Unterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 89. Dienstag� den 10. Mai. 1910 lSiaSdru« Uttettnj 27J Die Hrena» Roman von Vieente Blasco Jbanez. Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Sie sind genau so wie wir," sagte er mit Rührung, nur die Sprache fehlt ihnen.... Was sage ich, wie. wir? Es gibt deren, die gescheiter sind als ein Mensch." Und er erzählte von Lobito, einem alten, bereits ge- zähmten Stier, indem er versicherte, daß er ihn für ganz Sevilla mitsamt der Giralda nicht hergeben würde. Sobald er, durch die weiten Ländereien galoppierend, die Herde, bei der dieses Prachttier weidete, zu Gesichte bekam, genügte ein Ruf, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.Lobito!" Und Lobito verließ seine Gefährten, kam dem Marquis entgegen und benetzte mit seinem freundlichen Maul die Stiefel des Reiters, trotzdem es ein krafwolles Tier war, das der ganzen Herde Respekt einflößte. Der Züchter stieg alsdann vom Pferde, suchte aus der Reittasche ein Stück Schokolade hervor und gab es Lobito, der seinen mächtigen, mit ungewöhnlich großen Hörnern de- waffneten Kopf dankbar schüttelte. Einen Arm um den Hals des Tieres gelegt, schritt der Marquis weiter und mischte sich ruhig unter die Schar der Stiere, die, durch die Gegenwart eines Menschen erregt, sich unruhig hin und her bewegten. Gefahr war nicht vorhanden. Lobito ging weiter, wie ein Hund, seinen Herrn mit seinem Körper deckend, und blickte nach allen Seiten hin, wie um die Gefährten mit seinen feu- rigen Augen in Schrecken zu halten. Wenn ein besonders kecker Stter herankam und den Marquis beschnüffelte, fand er sich von den Hörnern seines Begleiters bedroht, und wenn sich einige zusammentaten, um ihm mit plumpen Kopfbewe- gungen den Weg zu versperren, stemmte Lobito seinen be- waffneten Kopf zwischen iie und brach sich Bahn. Ein Schimmer der Verzückung und der Rührung legte sich auf die glatten Lippen und den weißen Backenbart des Marquis, wenn er sich die bemerkenswertesten Züge aus dem Leben einiger Tiere seiner Zllchterei ins Gedächtnis zurückrief. Der Stier!... Es ist das edelste Tier der ganzen Schöpfung! Wenn die Menschen wären wie sie, wäre alles in der Welt besser. Da war zum Beispiel der arme Coronel. Erinnern Sie sich dieses hochherrlichen Tieres?" Und mit dem Finger wies er auf eine große Photographie in prachtvollem Rahmen, die ihn selbst in viel jüngeren Jahren darstellte, von mehreren weißgekleideten Mädchen umgeben, alle inmitten einer Wiese auf einer schwärzlichen unförmlichen Masse sitzend, an deren einem Ende ein paar Hörner sichtbar waren. Diese dunkle, rohe Bank mit scharfem Rücken war Eoronel. Groß von Gestalt und von äußerster Wildheit gegen seine Herdengenossen, zeigte er sich seinem Herrn und dessen Familie gegenüber von liebevoller Unterwürfigkeit. Er war wie jene Bulldoggen, die, grimmig gegen Fremde, sich von den Kindern des Hauses am Schwanz und an Ohren zerren lassen und alle ihre Ausgelassenheiten mit einem gut- wütigen Grunzen hinnehmen. Der Marquis war von seinen noch ganz jungen Töchtern begleitet, und der Stier schnüffelte an den weißen Kleidern der Kleinen herum, die sich furchtsam an die Beine ihres Vaters klammerten, bis sie schließlich mit kindlichem Uebermut ihm das Maul kitzelten.Leg Dich. Coronel!" Das Tier ließ sich auf die Knie nieder und schließ- lich auf den Bauch der Länge nach auf den Boden und die Familie setzte sich auf ihn, hin und her bewegt von dem mächtigen Blasebalg seiner Lungen. Eines Tages, nach langem Hin- und Herschwanken, ver- kaufte der Marquis das Tier für den Zirkus von Pamplona und wohnte dem Schauspiel selbst bei. Die Erinnerung an dies Ereignis brachte ihn jedesmal zur Rührung und feine Augen verschleierten sich mit einem nassen Glanz. In feinem Leben hatte er keinen Stier wie diesen gesehen! Mutig trat er in die Arena ein, in deren Mitte er stehen blieb, er- staunt über das helle Licht nach dem trüben Dunkel des Zwingers und über den Lärm von Tausenden von Menschen nach der Stille des Gehöftes. Aber sobald ihn ein Picador mit der Lanzenspitze berührt hatte, schien er den ganzen