gaben, schlug sein Herz weh und hastig, und durch seinen Körper lief qualvoll hartnäckiges, feines Zittern Er wollte es unterdrücken, in seine stille Einsamkeit zurückkehren, aber seine Füße bewegten sich mechanisch vorwärts und trugen ihn fort. Arscnjew glaubte noch nicht, daß er zum Winterpalais gehen würde; aber an dem Schmerz, der sein Inneres zu» fammenpreßte. merkte er. daß er alles sehen würde. Jetzt waren die Leute, die er vom Fenster aus wahr- genommen, schon vor und hinter ihm und aus allen Seiten. Sie schritten dahin, während Arsenjew sie mit stiller Neu­gierde musterte und etwas Besonderes an ihnen zu entdecken suchte. Tatsächlich lag auf allen Gesichtern ein und derselbe Ausdruck, der Arsenjew an etwas ganz Bestimmtes erinnerte. Noch gestern, schien ihm, gab es nicht zwei Leute, die gleichen Gesichtsausdruck hatten: jetzt zeigten aber all die Mensckien ein und dieselbe sonderbare, unruhige, geheimnisvolle Phy- siognomie mit weit offenen, erregten, fragenden Augen. Aus der Tiefe all der runden schwarzen Pupillen blickte versteckte Unruhe. Als Arsenjew um die Ecke bog. wußte er plötzlich, woran ihn dieser gemeinsame Gesichtsausdruck erinnerte: Genau so tief nachdenklich und fragend sah Sascha aus. als sie sagte, sie würde hingehen, wobei man merkte, daß sie selbst noch nicht wußte, warum sie ginge, aber schon nicht anders konnte. (Fortsetzung folgt.) (Ztachdrult BerBotcn.) 111 Der Totengräber. Von Josef Ruederer . Ein verzweifelter Kampf stand ihm bevor, der Kampf um Sein Dasein, denn jetzt war ihm ja schon die Grube gegraben von einem eigenen Kinde. Breit und offen hatte sie ihn angegähnt. er brauchte nur hineinzusteigen. Wollte er nicht, dann muhte er sich wehren, sonst drängten Großvater und Enkel ihn gemeinsam hinunter. Fried! legte die geballte Faust schwer auf den Tisch. Die Nacht geht herab was wird der Tag bringen? In ihm regte sich's wieder mit jener spannenden Ungewißheit, die er als junger Soldat am Vorabend einer großen Schlacht jedesmal empfunden hatte, wenn im ganzen Lager die Feuer brannten und der Geist- liche sie alle einsegnete zum bevorstehenden Kampfe. Wie es aus- ging kein Mensch konnte es sagen, aber das eine nahm sich jeder vor: drein zu hauen und sich seiner Haut zu wehren bis zum letzten Blutstropfen. Und das wollte der Friedl auch heute. So leicht sollte es ihnen nicht werden! Und mußte er wirklich hinunter. dann sollten die anderen mit ihm gehen. Das gelobte er sich eierlich, indem er die scharfgeschlifsene Klinge durch den Nagel eines Daumens zog. Stockdunkel war es um ihn geworden, und nun trat die Er- innerung an die furchtbaren Metzeleien des großen Feldzuges um so lebhafter vor seine Seele. Er besann sich der Spielkarten, die er den ganzen, langen Krieg hindurch in seinem Tornister getragen hatte, und diese klebrigen, alten Blätter holte er jetzt aus dem Wandschrank heraus, wo sie Jahre durch unberührt verstaubten. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und zündete die Lampe an. Langsam legte er das ganze Kartenspiel auseinander, genau so wie damals im Feld, wenn er zu lesen versuchte, ob er den morgigen Kampf überstehen sollte oder nicht. Trumpf war ihm regelmäßig in die Hand gespielt worden, und die Karten hatten recht behalten. Jetzt wollte er's wieder einmal mit ihnen versuchen. Wie waren doch gleich die Regeln? Jede? bedeutete Glück, das höchste die Schellsau- König, Zehner und Unter: Wider» wärtigkeiten, Verioundungen, der schwarze Peter aber den Tod. Heftig packte der Friedl den trommelnden Gesellen und hielt ihn hinüber zum Herrn Meier. Da schau dir'n an. dein' Kollegen," rief er.«Jetzt woll'n wir amal sehn, wer mehr weiß, du oder der!" Also hurtig gemischt und die schmutzigen Dinger durcheinander- geworfen! Dem Andredl sollte das erste Los gelten, weil er gar so schön Gräber graben konnte, der verheulte, bleichsüchtige Bub. Dann sollte er selbst an die Reihe kommen, und ganz zuletzt die Hauptperson: der Alte. Friedl schlug dreimal auf die Karten nieder und stimmte eine Melodie an, die sie oft im Feldlager ge- Spielt hatten. Eine kampfbereite, fast freudige Stimmung ver- etzte ihn mit einem Mal in die damalige Zeit zurück und ließ ihn wieder jenes Abends gedenken, wo er sich die Gefangenschaft auf die Stunde vorausgesagt hatte. Aufgeschlagen! einmal, zweimal, dreimal, viermal halt! Da ist er ja. der schwarze Peter, grab noch zur rechten Zeit. Schau, schau! der Andredll Das war doch lächerlich. Sollte der Bub wirklich der erste sein? Wieder besann sich der Friedl. Kurz vor Paris hatte er einmal einem Kameraden auf der Trommel die Karten gelegt, einem lebensfrohen, prächtigen Burschen. Dem war bei der ersten Runde der schwarze Peter zugeflogen