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geatmete Luft untersuchen, fo finden wir in ihr neben erhöhtem Kohlensäuregehalt auch noch eine ganze Menge Sauerstoff. Der Sauerstoff wird also während der Atmung nicht vollständig ver­braucht. Dieser Umstand ist durch den Bau der absorbierenden Or gane bedingt. Wir können der Luft nicht völlig des Sauerstoffes berauben, wir müssen wieder ein bestimmtes Quantum Sauerstoff ausatmen. Kommen wir also in größere Höhen, so atmen wir weniger Sauerstoff ein. Das bringt aber eine eigentümliche Gegenwirkung im Körper hervor. Schon bei ganz geringer Ver­änderung der Höhe tritt diese ein. Die roten Blutkörperchen be­ginnen nämlich, sich stark zu bermehren; sie beschleunigen die Herz­dätigkeit und bewirken, daß die Sauerstoffausnutzung eine günsti­gere wird. Sie bringen es sogar zuwege, daß trop der Verdünnung der Luft die Sauerstoffernährung des Körpers in größeren Höhen erhöht wird! Hierauf beruhen im wesentlichen die Heilwirkungen des Gebirgsklimas.

Das ist aber nicht das einzige, es tritt vielmehr noch ein Unte stand hinzu, den man gemeinhin wenig zu beachten scheint. Er läßt sich am besten an einem flinischen Fall illustrieren, den ein Berliner   Arzt vor einigen Jahren beobachtete. Dieser Arzt hatte einen Mann zu operieren. Die Operation gelang, aber während der Genesung stellte sich ein Abnehmen des Gefühls auf der Haut ein, bis es schließlich ganz verschwand. Der Patient verlor ferner auf einem Auge das Gesicht und auf dem einen Ohre das Gehör, der Geruch und Geschmack stumpften sich ab und verschavanden schließlich ebenfalls gänzlich. Der Mann, der feine besonders hohe Intelligenz besaß, hatte also nur noch das Gesicht auf einem Auge und das Gehör auf einem Ohre. Verstopfte man das letztere und schloß der Mann das sehende Auge, so dauerte es nur kurze Zeit, bis Ser Mann fest eingeschlafen war. Dies zeigte sich zu jeder Tageszeit. Man erkennt aus diesem drastischen Falle am besten, daß eine gewisse Summe von Gesamteindrücken dazu gehört, um das Nervensystem wach zu erhalten. Daran ist nicht bloß Auge und Ohr, Geschmack und Geruch, sondern auch die Haut mit ihrem Ge­fühl beteiligt. Und wenn wir uns von der ermüdenden Arbeit erheben, um ins Freie zu gehen, so ist es nicht bloß die gute Luft, sondern vor allen Dingen die bewegte Luft( gegen die stagnie­rende Zimmerluft), ferner die mannigfachsten Eindrücke auf Auge und Chr usw., was uns erfrischt. Für unser Allgemeinbefinden ist eben ein gewisses Maß von ständigen Reizen erforderlich, und die find es, die auch einen wesentlichen Teil aller unserer klimatischen Sturen ausmachen. Bei ihnen mögen sogar diese Eindrücke über­wiegen.

Schwaben   das eigentliche Kirschenland innerhalb der deutschen  Grenzen. Näherhin sind es die warmen Täler des mittleren Nedars von Nürtingen   bis Heilbronn  , der Rems   und Erms, die Abhänge der schwäbischen Alb und die Bodenseegegend. Die übrigen Teile des Landes kommen, da viel zu rauh, nicht in Betracht. Heuer wird ein so reicher Ertrag wie im Vorjahre kaum zu erwarten sein, obwohl der Kirschbaum soll man es Laune oder Fleiß oder Wirkung günstigen Blütewetters nennen? oft zwei und drei Jahre nacheinander Früchte trägt, ohne auszuruhen. Doch auch wenn die Ernte geringer sein wird, ist damit noch nicht über den Geldertrag entschieden, der sich nach der Gesamtlage des Marktes richtet. Unter 568 000 M. durchschnittlich ist er in den letzten zehn Jahren nie gesunken.

