Zu deumea Gedacbtme.STm 13. Juni 1910 sind 100 Jahre vergangen, seitdem JohannGottfried Seume, der sächsische Bauernsohn■— der sich zu einemder ersten Schriftsteller. Dichter und Philosophen seiner Zeit empor-gearbeitet hatte— in Tcplitz, wo er zur Kur weilte, sein Lebenbeschloß.Die Arbeiterschaft weiß nicht allzu diel von dem kernigenDichter mit der einfachen, klaren, treuherzigen Sprache, desseneinzige Passion Wandern und Reisen gewesen ist. Lediglich dasGedicht von dem Kanadier,„der Suropens übertünchte Höflichkeitnicht kannte", wird den ehemaligen Volksschülern bekannt sein.Seume ist aber auch ein geistreicher philosophischer und republika-nischer Schriftsteller gewesen, dem die Freiheit über alles ging,der für Vernunft, Gerechtigkeit und Humanität gestritten hat unddie Kirche,„diese Nebelkappe der Vorurteile, der Privilegien unddes eisernen Gewissenszwanges, wie allen Mameluckengeist undjede Frömmelei" nie hat leiden können.Seine Selbstbiographie„Mein Leben", die zu schreiben erübrigens auch von Herder und Schiller aufgefordert wurde, die eraber nur schrieb, um keinem geschmacklosen Lobhudler in die Händezu fallen, hat Seume leider nicht vollenden können. Ein FreundScumes, der Schriftsteller C. H. C l o d i u s. hat die Biographieschlecht und recht vollendet.Johann Gottfried Seume wurde am 29. Januar 1763 alsSohn des Landwirts Andreas Seume in Poserna bei Leipziggeboren. Der Vater, der den Sohn äußerst streng behandelte,wurde von dem adligen Junker, unter dessen Gerichtsbarkeit dasDörfchen stand, schwer bedrückt, so daß er schließlich sein Anwesenverkaufte, um„dem Teufel und der Hölle" zu entgehen.„Undsollte ich in einer Kneipe Schuhzwecken schnitzen und Schwefel-Hölzchen machen mein Leben lang, von dem Justitiarius und Edel-mann lasse ich mich nicht mehr schikanieren." Tann packte erseine Familie auf einige Wagen und pilgerte nach Knautkleebergbei Leipzig, wo er sich niederließ. Dort besuchte Johann Gottfried,sein Aeltester, die Torfschule. Und dort wurde der aufgewecktefleißige Knabe von dem Grafen Hohcnthal-Knauthain protegiert,der ihn später ausbilden ließ.Der Vater starb, 37 Jahre alt, in tiefer Armut, als Seumenoch ein Knabe war, und die Mutter hatte mit den fünf Kindernihre liebe Not, sich durchs Leben zu schlagen. Als Gottfried vier-zehn Jahre alt war, wollte er das Schmiedehvndwerk erlernen,trotzdem er klein und schwächlich war. Man redete ihm ab und sobeschloß er, Schulmeister zu werden,„später sich mit einemhübschen Mädchen zu versorgen und dann mit allem Fleiß imWeinberge des Herrn zu arbeiten". Doch dazu sollte es auch nichtkommen, denn der Knauthainer Graf schickte ihn auf die Latein-schule mach Borna bei Leipzig, wo Seume bald als der begabtesteund talentvollste Schüler galt. Nachdem er in zwei Jahren sovielgelernt hatte wie andere Schüler in 6 Jahren, brachte inan ihnnach Leipzig auf die Nikolaischule. Auch hier kam er mit seinemphänomenalen Gedächtnis schnell vorwärts. Vom Schreiben warer kein großer Freund. Als ihn der Rektor Martini einst fragte:„Wo haben wir unsere Präparation?" antwortete der Knabe, aufdie Stirn deutend:„Hier!"