon!Er redt' doch so, das läßt er sich doch nicht ausbringen."Kurt packte ein Schauder, als er in die Zelle trat.Der Winterabend hatte sich schon so tief herabgesenkt,daß die Dämmerung in die Ecken des kleinen Zimmers kroch.... Eben zündete ein Beamter von draußen die in der Wandbrennende, nach der Zelle zu durch ein Gitter geschützte Gas-flamme an, die ziemlich hell leuchtete. Aber man sah nochdurch das über mannshoch liegende, schwer vergitterte Fensterdie Wolken, die von der winterlichen Abendröte angeglüht,mit rosigem Saum über den Himmel zogen.-..In der Zelle war's kühl.Der Verurteilte, der in den letzten Wochen nur ganzwenig Nahrung zu sich genommen hatte und sich schwachfühlen mochte, lag mit einer Wolldecke zugedeckt auf derMatratze, die von der ganz niedrigen Holzpritsche nichts er-kennen ließ.Er hatte den Kopf auf den rechten Arm gestützt und blicktemit einer Art freundlich nachsichtigen Interesses zu dem Pastorauf, der neben seinem Lager auf dem Schemel saß und ihmTrost zusprechen wollte.„Ich bin ja gar nicht verstockt," sagte Georg eben,„ichhabe gar kein Grund dazu!"Der Geistliche, ein noch junger Mann, mit sanftem, wennauch nicht eben klugem Gesicht, stand auf und begrüßte denAnwalt.„Sie möchten mit Herrn Helltvig reden," sagte er freund-lich,„nun gut, dann komme ich nachher noch wieder herein."Er wandte sich zu dem Verurteilten,„nicht wahr, mein lieberFreund, wir verstehen uns jetzt schon ganz gut miteinander!"Georg nickte, als wollte er sagen:„Ja. ja. geh nur!"Und der Pastor empfahl sich mit einer Vemeigung.„Na," sagte Georg und über sein kalkiges Gesicht huschtewieder der helle Schein, der bei ihm schon seit langer Zeitan die Stelle eines Lächelns getreten war.„Wollen Sie mich auch trösten. Herr Rechtsanwalt?"„Dessen bedürfen Sie ja anscheinend gar nicht!" er-widerte Kurt in leichtem Tone— er fühlte, daß er wenigstensjeden Ernst aus semem lebten Besuch verbannen müsse.„Ihre Schwester wollte Sie gerne mal sehen, lieberHellwig!"„Später, Herr Rechtsanwalt, wenn ich erst mit der Sachedurch bin!... Das heißt, Sie..." er sah ihn voll Miß-trauen seitwärts an,„Sie jlauben ja auch-.. na, das isja auch egal!..."Er ließ den Kopf vom Arm gleiten und streckte sich be«haglich in seinem Bette aus.„Es is ja nu bald soweit,,. und da werden Sie'sja sehn!"Kurt nickte, er wußte absolut nicht, was er sagen sollte.Wie bekamen es nur die anderen, besonders der Pastor, wiebekamen die es nur fertig, gegen diese wundervolle Lebens-sicherheit des Wahnsinnigen mit ihren Büß- und Rede-predigten anzustürmen?„Vorhin war auch der Staatsanwalt hier." begann Georgwieder, der, wie die meisten Kranken dieser Art, bis auf dieeine fixe Idee vollkommen klar beobachtete und dachte,„undich glaube der andere Kerl, das war der Scharfrichter...."Kurt von Solfershausen erschrak bis ins Innerste, alser den Aermsten dies Wort aussprechen hörte. Aber der Ver-urteilte empfand anscheinend gar nichts besonderes dabei. Erfuhr fort:„Wer entschädigt nur diesen Mann für seinen Ausfall?Der denkt doch, er verdient seine hundert Taler morgen frühan mir! Na,'s is ihm ganz recht!... So'n Beruf, den hatkeen anständjer Mensch!..." �In diesem Augenblick wurde es dem jungen Rechtsanwaltklar, daß er hier noch eine schwere Pflicht zu erfüllen hatte,er mußte diesen armen, kranken Menschen während dieserNacht gegen alles