248—Münchener Kunst» soweit fie lenzlich paradiert tn der Ausstellungam KönigSplatz. Denn der NacdwuchS, die neue Generation derSezession, die in den Frllhjahrsausstellungen ja hauptsächlich zu Wortekommen soll, experimentiert mit dem Begriff„modern", oajj es eineSri hat. Die neuen Mtglieder fühlen sich verpflichtet, anders zumalen als alle anderen. Aber diese Durchschnitts-Nachsezesfionistenfind mit wenigen Ausnahmen keine Persönlichkeiten, sie sind nurNachempfinder, Anpasser. Vor allem Stiljongleure. Sie schwankenzwischen dem raffiniertesten Impressionismus und dem primitivstenPlakatholzschnitt hin und her. Sie überbieten sich an Technik undVirtuosität und farbiger Analhse der Dinge, daneben gibt es Könner,die sich in der Pose de? malerischen Analphabeten gefallen. Zudiesen gehören zum Beispiel Adolf Thomann und PaulRoloff. Man hat vor ihren Bildern nur daS eine Gefühl:das sind iiberkultivierte Nihilisten der Palette. Sie habenalle Traditioneit und alle stiltechnische Künsteleien über-munden, wissen aber noch nicht, was sie an deren Stelle setzensollen und begnügen sich somit resigniert mit nüchternen Exempeln,mit rohen» Purismus. Die Vertreter der virtuosen Malerei anderer-feitS haben ihr gesundes natürliches Sehen verlernt. Sie blicken indie Sonne, bis alles vor ihren Augen flirrt. Ihre raffiniertenBilder(fie Pflegen farbige Interieurs, Frauenakie auf grellenTeppichen ausgestreckt, auf flaumige DivanS hingegoflen zu bevor-zugenj sind nichts wie koloristische Niederschläge solcher Netzhaut-blendungen. Leider sind die D a ch a u e r, die sonst einen so ehr-lichen Naturalismus liebten, neuerdings Anhänger von solch schwäch-licher Bluffarbeit geworden. Ihre Akte, ihre Naturausschnitte, ihrePorträts sind im Detail wohl gelungen, als Bild wirken sie wegender Unwahrheit der künstlerischen Optik nur abstoßend. Ein seinerLandschafter ist Richard Pietzsch geblieben, ob er nun Studienaus seinem geliebten Isartal bringt oder uns die Aussicht ausseinem Atelier in der Villa Romana in Florenz zeigt.— Wirmüssen diesmal die Arbeiten der ständigen Sezessionsgäste wieLandenbergcr, Hayek, Hummel. Gröber, Schramm-Zitrau, Winternitz(der immer noch LiebermannS Badende Knaben nicht vergessenkann), Piepho, Samberger(Porträts von Ludwig Thoma und MaxSchillings), Habcrmann übergeben zugunsten einiger Neuen, die eineigenes Gesicht zeigen. Da ist zum Beispiel ein ausgezeichnetesSelbstporträt von Bnrmester- Ratzeburg. Der Maler stehtwie ein gesunder, schwitzender, braungebrannter Bauer imgrellsten Sonnenlicht und blickt aus mannshohem jungen Kommit den offenen blauen Augen des blonden Niederdeutschen auf denBeschauer. Kraft und Gesundheit auch in künstlerischem Sinneströmt aus von diesem prächtigen Bildnis. Adele Slocovich-S a I m o n e charakterisiert vortrefflich auf ihrem Rusienbild dasbrütende Gehirn Asiens. Ein Humorist von Jean Panischem Tief-sinn im Kleinen und einer Hogarthschen Satire im Grausigen istder Münchener Radierer Ferdinand Staeger. Hoffentlich>«ßt er sein Talent nicht von der Witzblattindustrie vorzeitig aus-schlachten. Starkes farbiges Temperament strömt auS von de«Dresdener? Sterl großer Oeltafel: Generalmusikdirektor Schlichinmitten seines Orchesters. Reges Interesse beansprucht schließlichdie Kollektion von 50 Handzeichnungen und Radierungen des Eng-länderS Frank Brangwyn. Neben Landschaften und Architektur-studien fesseln vor allem seine zahlreichen Blätter von den Stättenproletarischer Jndustriearbeit: Schiff- und