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Ungefähr in der zweiten Hälfte des Juni machen wir einem Kirschendorfe unseren Besuch. Dem stattlichen Strümpfelbach   bei Waiblingen   etwa oder dem benachbarten Stetten, den zwei be­deutendsten Sammelorten des Kirschen- Weingaues an der unteren Rems. Wir steigen in Endersbach   aus und fragen nach Strümpfel­ bach  . Das könne man nicht sehen, bevor man die ersten Häuser er reicht habe, heißt es, und man zeigt auf einen engen Talausgang, in dessen Obstwäldern das gesuchte Dorf zu finden sei. Es ist so. Wir sind eine Stunde gewandert und ziehen ins Dorf ein. Die Gärten Leuchten im Sonnenschein, weich wehen die Lüfte von den Bergen herab und Locken auf die Höhen. Doch zuerst ins Dorf. Es ist eng gebaut. Wegen der Tal­wände haben nur zwei Häuserreihen an der Straße und dem Bache Plaz. Aber gerade solch heimliche Täler sind die bevorzugte Heimat der Sonne und Wärme liebenden Kirschen. Das alte Nathaus mit feinem geschnigten Ballenwerk ist aus Plasnot über das Bächlein gebaut. Die Mehrzahl der übrigen Häuser ist ganz altertümlich im Stil des 17. und 18. Jahrhunderts erhalten mit vorspringenden Stockwerken, eichenem, offenem Gebält, Erlern und vielen Blumen. Es ist eins der schönsterhaltenen schwäbischen Bauerndörfer aus alten Beiten, aufs innigste verbunden mit Gärten und Rasen und Obst­bäumen.

Und nun besuchen wir den Kirschenmarkt. An fünf Stellen des Dorfes werden die Kirschen gekauft und gefaßt. Die Großhändler, meistens aus Bayern  , laufen selbst und bestellen dazu noch Unter­händler; letztere hauptsächlich verhandeln mit den Produzenten und bezahlen sie. Ist der Gesamtlärm auch beträchtlich, über die Ware wird eigentlich nicht viel gesprochen, denn man kauft nach Güte und Größe, und diese laffen sich ja leicht feststellen. Auch über Kirschen­forten wird kaum verhandelt, da jedermann ste fennt. Nicht als ob Und das ist schließlich ein springender Punkt beim Thema unter den Sorten kein großer Unterschied wäre! Die Martt Klima und Mensch". Das Seeflima erzeugt träge, phlegmatische firsche von Strümpfelbach   zum Beispiel ist die schöne, Menschen, deren Geist davon nicht unbeeinflußt bleibt. Das Ge- schwarze, füße, leichtversendbare" Strähleskirsche". Aber ein Kenner birgsklima, namentlich unserer Mittelgebirge  , mit der lebhaft.ren wird uns auch andere Namen nennen. Er wird uns in den Körben Luft, birgt die Bedingungen für Menschen lebhafteren Schlages. der Verkäufer Knorpeltirschen mit hartem, brüchigem Fleisch zeigen Das Nervensystem wird eben von dem Klima auf die verschiedenste oder ein halbes Dußend verschiedener Schecken", die rot und weiß, Weise affiziert und beeinflußt den Charakter der Menschen. Wa- nie schwarz werden. Doch hängt die Abtönung der Farben nicht rum sind die Amerikaner so lebhaft und tätig? In erster Linie allein von der Sorte ab, sondern auch vom Stand des Baumes twegen des differenzierteren Klimas. Die Sommer sind heißer, oder von der Befruchtung durch fremden Blütenstaub. Weniger die Winter rauher. Das Klima greift das Nervensystem empfind- Mühe gibt man sich mit den säuerlichen Glastirschen. Manche Ge­licher an, löst intensivere Reize aus und schafft damit ein reaktions- meinden verlegen sich mehr auf die Lieferung von Brennkirschen, fähigeres, aber auch ein leistungsfähigeres Nervensystem. Dabei aus denen das Kirschenwasser hergestellt wird. tommt noch in Betracht, daß ja gerade im Amerikanertum ein tüch tiges Stüd Zuchtwahl steckt. Auf diesem lebhaften Boden findet sich ein Wölfergemisch zusammen, das sich kreuzt und lebhaft hin­und herflutet. Das bedingt ein unruhiges Leben; da ist kein Raum zum Fettwerden, und so schaffen sich eben die mannigfach­sten Umstände einen Menschenschlag, der erhebli abweicht von benjenigen Völkern, aus denen die Elemente einst tamen.

