Hlttttthaltimgsblatt des Vorwärts Nr. 127. Sonnabend, den 2. Juli. 1910 65] Die Hrena* Roman von Vicente Blasco Jbanez. Sutorifierte Uebersetzung von Julio Brouta. Von neuem holt« er zum Stoße aus. und nur wenige konnten sehen, was er tat. da die unaufhörlich um ihn her entfalteten Mäntel ihn den Blicken entzogen.... Der Stier fiel, und aus seinem Maule schoß ein Strom Blutes. Endlicht... Das Publikum beruhigte sich und hörte auf. mit den Armen zu fuchteln: aber die Pfiffe und Rufe dauerten fort. Ein Knecht versetzte dem Stier den Gnaden» stoß: man entfernte die Degen aus seinem Körper und spannte ihn mit dem Kopfe an die Zugtiere, d« ihn im Galopp aus dem Zirkus schleiften, in dessen Sand er eine breite, ein» gedrückte Spur und Mutstreifen hinterließ, die von den Knechten mit Rechen vertilgt wurden. Gallardo zog sich hinter die Barriere zurück, um den be» leidigenden Zurufen zu entgehen, die seine Gegenwart ent» fesselte. Dort blieb er ermüdet und keuchend, mit einem schmerzenden Bein, und fühlte trotz seiner Niedergeschlagenheit die Genugtuung, der Gefahr entronnen zu sein. Er war also doch nicht zwischen den Hörnern der Bestie gestorben!... aber das dankte er seiner Vorsichst. Das Publikum! Ja, das war nur ein Haufen von Meuchelmördern, die den Tod eines Menschen herbeiwünschten, als ob sie allein das Leben liebten! Der Rückzug aus dem Zirkus, durch die das Gebäude umstehenden Menschenmassen. Kutschen und Automobile hin- durch und die langen Reihen der Straßenbahnwagen entlang war traurig. Gallardos Wagen fuhr langsam, um die aus dem Zirkus heimkehrenden Gruppen von Menschen nicht zu überfahren, die vor den Maultieren auf die Seite gingen, aber, als sie den Stierfechter erblickten, ihre Gefälligkeit zu bereuen schienen. Aus den Bewegungen ihrer Lippen glaubte Gallardo ent» letzliche Beleidigungen herauslesen zu können. Andere Wagen fuhren an dem seinigen vorüber, is denen schöne Frauen mit weißen Spitzenschleiern saßen, die teils die Köpfe abwandten, um den Stierfechter nicht zu sehen, und teils ihn mit hetz» zerreißendem Mitleid betrachteten. Der Matador duckte sich, als wollte er unbemerkt vorbei- kommen, und versteckte sich hinter dem korpulenten National, der finster und schweigend dasaß. Eine Anzahl von Jungen lief pfeifend hinter dem Wagen her. Viele, die auf den TrottoirS standen, pfiffen mit und glaubten sich dadurch für ihre Armut rächen zu können, die sie gezwungen hatte, einen ganzen Nachmittag vor dem Zirkus stehen zu bleiben, in der Hoffnung, etwas zu sehen. Sie hatten das Fiasko Gallardos erfahren und überhäuften chn mit Schimpfworten, sehr erfreut, einen Mann, der so große Reichtümer gewann, kränken zu können. Diese Proteste weckten den Stiersechter auS seinem sich selbst auferlegten Schweigen auf. „Den Teufel auch! Weshalb dieses Gepfeife?... Sind sie vielleicht im Zirkus gewesen?... Hat es ihr Geld ge» kostet?.. Ein Stein fiel zwischen die Räder des Wagens, an besten Seiten die Gassenjungen schrien, bis zwei Gardisten zu Pferde die Menge zerstreuten und dann die ganze Alcalastraße hinauf dem berühmten Juan Gallardo....„dem ersten Mann der Welt", ihren Schutz angedeihen ließen. »0. Die Cuadrillas waren soeben in die Arena eingetreten, als an der Tür zu den Pferdeställen stark geklopft wurde. Ein Bediensteter giug auf sie zu und rief, schlecht ge- launt, hier sei kein Eingang, man möge sich eine andere Tür suchen. Da ihm aber von draußen eindringlich geantwortet wurde, machte er auf. Ein Mann und eine Frau traten ein: jener trug einen weißen, breitkrämpigen Hut: die Frau war schwarzgekleidet und ihren Kopf bedeckte ein Spitzenschleier. Der Mann schüttelte dem Angestellten die Hand, in der er ein Mittel zur Besänftigung zurückließ „Sie kennen mich, nicht wahr?" fragte der Ankömmling. „Mn ich Ihnen wirklich nicht bekannt?... Ich bin Gallas dos Schwager, und hier ist seine Ehefrau." Die Blicke Carmens spähten nach allen Seiten in den verlastenen Hof. Von weitem, hinter den hohen Backstein« mauern, ertönte Musik, und man vernahm das ungeduldig«, von begeisterten Rufen und neugierigem Lärm unterbrochen« Atmen der Menge. Die Cuardrillas zogen vor dem Präji« denken vorüber. „Wo ist er?" fragte Carmen ängstlich. „Wo soll er sein?" gab der Schwager barsch zurück.