Brückenbauer, Tau-zieher. Vootbauer, Gerber, Flaschenwaicher, Koblenbergsklaven, Dock-arbeiter, Glasbläser usw. in voller Arbeit. Objektiv und nihig istsein Bortrag, ohne etwa die Tendenz Baluscheks oder der Kollwitz.Aber um so stärker ist die Wirkung. Man sieht, wie diese Fron-arbeiter der kapitalistischen Industrie todinatt in den Sielen hängen.Unsichtbar schwingt die furchtbare Hungerpeitsche über ihnen. Siemüssen, müssen vorwärts. Wenn einer zusammenbricht, rückt dernächste an seine Stelle.... m.Sprachwissenschaftliches....und hat derselbe... In drei Wörtern zweiVerstöße, der eine gegen die Richtigkeit, der andere gegen die Schön-beit der Sprache. Den Schönheitsfehler— das papierene„derselbe"statt„er"— wollen wir heute nicht besonders hervorheben, wohlober die falsche Umstellung des Satzgcgcnstandes nach„und"—„Inversion" nennen's die Grammatiker. Im denlschen AuS-sagesatz hat daS Ausiagewort(Prädikat) stets die zweite Stelle inne,denn es gibt dem Satzgegenstand, der die erste Stelle einzunehmen hat,erst Leben:„Der Lehrer lobt den Schüler." Soll das Ansiageworrvorangestellt, etwa betont werden, so muß„es" als Vertreter desSatzgegenstandes davorgesetzt werden:„Es lobt der Lehrer den Schüler."Beim Fragesatze aber steht das Aussagewort, weil es den Haupttonträgt, stets an erster Stelle:„Lobt der Lehrer den Schüler?"Ebenso steht es vor dem Satzgegenstand, wenn ein Umstandswortoder das Objekt den Satz beginnt:„Gestern lobte der Lehrer...;den guten Schüler lobt der Lehrer",— und in dem Hauptsatze, derauf einen Nebensatz folgt:„Wenn er seinen Fleiß merkt, lobt derLehrer...". DaS sind ganz einfache, aber auch unumstößlicheRegeln deS deutschen Satzbaues, gegen die aber noch immer undallenthalben gesündigt wird, weil man meint, unser„und" könnedie Bedeutung„und daher" oder ähnliche? haben, waö aber nichtder Fall ist. Einige Beispiele: 1. Der Dieb ist durch dasFenster eingestiegen und hat derselbe sich dabei einerStrickleiter bedient. 2. Der Pnnz ist gestern hier eingetroffenund fand auf der Straße trotz der Dunkelheit eine bfgeisterte Kundgebung statt. 3. Die Geschworenen bejahten die Schuld»frage und lautete das Urteil auf ein Jahr Zuchthaus. 4. Wirhaben Ihre Bestellung erhalten und wird dieselbe bestenseffektuiert(I) werden, b. Der Borsitzende eröffnete die Versammlungund wurde das Protokoll verlesen. 6. Der Vorsitzendeschloß die Versammlung und forderte sodann Bürger meisterZ.(was hier nicht etwa Wenfall ist, wie man etwa meinen sollte.londern Werfall I) zum Berlasien deS Saales auf. 7. Für eingrößeres Gut wird ein Hirt gesucht. Der Mann mutz verheiratetsein und muß die Frau mit melken. 8. Von DienSlag aufMittwoch hält das Regiment eine größere Nachtübung ab. Mittwocherhält dasselbe(!) feldmäßige Verpflegung und wird auf demGelände geschlachtet und abgekocht sin Deutschland, nichtetwa in Afrika!j. Dieses letzte Beispiel— man könnte Hundertezusammenstellen— zeigt so recht deutlich, wohin dieser Fehler führenkann. Aber das Ucbel ist sehr weit verbreitet. So wird der Reicks-tag immer noch mit der Formel einbcruien:„Der Reichstag wirdberufen, am... in Berlin zusammenzutreten, und beauf»tragen Wir den Reichskanzler mit den zu diesem Zwecke not-wendigen Vorbereitungen."