Nttterhaltungsblatt des Worwärts 9h. 102. Sonnabend, den 28 Mai. 1910 lZiachdru« wttsten.J 401 Die Hrena. Roman vonVicenteBlasco Jbanez. Autorisierte Ueberfetzung von I u l i o B r o u t a. Dem Banderillero wurde es zu bunt, und er ging weg, indem er die Sennora Anguftias ihrem Unwillen überließ, der bei ihr dieselbe Zungenfertigkeit im Gefolge hatte, wie zu jener Zeit, da sie noch in der Tabakfabrik arbeitete. Er nahm sich vor, sich nicht wieder in der Wohnung seines Maestros sehen zu lassen. Auf der Straße begegnete er Gallardo, der übelgelaunt schien, aber beim Anblick seines Banderilleros sich vergnügt und sicher stellte, als ob häuslicher Verdruß ihm nichts an- haben könnte. „Zu HauS bei Dir stehen die Dinge schlecht, Iuanito. Ich komme nicht wieder, und wenn man mich hinschleppen wollte. Deine Mutter hat mich in einer Weise ausgeschimpft, als war' ich Är gemeinste Lump von der Welt. Deine Frau weint in einem fort und sieht mich an, als trüge ich schuld an allem. Ein andermal, Freund, tu mir den Gefallen, nicht an mich zu denken, und suche Dir einen anderen Begleiter aus, wenn Du-mit Weibern ausgehst." Gallardo lächelte verlegen. Es sei nicht von Bedeutung und alles würde bald vorübergehen. Er habe schon schwerere Stürme zu bestehen gehabt.„Was Du zu tun hast, ist, wieder bei mir vorzusprechen. Wenn viele Leute da sind, geht kein Lärm los." „Ich?" rief der Nacioneal,„nun hör aber mal... Werde Du erst anders." Nach diesen Worten hielt der Stierfechter jedes weiterb Drängen für vergeblich. Er brachte einen großen Teil des Tages außer dem Hause zu, fern vom Schelten und Janimern der Frauen, und wenn er heimkam, geschah es unter Be- deckung, indem er sich von seinem Verwalter und anderen Freunden begleiten ließ. Der Sattler war ebenfalls eine große Stütze für Gallardo. Dieser fühlte jetzt zum ersten Male eine Zunei- gung für seinen Schwager und hielt ihn für einen verständi- gen, klugen, eines besseren Schicksals würdigen Mann. Er war es, der in der Abwesenheit des Stierfechters die Frauen zu besänftigen übernahm, die seinige einbegriffen, und schließlich von ihnen wie von ermüdeten Furien abließ. „Laßt sehen," sagte er,„um was handelt es sich eigent- lich? Uni eine Kinderei ohne Belang. Ein jeder lebt, wie es sein Stand erfordert, und Juanito ist eine Berühmtheit und braucht notwendig den Umgang mit Leuten von Rang. Daß diese Dame nach dem Landhaus gegangen ist, was ist schließlich daran?... Gute Freundschaft muß gepflegt werden, dann kann man nachher um Gefälligkeiten bitten und seiner Familie aushelfen. Böses ist dabei nicht vorgekomnicn. Alles, was da geschwatzt wird, ist pure Verleumdung. Der National war dabei, ein charaktervoller und solider Mann.. ich kenne ihn wohl." Er lobte den Banderillero zum ersten Mal in seinem Leben. Da er den ganzen Tag im Hause Gallardos zubrachte, war diesem sein Beistand von großem Wert. Er brachte es fertig, die Frauen zu entwaffnen, indem er sie mit seinem un- aufhörlichen Geschtvätz ermüdete. Der Stierfechter hielt mit seinem Dank nicht zurück. Seinen Sattlerladen hatte Antonio aufgegeben, weil die Geschäfte schlecht gingen, und er wartete auf eine Anstellung bei seinem Schwager. Inzwischen nahm der Stierfechter den ganzen Unterhalt der Familie auf sich, und schließlich bat er ihn und seine Schwester, bei ihm ins Haus einzuziehen. Carmen würde auf diese Weise weniger Langeweile empfinden und nicht so allein sein. Eines Tages erhielt der National von der Frau seines Maestros Nachricht, er möge zu ihr kommen. Seine eigene Frau überbrachte ihm das Gesuch. „Ich habe sie diesen Morgen angetroffen: sie kam eben aus der Kirche von San Gil. Die Arme hat Augen, als weinte sie den ganzen Tag. Also geh' mal hin. Es ist ein Kreuz mit den Männern!" Carmen empfing den Banderillero im Schreibzimmer Gallardos. Dort würden sie allein sein und brauchten nicht zu fürchten, daß die Sennora Angustias mit ihrem gewohnten Ungestüm hereinfuhr, oder die Verschwägerten, die sich mit ihrer ganzen Nachkommenschaft im Hause eingenistet hatten und sich in alles