Anterhallungsblatt des vorwärts Nr. 84. Sonnabend den 30 April. 1910 (RaAttad vecseun.) 22] Die Hrena. Roman von Vicente BlaLc« Jbanez. Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Sie gaben den Pferden die Sporen, um die ihnen nachspringenden Straßenjungen hinter sich zu lassen, und die engen Gassen mit ihrem blauen Pflaster und ihren weißen Häuserreihen hallten von den gleichmäßigen Hufschlägen wider. In der ruhigen, vornehmen Straße, wo Donna Sol wohnte, trafen sie auf andere Lanzenreiter, die unbeweglich auf ihren Pferden vor der Türe warteten. Es waren junge Herren, Verwandte und Bekannte der Dame, die den Stier- fechter mit liebenswürdiger Ungezwungenheit begrüßten und ihrer Freude Ausdruck gaben, daß er auch zum Feste ge- kommen war. Der Marauis de Moraima kam aus dem Hause und stieg sofort zu Pferde. „Das Mädel wird sogleich herunterkommen. Man weiß ja, daß Frauen mit ihrer Toilette nie fertig werden." Das sagte er in langsamem Tone, mit der Würde, die allen seinen Worten anhaftete, wie wenn eS Orakelsprüche wären. Er war ein hochgewachsener, älterer Mann, von knochigem Körperbau, mit großem, weißem Backenbart, sein Mund und seine Augen bewahrten einen kindlich-freien Aui- druck. Höflich und gemessen in seinen Worten, nobel in seinen Manieren und selten lächelnd, war der Marquis de Moraima der Typus des Edelmannes früherer Zeiten, fast immer im Reitanzug, dem städtischen Leben abhold und mit Wider- streben den gesellschaftlichen Pflichten seines Standes nach- kommend, wenn diese ihn in Sevilla zurückhielten; dagegen stets bereit, die Felder zu durchstreifen inmitten der Aufseher und Kuhhirten, die er mit kameradschaftlicher Herablassung behandelte. Aus Mangel an Gewohnheit hatte er fast das Schreiben verlernt, aber sobald in seiner Gegenwart das Ge- spräch auf das wilde Vieh, auf Stier- und Pferdezucht oder auf Landwirtschaft gelenkt wurde, belebten sich seine Augen, und er gab seine Meinung mit der Sicherheit eines gründ- lichen Kenners ab. Die Sonne war umschleiert und daS goldene Licht, das auf einer Seite' der blendend weißen Häuserreihe lag, war blaß geworden. Einige schauten hinauf; über das von den Reihen der Dächer begrenzte blaue Band zog eine dunkle Wolke. „Es hat nichts zu bedeuten," sagte der Marauis ge- wichtig. Und alle pflichteten ihm überzeugt bei. Es konnte nicht regnen, wenn es der Marquis de Moraima so versicherte. Er kannte das Wetter wie ein alter Schäfer, und ein Irrtum von seiner Seite war vollständig ausgeschlossen. Dann wandte er sich zu Gallardo. „Ich werde Dir dieses Jahr einige herrliche Stiergefechte verschaffen. Was für Tiere I Wir werden schon sehen, wie Du Dich mit ihnen abfindest. Du weißt, daß ich mit der letzten Saison nicht ganz zufrieden war. Die Tiere waren es wert, daß Du Dich etwas mehr angestrengt hättest." Jetzt erschien Donna Sol, die in einer Hand das schwarze Reitkleid hielt, unter welchem die Schäfte ihrer hohen grauen Lederstiefel sichtbar waren. Sie trug ein Männerhemd mit roter Halsbinde, eine Jacke und Weste von violettem Samt und einen spitzen Samthut, der anmutig auf einer Seite über den Haarlocken lag. Trotz der plastischen Fülle ihrer begehrenswerten Schön- heit stieg sie flink zu Pferde und sie empfing die Garrocha aus der Hand eines Dieners. Ihre verzögerte Ankunft ent schuldigend, begrüßte sie die Freunde, während ihre Blicke zu Gallardo schweiften. Der Verwalter, seine Stute kräftig spornend, wollte sich ihr nähern und ihn vorstellen, aber Donna Sol kam ihm zuvor und ritt aus den Stierfechter zu. Gallarda war durch die Gegenwart der Dame der Fassung gebracht. Welch eine Frau! Was würde sie ihm sagen? Er sah, daß sie ihm ihre Hand entgegenstreckte, eine fein gebaute, wohlriechende Hand, die er in seiner Befangenheit nicht anders zu behandeln wußte, als ihr einen Druck seiner Riesenfaust zu geben, mit der er Stiere niederwarf. Aber das weiße, rosige Pfötchen wehrte sich mit einer elastischen Be» wegung und entschlüpfte mit Leichtigkeit aus der