und am anderen Morgen hatte ihn richtig eine Kartätschenkugel tn die Laufgräben hinabgerissen. ES Kar also eingetroffen, und Ke» weiß, wie es diesmal gehen sollte? Vielleicht schaufelte der Andredl doch zu früh m der Erde herum. Ein vöseS Lächeln verzerrto Friedis Mund. Plötzlich riß er die Karten zusammen und blickte nach de» Türe. Es hatte schüchtern geklopft. Wer is da? rief er. Seine Frau war es. »Was willst?" fragte der Friedl, dem die Störung zu, wider war. Sie blickte sich ängstlich um. »Der Andredl schreit so jämmerlich." »DaS hör ich." »Rein zum fürchten," meinte sie. »Kann> net helfen." sagte er kurz,»er war frech, drum Hab ich'n eing sperrt." Offenbar hatte sie etwas auf dem Gewissen, was sie sich nicht zu sagen traute. Willst noch'was?" fragte er.I muß allein bleiben." »Magst'nix z' essen?" »Gar nix." »Also, gut Nacht!" »Adjel daß Du mir den Buben net rauslaßt l" Sie verneinte und ging leise hinaus. Nun mischte der Totengräber für sich selbst. Aber eS kam nichts heraus dabei. Nicht warm und nicht kalt war die Prophe- zeiung. Der schwarze Peter erschien so unbestimmt, daß er nach keiner Seite zählte, und die Trümpfe standen auch weit ab vom Ziel. Achselzuckend blickte Friedl die aufgelegten Reihen durch. Es war nichts zu entziffern, beim besten Willen nicht! Sollte daS Glück oder Unglück bedeuten? Er wußte es nicht und wollte noch einmal für sich mischen, aber erst später, denn jetzt kam daS wichtigste von allen: Der Alte! Kehrte er tot oder lebendig vom Godinger heim? Das mußte der Friedl erfahren, denn das immer lautere Klagegeschrei des eingesperrten Knaben mahnte ihn daran, daß die Zeit da war. wo der Großvater das Kind in der Kneipe erwartete. Also schnell die Karte« auf den Tischt Auch die Natur sprach ihr Wort zn der bevorstehenden Eni- scheidung. Es schien, als wollte der Himmel einstürzen, solche Wasserfluten gingen auf Haus und Kirchhof herab. Mit zu- friedenem Lachen nickte der Totengräber in das furchtbare Un» weiter hinaus. Hastig ließ er die Blätter durch die schweißigen Finger gleiten, herausfordernd grinste er zu dem Gerippe hinüber, und mit dem Ellbogen schob er das blanke Messer in die Mitte des Tisches. »Jetzt kommt's drauf an", rief er trotzig. Noch einmal schleuderte er die Karten durcheinander von oben bis unten, daß die vorübersausenden Buben und Könige phan« tastische Purzelbäume schlugen. Und zu dem närrischen Tanz pfiff er ihnen jene aufregenden Klänge, die ihn so oft inS mörderische Feuer geführt hatten, den schmetternden Avanciermarsch. »Paß auf, Meier! Jetzt mach ich ihn Dir abspenstig. Jetzt wolln wir amal rittern mit anander, da is die erste, die zweite..." Friedl hielt ein. Ein Trumpf, wieder ein Trumpf, noch ein Trumpf kam heraus. Glück, lauter Glück vom schwarzen Peter keine Spur. Er legte weiter, eine Karte nach der anderen, der Tobesbote kam immer noch nicht. War er unter den Tisch gefallen? Friedl leuchtete hinunter, aber umsonst. Ach. er hatte schlecht ge- mischt, er hatte nicht recht achtgegeben. Das galt n«cht, drum wieder von neuem angefangen. Ja. war denn daS alles verhext? Ganz daS gleiche wie vovhin, womöglich noch besser! Der Friedl stierte erst wie verzaubert auf die scheckigen Figuren herab, dann ließ er die Augen ganz ratloS durch das Zimmer gleiten. WaS sollte denn das bedeuten? Der Herr Meier schien'S ihm sagen zu wollen. Er grinste so spöttisch herüber, daß der Kartenschlager vou seinem Platze emporschnellte. »Willst mi dableckn. Du Lump, Du," schrie er.»Aber wart nur. eS hilkt Dir alles nix!" Wütend riß er wieder das Spiel zusammen, wütend hieb er Blatt für Blatt auf den Tisch. Jede? stierte er an in grimmiger Erwartung, jedes warf er enttäuscht beiseite. Erst ganz zuletzt kam der schwarze Peter. Also viel zu spät alles noch weit ab vom Tod. noch zehn, noch zwanzig... »Noch hundert Jahrl" lachte der Totengräber. Wie besessen mischte er noch einmal, und als die ersehnte Karte wieder nicht kommen wollte, suchte er danach und zerrte sie mit bebenden Fingern auS den anderen hervor. »Da g'hörst Herl " schrie er und schlug sie in die vorderste Reihe, alS wollte er ein Loch in den Tisch hauen. Dann machte er«ine ohnmächtige Geberd« gegen das Toten­gerippe. »O, o. o! Du krummbeiniger Hund da drüben! Aber siehst Du'S, es hilft Dir nix. Da... da... da Hab ich ihn vorg'setzt, den schwarzen Peter, und da bleibt er liegen. So gilt'S und net ander?." Einen Augenblick glaubte er wirklich dem Herrn Meier daS Spiel abgetrumpft zu haben. Aber gleich darauf rannte er wieder unruhig auf und nieder. Wenn die Karten doch nicht lögen, wenn der Alte sich trotz Gießbach und Wetter no<h einmal durchschlüge und plötzlich Einlaß begehrte, betrunken wie immer? Oder, wenn