Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 72.

10]

Die Arena.

Donnerstag, den 14 April.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Vicente Blasco Ibanez  . Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Mitten in seinem Uebermut tamen ihm die ängstlichen Bedenken ins Gedächtnis, die er vor der Corrida   gehegt, und da er einen spöttischen Ausdruck in den Blicken des Nacional zu getahren glaubte, entschuldigte er sich lächelnd. Mich überkommt es immer so, wenn es gilt, zur Plaza zu fahren. Es ist so' was wie das Herzklopfen der Frauen­zimmer. Aber Du hast recht, Sebastian. Wie fagst Du das schon? Gott   oder die Natur, richtig, Gott   oder die Natur baben nichts mit den Angelegenheiten des Stierkampfes zu schaffen. Jeder zieht sich, wie er fann, heraus. Dont seiner Geschicklichkeit oder seinem Mut, ohne daß ihm der Schutz des Himmels oder der Erde nügen könnte. Du bist ein gescheites Luder, Sebastian, Du hättest eigentlich studieren follen."

Und in seiner freudigen Stimmung betrachtete er den Banderillo als einen Weisen, ohne der Spötterei eingedent zu sein, mit denen er stets seinen verzwickten Vernunftgründen zu begegnen pflegte.

Im Gasthof angelangt, stieß er schon unter der Haustür auf zahlreiche Verehrer, die vor Begierde brannten, ihn zu umarmen. Alle sprachen in fabelhaften Hyperbeln von seinen Heldentaten.

Oben fand er fein Zimmer mit Freunden angefüllt, Herren, die ihn duzten und ihn wie ungehobelte Viehtreiber und Hirten auf die Schulter Klopften.

and Du hast wieder gezeigt, daß Du ein ganzer Kerl bist." Gallardo entzog sich diesen Aeußerungen der Begeisterung, indem er mit Garabato in den Flur hinaustrat.

,, Geh und gib ein Telegramm nach Haus auf. Du weißt schon, wie es lauten muß: Wohlbehalten".

Garabato machte Einwendungen. Er wollte zuerst dem Maestro helfen, sich auszukleiden. Der Hausknecht könne das Telegramm aufgeben.

Nein, ich will, daß Du selbst das besorgst und zwar so­fort! Ich kann warten.... Du mußt auch noch ein zweites Telegramm schicken, Du weißt ja, an wen: an jene Dame, nun, an Donna Sol.

Ebenfalls: Wohlbehalten". Weiter nichts."

2.

Als die Senora Angustias ihren Mann, den Senor Juan Gallardo, einen ehrsamen Schuhflider des Feria- Stadtviertels, berlor, weinte sie mit der ganzen Betrübnis, die der Fall er­heischte, aber zu gleicher Zeit fühlte sie im Grunde ihres Ge­mütes die Erleichterung desjenigen, der nach langem, beschwer­lichem Marsch Halt macht und sich einer drückenden Last ent­Ledigt.

Armer Mann! Gott   habe ihn selig! Er war so herzens­gut, so arbeitsfam

In den zwanzig Jahren gemeinschaftlichen Lebens hatte er ihr feinen andern Verdruß bereitet, als solchen, wie ihn auch die übrigen Frauen des Viertels erleiden mußten. Von den drei Beseten Lagelohn, die er durchschnittlich durch seiner Hände Arbeit verdiente, überließ er seiner Frau eine für den Haushalt und behielt die übrigen zwei für Taschengeld und standesgemäßes Auftreten. Er mußte fich notwendigerweise ,, revanchieren", wenn die Kameraden einige Gläser zum besten gegeben hatten, und der andalusische Wein, eben deshalb, weil er so föstlich ist, war teuer. Desgleichen mußte er natürlich auch die Stiergefechte besuchen, denn wozu ist ein Mann, der nicht trinkt und feine Corrida besucht, eigentlich auf der Welt da?

Die Senora Angustias, die zwei Kinder zur Welt gebracht hatte, Encarnacion   und Juanillo, mußte eine vielseitige Tätig feit entwickeln, um sich und die Ihrigen durchzuschlagen. Sie arbeitete als Scheuerfrau in den wohlhabendsten Häusern des Stadtviertels, nähte für die Nachbarinnen, verkaufte für Rech­nung einer befreundeten Trödlerin Kleider und Schmucjachen und verfertigte Zigaretten für Private, indem sie ihre in der

1910

Jugend als Tabatarbeiterin erworbene Fertigkeit zu ver werten wußte.

