Nnterhaltungsblatt des HorwSrls Nr. 90. Mittwoch, den 11. Mai. 1V1V (KsSMH« Wtottn.y 291 Die Hrena» Roman von Vicente BlaSco Jbanez. « Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. . Als Gallardo die Gesellschaft zu besuchen anfing, unter- brach ein neuer Gesprächsstoff die endlosen Verhandlungen über Stiere und Feldarbeiten. Bei denFünfundvierzig", ebenso wie in ganz Sevilla , ging die Rede von Plumitas. einem durch seine Kühnheit berühmten Banditen, dem die fruchtlosen Anstrengungen seiner Verfolger jeden Tag neue Lorbeeren verschafften. Die Zeitungen berichteten über seine Gewalt- taten, als sei er eine nationale Persönlichkeit. Die Regierung wurde darüber in den Kammern interpelliert und versprach baldige Gefangennahme, die aber nie eintraf. Die Gendar- merie wurde zusammengezogen, und ein ganzes Heer zu seiner Verfolgung aufgeboten, während Plumitas, der stets allein und nur von seinem ausdauernden Pferde und seinem Karabiner begleitet war, wie ein Gespenst zwischen seinen Verfolgern hindurchschlüpfte, sie angriff, wenn ihrer nicht viele waren, hier und da einen niederstreckte, verehrt und unterstützt von den armen Bauern und Feldarbeitern, die in dem Räuber einen Rächer der Leidenden verehrten. Er erzwang Geld von den Reichen, und mit der effekthaschenden Gebärde eines Schauspielers, der sich von zahlreichen Zuschauern beobachtet weiß, half er von Zeit zu Zeit großmütig einer armen alten Frau, einem mit zahlreicher Familie gesegneten Tagelöhner. Diese Großmut wurde aufgebauscht durch die Erzählungen der Landbevölkerung, die zu allen Stunden den Namen Plumi­tas' im Munde führte, aber sich blind und stumm verhielt, wenn die Diener des Gesetzes sich nach ihm erkundigten. Er streifte aus einer Provinz in die andere, mit der Be- wegung eines guten Kenners der Bodenverhältnisse, und die Grundbesitzer von Sevilla und Cordova steuerten gleichmäßig zu seinem Unterhalt bei. Ganze Wochen verstrichen, ohne daß von dem Banditen die Rede war, und plötzlich tauchte er wieder in einem Landgut auf oder zog. unter Verachtung der Gefahr, in irgend ein Dorf ein. DieFünfundvierzig" hatten direkte Nachrichten über ihn, genau so, als ob er ein Stierfechter wäre. Gestern war der Plumitas auf meinem Gute," sagte ein reicher Landwirt.Der Aufseher gab ihm dreißig Duros und, nachdem er gefrühstückt hatte, ging er weiter. Diese Steuer trugen sie geduldig, aber sie sprachen davon nur rinter Freunden. Eine Anzeige hätte Vorladungen und alle Arten von Unannehmlichkeiten von feiten der Justiz zur Folge gehabt. Wozu auch?... Die Gendarmerie verfolgte den Banditen vergebens, und wenn dieser über die Demmzian- ten ergrimmte, waren ihre Güter schutzlos seiner Rache preis- gegeben. Der Marquis sprach ohne jeglichen Unwillen von Plumi- tas und seinen Räubereien: er lächelte nur, als ob es sich um ein natürliches und unvermeidliches Uebel gehandelt hätte. Es sind arme Teufel, die Unglück gehabt haben und ihr Leben in die Schanze schlagen müssen, diese Banditen. Mein seliger Vater kannte den berüchtigten Jos6 Maria und früh- stückte zweimal mit ihm. Ich habe viele von geringerer Be- deutung angetroffen, die aber herumstreiften und allerhand Schurkereien begingen. Sie sind im Grunde genau wie die Stiere: einfach und von einem gewissen Edelmut. Sie greifen nur an, wenn sie dazu angestachelt werden, und nur, wenn sie gehetzt und verfolgt werden, verdirbt ihr Charakter." Auf seinen Gütern und in allen Schäferhütten seiner weiten Besitzungen hatte er Auftrag gegeben, dem Plumitas zu liefern, was er verlangte, und, wie ihm seine Aufseher und Hirten berichteten, erging sich der Bandit, in welchem der alt- eingewurzelte Respekt des Landmannes gegenüber freund- lichen und edclherzigen Gutsherren fortlebte, über ihn in den größten Lobsprüchen, wobei er sich erbot, den umzubringen, der dem Herrn Marquis im geringsten zu nahe treten sollte. Armer KerlI Um einer Kleinigkeit willen, die er forderte, wenn er müde und hungrig auftauchte, war es nicht der Mühe wert, ihn zu kränken und sich seiner Rache auszusetzen. Der Züchter, der allein durch die Ebenen galoppiert� auf denen seine Stiere grasten, hegte die Vermutung, de« Plumitas mehrere Male begegnet»u sein, ohne ihn zu kennen. 