„In der Arena, bei seiner Arbeit.... Eine Narrheit, hierher zu kommen, ein Unsinn! Daran ist wieder meine natürlich« Gutmüttgkeit schuld!" Carmen blickte immer wieder um sich, aber mit einer ge- wisten Unentschlostenheit, als bereute sie. bis hierher gekommen zu sein. Was sollte sie tun? Antonios Händedruck und die Verwandtschaft dieser beiden Personen mit einem Stierfechter von Ruf hatten ihr« Wirkung auf den Angestellten nicht verfehlt, und er zeigte sich gefällig. Wenn die gnädige Frau bis zum Schluß de» Schauspieles warten wolle, könnte sie in der Wohnung deS Portiers ausruhen. Wenn sie dem Schauspiel beizuwohnen wünsche, könne er ihnen, selbst wenn sie keine Eintrittskarten hätten, einen guten Platz anweisen. Carmen fuhr bei diesem Vorschlag erschreckt zusammen. Den Stierkampf mit ansehen?... Nein. Bis zum Zirkus war sie unter Anstrengung ihrer Willenskraft gekommen, und sie bereute es schon. Die Gegenwart ihres Mannes in der Arena hätte sie nicht ruhig ertragen können, sie hatte ihn nie- mals inmittten des Kampfes gesehen. Sie würde dort warten, solange sie könne. „Wenn es denn sein muß," sagte der Sattler mit ruhiger Ergebung,„so bleiben wir, obschon mir nicht recht verständlich ist, was wir hier bei den Pferdeställen zu tun haben." Seit dem vorangegangenen Tage hatte Encarnacions Ge- mahl feine Schwägerin überall hin begleitet, und er hatte viel von ihrer nervösen Unruhe und ihren von der Furcht hervor- gerufenen Tränen zu leiden gehabt. Am Sonnabend um die Mittagszeit hatte Carmen mit ihm im Schreibzimmer des Maestros gesprochen. Sie wolle nach Madrid : sie habe sich zu dieser Reise entschlosten. In Sevilla halte sie es nicht mehr aus. Seit nahezu einer Woche fliehe sie der Schlaff und in ihrer Einbildung erblicke sie Schreckensszenen. Ihr weiblicher Scharsblick laste sie eine große Gefahr erkennen, und sie müsse an Juans Seite eilen. Sie wüßte nicht, was sie durch die Reise erreichen werde, aber sie sehnte sich nach der Nähe Gallardos mit jenem heißen Ver- langen, das im Beisein des geliebten Wesens die Gefahr ver- mindert glaubt. Sie konnte nicht so weiter leben. Durch die Zeitungen hatte sie Juans großes Fiasko vom vergangenen Sonntag im Zirkus von Madrid erfahren. Sie kannte den Berufsstolz des Stierfechters: sie hatte das Vorgefühl, er werde dieses Mißgeschick nicht mit Ergebung hinnehmen. Er werde ver- zweifelte Kühnheiten begehen, um den Beifall des Publikums wieder zu erobern. Der letzte Brief, den sie von ihm erhalten hatte, ließ es unbestimmt durchblicken. „Nein, niemals," sagte sie mit Entschiedenheit zu ihrem Schwager.„Noch heute nachmittag fahre ich nach Madrid . Wenn Du willst, kannst Du mich begleiten, wenn nicht, gehe ich allein. Vor allen Dingen nichts an Don Josä verlauten lassen: er würde sich der Reise widersetzen. Das Mütterchen allein weiß davon." Der Sattler sagte zu. Unentgeltlich nach Madrid reisen zu können, wenngleich in betrübter Gesellschaft, das mußte benützt werden.... Während der Fahrt gab Carmen ihren heißen Wünschen Ausdruck. Sie würde energisch auf ihren Mann einreden. Wozu weiter Stiere töten? Hätten sie nicht genug, um leben zu können?... Er müsse sich zurückziehen, aber sofort, sonst ginge sie zugrunde. Es sei absolut nötig. daß dieses sein letztes Stiergefecht sei... Auch das schiene ihr noch zuviel. Sie käme früh genug in Madrid an. um zu verhindern, daß ihr Mann am Nachmittag auftrete. Sie ahne, daß ihre Gegenwart ein Unglück verhütest werde.
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27 (2.7.1910) 127
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