c Zu den Püffen des tückischen Ochsen kamen nun die Ohr- feigen und Besenstielhiebe der Mutter hinzu. Aber der Held «es Schlachthauses ertrug alles geduldig des lieben Brotes willen.„Schlag zu, aber gib mir zu essen." Und mit einem furchtbaren, von den heftigen Leibesübungen geschärften Eppe- tit verschlang er die ihm vorgesetzten harten Brotstücke, die Per- dorbenen Bohnen und den verfaulten Stockfisch, Schundwaren und Abfälle, die die sparsame Hausfrau in den Läden zu- sammensuchte. um die Familie ernähren zu können. Ter Bube ließ sich fast nie in der Werkstatt sehen. Den Vormittag verbrachte er im Schlachthaus und nachmittags lungerte er mit anderen Tagedieben in der Calle de los Sier- pes umher, neidische Blicke auf die engagementslosen Toreros werfend, die in der Campana zusammensaßen, feingekleidet, mit funkelnagelneuen Hüten, ohne eine Peseta in der Tasche, aber sie prahlten mit ihren Heldentaten. Juanillo betrachtete sie wie Wesen aus einer höheren Welt, er beneidete ihr statt- liches Aussehen und ihr keckes Auftreten den Weibern gegen- über. Allein die Erwägung, daß alle zu Haus ein goldgestick- tes, seidenes Kostüm aufbewahrten und es hie und da anzogen, um sich unter dem Rauschen der Musik den Blicken der Menge darzubieten, erfüllte ihn mit einem Schauer der Bewunderung. Der Sohn der Seüora Angustias war unter seinen zer- lumpten jwmeraden als das„Schusterlein" bekannt und er war stolz darauf, einen Beinamen zu führen, wie alle großen Männer, die in der Arena auftraten. Mit etwas muß doch der Anfang gemacht werden. Um den Hals trug er ein rotes Tuch, das er seiner Schwester entwendet hatte, und unter seiner Mütze lugte das Haar über den Ohren in dicken Büscheln her- vor, die er sich mit Speichel glattstrich. Die Zwillichkittel wollte er stets nur bis zum Gürtel reichend und mit zahlreichen Fol- ten versehen haben. Die Hosen, alte Ueberreste der Kleidung seines Baters, durch die Seüora Angustias zurechtgemacht, mußten bis an die Brust heranreichen, die Hüften eng um- schließen, in den Beinen so breit wie möglich sein, und wenn die Mutter sich diesen Forderungen nicht fügen wollte, weinte und heulte er erbärmlich. sgortsetzung folgt.]! lNachdruck verkoten.) 51 Menn die J�atur ruft. Von Jack London . Autorisierte Uebersetzung von L. L L n s. Ein lauter Fluch Perraults, der Ton eines dröhnenden Knüppelhiebes und ein schriller Schmcrzensschrei übertönte auch den Lärm des Zweikampfes. Ganz plötzlich wimmelte es im Lager - von wüst aussehenden, ruppigen Kötern. ES war eine ganze Rotte, i die wohl von einem Jndianerdorf kommend, auf ihrem Streifzuge � auf das Lager gestoßen war. Während Buck und Spitz die Aufmerk- samkeit der anderen auf sich lenkten, waren sie herangekommen, und als Perrault, der sie bei der Voratskiste bemerkt hatte, mit dem Knüppel dazwischen sprang, setzten sie sich zur Wehr. Die Kiste fiel polternd zu Boden, und die ausgehungerte Schar fiel über den Inhalt her. Wie dicht auch die Knüppelhiebe fielen, die Köter jaulten wohl vor Schmerz laut auf, doch von ihrer Beute ließen sie nicht, bis auch das letzte Krümchen verzehrt war. Inzwischen waren auch die bestürzten Schlittenhunde heran- gekommen, aber gegen die frechen Eindringlinge war nichts auszu- richten. Noch niemals hatte Buck solche Biester gesehen. Es schien, als ob die Knochen durch die Haut hindurchkommen müßten; die reinen Gerippe waren es, um die der ruppige graue Pelzbalg nur so schlotterte, aus dem nur die blendend weißen Zähne und die blitzenden