— 490— ein Schauspiel für den Menschen abgaben, wenn der Stier ihren Leib mit den Hörnern aufriß. Potage, der sowohl für sich als im Namen seiner Kollegen sprach, nahm bei dem Handel mit dem Pferdehändler hoch- fahrende Mienen an und reizte sogar die Stallknechte mit seinen Zigeunerflüchcn zum Lachen. Die anderen Picadoren sollten es nur ihm überlassen, sich mit den Pferdeleuten ins Einvernehmen zu setzen; niemand verstünde es besser als er, diese Halunken in Trab zu bringen. Ein Diener ging auf ihn zu, der ein kopfhängendes Pferd mit langen Haaren und traurig hervorstehenden Knochen nach sich zog. „Was bringst Du da?" fragte Potage. den Unternehmer anblickend.„Das nehme ich nicht an; aus dieses Tier kann kein Mensch steigen. Deine Mutter mag drauf reiten!.. Der froschblütige Unternehmer antwortete ihm mit der größten Gemütsruhe. Wenn Potage sich nickst getraue, auf- zusitzen, so liege es daran, daß die heutigen Picadoren sich vor alleni fürchteten. Mit einem so guten und folgsamen Pferde hätten Calderon, Trigo oder andere Reiter aus der guten alten Zeit zwei Nachmittage hintereinander den Stieren Stand gehalten, ohne eineil Fall zu tun und ohne daß das Tier verletzt worden wäre. Aber heutzutage!... Jetzt gäbe es nichts anderes mehr als Hasenfüße und unverschämte Maulhelden. Der Picador und der Unternehmer beschimpfteil sich gegenseitig mit freundschaftlicher Gelassenheit, als ob die größteil Beleidigungen durch die Macht der Gewohnheit für sie alle Bedeutung verloren hätten. „Du bist weiter nichts," antwortete Potage,„als ein Hundsfott und ein größerer Räuber als Josck Maria. Latz auf den Klepper Deine krätzige Großmutter steigen, die alle Sonnabende um Mitternacht auf einem Besenstiel herumritt." Die Anwesenden lachten, und der Unternehmer beschränkte sich darauf, die Achseln zu zucken. „Aber was ist denn mit dem Pferde?" sagte er ruhig. «Sieh es Dir doch an. Du Dickkopf! Es ist noch besser als andere, die rotzkrank oder mit Schwindel behaftet waren, und auf denen Du in die Arena eingeritten bist, um dann köpf- über herunterzufliegen, bevor Du in die Nähe des Stieres kamst. Es ist gesunder als ein Apfel, und hat übrigens acht- undzwanzig Jahre lang in einer Selterfabrik wie ein an- ständiges Vieh gedient, ohne daß jemand einen Fehler an ihm entdeckt hätte. Und jetzt kommst Du Esel und schreist und kritisierst und trittst ihm nahe, als wäre es ein schlechtes Christenmenfchl..." „.Ich mag es nun einmal nicht, Teufel nochmal, Du kannst es behalten!" Der Unternehmer trat langsam an Potage heran, und ohne sich weiter aufzuregen, flüsterte er wie einer, der in diesen Händeln Bescheid weiß, ihm ins Ohr. Der Picador heuchelte Aerger, trat aber schließlich an das Pferd heran. Seinetwegen möge es sein! Er wollte nicht für einen hart- näckigen Menschen gelten, der fähig lväre, einen Kameraden zu benachteiligen. Er setzte einen Fuß in den Steigbügel und ließ das Ge- wicht seines Körpers auf das arme Pferd fallen. Tann nahm er die Lanze unter den Arm, stemmte sie gegen einen in die Mauer eingesetzten Holzblock und stach verschiedene Male mit großer Anstrengung nach ihm, als stünde ein gewaltiger Stier vor der Lanzenspitze. Das arme Pferd zitterte und sank in die Knie bei diesen Zusammenstößen. „Er dreht sich nicht übel," sagte Potage in versöhnlichem Tone.„Der Klepper ist besser, als ich dachte, hat ein gutes Maul und gute Beine... Tu sollst Deinen Willen haben. Stelle ihn auf die Seite." Der Picador stieg ab und war, nach der geheimnisvollen Rücksprache mit dem Unternehmer, bereit, alles anzunehmen, was dieser ihm vorsetzen würde. Gallardo trennte sich von der Gruppe der Aficionados, die lächelnd dieser Szene zugesehen hatten. Ein Türstcher begleitete ihn zum Aufenthaltsort der Stiere, durch ein kleines Tor hindurch nach den Höfen, die von drei Seiten durch eine aus rohen Steinen aufgeführte, mannshohe Mauer eingeschlossen waren. Dicke Holzbalken erhöhten die Festigkeit der Mauer. In einiger Entfernung von einander waren so enge Ausgänge angebracht, daß nur ein Mann von der Seite hindurchkonnte. Im weiten Hof befanden sich acht Stiere, von denen einige auf der Erde lagen, andere aufrecht und mit gesenktem Kopf den vor ihnen liegenden Haufen Gras be� schnüffelten, lgortsetzung folgt.] Sara. IBofttinta 19} Die Geschichte einer Liebe. Von Johan Skjoldborg. — Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von Laura Heidt. (Schluß.) IS. Sara denkt nur an das eine. DaS heißt, sie