Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 123.

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Die Arena.

Dienstag, den 28. Juni.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Vicente Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Dieses obskure Dasein eines zur Sparsamkeit gezwunge­nen und unaufhörlich mit der Dürftigkeit kämpfenden Land­mannes schreckte einen so stolzen und so viel vorstellenden Mann wie Gallardo, der an öffentlichen Beifall und Geld­überfluß gewöhnt war. Der Reichtum war etwas Dehnbares, das mit den Fortschritten in seinem Beruf angewachsen war, fich aber nie innerhalb der Grenzen seiner Bedürfnisse ge­halten hatte. In früheren Zeiten würde er sich mit einem fleinen Teil feines jezigen Besizes für überreich gehalten haben Jest wäre er fast ein armer Mann, wenn er das

Stierfechten aufgäbe. Er würde auf die Havannazigarren verzichten müssen, die er verschwenderisch verteilte, und auf die teuren Marken andalusischer Weine; er würde seine groß­herrliche Freigebigkeit einschränken müssen und nicht mehr alles ist bezahlt!" in Caféhäusern und Schenken ausrufen dürfen, in dem Großmutsdrang eines Mannes, der daran ge­wöhnt ist, dem Tode Trotz zu bieten und in Saus und Braus zu leben. Er würde den Schwarm von Schmaroßern und Schmeichlern, die ihn umgaben und ihn mit weinerlichen An­pumpereien zum Lachen reizten, entlassen müssen, und wenn eine hübsche Weibsperson aus dem Volfe zu ihm käme( falls dies nach seinem Rüdtritt überhaupt noch möglich) würde er nicht mehr im stande sein, ihr ein Paar mit Perlen besette goldene Ohrringe anzuhängen und sich über ihre Verwirrung zu belustigen.

So hatte er gelebt und so mußte er fortfahren. Er war ein Stierfechter vom alten Schlag, so wie sich die Leute einen Matador vorstellen, freigebig, großartig, vermessen, sich in rauschender Verschwendung betäubend, stets bereit, Unglüd­liche mit fürstlichen Almosen zu unterstüßen, wenn es ihnen gelang, feiner eigenartigen Empfindsamkeit beizukommen. Gallardo spottete über viele seiner Kollegen, die er als Stier­fechter einer neuen Gattung bezeichnete, die das Stiertöten als Metier betrieben, die von Ort zu Ort wie Handlungs­reisende fuhren und methodisch und sparsam in allen ihren Ausgaben waren. Einige unter ihnen, ganz grüne Jungen, trugen ein Notizbuch über Einnahmen und Ausgaben bei sich und schrieben sogar die fünf Centimes, die ein Glas Waffer auf einem Bahnhofe kostete, auf. Sie verkehrten mit reichen Leuten nur, um deren Einladungen anzunehmen, ohne daß es ihnen jemals einfiel, auch ihrerseits einzuladen. Die An­gehörigen gewiffer Cuadrillas litten Hunger und beklagten fich öffentlich über den Geiz ihrer Maestros.

Gallardo bereute sein glanzvolles Auftreten nicht. Und man wollte jeßt, er solle darauf verzichten!

Außerdem dachte er an die Bedürfnisse seiner eigenen An­gehörigen, die alle an die bequeme, großartige und sorgen­Lose Lebensweise der Familien gewohnt waren, die das Geld nicht zu zählen brauchen. Außer seiner Mutter und seiner Frau war eine neue Familie ins Haus eingezogen, seine Schwester nebst seinem geschwäßigen Schwager, der nicht ar­beitete, wie wenn seine Verwandtschaft mit einem berühmten Mann ihm ein Anrecht auf Nichtstun gäbe, und der Schwarm von Neffen, die alle aufwuchsen und mit jedem Tag mehr Ausgaben verursachten. Und da sollte er Ordnungsrufe zur Einschränkung und Mäßigung an alle diese Leute erteilen, die gewohnt waren, in froher Sorglosigkeit und rückhaltslos auf seine Kosten dahinzuleben!... Und alle, sogar der arme Garabato, sollten auf das Landgut ziehen, um sich an der Sonne rösten zu lassen und zu rohen Bauersleuten zu werden! Und das arme Mütterchen sollte für den Nest ihrer Lage nicht mehr die Freude haben, heilige Mildtätigkeit zu üben und Geld unter die armen Frauen des Stadtviertels zu berteilen, um dann beschämt wie ein Kind dazustehen, wenn der Sohn Zorn heuchelte, weil von den vor bierzehn Tagen übergebenen hundert Talern nichts mehr übrig war!