Augen hervorleuchteten. Der Hungerwahnsinn sah aus ihnen heraus; es war ein entsetzlicher Anblick. Gegen diese Rotte war nichts zu machen. Schon beim ersten Ansturm wurden die Schlitienhunde gegen den Felsen zu gedrängt; drei Köter fielen allein über Buck her, und im Handumdrehen hatten sie ein Loch quer über seinen Rücken gerissen. Es war ein furchtbares Durcheinander. Billy schrie wie gewöhnlich in den höchsten Tönen, Dasch und Solleks kämpften tapfer Seite an Seite, wenn auch das Blut aus ihren Wunden floß, Jeß schnappte um sich wie besessen. Dem einen wilden Hunde biß er mit einem Schlage seiner Kiefer das Vorderbein bis auf den Knochen durch, worauf Peik hinzusprang und dem Verwundeten die Kehle durchriß. Auch Buck hatte einen seiner Widersacher am Halse. Als seine Zähne sich tief in die Gurgel gruben und der Ge- jchma'ck des warmen Blutes seine Zunge berührte, wurde er voll- ends rasend. Auch auf den zweiten sprang er zu, ihn ebenso ab- zukehlen, als er einen Biß am eigenen Halse fühlte. Es war Spitz, der Verräter, der ihn von der Seite apgriff. Da aber sprangen Perrault und F» mqois zu, die sich eben mit Mühe der Bestien entledigt hatten. Aber nur einen Augenblick Vonnten fie ihren Hunden helfen, dann mußten fie von neuem den Proviant verteidigen. Billy, dem die Todesangst ungewöhnliche Kraft verliehen hatte, sprang plötzlich in hohem Satze über den ihm umgebenden dichten Knäuel und floh auf die Eisfläche des Sees hinaus. Peik und Dub folgten nach, und auch die übrigen Schlitten- Hunde suchten ihr Heil in der Flucht. Buck rüstete sich eben zum Sprunge, sah aber in demselben Augenblicke, daß Spitz von der Seite her auf ihm zustürmte. Geschickt wich er aus, denn das war sicher, wenn er hier inmitten dieses Gesindels auch nur einmal strauchelte, so war es um ihn geschehen. Dann setzte er über die Köpfe der fremden Hunde fort und folgte den anderen auf den gefrorenen See., Als sich endlich die neun Hunde zusammengefunden hatten, suchten sie Schutz im nahen Walde. Wenn sie auch nicht mehr verfolgt wurden, so ging es ihnen doch noch schlecht genug. Nicht einer war unter ihnen, der nicht tiefe Wunden davongetragen hatte. Dub hinkte auf beiden Vorderbeinen, Dolly, die zuletzt ge- kommene Eskimohündin, trug eine klaffende Wunde am Halse; Jeß chatte ein Auge verloren, und dem gutmütigen Billy hingen die Ohren in Fetzen um den Kopf; er wimmerte und jaulte erbärmlich, Kaum, daß der Tag zu dämmern begann, waren fie wieder beim Lagerplatz, wo die beiden Männer sie erwarteten. Die Räuber waren, als kein Fraß inchHou finden war, abgezogen. Fast sämt- liebe Eßvorräte waren fort, und auch manche andere Dinge. Die Schlittenriemen waren zerkaut, ebenso wie die Leinwand, die über den Schlitten gelegen hatte, Perraults pelzverbrämte Moccasins und sogar die Schnur von Franqois' Peitsche. Beim Anblick der unglücklichen Hunde fing er laut zu jammern an. „Ach, gute Kerle, alle von euch", rief er,„und kein Mann kann wissen, ob sie nicht toll waren, die Biester verdammte. Kann sein, daß toll werdet ihr alle meine Freunde. Teifel, Teifel. alle toll, meine schöne Hündel" Auch Perrault schüttelte bedenklich den Kopf. Noch vierhundert Meilen waren es bis Dawson; was sollte er anfangen, wenn Toll» Wut ausbrach. Nach zwei Stunden harter Arbeit, unter Fluchen und Stöhnen, waren endlich die Stricke zusammengeknotet, die Riemen ausgebessert und die Hunde angeschirrt. Und gerade jUtzt hatten sie mit den wunden Gliedern und den steifen Knochen das schwerste Stück des