F. L.

Sind die Kirschen getauft, gewogen, notiert, oft auch gleich bar bezahlt, werden sie mit Laub in eigene Rörbe gepadt und zur Bahn gebracht. Hier warten besondere Kirschenzüge" auf die süße Last. Sie halten nur an den Kirschenstationen und führen außer der Lokomotive höchstens sechs oder acht Wagen. Gewöhnlich find es täglich zwei solcher Züge, und fast immer fahren sie, nachdem die Ladung verstaut ist, Augsburg   und München   zu. Denn Bayern  nimmt den größten Teil der Nemstäler Kirschen ab.

Auf einem steilen Bergweg, der nach Stetten   führt, können wir noch das Pflüden der Kirschen beobachten. Wichtig und nicht

Kirfchenernte in Württemberg  . immer leicht ist es, die hohen Leitern so aufzustellen, daß die weichen

Die ersten Kirschen! Die erste Frucht, die der deutsche Frühling alljährlich aus einem Baum zaubert! Mit Aufmerksamkeit liest man in den Marktberichten der süddeutschen Städte, wie und woher sie nach und nach eintreffen: um die Mitte des Mai die allerersten aus Frankreich  , hübsch in Kästchen und Körbchen verpackt, aber sehr teuer; acht Tage später gesellen fich italienische und badische hinzu. Die Preise sind innerhalb einer oder zwei Wochen rasch gesunten, halten fich aber auf 30 bis 40 m. für den Zentner. Noch ein paar Tage etwa Ende Mai da fendet irgend ein windgeschüßtes Dorf im Nedartal die ersten Körbe einheimischer Kirschen auf den Stuttgarter  Markt. Die Zeitungen tragen die Botschaft ins weite Land hinaus und die Menschen lächeln.

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Nun erlischt Frankreichs   und Italiens   Ruhm völlig vor der schwarzen und roten Pracht, die der schwäbische Boden Tag für Tag in verschwenderischer Fülle erzeugt. Jäh stürzen die Preise: von 40 auf 30, auf 20, auf 16 M., in Jahren reicher Ernte bis auf 10, ge­ringere Sorten gar auf 6 M. für den Zentner. Um den 15. Juni find die Preise largestellt. Bon da an bis Mitte und Ende Juli Herrscht auf den Märkten die Kirsche.

Zweige der Bäume nicht verlegt werden und der Pflücker gegen Sturz gefichert ist. Die Ernte selbst ist feine sehr schwierige, doch ermüden de Arbeit, denn die Aeste müssen meist mit geschickten Bewegungen herangezogen werden. Und die zum Essen bestimmten Früchte find unverkäuflich, wenn sie nicht etwas an sich haben, was man nie ißt, was aber zur Sache" gehört, den Stiell

Wir begegnen da oben in diesen Kirschenwäldern dem Ortsvor­steher von Stetten  . Im Laufe des Gesprächs macht er uns die Be deutung der Kirschenernte für sein Dorf flar. Er sagt: Wir haben 1899 ganze 900 M. eingenommen, 1902 aber 24000, sonst gewöhnlich um die 10 000 M. Herum; die Aepfel wechselten noch stärker: von 0 M.( 1901) bis 60 000 M.( 1902), Birnen von nichts bis 5000 Mark. Unsere größte Einnahme ist jedoch der Wein: von 24 000 Mart im Jahre 1906, dem schlechtesten Jahr seit langem, bis zu 160 000( 1900), 171 000( 1908), ja 189 000 ( 1904). Doch die Bevölkerung wird davon nicht reich; das sind fast alle ihre Einnahmen!"

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Der Wein fagte er. Wir blicken über die Berge hin; alle find mit Reben bepflanzt. Nur wenige Wochen, und die Zeit der Kirschen, die Freuden und Mühen der ersten Ernte sind dann vorbei. Man muß wissen, was der schwäbische Boden in guten Jahren Währenddem kündigt sich bereits eine andere an: von den Wein­Leisten fann. Im Jahre 1909 3. B. trugen 373 000 Sirschbäume bergen, durch die wir zur Tiefe steigen, weht der unnennbar süße 115 000 Zentner, die einen Geldwert von 861 000 M. darstellten. Duft der Nebenblüte. Es wird Trauben geben. Neben Baden  , Nordwestbayern und dem Gebiet um Werder   ist ( Theodorich Schwabe Waldenburg.) Verantw. Redakteur: Nichard Barth, Berlin  . Drud u. Berlag: Vorwärts Bucheruderei u.Berlagsanstalt Baul Singer& Co., Berlin   SW

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