Berdammt auch!... Das alles bedeutete eine Herab­würdigung. Gallardo schämte sich bei dem Gedanken, daß so etwas überhaupt denkbar war. Es wäre ein Verbrechen, ihnen, was sie hatten, wegzunehmen, nachdem er sie an Wohl­

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stand gewöhnt hatte. Und was hatte er zu tun, um dies zu bermeiden?... Ganz einfach den Stieren auf den Leib zu rüden, zu kämpfen, wie er es früher getan hatte. Er wollte ihnen schon beikommen!

Er beantwortete die Briefe seines Verwalters und Car mens mit furzen, mühsam geschriebenen Episteln, die von feinem entschlossenen Willen zeugten. Sich zurückziehen? Nie und nimmer!

Er war entschlossen, derselbe zu sein, wie früher, das schwor er dem Don José, und seine Ratschläge zu befolgen. Ein Schritt, ein Stoß, und fertig." Das Herz ging ihm auf, und er hielt sich für fähig, es mit sämtlichen Stieren aufzu­nehmen, wie groß fie auch sein mochten.

ein wenig in seiner Eigenliebe getränkt, da sie an seinen Seiner Frau antwortete er in scherzendem Ton, wiewohl Kräften zu zweifeln schien. Sie würde schon Nachrichten über in Erstaunen sehen, da es sich seiner Ungerechtigkeiten schäme. das nächste Stiergefecht erhalten. Er würde das Publikum Benn die Stiere gutmütig wären, würde er einen Erfolg ohne Gleichen haben.

Gutmütige Stiere! Das war es, was Gallardo zu schaffen machte. Früher hätte es seine Eitelkeit nicht zugelassen, daran zu denken, und niemals ging er vor der Vorstellung nach dem Birkus, um sie sich anzusehen. Sch töte alles, was man mir borführt," sagte er stolz, und er sah die Stiere zum erstenmal, wenn fie in die Arena gelassen wurden.

wählen und den Erfolg durch ein eingehendes Studium ihrer Sept wollte er sie sich aus der Nähe ansehen, sie aus­Eigenschaften vorbereiten.

Das Wetter hatte sich aufgeheitert, die Sonne schien. Am folgenden Tag sollte das zweite Stiergefecht stattfinden.

Gallardo ging am Nachmittag allein nach dem Zirkus. Das aus roten Backsteinen aufgeführte Gebäude mit seinen maurischen Fensterbogen hob sich einzelstehend von einem Hintergrunde grünlicher Hügel ab. Ganz am Horizonte dieser weiten, eintönigen Landschaft, am Abfall eines Hügels schimmerte etwas Weißliches herüber, das einer entfernten Schafheerde glich; es war ein Friedhof mit seinen Grab­steinen.

Einige zerlumpte Kerle hatten den Stierfechter in der Umgebung des Birkus bemerkt und näherten sich ihm. Schmaroßer der Stierfechterei und Herumstreicher, schliefen fie geduldet in den Ställen, lebten vom Mitleid des Publi­fums und von den Resten der Mahlzeiten in den umliegenden Schenkwirtschaften. Einige von ihnen waren mit einem Stiertransport aus Andalusien angekommen und hatten sich hierauf für immer in der Nähe des Gebäudes eingerichtet. Gallardo verteilte einige Geldmünzen unter diese mit der Müze in der Hand folgenden Bettler und trat in den Zirkus durch die zu den Pferdeställen führende Tür ein.

Im Hofe bemerkte er eine Gruppe von Leuten, die aus Liebhaberei den Uebungen der Picadoren beiwohnten. Botage, mit großen Hintersporen, die Lanze in der Faust, war im Be­griff, zu Pferde zu steigen. Das Stallpersonal stand um den Pferdelieferanten herum, einen forpulenten Mann mit breitem, andalusischem Filzhut und langsamer Sprechweise, der mit Ruhe auf das hastige und anzügliche Gerede der Picadoren Antwort gab.

Die Stallknechte in Hemdsärmeln zogen die elenden Mähren herbei, damit die Reiter sie einüben sollten. Sie hatten sie schon während einiger Tage eingedrillt, und die armen Tiere trugen noch die roten Spuren der Sporenstiche an ihren Flanken.

Die elenden Ueberbleibsel einstiger Pferdeschönheit Kamen langsam heran, und ihr zitternder Schritt, die eingefallenen Weichen legten Zeugnis ab von traurigem Alter, von Krank­beiten und vom menschlichen Undant, der die Vergangenheit vergaß. Es waren Tiere von unglaublicher Magerkeit dar­unter, Gerippe mit hervorstehenden scharfen Kanten, die nahe daran zu sein schienen, die mit langen und losen Haaren be­deckte Haut zu durchbohren. Pferde aus Fabriken, Bäckereien, Bauernpferde und Droschkengäule, alle todmüde von jahre­langer Arbeit vor dem Wagen oder dem Pflug, unglückliche Ausgestoßene, die noch bis zum fepten Augenblid ausgebeutet werden sollten, die durch ihr Ausschlagen und ihre Sprünge