1 Er mußte einer jener Reiter von ärmlichem Aussehen sei»» die er oft in der Einsamkeit des Feldes, weit von jeder mensch» lichen Behausung, antraf, und die, die Hand an den schmiert» gen Hut gelegt ehrfurchtsvoll ausriefen: Gott sei mit Ihnen, Herr MarquisI" Beim Gespräch über Plumitas blickte der Marqlttt Gallardo einige Male an, der sich mit der Heftigkeit eine» Neulings über die Behörden ärgerte, weil sie das Eigentum nicht zu schützen verstanden. Er wird sich Dir schon noch eines Tages unversehens auf La Rinconada zeigen mein Junge", sagte der Marquis langsam, mit seinem südlichen, würdevollen Ernst. Den Teufel auch!... Das gefällt mir nun gar nicht, Herr Marquis. Und dafür bezahlt unser eins so viele Steuern!.. Nein, gewiß war es für ihn kein Vergnügen, mit jenem Banditen bei seinen Ausflügen nach La Rinconada zusammen- treffen. Er war ein unerschrockener Mann im Stierkampf, aber diese Menschentöter von Beruf erregten in ihm unheim- liche Gefühle, ein gewisses Gruseln wie vor etwas Unbe- kanntem. Seine Familie befand sich auf dem Landgute. Die Sennora Angustias hatte, nachdem sie fast alle ihre Jahre in den städtischen Mietshöhlen zugebracht hatte, das Land- leben liebgewonnen. Carmen gefiel der Landaufenthalt eben- falls. Ihre Eigenschaft als sparsame Frau trieb sie dazu, den Landarbeiten aus der Nähe zuzuschauen, und sie schwelgte im wohltuenden Gefühle des Besitzes, als sie die ausgedehnten Ländereien selbst kennen lernte. Außerdem hatten die Kinder des Sattlers, ihre Neffen, die ihr die Leere ihrer eigenen Kinderlosigkeit ausfüllten, die Landluft zu ihrer Gesundheit nötig. Gallardo hatte seine Familie auf das Gut zu längerem Aufenthalt geschickt und ihr versprochen, bald nachzufolgen: aber er schob die Reise unter allen möglichen Vorwänden auf. In seiner Stadtwohnung hatte er keine Gesellschaft, als die Garabatos und seine Lebensweise war die eines Junggesellen. die ihm völlige Freiheit in seinen Beziehungen zu Donna So! gestattete. Diese Zeit hielt er für die beste seines Lebens. Es kam bisweilen vor, daß er das Dasein von La Rinconada und ihrer Bewohner gänzlich vergaß. Auf prächtigen Pferden und in derselben Tracht, in der sie sich kennen gelernt hatten, ritten Donna Sol und er aus, bald allein, bald in Begleitung Don Joses, der mit seiner Gegenwart das Aergernis zu mildern schien. Sie gingen nach Stieren in den benachbarten Ländereien, oder um junge Tiere in den Herden des Marquis auszulesen, und Donna Sol, die die Gefahr liebte, wurde zur Kühnheit noch mehr angeregt, wenn ein Stier, statt vor den in sein Fleisch ein- dringenden Lanzenstichen zu fliehen, sich gegen sie zum An- griff wandte und Gallardo ihr helfend beispringen mußte. Andere Male ritten sie nach dem Bahnhofe Empaline. wenn es sich um das Einschließen von Stieren im Zwinger handelte, zur Versendung nach Arenen, wo außerordentliche Stiergefechte zu Ende des Winters stattfanden. Donna Sol betrachtete aufmerksam diesen Ort, an dem der bedeutendste Versand von Stieren nach auswärts statt- fand. Man sah ausgedehnte Gehöfte längs der Eisenbahn- linie. Riesige Kisten aus grauem Holz, die, mit zwei Fall- türen versehen, auf Rädern liefen, tvartetcn dutzendweise an- einandergereiht die Hochsaison des Lokalbctriebcs ab, nämlich die der sommerlichen Stierkämpfe. Diese Kisten waren auf der ganzen Halbinsel herum- gekommen, sie brachten einen wilden Stier nach einem cnt- fernten Zirkus und kehrten dann wieder neu zurück, um ein neues Tier aufzunehmen. Donna Sol, die eine Vorliebe für charakteristische Vor- gänge hatte und förmlich nach Lokalfarbe lechzte, betrachtete mit großem Interesse' die Eigenart der nationalen Industrie und wollte es den Aufsehern und 5tuhhirten gleichtun. Sie hatte Gefallen am Aufenthalt in freier Luft, am Galoppieren durch die ungeheueren Ebenen, gefolgt von spitzen Hörnern