ZirkuS mit seiner ungeheuren Wildheit auszufüllen. Er schonte weder Menschen noch Pferde. In einem Äuget* blick hatte er alle Pferde nebst ihren Reitern über den Haufen geworfen oder die Picadore in die Lust geschleudert. Die Be- diensteten sprangen herbei, und der ganze Ring glich einer Hufschmiede. Die Zuschauer verlangten noch mehr Pferde, und Coronel. in der Mitte des Platzes, wartete, bis jemand sich nähern würde, ihm heimzuleuchten. Solchen Edelmut und solche Kampflust wird man nie wieder zu sehen bekommen. Ihm genügte ein Wink, um heranzuspringen und den Kampf aufzunehmen mit einer Todesverachtung, die die Begeisterung der Zuschauer ins Riesenhafte steigerte. Als das Signal zum Töten ertönte, hatte er vierzehn Lanzenstiche ausgehalten und hatte den Hals mit Banderillas gespickt. Trotzdem war er noch so ungebrochen und kühn, als hätte er seinen Weideplatz nie verlassen. Alsdann... Hier machte der Stierzllchter immer eine Pause, um Atem zu schöpfen und seine zitternd gewordene Stimme zu kräftigen. Aldann sah sich der Marquis de Moraima, der sich in seiner Loge befand, plötzlich und ohne zu wissen wie, hinter der den Ring abschließenden Barriere, inmitten der Bedienstete� die. von dem an Zwischenfällen so reichen Kampfe aufgeregt, herumsprangen, und in nächster Nähe des Matadors, der sein rotes Tuch mit einer gewissen Ruhe zurechtlegte, als ob er den Augenblick verzögern wollte, wo er einem so krafwollen Tiere den Garaus machen sollte.Coronel!" schrie der Mar- quis und lehnte den Oberkörper über die Barriere hinaus, mit den Händen an die Bretter klopfend. Das Tier stand unbeweglich, hob jedoch den Kopf ber diesem Rufe aus einer fernen Gegend, die es nicht wiedersehen sollte.Coronel!"... Endlich bog er den Kopf zur Seite, bemerkte einen Mann, der es von der Barriere aus anrief und sprang in gerader Linie auf ihn zu. Allein auf halbem Wege mäßigte es seine Schritte und näherte sich langsam, bis es mit seinen Hörnern die sich ihm entgegenstreckenden Arme berührte. Die Streifen Blutes, die aus den in seinen Hals eingefleischten Hölzern und der aufgerissenen Haut, die die blauen Muskeln bloßlegte, hervorsickerten, hatten seinen Nacken dunkelrot gefärbt.Coronel! Mein Sohn!"... Und als ob der Stier diese Ausbrüche der Rührung verstanden hätte, erhob er den Kopf und benetzte mit seinem Schaum den Backenbart seines Herrn.Warum hast Du mich hierher ge- bracht?" schienen seine stolzen, von Blut unterlaufenen Augen zu fragen. Und ohne zu wissen, was er tat, küßte der Marquis zu wiederholten Malen die Nüstern der Bestte, die vom wütenden Schnauben feucht geworden waren. Den darf man nicht töten!" schrie eine mitleidige Seele aus dem Zuschauerraum, und als ob diese Worte die Gedanken des ganzen Publikums wiedergäben, erfüllte ein Ausbruch von Rufen die Luft, die dieselbe Forderung stellten, während Tausende von Taschentüchern geschwenkt wurden.Man soll ihn nicht töten!" In jenem Augenblick, von unbestimmter Rührung ergriffen, verschmähte die Menge ihr eigenes Ver- gnügen, verabscheute den Stiertöter in seinem glänzenden Kostüm und mit seinem nutzlosen Heldenmut, bewunderte die unbändige Kraft des Stieres und fühlte sich von diesem be- schämt, indem sie sich eingestehen mußte, daß unter so vielen mit Vernunft begabten Geschöpfen keines es mit dem armen Tiere an Adel der Gesinnung und Empfindung aufnehmen konnte. Ich brachte ihn wieder zu mir zurück," sagte der Mar- quis bewegt,und händigte dem Unternehmer seine zwei- tausend Pesetas wieder ein. Ich hätte ihm mein ganzes Ver- mögen dafür gegeben. Ein Monat Wcidegrund, und keine Narbe war mehr am Nacken Coronels sichtbar.... Ich wollt« das tapfere Tier Alters sterben lassen, aber die Guten und Edlen bringen es nicht weit auf dieser Welt. Ein bösartiger Stier, unfähig, ihm gerade in die Augen zu schauen, tötete ihn verräterischerweise durch einen Stoß von hinten. Nachdem sich die Ergriffenheit gelegt hatte, kam man jedes Mal auf die Gegner der Stiergefcchte, die dieseKunst" im Namen des Tierschutzes herabwürdigten. Torheiten der Aus- länder! Irrtümer der Unwissenden, die die Tiere nur an den