Weges vor sich. Der Dreißigmeilenfluß gab keine Bahn ab. denn das schnell- fließende Wasser fror nicht, und nur auf ganz vereinzelten Strecken stand etwas Eis. Nun mußten sie hart am Flußufer entlangfahren. dreißig schreckliche Meilen in sechs furchtbaren Tagen. Jeder Schritt brachte Lebensgefahr für Menschen und Hunde. Wohl ein! dutzendmal brach Perrault , der als Pfadfinder voranlief, durch das trügerische Lufteis. Nur die lange Stange, die er quer vor sich hertrug, verhinderte es, daß er nicht untersank, weil fie sich stets quer über das Loch legte, das sein Körper brach. Aber ein eisiges Bad war es immer, denn das Thermometer zeigte fünfzig Grad unter Null. Und jedesmal, wenn er eingebrochen war, mußte Rast gemacht und Feuer angezündet werden, denn es wäre sein Tod gewesen, hätte er nicht sofort die frosterstarrten Glieder erwärmt und die steif gefrorenen Kleider aufgetaut und getrocknet. Perrault aber verlor den Mut nicht. Sein kleines, runzelige? Gesicht trotzte jeder Gefahr, jedem Wind und jedem Wetter; vom Morgen bis zum Abend kämpfte er sich tapfer durch; nichts war ihm zu schwer und zu anstrengend, und gerade deshalb hatte die i Regierung ihn für die wichtigsten Meldungen zum Boten erwählt. Einmal brach auch der Schlitten ein und zog Buck und Dasch mit sich. Halb erfroren und fast ertrunken wurden sie herausgezogen, und auch für sie wurde ein Feuer angemacht. Sie waren ganz mit Eis bedeckt, aber die beiden Männer führten sie im engen Kreise so lange und so nahe um das Feuer, bis ihr Fell wieder trocken und warm war; etwas versengt war es allerdings auch. Ein anderes Mal brach Spitz ein und zog die anderen Hunde hinter sich her. Nur Buck gelang es mit aller Kraft, sich durch Auf- stemmen der Vorderpfoten zurückzuhalten, und dann schob auch Dasch zurück, und Franqois konnte den Schlitten halten. Und wieder ein anderes Mal brach das Eis vor und hinter ihnen. Es war ein wahres Wunder, daß Perrault sich noch auf einen Felsen? retten konnte. Mit Aufbietung aller Kraft zog er die Hunde hinter sich her, und mit Hilfe aller Vorräte an Stricken und Riemen konnte der Schlitten verankert und schließlich auch nach oben gc- bracht werden. Aber was nun? An einer anderen Stelle wieder hinunterzukommen war fast noch schlimmer, und es wurde Nacht, bis sie wieder auf einer dickeren Eisstelle auf dem Flusse standen. Eine viertel Meile nur waren sie an diesem Tage vorwärts gekommen. Als sie endlich am Hootalinqua ankamen, der gute Bahn bot, war Buck mit seiner Kraft zu Ende, und den anderen Hunden ging es fast ebenso. Aber Perrault , der die verlorene Zeit wieder einholen wollte, trieb sie vorwärts von früh bis spät. An einem Tage brachten sie dann auch fündunddreißig Meilen hinter sich bis zum Großen Lachs, und noch einmal fündunddreißig am folgenden Tage bis zum Kleinen Lachs, und als fie am dritten Tage sogar vierzig Meilen zurücklegten, waren sie endlich am Fünf- fingergebirge angelangt. Bucks Füße waren nicht so hart und widerstandsfähig wie die der Nordlandhunde. Die Geschlechter, die vor ihm auf der Welt waren seit den Tagen, in denen sein Ahnherr einst der Begleiter eines Höhlenmenschen gewesen sein mochte, hatten weichere Füße bekommen. Er konnte vor Schmerzen kaum auftreten, und wenn abends Rast gemacht wurde, fiel er hin wie tot. Selbst der Hunger konnte ihn nicht dazu bringen, aufzustehen und sein Fleisch z»
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27 (14.4.1910) 72
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