Nnterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 124. Mittwochs den 29. Juni. 1910 tSaStnff verivwa.) 62] Die Hrena. Roman von SSicente Blasco I b a n e z. Autorisierte Uebersetzung von Julio Broutci. Der Stierfechter schritt längs des Seitenganges voran und nahm die Tiere genau in Augenschein. Von Zeit zu Zeit trat er aus der Umzäunung und steckte seinen Körper durch die engen Schlupflöcher. Er bewegte die Arme und stieß wilde, gellende, herausfordernde Schreie aus, die die Stiere aus ihrer Unbeweglichkeit aufschreckten. Einige sprangen erregt auf und rannten mit gesenktem Kopf auf den Mann los, der den Frieden ihres Aufenthaltes störte. Andere blieben fest auf den Füßen stehen und warteten mit stolz erhobenem Kopf und unwilliger Gebärde, ob der Kühne es wagen würde, sich ihnen zu nähern. Gallardo, der sich rasch wieder hinter die Mauer versteckte, unterwarf die Gestalt und die Eigenschaften der Bestien einer scharfen Prüfung, ohne zu einem Entschluß zu kommen, welche beiden er auswählen sollte. Der Aufseher des Zirkus stand bei ihm, eine athletische Gestalt mit Gamaschen und Sporen, in dicker Tuchkleidung, auf dem Kopfe einen Feldhut, den ein Riemen unter dem Kinn festhielt. Man nannte ihn Lobato; er war ein rauher Reiter, der den größten Teil des Jahres auf freiem Felde zubrachte und wie ein Wilder in Madrid cinritt, unbe- kümmert um seine Straßen und um alles, was jenseits der nächsten Umgebung des Zirkus lag. Für ihn bestand die Hauptstadt Spaniens aus einem Zirkus mit abgetragenen Erdhaufen und unbebautem Land ringsum, dem sich weiter ab ein geheimnisvolles Häuser» mieer anschloß, das er nie den Wunsch gehabt hatte kennen zu lernen. Das wichtigste Gebäude von Madrid war für ihn das, worin sich die Schenkwirtschaft von Gallina, nahe bei dem Stierplatz, befand, für ihn ein angenehmer Ver- gnllgungsort, ein verzauberter Palast, wo er auf Kosten des Unternehmers frühstückte und zu Abend speiste, bevor er sein Pferd bestieg, um mit querüber vorgelegtem dunkeln Mantel, hinter sich den Vorratssack und auf der Schulter die Lanze, auf den Weidegrund zurückzukehren. Wenn er in die Wirt- schaft eintrat, gefiel er sich darin, den Bediensteten mit seinen freundschaftlichen Grüßen Schrecken einzujagen, da sein Händedruck die Knochen zu zermalmen drohte und Schmerzens- schreie hervorrief. Er lächelte befriedigt über seine Kraft und setzte sich zum Essen, das ihm auf einem Teller von der Größe einer Waschschüssel vorgesetzt wurde, wozu noch ein Krug voll Wein kam. Er hütete die vom Unternehmer erworbenen Stiere, ent- weder auf dem Weidegrund in der Munnoza oder bei großer Hitze auf den Wiesen im Guadarrama-Gebirge. Er brachte sie zwei Tage vor dem Stiergefecht um Mitternacht in den Zirkus, wobei er, von Reitern und Knechten begleitet, den Bach Abronnigal außerhalb Madrids überschritt. Er trauerte jedesmal, wenn schlechtes Wetter das Schauspiel verhinderte und die Tiere im Zirkus bleiben mußten, da er dann nicht sofort auf die ruhige Landeinsamkeit, wo die übrigen Stiere weideten, zurückkehren konnte. Langsam in seiner Rede und schwerfällig in seinen Ge- danken, geriet dieser nach Leder und trockenem Futter riechende Centaur in Feuer, wenn er von seinem Hirtenleben und der Weide der wilden Tiere sprach. Der Himmel Madrids kam ihm wie eingeengt und mit wenigen Sternen besetzt vor. Er beschrieb mit malerischer Kürze die Nächte auf der Weide, wo seine Stiere unter dem gedämpften Lichte der Sterne und dem vom geheimnisvollen Geräusch des Dickichts unter- brochenen dichten Schweigen schliefen. Die Nattern des Feldes fangen mit seltsamer Stimme in dieser Stille. Ja- wohl, sie fangen. Nienrand konnte darüber mit Lobato streiten: er hatte es Tausende von Malen gehört, und wer es bezweifelte, stempelte ihn zum Lügner und setzte sich der Gefghr aus, die Wucht seiner riesigen Hände zu spüren. Und so, wie die Reptilien sangen, so auch redeten die Stiere, aber er hatte das ganze Geheimnis ihrer Sprache noch nicht auf- decken können. Sie seien wie Christenmenschen obschon sie Hörner trügen und auf vier Füßen gingen. Man müßte sie sehen, wenn sie beim Aufgang der Morgenröte