Umklam- merung. „Vielen Dank, daß Ihr gekomnien seid. Freut mich, Euch kennen zu lernen." Und der Stierfechter, der in seiner stummen Vewund�- rung die Notwendigkeit einer Erwiderung fühlte, stotterte, als ob er einen Aficionado vor sich gehabt hätte: „Danke. Geht es der Familie gut?" Ein diskretes Lachen der Dame verlor sich in dem Lärm der aufschlagenden Pferdehufe, die bei den ersten Schritten auf den Steinen ausglitten. Sie setzte ihr Pferde in Trab, und der Reiterschwarm folgte ihr nach, um sie her eine Es- körte bildend. Gallardo ritt beschämt am Ende, ohne aus seiner tiefen Befangenheit herauszukommen; er war sich dunkel bewußt, daß er sich töpelhaft benommen hatte. Sie galoppierten vor die Stadt hinaus, den Fluß ent- lang, indem sie den Goldturm hinter sich ließen, über breite Alleen, mit gelbem Kies bestreut und von schattigen Gätten eingefaßt: sie kamen schließlich auf eine Landstraße, die mit Herbergen und kleinen Schankwirtschaften besät war. Bei der Ankunft in Tablada sahen sie auf der grünen Fläche eine dunkle Masse von Menschen und Wagen. Der Guadalquivir zog seinen Lauf längs der Flur. Am gegen- überliegenden Ufer stieg San Juan de Aznalfaroche an der Bergseite empor, überragt von den Ruinen eines alten Schlosses. Die weißen Landhäuser stachen von den silber- grauen Massen der Oelbaumpflanzungen ab. Am Ende deS gegenüberliegenden weiten Horizontes, auf einem blauen, leichtbewölkten Hintergrunde, sah man Sevilla , dessen Häuser- gewirr von der gewaltigen Masse der Kathedrale und von der im Abendschein rosig angehauchten Giralda (Wetterfahne in Form einer Figur) überragt wurde. Die Reiter kamen zwischen der flutenden Menschen- menge nur langsam vorwärts. Die Neugier, die die Eigep- arten von Donna Sol erweckten, hatte fast die gesamte Damenwelt von Sevilla angelockt. Die Freundinnen be- grüßten sie von ihren Kutschen aus und fanden sie in ihrer männlichen Kleidung sehr schön. Ihre Verwandten, die Töchter des Marquis, von denen einige ledig, die anderen in Begleitung ihrer Ehegatten erschienen waren, mahnten sie zur Vorsicht:„Um Gottes willen, Sol, nur keine Torheiten!" Im Mittelpunkte der Einfriedigung waren die Stiere beisammen. Einige weideten friedlich oder lagen unbeweg» lich mit eingezogenen Beinen und gesenkten Nüstern auf dem etwas rötlichen Grün der Winterwiese. Andere, wider» spenstigerc, trabten gegen das Flußufer hin, und die alten, gesetzten Leitstiere, mit ihren lärmenden Kuhglocken um den Hals, suchten sie zu erreichen, während die Aufseher ihnen beim Zurückholen der versprengten Tiere halfen, indem sie aus ihrer Schleuder mit erstaunlicher Treffsicherheit Skeine zwischen die Hörner der Flüchtlinge warfen. Lange Zeit blieben die Reiter unbeweglich, als ob sie unter den ungeduldigen Blicken des Publikums, das etwas Außergewöhnliches erwartete, beratschlagen wollten. Der erste, der sich von ihnen absonderte, war der Mar» quis, von einem Freunde begleitet. Die beiden Reiter ga- loppierten an die Gruppe der Stiere heran, und in ihrer Nähe angekommen, stellten sie sich aufrecht in die Steigbügel, schwangen ihre Lanzen in der Luft und erhoben ein lautes Geschrei, um die Stiere aufzuschrecken. Ein schwarzer Stier mit starken Beinen löste sich von den übrigen ab und lief gegen den Hintergrund der Einfriedigung. Der Marquis hatte vollen Grund, auf seine Züchterei stolz zu fein, die aus vorzüglichen, durch sorgsame Kreu- zungen verbesserten Rassen bestand. Da sah man keine nur zur Fleischerzeugung bestimmten ruhigen Tiere, mit schmutzi- gem, rauhem, faltigem Fell, breiten Hüften, gesenktem Kopf und riesigen, schlecht sitzenden Hörnern. Da gab es nur Tiere von nerviger Lebhaftigkeit, stark und schnell, mit glatten, wie bei einem Luxuspferd glänzenden Haaren, feurigen Augen, breitem, herausfordernden Hals, dünnem, sehnigen Schwanz. leichten, spitzen und polierten Hörnern, wie wenn ein Künstler
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27 (30.4.1910) 84
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