Nnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 79. Sonnabend den 23 April. 1910 tNachdru« McSoten.) 17] Die Hrena. Roman von V icente Blasco Jbanez. Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Nach und nach gewöhnte sich Carmen an ihr neues Da- sein. Sie nahm das qualvolle Hangen und Bangen, die Be- suche bei den Gnadenbildern und die Ungewißheiten an Corridatagen wie ein notwendiges Uebel hin. Außerdem machte sie sich schließlich in Anbetracht des Glücks, das ihr Mann hatte, und infolge des Umstandes, daß bei ihr zu Hause beständig von Stiergefechten die Rede war, mit dem Gedanken der Gefahr vertraut. Der wilde Stier verwandelte sich all- mählich in ihrer Vorstellung in ein gutmütiges, braves Tier, das geboren war zu dem alleinigen Zweck, seine Töter zu bereichern und berühmt zu machen. Niemals wohnte sie einem Stiergefecht bei. Von dem Tage an, wo sie in seiner ersten Novillada den sah, der ihr Mann werden sollte, betrat sie den Zirkus nicht wieder. Sie fühlte sich nicht stark genug, um eine Corrida mit anzusehen. selbst wenn Gallardo mchl milwirtle. Sie würde ohnmächtig geworden sein, wenn sie andere Männer, die dasselbe Kostüm wie Juan trugen, in der Todesgefahr gesehen hätte. Drei Jahre nach seiner Verheiratung erlitt der Espada in Valencia einen Unfall. Carmen erfuhr es erst später. Dos Telegramm mit dem bewußten„Wohlbehalten" traf zur richtigen Stunde ein. Es war das Werk Don Jos6s. des Verwalters, der Carmen jeden Tag besuchte und allerhand Kniffe anwandte, um ihr die Zeitungen vorzuenthalten. Auf diese Weise gelang es ihm, ihr das Unglück acht Tage lang zu verhehlen. Als Carmen die Sache durch die Schwatzhaftigkeit der Nachbarinnen erfuhr, wollte sie plötzlich abreisen, zu ihrem Mann hin, um ihn zu pflegen, denn sie stellte sich ihn von aller Welt verlassen vor. Die Reise kam aber nicht zustande. Ehe sie abfuhr, kam der Espada zu Hause an. bleich infolge des erlittenen Blutverlustes, mit einem verbundenen, zu langer Unbeweglichkeit verurteilten Bein, aber munter und guter Dinge, um seine Familie zu beruhigen. Das Haus verwandelte sich von dem Augenblick ab in eine Art Heilig- tum, indem Hunderte von Personen den Patio betraten, um Gallardo zu besuchen, den„ersten Mann der Welt", der auf seinem Rohrswhl saß, mit dem Bein auf einem Schemel, und ruhig rauchte, als ob er seine Wunde nicht fühlte. Doktor Ruiz, der mit ihm nach Sevilla gekommen war, erklärte ihn für genesen, ehe ein Monat verstrichen war, und er bewunderte die Stärke seines Organismus. Die Leichtig- keit, mit der die Stierfechter im allgemeinen von ihren Wunden heilen, war für ihn ein Rätsel, trotz seiner langen Erfahrung als Wundarzt. Das Horn, mit Kot und Blut be- schmutzt, oft noch dazu infolge der Stöße splitterig geworden, zerreißt und durchbohrt das Fleisch, so daß nicht nur eine Stichwunde, sondern auch zugleich eine Quetsch- und Reiß- wunde entsteht, und trotz allem pflegt die Heilung immer viel leichter als bei anderen Wunden zu erfolgen. „Ich weiß nicht, woran es liegt," sagte der alte Wund- arzt.„Es ist ein Geheimnis. Entweder haben die Burschen Hundefleisch oder dem Horn wohnt eine heilende Kraft inne, die wir nicht kennen." Kurz darauf trat Gallardo wieder auf, ohne daß jener Unfall, wie feine Feinde behauptet hatten, seinen Fechtermut im geringsten abgekühlt hätte. Vier Jahre nach der Hochzeit bereitete der Espada seiner Frau und seiner Mutter eine große Ueberraschung. Er sollte Grundbesitzer, und zwar Großgrundbesitzer werden, mit unabsehbaren Ländereien, Oelbaunipflanzungen, Mühlen und Viehherden; er sollte ein großartiges Landgut, wie es die reichen Leute von Sevilla besitzen, sein eigen nennen. Wie alle Stierfechter war Gallardo von dem heißen Wunsch beseelt, Eigentümer von Ländereien und Pferden und Viehherden zu werden. Städtischer Grundbesitz und Wertpapiere haben für diese Art Leute keine Anziehungs- kraft und