einmischten, ihren Senf auch jetzt wieder dazu geben wollten. Gallardo vor im Klub in der Sierpes- straße. Er mied seine Wohnung, und um einer Begegnung mit seiner Frau auszuweichen, aß er oft auswärts und ging mit Freunden nach der Critanna-Gartenwirtschaft. Der Nacional hatte sich auf einem Divan niedergelassen und blickte, den Hut in den Händen drehend, auf den Boden, da er der Frau seines Maestros nicht in die Augen sehen wollte. Wie abgemagert war sie! Ihre Augen waren ge- rötet und von tiefen dunklen Ringen umgeben. Die braunen Wangen und der Nasenrücken hatten durch das Reiben mit dem Taschentuch einen rötlichen Glanz angenommen. „Sebastian, Ihr werdet mir die reine Wahrheit sagen. Ihr feid brav. Ihr seid Juans bester Freund. Was Mütter- chen Euch letzthin sagte, daran ist ihr Charakter schuld. Ihr wißt, wie gut sie im Grunde ist. Ein heftiges Aufwallen und dann weiter nichts. Nehmt es ihr nicht übel." Der Banderillero stimmte kopfnickend zu und wartete auf die Frage. Was wünschte Frau Carmen zu wissen?... „Das Ihr mir sagt, was in La Rinconada passiert ist, was Ihr gesehen habt und was Ihr vermutet." Der gute Nacionasl Mit welch edlem Stolz erhob er sein Haupt, höchst erfreut, ein gutes Werk tun zu können, indem er dieser Unglücklichen Trost brachte!... Gesehen? Er hatte nichts Böses gesehen. »Ich schwöre es Euch bei meinem Vater; ich schwöre es Euch... bei meinen Ideen." Und furchtlos stiitzte er sich bei seinem Schwur auf das heilige Zeugnis seiner Ideen; denn in Wirklichkeit hatte er nichts gesehen, und in stolzem Vertrauen auf seinen Scharf- blick und seine M üsheit glaubte er folgern'zu dürfen, daß nichts Böses habe vorfallen können. „Ich bin der Ansicht, daß sie nichts anderes als Freunde sind.... Ob aber vorher etwas passiert ist, das weiß ich allerdings nicht. Die Leute schwatzen herum... reden, er- finden so viele Lügen. Achten Sie nicht darauf, Frau Carmen, seien Sie guter Dinge und leben Sie wieder auf, denn ich Hab' Euch die Wahrheit gesagt." Sie bestand auf ihren Fragen. Was war eigentlich im Landhause vorgegangen?... Das Landhaus war ihr Eigen- tum, und dieser Umstand erregte ihren Unwillen ganz be- sonders, da sie neben der ehelichen Untreue etwas erblickte, das ihr wie eine Entheiligung des Heims, eine persönliche Beleidigung vorkam. „Ihr haltet mich wohl für dumm, Sebastian, aber ich sehe alles genau. Seitdem Juan anfing, ein Auge auf jene Sennora... oder was sie sonst sein mag, zu werfen, erriet ich seine Gedanken. Am selben Tag, da er ihr einen Stier widmete und mit jenem Brillantring nach Hause kam, war mir klar, was zwischen den Beiden vorging, und ich spürte Lust, den Ring zu nehmen und mit Füßen zu treten... Nachher habe ich alles genau erfahren, alles! Es gibt immer niedrige Naturen, die sich dazu verstehen, die Dinge zu hinter- bringen, da das geachteten Leuten nicht wohl ansteht. Zudem haben sich die beiden nicht bemüht, wenigstens den Schein zu wahren, und sind wie Mann und Frau vor den Blicken aller Welt zu Pferde überall hingegangen, wie Zigeuner , die von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen. Als wir auf dem Landgute waren, erhielt ich Kenntnis von allem, was Juan tat, und später ebenfalls in San Lucar ." Der Nacional hielt es für nötig, hier einzuspringen, da er sah, wie Carmen bei diesen Erinnerungen die Fassung verlor und wieder zu tveinen anfing. „Und Sie glauben an diese Lügen, unglückliches Geschöpf? Sehen Sie nicht ein, daß es Aussagen von Leuten sind, die Ihnen übel wollen? Neid und Mißgunst, weiter nichts." „Nein, ich kenne Juan. Glaubt Ihr, dies sei das erste Mal?... Es liegt in seiner Natur, und er kann nicht anders sein. Verdammter Beruf, der die Männer verrückt zu machen scheint! Zwei Jahre nach unserer Verheiratung hatte er schon eine Liebschaft mit einer hübschen Marktjungfer, einer Fleischverkäuferin. Was ich darunter litt, als ich eS erfuhr! Aber kein Wort kam über meine Lippen. Er glaubt
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27 (28.5.1910) 102
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