Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 129.
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Die Arena.
Mittwoch, den 6. Juli.
( Nachdrud berboten.)
Roman von Vicente Blasco Ibanez . Die Hauptsache war, diese Tiere einige Minuten länger aufrecht zu erhalten, bis die Picadore wieder in die Arena eintraten, wo der Stier ihnen schon den Rest geben würde... Und die fast sterbenden Tiere ertrugen diese entsetzliche Umwandlung geduldig. Wenn sie hinkten, wurden sie durch Knallende Peitschenhiebe angetrieben, die sie von den Füßen bis zu den Ohren erzittern machten. Ein sonst sanftes Pferd versuchte in der Verzweiflung über sein elendes Geschickt die fich ihm nahenden Knechte zu beißen. Zwischen seinen Zähnen befanden sich noch Ueberreste von Haut und roten Haaren. Als es fühlte, wie die Hörner seinen Leib aufrissen, biß es den Stier in den Hals in rasender Wut.
Die verwundeten Pferde wieherten traurig; die Luft in ihren Körpern entwich geräuschvoll; ein Geruch von Blut und vegetabilischen Ausscheidungen erfüllte die Luft im Hofe; Blut rann zwischen den Steinen und nahm beim Vertrocknen eine schwärzliche Farbe an.
Der Lärm der unsichtbaren Menschenmenge drang herüber; es waren Ausrufe der Unruhe, Weheschreie aus tausend Kehlen, aus denen man die Flucht des durch den Stier hart bedrängten Banderillos erraten konnte. Dann wieder ein bollständiges Schweigen. Der Mann wendete sich von neuem gegen den Stier, und das regelrechte Anheften zweier Banderillas wurde mit rauschendem Beifall begrüßt. Dann ertönte das Signal zum Töten, und neue Beifallsbezeugungen
wurden laut.
Carmen wollte gehen. Heilige Jungfrau der Hoffming! Was hatte sie hier zu tun?... Sie wußte nicht, in welcher Reihenfolge die Matadoren aufzutreten hatten. Vielleicht bezeichnete jenes Signal den Augenblick, in dem ihr Mann dem Stier entgegentrat. Und sie war hier, nur wenige Schritte entfernt, und ohne ihn zu sehen! Sie wollte davoneilen, um dieser Qual zu entfliehen. Zudem efelten sie das im Hof fließende Blut und die Martern jener armen Tiere an. Ihr weibliches Bartgefühl empörte sich über die Mißhandlungen, während sie ihr Taschentuch vorhielt, um den üblen Fleischgeruch abzuhalten.
Sie war nie zu einem Stiergefecht gegangen. Während eines großen Teils ihres Lebens hatte sie von Stiergefechten erzählen hören, aber aus den Beschreibungen diefer Schauspiele entnahm sie nur das Aeußerliche, was jedermann sieht, die verschiedenen Phasen des Kampfes, das helle Sonnenlicht, den Glanz der Kostüme, die pompöse Vorstellung, ohne die berhaßten Vorbereitungen hinter den geheimnisvollen Kulissen kennen zu lernen. Und dieses Schauspiel mit seinen abstoßenden Martern schwoher Tiere diente ihnen zum Lebensunterhalt! Und ihr Vermögen war so entstanden!
Ein rauschender Applaus erhob sich im Zirkus; im Hof wurden mit Nachdruck Befehle erteilt. Der erste Stier war gefallen. Im Hintergrunde des Durchganges für die Pferde öffnete sich die zur Arena führende Barriere, und das Geräusch der Menge und die Klänge der Musik wurden deutlicher bernehmbar.
Die Maultiere waren in der Arena: ein Dreigespann, welches die toten Pferde, und ein anderes, das die Stiere hinausschleppte.
Carmen sah unter den Bogengängen ihren Schwager herankommen; er zitterte noch vor Enthusiasmus über das, was er gesehen hatte.
Juan... folossali Noch nie war er wie heute nach mittag. Sei nicht bange. Der Bursche ist imstande und verzehrt die Stiere bei lebendigem Leib!"
Dann sah er sie unruhig an, indem er befürchtete, er werde durch sie einen so interessanten Nachmittag verlieren... Wozu entschlösse sie sich? Hielt sie sich für mutig genug, um in den Zirkus einzutrete?
" Führe mich weg von hier!" sagte sie mit angsterstickter Stimme. Nimm mich schnell fort; ich bin frank.... Laß mich in der ersten Kirche, die wir antreffen."
Der Sattler machte eine Gebärde des Unwillens. War es nur möglich! Konnte man ein so herliches Stiergefecht
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versäumen!.... Und indem sie nach der Tür gingen, be rechnete er, wo er Carmen lassen könnte, um so bald als mög lich nach dem Zirkus zurückzukehren.