Niemals hatte sich der Verstorbene gegen sie durch eheliche Untreue oder rohe Behandlung verfehlt. Sonnabends, wenn der Schuhflicker mit einem Rausch nach Hause tam, spät in der Nacht und am Arme von Bechkumpanen, floß er förmlich über von Zärtlichkeit und Frohsinn. Die Señora Angustias mußte ihn jedesmal energisch hineinschieben, denn er wollte vor der Tür stehen bleiben, wo er mit den Händen klatschte und mit lallender Stimme langsame Liebeslieder anstimmte, zu Ehren seiner beleibten Lebensgefährtin. Und wenn schließlich die Tür hinter ihm zugeschlagen wurde, womit die Nachbarn um ihr Vergnügen gekommen waren, wollte Señor Juan in feinem sentimentalen Dusel es sich absolut nicht nehmen lassen, die Kinder zu sehen, die längst im Bette schliefen. Er füßte fie, nezte sie mit dicken Tränen und wiederholte seine Liebes­strophen zu Ehren der Señora Angustias.( Olé- das schönste und beste Weib der Welt!) Die gute Frau mußte schließlich ihre Stirne glätten und lachen, während sie ihn entkleidete und wie ein krankes Kind zu Bette brachte.

Das war sein einziges Laster, der Trunk.. Armer Kerl!.. ... Mit Weibern und Spiel gab er sich nie ab. Reine Spur. Seinen Egoismus, auf Grund dessen er gut gekleidet, während seine Familie in Lumpen gehüllt war, und die Un­gleichheit, mit der er seinen Arbeitslohn verteilte, glich er durch großmitige Anwandlungen aus. Mit Rührung und Stolz er­innerte sich die Señora Angustias der hohen Festtage, an denen Juan fie nötigte, das Manillatuch und ihre Hochzeitsmantilla umzuschlagen, und mit ihr und den Kindern spazieren ging. Er trug einen weißen Cordoveser Hut und einen Stock mit silbernem Knopf, man hätte ihn für einen wohlhabenden Krämer halten fönnen. An den Tagen, wo der Eintritt zur Corrida   wohlfeil war, gab er seiner Frau, ehe er zur Plaza ging, einige Gläser Manzanillawein in der Campana zum besten.

Sene glücklichen Zeiten lagen nunmehr wie eine blasse Er­innerung hinter ihr zurück.

Der Señor Juan wurde auf einmal schwindsüchtig, und zwei Jahre lang mußte die Frau ihn pflegen und ernähren, in­dem sie sich noch mehr denn je anzustrengen hatte, um den Aus­fall der täglichen Beseta, die er ihr früher gab, auszugleichen. Schließlich starb er im Spital, ergeben in sein Schicksal, fest überzeugt, daß das Dasein ohne Manzanilla und Toros nichts wert ist, und sein letter Blick voll Dank und Zärtlichkeit war für seine Frau, als wolle er ihr noch mit den Augen zurufen: ,, Clé, das schönste und beste Weib der Welt!"

Nachdem die Señora Angustias Witwe geworden, war ihre Lage nicht schlimmer; im Gegenteil, fie hatte dadurch größere Bewegungsfreiheit erlangt und ihr war eine große Last be­nommen, nämlich der Unterhalt ihres kranken Mannes. Als rasch entschlossene Frau zeichnete sie ihren Kindern sofort den Weg vor. Encarnacion, die bereits siebzehn Jahre alt war, trat in die Tabakfabrik ein, dank den Empfehlungen einer Jugendfreundin der Mutter, die es in jenem Institut zur Werkmeisterin gebracht hatte. Juanillo, der seine Kindheit in der Werkstatt seines Vaters zugebracht hatte, sollte nach dem Willen der Mutter Schuster werden. Sie nahm ihn von der Schule fort, wo er notdürftig schreiben und lesen gelernt hatte, und mit zwölf Jahren trat er als Lehrling bei einem der besten Schuhmacher von Sevilla   ein.

Hier begann erst recht die Leidenszeit der armen Frau. Welch eine Aufführung des Jungens, des Sohnes so braver Eltern!... Fast jeden Tag nahm er, anstatt zu seinem Meister zu gehen, den Weg zum städtischen Schlachthaus mit anderen Taugenichtsen, die, zum Gaudium der Biehtreiber und Schlächter, mit größter Keckheit die Schlachtochsen neckten, bis sie von diesen in die Luft geschleudert und mit Füßen getreten wurden. Die Señora Angustias, die oft einen großen Teil der Nacht mit Nähen verbrachte, damit der Junge in an­ständiger Kleidung zur Werkstatt gehen konnte, begegnete ihm abends vor der Haustür, wo er es nicht wagte, hineinzugehen und andererseits wieder aus Furcht vor dem Hunger sich nicht getraute zu fliehen. Sein Zustand war jämmerlich. Seine Hosen waren zerrissen, seine Jode über und über beschmutzt und sein Gesicht voller Beulen, Schrammen und Kratwunden,