beschützen, was ihm seine schöne Zuversicht,den Glauben an die Gerechtigkeit, vorzeitig hätte zerstörenkönnen. Er mußte bei ihm bleiben! Vorher aber natürlichdie Schwester heimschicken!...Das tat er. Er ging hinaus, ohne daß Georg vieldarauf achtete. Dann, wie er die Weinende heimgeschickthatte, mit der Versicherung, er würde ihrem Bruder bis zuseiner letzten Stunde beistehen, sandte er einen Aufseher zumOberinsvektor mit der Botschaft, er bliebe vorläufig noch beiseinem Klienten. Er bat nicht etwa um irgendeine Erlaubnis,er selbst verfügte frei über seine Person und über die seinesarmen Menschenbruders, der jenem finsteren Blutglauben zumOpfer bestimmt war, in dessem Bann auch heute noch dieKulturmenschheit steht....Sie sprachen wenig miteinander, die beiden.Manchmal gab der Mörder in stiller Dankbarkeit demneben ihm Sitzenden die Hand. Er wunderte sich auch nichtdarüber, daß Kurt bei ihm blieb.... Seinem kranken Geistswar das Wunder ja längst vertraut und lieb geworden!Um sieben Uhr brachten die Aufseher ein Beefsteak fürGeorg und eine halbe Flasche Rotwein. DavoR trank er einbißchen, das Fleisch rührte er nicht' an.Und plötzlich begann er, wohl angefeuert von dem langeentbehrten Alkoholgenuß, von seiner Kindheit zu erzählen.... Wie er mit der Ella draußen gespielt hatte, vorm Schlesi-schen Tor, wo sie damals gewohnt hatten.... Die Elternhatten da'ne Laube!... Und da war'ne Katze, der hatten siemal'ne Klingel an den Schwanz gebunden... ach, das armeTier!...„Aber ich fing se, soviele se mich mich jekratzt hat!... Und nachher, da blieb se bei uns,'n nettes Tier, soschwarz mit weiß, und'n rotes Näschen!..."Des Verurteilten Augen glänzten, diese Erinnerung be-schäftigte ihn lange.Kurt von Solvershausen tat allmählich der Rücken wehvom Sitzen.... Auf einmal merkte er, Georg war einge-schlafen.... Ja, dieser Mörder lag, leicht zur Seite geneigt,mit friedlichem Angesicht auf der Zellenpritsche und schlief.... Er träumte vielleicht von seinen Kindertagen, vielleichtauch von einer Frau, die ihn geliebt hatte....Kurt stand ganz leise auf, aber nur, um seinen Schemelan die Wand zu stellen. Dort schlief er ebenfalls ein.�Aber das Klirren von Schlüsseln— so schiens ihm—weckte ihn gleich wieder auf. Er sah zu Georg hin. der sicherwachend reckte.Nun traten Beamte in die Zelle, einer, zwer, drei, immermehr..-. Kurt erkannte den Oberinspektor.„Was denn?" sagte Georg und stand plötzlich aufrecht da.Der Oberinspektor trat etwas vor:„Kommen Sie. Hellwig. wir gehen jetzt, mit Gott!""„Am Ende!... Kommt mal ranl..Des Verurteilten Zähne knirschten, er wuchs förmlich,so strasf stand er an der Wand des Zellenfensters.Ein Aufseher kam näher, uni ihn zu fassen.Er schlug den Mann nieder, wie man einen Stab umwirft,Da warfen sie sich auf ihn.Und brüllend, wie ein Stier schlug er, stieß er und tratdie Menschen zu Boden, die immer wieder auf ihn eindrangen.... Sie hatten ihn schon unten, aber er kam wieder hoch!Dieser ausgemergelte Leib raffte sich am Ende des Seins zueiner Leistung auf. die nur der Wahnsinn gebiert....Der Rechtsanwalt war, geschoben und gedrängt, bis indie Ecke der Zelle gekommen, in der der Kampf tobte. Erwollte nichts sehen und schlug die Hände vors Gesicht....Aber er hörte!... Er hörte das markerschütternde Gebrülldes Niedergezwungenem den sie aus der Zelle schleiften, wi«ein Schlachtvieh...•