erwachten, Sie sprängen herum wie Kinder, spielten und griffen sich scherzend mit den Hörnern an, versuchten in lärmendem Ueber» mut aufeinanderzusteigen, wie um die Gegenwart der Sonne, den Ruhm Gottes zu begrüßen. Dann sprach er von seinen Streifzügen durch die Guadarrama-Kette, wie er dem Laufe der Bäche folgte, die von den Bergspitzen flüssiges, kristall« helles Schneewasser herabführen, um die Flüsse damit z» speisen: von den Gräsern und Blümlein der Wiesen, vom Flügelschlag der Vögel, die sich zwischen den Hörnern der schlafenden Stiere niederließen, von den Wölfen, die weit, immer weiter weg während der Nacht heulten, als erschreckte sie der Zug der Stiere, die unter dem Glockengetön der zahmen Leitochsen ankamen, um jenen Raubtieren ihren Anteil an der wilden Einsamkeit streitig zu machen... Man sollte ihm wegbleiben mit Madrid , wo den Leuten die Luft mangelt. Alles, was er in diesem Häusermeer annehmbar fände, sei Gallinas Wein und seine schmackhaften Gerichte. Lobato sprach länger mit dem Stierfechter und war ihm mit seinen Anweisungen beim Auswählen der zwei Stiere behilflich. Der Aufscher zeigte weder Erstaunen noch Respekt vor diesen berühmten Männern, der Stierhirt verachtete fast den Stierfechter. Solche edlen Tiere unter allerlei Täw schungen und Listen zu töten! Schändlich! Der Kühne sei er, der unter ihnen lebte und in der Feldeinsamkeit vor ihren Hörnern vorbeiging, ohne andere Waffe als seinen Arm und ohne allen Beifall von Zuschauern. Gallardo verabschiedete sich von Lobato. Er hatte mit dem Aufseher ausgemacht, daß dieser die beiden ausgewählten Stiere für ihn absondere. Die übrigen Matadoren würden wohl nichts dagegen einzuwenden haben: sie waren vom Glück begünstigte Burschen im vollen Uebermut der Jugend, die alles niederstießen, was man ihnen vorführte. Als Gallardo wieder in den Hof trat, wo die Dressur der Pferde noch vor sich ging, sah er, wie ein hochgewachsener. magerer Mann, mit kupferbrauner Haut, wie ein Stierfechter gekleidet sich von der Gruppe der Zuschauer trennte. Unter seinem schwarzen Filzhut waren einige ins Weiße schillernde Haarbüschel bemerkbar, und um seinen Mund legten sich einige Falten. Pescadero! Wie geht's Dir?" rief Gallardo aus und drückte seine Rechte mit aufrichtiger Wärme. Es war ein alter Stierfechter, der in seiner Jugend vom Glück begünstigt worden war, aber dessen sich nur Wenige noch erinnerten. Andere, nach ihm aufgetretene Matadore hatten seinen Ruhm verdunkelt, und nachdem Pescadero in Amerika aufgetreten war und mehrfache Verwundungen er» litten hatte, war er mit einem kleinen Kapital zurückgetreten. Gallardo wußte, daß er eine kleine Schaickwirtschaft in der Nähe des Zirkus inne hatte, wo er, ohne mit Sticrfechtern und Aficionados zu verkehren, ruhig hinlebte. Er hätte nicht gedacht, daß er ihn innerhalb des Gebäudes antreffen würde, aber Pescadero sagte zu ihm mit trauriger Miene: Wie es so im Leben zu gehen pflegt. Es ist die alte Anhänglichkeit an das frühere Metier. Ich komme selten zu den Stiergefechten, aber die Kulissen des Handwerks ziehen mich noch an, und jetzt schaue ich als Nachbar zu, wiewohl ich nichts weiter als ein Schankwirt bin." Während Gallardo sein unansehnliches Aeußere be­trachtete, dachte er an den Pescadero, den er in seiner Kind, heit gekannt hatte und der ihm am meisten als ein stolzer. von Frauen begünstigter Held imponiert hatte, wie er mit seinem spitzen Sammethut, der kurzen einfarbigen Jacke und dem bunten seidenen Hüftentuch, auf einen Elfenbeinstock mit goldenem Griff gestützt, durch die Straßen Sevillas ging. So würde er selbst ein Bedeutungsloser und Vergessener sein, wenn er sich vom Stierfechten zurückzog!... Sie sprachen lange über Angelegenheiten ihrer Kunst. Pescadero war Pessimist, wie alle alten durch Unglück ver­bitterten Leute. Mit den guten Stierfechlern fei es vorbei, und es gebe keine Beherzten mehr. Nur Gallardo und einige andere seien noch Matadore im wahren Sinne des Wortes. Sogar die Bestien seien kraftloser geworden. Und nach diesen Klagen drängte er seinen Freund, mit ihm nach seiner Woh- nung zu Aminen und seine Wirtschaft zu besuchen, da sie sich