das Verständnis dafür geht ihnen ab. Der Stier leitet ihre Gedanken auf die grüne Landfläche, das Pferd er- innert sie an das Feld. Das fortwährende Bedürfnis nach Bewegung und Uebung, nach Jagden und Märschen während der Wintermonate geben ihren Wünschen nach Landbesitz immer neue Nahrung. Gallardo war der Ansicht, daß nur der Eigentümer eines Landgutes und großer Viehherden ein reicher Mann sei. Von der Zeit her. da er als armer Schlucker durch Oelbaum- Wälder und Feldfluren kreuzte, hegte er den innigen Wunsch, Felder und Wiesen auf stundenweite Entfernungen zu be- sitzen, die wirklich ihm gehörten und durch eine Einfriedi- gung von Stacheldraht verschlossen würden. Sein Verwalter kannte diese Wünsche. Don Jose war es, dem die Interessen Gallardos anvertraut waren, der die Gelder von den Zirkusunternehmern einzog und darüber eine Rechnung führte, die er stets vergebens dem Matador auseinanderzusetzen versuchte. „Ich verstehe nichts von diesen Geschäften," sagte Gallardo selbstzufrieden mit seiner Unwissenheit.„Ich weiß nur, wie man Stiere niederstreckt. Tut, was Euch beliebt, Don Jose, ich habe Vertrauen und weiß, daß Ihr alles zu meinem Besten tun werdet." Und Don Jose, der kaum an seine eigenen Interessen dachte, sorgte für nichts als das Vermögen des Matadors, das er eifriger als das seine vermehrte. Eines Tages redete er seinem Schützling freudig zu. „Nun habe ich, was Du wünschest. Ein Landgut, groß wie eine Welt und zudem sehr wohlfeil, ein wirklicher Aus- nahmepreis. Nächste Woche setzen wir den Kontrakt auf." Gallardo wollte die Lage und den Namen des Landguts wissen. „Es heißt La Rinconada." Als Gallardo mit Frau und Mutter das Gut in Besitz nahm, zeigte er ihnen die Scheune, in der er mit den Ge- nassen aus seiner elenden Wanderzeit geschlafen, und das Zimmer, worin er mit dem Eigentümer gespeist hatte sowie den kleinen Zirkus, in dem er eir. Stierkalb niedergestochen und damit zum ersten Male das Recht erworben hatte, die Eisenbahn zu benutzen, ohne sich unter den Sitzplätzen ver- stecken zu müssen. 3. An den Winterabenden, wo Gallardo nicht in La Niu- conada war, versammelte sich eine Gesellschaft von Freun- den im Eßzimmer seiner Wohnung in Sevilla . Unter den ersten Ankömmlingen befanden sich der Satt- ler und seine Frau, von denen zwei Kinder ständig im Hause des Matadors wohnten. Carmen hatte die jüngsten Kinder ihrer Schwägerin zu sich genommen, als ob sie ihre eigene Kinderlosigkeit vergessen wollte, und die Stille der großen Wohnung ihr unangenehm gewesen wäre. Sowohl aus innerem Antriebe als auch auf Weisung ihrer Eltern lieb- kosten die beiden Kleinen stündlich unter Küssen und wie Kätzchen zärtelnd ihre schöne Tante und den freigebigen be- rühmten Onkel. Encarnacion , so korpulent wie ihre Mutter geworden und durch ihe Kindbetten erschlafft, lächelte unterwürfig ihrer Schwägerin zu und entschuldigte sich fortwährend wegen der durch die Kinder verursachten Unruhe. Bevor jedoch Carmen antworten konnte, fiel der Sattler ein. „Laß sie doch, Frau. Sie haben Onkel und Tante so liebl Die Kleine könnte ohne Tantchen Carmen nicht leben." Und so blieben die beiden Kleinen dort wie zu Hause, mit kindlichem Scharfblick betrieben sie die Liebkosungen und Zärtlichkeiten gegen die reichen Verwandten, von denen sie alle Welt mit Ehrfurcht sprechen hörten. Sobald das Abend- brot eingenommen war, küßten sie der Sennora Angustias und ihren Eltern die Hand, fielen dann Gallardo und seiner Frau um den Hals, worauf sie das Eßzimmer verließen und sich zu Bette begaben. Die Großmutter hatte einen Sessel zu Häupten des Tisches inne. Wenn der Matador Leute eingeladen hatte, fast immer Personen von gesellschaftlicher Stellung, sträubte sich die gute Frau dagegen, den Ehrenplatz am Tische einzu- nehmen.
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27 (23.4.1910) 79
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