Als der zweite Stier losgelassen wurde, nahm Gallardo noch, an die Barriere gelehnt, die Glückwünsche seiner Be wunderer entgegen. Was für einen Mut der Bursche hatte ,, wenn er wollte"!... Die sämtlichen Zuschauer hatten ihm bei seinem ersten Stier Beifall gezollt und ihren Merger über sein früheres Auftreten vergessen. Als ein Picador vom Pferde fiel und infolge des schweren Aufschlags regungslos liegen blieb, war Gallardo mit seinem Mantel herbeigeeilt und hatte den Stier nach der Mitte des Plates abgelenkt. Nach verschiedenen Finten mit dem roten Tuch und einigen bom Matador elegant ausgeführten Seitensprüngen blieb der müde gehezte Stier unbeweglich stehen. Gallardo benutte dessen Verblüffung und stellte sich wenige Schritte vor dem Maule des Tieres auf, indem er den Leib herausfordernd vorlehnte. Er fühlte in seinem Innern eine Eingebung, ein glückliches Omen kühner Taten. Er mußte das Publikum durch einen waghalsigen Streich wieder erobern und kniete vor den Hörnern mit einer gewissen Vorsicht nieder, bereit, beim leisesten Anschein eines Angriffs wieder aufzuspringen. Der Stier verhielt sich ruhig. Gallardo streckte eine Hand vor, bis er das schäumende Maul des Tieres berührte, das immer noch unbeweglich dastand. Dann unternahm er ein Wagnis, dem die Zuschauer mit gespanntem Schweigen zusaben. Nach und nach legte er sich in den Sand, wobei ihm der Mantel zwischen den Armen als Kopfkissen diente, und verharrte in dieser Lage einige Sekunden, vor den Nüstern des Tieres ausgestreckt, das ihn mit einer Furcht beschnüffelte, als wittere es eine Gefahr aus diesem Körper, der unter feinen Hörnern lag.
Als der Stier seine wilde Angriffslust wieder erlangt hatte und die Hörner senkte, rollte der Matador gegen die Füße des Tieres und kam auf diese Weise aus dessen Bereich, so daß das Tier über ihn weglief und in seiner blinden Wut vergeblich den Gegenstand seines Angriffs fuchte.
Gallardo erhob sich und schüttelte den Staub ab, während das Publikum in seiner Vorliebe für kühne Taten ihm mit dem Enthusiasmus früherer Zeiten Beifall spendete. Aber nicht nur seiner Waghalsigkeit, sondern sich selbst applaudierte die Menge, ihre eigene Majestät, indem sie fühlte, daß die Kühnheit des Stierfechters seinem Wunsche entsprang, sich mit ihr auszusöhnen und ihre Zuneigung von neuem zu gewinnen. Gallardo war in die Arena mit den waghalsigsten Borsägen gekommen, um Beifall zu ernten.
,, Er paßt nicht genug auf," sagten sie in den unteren Reihen, und wird öfters flau, aber er hat Ehrgefühl und will seinem Namen keine Schande machen."
Der Enthusiasmus der Menge und ihre freudige Erregung beim Gedanken an Gallardos Tat und an den sichern Degenstoß, mit dem der andere Matador den ersten Stier niedergeworfen hatte, fehrten sich in Unwillen und Protestrufe um, als der zweite in die Arena eintrat. Er war ge waltig und von schöner Gestalt, lief aber in der Mitte des Plates herum und blidte erstaunt auf die lärmenden Reihen der Zuschauer, erschrack über die Zurufe und Pfiffe, mit denen sie ihn aufregen wollten, und floh vor seinem eigenen Schatten, als mittere er Gefahr von allen Seiten. Die Zirkusbedien steten sprangen herbei und hielten ihm ihre Mäntel vor. Er griff das rote Tuch an und folgte ihm einige Augenblicke, aber plöglich brach er in ein ängstliches Gebrüll aus und machte kehrt, indem er in entgegengesetter Nichtung mit heftigen Sprüngen davoneilte. Seine Beweglichkeit bei der Flucht erfüllte das B. blikum mit Unwillen.
„ Das ist kein Stier, das ist ein Affe!"
Den Mänteln der Maestros gelang es schließlich, ihn nach der Barriere zu treiben, wo die Picadoren unbeweglich, die Lanze im Arm, auf ihren Pferden warteten. Er näherte fich einem Reiter mit gesenktem Kopf und wütendem Gebrüll, als wollte er ihn angeifen. Aber bevor das Eisen in seinen Hals drang, machte et einen Sprung und entwich durch die Reihe von Tüchern, die die Kämpfer ihm entgegenhielten. Auf seiner Flucht traf er einen anderen Bicador und wiederholte den Sprung, das Gebrüll und das Davoneilen. Dann stieß er auf den dritten Reiter, der die Lanze vorstreckte