— Schriftsteller, die sorgsam aus ihrenStil achten, vermeiden diese Umstellung oder Inversion, besondersweil sie so häufig zu lächerlichen oder häßlichen Verdrehungen desSinnes führt: bei Leising z. B. ist sie überhaupt nicht zu finden.Was klingt besser:„Wir haben Ihre Bestellung erhalten und wirddieselbe bestens effektuiert werden"— oder:„Wir haben Ihre Be-stellung erhalten und werden sie bestens ausführen"?Anthropologisches.Die Aurignacrasse und ihre Stellung imStammbaum der Menschheit, lieber dieses Thema hieltder bekannte Breslauer Profeffor K l a a t>' ch unier Vorlage desHauscrschen Fundes, über den Dr. L. Reinhardt in Nr. 34 deSUnterhaltungSblalieS berichtete, einen bemerkenswerten Vortrag inder letzten Sitzung der Berliner Anthropologischen Gesellschaft. DerOrt, wo das Skelett des Menschen von Aurignac von Hauser ge-funden wurde, ist eine Grotte bei Comb«- Capelle- Monlserrand(Pörigord), die genau gegen Süden 50 Meter über der Talsohleliegt, in der durch kalkhaltiges Wasier sich die Knochen überaus guterhalten konnten. Die der Leiche beigegebenen Werkzeuge undandere Merkmale beweisen, daß der Mensch von Aurignac ungefährgleichzeitig mit dem Neandertaler(benannt nach dem berühmtenFund in Neandertal, Regierungsbezirk Düsseldorf) gelebt hat; einkleines Idol aus Mammutzahn, das 1891 bei Brünn gefundenwurde, dürste einen Menschen der Aurignacraffe darstellen, die inihrem äußeren HabituS und dem Skelettbau in auffallender Weisevon dem Neandertalmensche» abwich. Dieser war im ganzen kolossalplump, hatte eine untersetzte Gestalt und ein kleines Stirnhirn.Dagegen zeigt der Gipsausgnß des Schädels vom Menschen vonAurignac eine schön gewölbte Stirn; der Sckädel ist lang undschmal, das Hinterhaupt, das Zentrum der BeobachrungSnervcn, starkausgebildet, ebenso sind deutliche Augenwülste, aber von sanftererEinordnung in das Gesicht als beim Neandertaler vorbanden. DaSKinn springt nicht vor. der mit einem Vollgebiß besetzte Unterkieferist zienilich schmal, schließt jedoch die Sprechfähigkeit nicht aus, dader Gaumen sehr stark gewölbt ist; die Nase ist wie bei dem Auswalneger tief eingezogen und klein. Die Gliedmaßen sind sehr schlankund gerade, die Unterschenkel wesentlich länger als beim Neander-taler. DaS alles berechtigt zu der Annahme einer besonderenAurignacrasse, wofür nock andere Ailbaltspunkte vorhanden sind.So zeigt uns daS diluviale Schlachtfeld von Krapina in KroatienKnochcnreste zweier verschiedener Menschenrassen, die hier offenbarauseinandergestoßen sind: solche vom Aurignac- und solche vomNcanderialtypus. Beide Raffen haben keinen nachweisbaren Ahnen;ihre Trennung muß schon sehr früh vor sich gegangen sein; derFund von Crokagnon zeigt eine spätdiluviale Mischung beiderRaffen. Die heutigen Nordeuropäer führt.Klaatsch aufden reinen Aurignaciyp zurück, während im Süden mehreine Mischform zwischen diesem und dem Neandertalervorherrscht. Der Mensch«tdn Aurignac, Australneger undEskimos gehen auf den gleichen Ursprung zurück, der auf nähereVerwandtschaft mit den asiatischen Menschenaffen— Drang undGibbon— hinweist, mit denen sicher eine morphologische Ver»wandtschast besteht. Dagegen gehört der Neandertaler zu den Prä-glazialen, älteren, afrikanischen Typen, zu dem Formenkreis, in demaucd Gorilla und Schimpanse ihre Stelle haben, wie ein Vergleichzwischen dem Skelett eines Gorillaweibchens und eines Neander-talerS beweist. Nicht als ob die genannten Affenarten Vorfahren.Vorformen des Menschen seien, fie sind vielmehr Dekadenzen, ge»zwungen, sich dem Leben im Urwald anzupassen, und somit zu„vorbeigelungenen Versuchen der Menschwerdung" verurteilt.(Die beiden überaus wichtigen Skelettfunde HauserS, sowohlder von Le Moustier wie von Aurignac, sind für das BerlinerMuseum für Völkerkunde erworben worden.)lserantw. Redakteur: Richard Barth, Be-'.in.— Druck u. Verlag: Vor»»rl,Buq»ruckerer u.Perl«g»attjiattPaulSlngeralCo..BerlmSV.