„Wir sind etwas keck." hat der Magisterdarauf geantwortet, konnte aber dem selbstbewußten Schüler nichtsweiter anhaben. Seume studierte auf Wunsch des Grafen Theo-logie und klassische Philologie in Leipzig, hätte aber an erstererwenig Gefallen, sondern härte sich lieber im Theater die Shake-spcarcschen Dramen an. Als ihm dann die Schriften der Eng-länder Bolingbroke und Shaftsbury in die Hände fielen, war esaus mit den Kirchendogmen. Magister Schmidt meldete dem gräf-lichen Brotgeber die Seitensprünge des bisher frommen Bauern-knaben, der nur noch widerwillig an ein Lehr- oder Pfarramtdachte, weil ein freiheitsglühender Jüngling aus ihm geworden war.Wiederholt drohte der Graf mit Entziehung der Unterstützung.Schließlich konnte Seume den zelotischen Mann nur besänftigen,indem er in Knauthain einen Vortrag hielt. Das Thema fand denBeifall des Grafen, der nun glaubte, daß Seume seine Ketzereiaufgegeben habe. Doch der Vortrag hätte, nach Seumes eigenenAngaben, auch für Heiden, Juden oder Türken gepaßt. DieKetzerei war nicht mehr auszurotten. Er verehrte die Bibel, aberdie Heuchelei war ihm unerträglich, und so faßte er den Entschluß,durch eigene Kraft sein Leben zu bestreiten. In Deutschland hätteer nichts anfangen können, deshalb nahm er eines Tages seinMonatsgeld, verkaufte seine Bücher und beschloß, nach Paris zuwandern, um dort seine Studien auf eigene Faust fortzusetzen.Es kam aber anders.Einige Tage nachdem er bei Nacht und Nebel aus Leipzigverschwunden war, fiel er hessischen Werbern in die Hände, wurdevon diesen gepreßt und als Soldat an die Engländer verkaust. SeumesZukunstsplöne lvaren dadurch in nichts zerronnen. Ter fürstlicheMenschcnhändler von Hessen-Kassel hatte ihm einen dicken Strichdurch seine Jugend gemacht. Dieser gekrönte Schacherer hat damals17 000 Mann für 21 Millionen Taler an England verlaust. DieTruppen wurden sämtlich nach Amerika verschifft, um in denUnabhängigkeitskriegen gegen die Amerikaner zu fechten. Außerdem Kasselcr lagen noch die Landesherren von Braunschweig,Anhalt-Zerbst, Hanau, Ansbach, Württemberg und Waldeck demebenso elenden wie ertragreichen Geschäfte des Menschenhandels ob.In Halifax betrat Seume den amerikanischen Boden. Aberwas konnten die englischen Söldner gegen die sreihcitglühcndenAmerikaner ausrichten? Ein Jahr verging, und die Freiheithatte gesiegt. Ausgangs des SommerS 1783 wurden die verkauftendeutschen Männer, soweit sie nicht in der neuen Welt ihren Todgefunden hatten, toieder nach Europa gebracht. Bemerkenswert ist,daß der später berühmt gewordene preußische HecresorganisatorGneisenau als Ansbach-Bayreuther Leutnant mit Seume auf einund demselben Schiff zurückbefördert wurde.Nach der Rückkehr in die Heimat fiel Seume von neuemWerbern in die Hände, und zwar entfloh er bei Bremen den Hessen,um von den Preußen gefangen zu werden. Als man seine Be-gabung erkannte, nahm ihn der General Courbiere als Lehrerfür seine Kinder ins Haus. Sobald Seume aber sah> daß er keineAussicht hatte, jemals loszukomnien, entfloh er abermals, wurdejedoch wieder gefangen und in Emden in Ketten gelegt. Schließlicherhielt er von einem Emdcner Bürger Geld, um sich loskaufenzu können. Für 30 Taler gab ihn der General frei.Seume studierte hierauf wieder in Leipzig, wo er sich miteinem russischen Edelmann befreundete, der gleichfalls dort seinenStudien oblag. Mit diesem ging er nach Polen. Und eS wareine Ironie des Schicksals, das; er auch hier wieder als Soldatgegen die Freiheit känipfen mußte, denn der letzte Polenkönig, derverweichlichte Stanislaus, der als willenloses Werkzeug der großenKurtisane Katharina II. fungierte, ließ sich ruhig die Aufteilungseines Landes gefallen. Erst Kosziusko, der scbon in Amerika fürdie Freiheit gestritten hatte, �stellte sich an die Spitze des polnischenFreiheitsheeres, gegen das Seume fechten mußte, der als Sekretärdes Generals Jgelström den Rang eines Greuadierleutnants besaß.Aber statt zu schießen und zu plündern, hatte Seume es sichauf dem Dachboden eines.Hauses bequem gemacht und las dort imVersteck republikanische Schriften. Er ritz seine Uniform her-unter und wagte sich auf die Straße, als etwas Ruhe