denkt nicht direkt daran; sie umkreist es und sieht nichts scharf; die«ine Einzel» heit unterscheidet sich nicht von der anderen; sie wagt nicht, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, will sie nicht sehen. Das Ganze flieht in ein Halbdunkel zusammen, und darüber brüten ihre Ge» danken, Dieser grübelnde Ausdruck liegt beständig auf ihrem Antlitz und verändert sich nur in Gegenwart anderer. Dann heuchelt sie eine Munterkeit, als ob alles in bester Ordnung fei. Eines Tages sitzt sie und Boel in der Küche be» einem Tähchen Vormittagskaffee; es ist Waschtag. Maren, die Wiesenhofbäuerin, die Sara beobachtend aus- und' eingegangen ist, öffnet die Tür und ruft sie zu sich herein. „Ich möchte Dich etwas fragen," sagt die Hausmutter und schreitet einmal im Zimmer auf und ab. Sara beißt die Zähne zusammen und runzelt die Brauen. Sie wappnet sich. Maren bleibt vor ihr stehen, und indem sie ihre Gestalt von oben bis unten mustert, sagt sie: „Es ist doch nichts mit Dir los?" „Mit m'rl— Wie kommst Du auf die Idee!" Maren richtet ihren Adlerblick auf sie:„Bist Du schwanger?" „Nein!" ruft Sara ihrer Hausmutter ins Gesicht. Ihre Augen sind ganz wild vor Haß und krankhafter Erregung, so daß die resolute Wiesenhofbäuerin zurückweicht. „Ihr könnt mir ja wohl glauben, wenn ich es Euch sage! � Es ist fürchterlich, daß Ihr mich nicht in Ruhe lassen könnt!" Sara sieht sich selber nicht mehr ähnlich. Marens Mundwinkel ziehen sich nach unten. „Du bist, weih Gott, trotz alledem'ne rechte Bergdirnel" sagt sie höhnisch. Da zeigt sich ein merkwürdiges Zucken in Saras Antlitz, sie ballt die Fäuste und krümmt den Rücken, und die arme Bergdirne sieht die Wiesenhofbäuerin derartig an, daß dieser Angst wird und sie hastig sagt:„Du kannst jetzt gehen!" Sara fährt hinaus ins Brauhaus. Sie reiht die eiserne Tür der Feuerstelle unter dem Waschkessel auf; das rot-gelbe Licht fällt auf die draußen lagernde graue Asche und auf Saras sprühende Augen und rote Arme, und nachdem sie Reisig und dicke Wurzel» enden hineingestopft hat, schlägt sie die Tür krachend zu. Boel blickt nach ihr hin. Sara fliegt an das Wafchsah, reibt und reibt, auf und ab an dem zinnernen Waschbrett, daß ihr der Schweiß von den Augenwimpern tropft. Sie arbeitet, als gälte es das Leben. Es ist etwas da, daS sie verschlingen, sie in den Abgrund hineinzerren will. Sie hält sich nur noch aufrecht durch Arbeit; je mehr es zieht und zerrt. desto mehr arbeitet sie. Ueber diesem Abgrund brüten ständig ihre Gedanken. Wenn sie hin und wieder mit dem Rücken der Hand daS Haar zurückstreicht, blickt sie seitwärts hinauf, und es liegt ein tiefer Schmerz, es liegt Verzweiflung in diefen Augen. Ein Wäschestück nach dem anderen wandert hinüber in die Spülwanne. Die Haut löst sich von ihren verschrumpften, halb ver- brühten Fingern, sie achtet nicht darauf. Boel läuft hinaus, um zu melken; sie muh daS heute allein besorgen. Inzwischen spült Sara, taucht die nasse Wäsche in das klare Waffer und hebt sie dann hoch empor, damit das Wasser ab- läuft— erst die groben grauen Stücke für die Knechtekammer, und danach die weihen Linnenlaken, die so sein gewebt find, daß daS blanke Wasser an ihnen hcrabrinnt. Nachdem sie damit fertig ist, packt sie den Rand des Fasses und wälzt das riesige Gefäß auf die Seite, so daß das Wasser in einer großen Woge sich über die Steindiele ergießt. „Oh— h!" ruft sie beinahe laut und greift sich_an die Hüfte. Sie muh sich auf die Wäschcbank setzen, solche Schmerzen ver- spürt sie. Nachdem sie aber vorüber sind, kommt ein Augenblick, da daS Verstörte in ihrem Antlitz wie von milder Hand hiniveggcwischt erscheint und ihr Blick ganz ruhig wird. Sie hat nämlich gespürt, wie sich ein lebendes Wesen in ihrem Innern umgekehrt hat. In diesem Augenblick existiert für sie weder Himmel noch Erde— nur Glück, Glück, ein reiches Glücksgefühl, das ihr zum Herzen strömt. Sie fühlt sich so stark und mutig. Sie durchbricht allcS, sie fegt sie alle zur Seite. Was könne» sie ihr in Wirklichkeit anhaben; sie ist in ihrem Recht, wie eine leuchtende Fackel schwebt es vor ihr her.— Sie sieht sich selbst und ihre Zukunft. Ein kleines Zimmer, in dem auch die Kommode des Tischlers Lars ihren Platz hat, ein kleines, gemütliches Zimmer, wo sie mit ihrem Kinde auf dem Schoß sitzt. Oh— niemand in der Welt ist so glücklich wie sie..,
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27 (28.6.1910) 123
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