eingetretenwar. Indes hatte er doch Angst, als Sekretär des verhaßten russi-scheu Gouveneurs Jgelström erkannt zu werden. Um dem Schlimm-sten zu entgehen, meldete er sich bei zwei Offizieren, die ihn ver-hafteten.Dann kam das fürchterliche Blutbad vom 7. November 179?,an welchem Tage der russische Heerführer Sutvorow Warschau er-stürmen und in zwei Stunden 13 000 Menschen hinschlachten ließ.Erst vier Jahre später konnte Seume den verhaßten Militär-dienst endgültig verlassen. Er wollte weder vom deutschen nochvom ausländischen Militarismus etwas wissen, widmete sich Studienund schrieb einige Bücher und Broschüren. Von Dankbarkeiterfüllt, widmete er das erste jenem Emdener Bürger, der ihn für80 Taler von den Preußen losgekauft hatte. Auch über die rufst-scheu Verhältnisse veröffentlichte, er einige Schriften. 1799 bat ihnder Buchhändler Göschen, der damals einige Ausgaben deutscherKlassiker druckte, nach Grimma zu kommen und die Korrektur zuübernehmen. Seume nahm die Einladung an und erholte fich indem lieblichen Muldctale. Zwei Jahre hielt er das aus. Dannunternahm er seinen weltberühmten„Spaziergang nach Syrakus"."In neun Monaten war er wieder zurück und hatte die ganzeWanderung auf„Schusters Rappen" gemacht I Wie ein richtigerHandwerksbursche hatte er die Tour ausgeführt, anders wäre esihm auf der apenninischen Halbinsel, wo die Stürme der ftanzöfi-scheu Herrschaft am heftigsten wüteten, wohl kaum möglich gewesen.die Reise zu unternehmen. In den Landstrichen französischer Herr-schaft wurde er überall gut und artig aufgenommen. Anders beiden feindlichen Kalabriern. Dort ist er ausgeplündert worden;sein Tagebuch wurde für wertlos gehalteneAm 1. April 1802 traf Seume in Syrakus ein und befichtigtedie heruntergekommene Stadt. Auf dem Heimweg, beim Abstiegvom Aetna, fiel Seume nochmals Räubern in die Hände. Zweidieser Banditen hatten schon die Dolche auf ihn gezückt, als einigeenglische Reisende im Miagen heransausten und die Strauchdiebeverscheuchten. Trotzdem setzte Seume die Reise zu Fuß fort undbeendete sie glücklich. Die Beschreibung dieser Reise— die stchheute noch so frisch liest wie vor 100 Jahren— begründete erst denSchriftstellerberuf Seumes. Bisher hatte er nur in Schillers„Thalia" und anderen Zeitschriften als Mitarbeiter etwas gegolten.Im Jahre 1805 unternahm er von Leipzig aus abermals eineWanderung, wobei er Nutzland. Finnland, Schweden und Dänemarkbereiste. Auf dieser Reise, die in dem Buche„Mein Sommer1805" geschildert ist, hat er„nur" 150 Meilen zu Fuß zurückgelegt.Vor allen Dingen wagte er es in diesem Buchse, die französischeUeberlegenhcit über Deutschland mit unerhörtem Freimut öffentlichdarzulegen. Es heißt darin:„Der Franzose schlägt sich ohne Unterschied für ein Vater-land, das ihm lieb geworden ist, das ihm und seiner FamilieVorteile gewährt. Der Mann wird nur gewürdigt nach dem.was er gilt. Bei uns wird diq Schätzung nach dem, was dasKirchenbuch spricht, der Geldsack des Vaters wiegt oder was daSHofmarscballamt vorschreibt, erfolgen. Für wen soll sich derdeutsche Grenadier in die Bajonette stürzen? Er bleibt, waser ist, schleppt seinen Tornister fort und erntet kaum ein freund»liches Wort von seinem mürrischen Gewalthaber. Er soll demTod ins Auge sehen, und zu Hause pflügt sein alter schma-berVater in Leibesfron die Felder des adligen Junkers, der nichtstut und den Alten noch mißhandelt. Ter Alte fährt schwitzenddie Ernte des HofeS ein. und die seinige muß er draußen der-faulen lassen. Ter Soldat soll brav sein, und seine Schwesteroder Geliebte muß auf dem Edelhose zu Zwange dienen für achtGulden das Jahr; sein kleiner Bruder muß Botschaft lguf««