fn der Lücke, da sah sie die Eulemi ühle. Ihrer, weißen Giebel mit dem Fenster oben, ganz klar das Dreieck— mit dem hohen Schornstein, der so kräftig aus dem Dache heraus- wuchs. Mit dem breiten runden Apfelbaum rechts davor, der wie eine Weiße Kugel aussah. Wie schön und greifbar das heute dalag. Ganz nahe und ganz still. So hatte es die Klar noch nie gesehen. Und wie oft hatte sie wie heut schon hier auf der Treppe gestanden. „Die Lisbeth"— das fiel ihr jetzt grad so ein. „und wenn Du alt bist." Ja. ja, man muß alt sein, wenn man sein will wie sie. Die Klar warf sich in die Brust. Sie sah gespannt nach Herr Eulenmühle hin. Was ging sie die Eulenmühle an! Aber es hielt sie doch fest. Die Wellen der Hügel, zwischen denen ihr dreieckiger Giebel stand, und die Kugel des Apfelbaums, die weiß war von lauter Blüten. Jetzt quoll der Rauch unter dem Schorn- stein hervor. Die Eulenmüllers konnten auch ihre Kirch daheim halten. Die hatten den Herrgott ganz nahe, und ganz weit, nicht eingesperrt. Wie sie ihn gerade brauchten. Bis hinauf zum Himmel— und breit hier übers Land hin. Uber die Wiesen, über die Felder, über die Wingerte(Wein- berge), übers Dorf, bis wieder zu den Hügeln. Und die waren still allein da draußen, die störte niemand. Denen stapfte nicht jeden Morgen der Stangin ihr Klumpfuß vorm Fenster, die wurden nicht verklatscht von Haus zu Haus bis zur Kirchentrepp. Das Helle im Gesichte der Klar verschwand einen Augenblick. Sie preßte die Lippen zusammen. Und ihr Kaiser. Wenn sie den nicht hätt! Aber nun war's schon vorbei damit. Ihre Lider gingen höher. Die alte Lisbeth und das Land hier, auf dem sie daheim war— das drängte sich ihr so heiß in die Brust, als rühre sich's unter ihrem Herzen. Das Blut schoß ihr in den Kopf. Nein, unter ihrem Herzen rührte sich's nicht mehr. Von dem Mann— nun und nimmermehr. Und sie sah viel weiter hinaus, als sie wirklich sehen konnte, und in ihr wurde es klar und hell, und ganz gewiß. Auf der Pariser Chaussee unten bewegten sich die Fuhr- werke. Es war laut geworden. Die Kirche war nun aus. Teilnahmslos sah die Klar die Wagen unten am Ende der Gärten die Kurve durchfahren und dann längs die Chaussee weiter sausen, gestreckt im Galopp die Pferde, rappelnd die Wagen. Rufe und Lieder. Das Dorf war belebter. Die Leute gingen nun draußen am Hause vorbei. Die Klar hörte und achtete nicht drauf. Es war ganz still in ihr geworden. Kein Kind mehr unter ihrem Herzen von dem Mann— aber alles für ihren einzigen, ihren Philipp.„... wenn Du alt bist. Klar." Da heraus aus dem Zieglerleben, heraus aus der Zieglergaß. Sie wollte schaffen, daß ihr die Knochen brachen— nur heraus. Für den Philipp. Daß er nicht mal in die Ziegelhütt zu gehen brauchte, daß er was wär, wenn er groß wär. Pfarrer oder Schullehrer, was er wollt. Da stand der Philipp neben ihr. Sie guckte ihn an. Die Jacke zu eng, die Hosen zu kurz, die Stiefel klobig. „Kerl," sagte sie in ihrer barschen Art und mit ihrer rauhen Stinime,„Du schießt ins Kraut. Wo willst denn noch hinaus! Bis Du zum Nachtmahl(Abendmahl) gehst, bist Du lang wie ein Bellenbaum. Und's wird noch zwei Jahr bis dahin. Zwölf, dreizehn, vierzehn, da hab'n wir's. Wie die Zeit herum geht. Alt wird man, und eines Tags ist man krumm und mürb." „Mutter, was ist denn Euch?" sagte der Bube. „Was mir is? Alles und nix. Aber lerne» mußt Du was. Schullehrer oder Pfarrer, was Du willst. Aber was lernen. Nur kein Ziegler. Für alle Kränk nit. Willst Du?" Der Bube sah sie an und wußte nicht, was er antworten sollte. „Na, so red doch, willst Du?" „Ei. ich wollt schon. Mutter." „Na. und?" „Aber— wir sind doch arme Leut."- „Schad nix. Ich schaff. Dein Vater versäuft wieder, was er die Woch verdient hat. Hier, über die Schwell soll er mir nit mehr kommen. Ich werf ihn die Trepp hinunter. Aber schaffen will ich für Dich. Und helfen kannst Du mir jetzt noch, das ist kein Schand und sieht Dir später kein Mensch mehr an— Lettenfahren und Ziegel abtragen, davon kriegt Dein Ehr kein Loch. Und einen neuen Anzug kriegst Du. Gleich morgen. Brauchst nit mehr länger in dem verwachsenen zu laufen. Werktags, das ist egal, da wird geschafft. Aber Sonntags, da soll man sehen, daß Du was wirst. Da sollst ' geputzt sein, Philipp, wie die reichen Buben, die kein RiMSÄ- che» Grlltz im Kopf haben. Denn weißt, es sind die Dümm- sten nit, die so Lumpen gehen, wie Dein Vater. Davon mußt Tu was haben. Und ich schaff." Sie schob ihn zur Haustüre hinein. Da bemerkte sie, daß sie noch einen Brocken Brot in der Hand behalten hatte, in lauter Gedanken. Ein Huhn kam die Treppe heraufspaziert und pickte auf, was in den Ritzen liegen geblieben war. Die Klar warf ihm das Brot hin. „Da, mein Pippertchen." Und sie lockte noch ein wenig. Draußen auf der Gasse klang der Klumpfuß der Stangin. Die Klar packte der Uebermut. „G'n Morjen, Stangin!" rief sie über den Hof hinaus. „Wart Ihr in der Kirch gewesen? Fleißig gebet't?" „Du gottlos Mensch," rief die Stangin empört dagegen� „Du warst natürlich nit in der Kirch." „Nein," rief die Kaiserklar,„in der Kirch nit. Stangin, aber bei unserm Herrgott. Ich Hab ihn auch nach Euch ge- fragt. Aber von Euch wüßt er nix, hat er da gemeint. Na, um so mehr wißt Ihr von ihm— das gleicht's aus. G'n Morjen, Stangiu." Die Kaiserklar sprang in ihre Tür und warf sie zu. Die Stangin schimpfte ihr ein paar giftige Wörter nach, dann hörte man schwer ihren Klumpfuß weiter schleifen. Und im Dorf war's Mittag geworden, und dann wieder still und lautlos. Nur dann und wann krähten die Hähne. Denn es wollte Regen geben. Der helle Morgen hatte be- trogen, lieber die blaue Himmelsweide schäferten schon die weißen Lämmerwolken, und hinten, über der Eulenmllhle kamen sie in grauen dichten Haufen herauf. (Fortsetzung solgt.h Ein roziaUrtlfcbea Drama von Qpton Sinclair. Der amerikanische Dichter Upton Sinclair , der Verfasser der Romane.Sumpf" und.Metropolis", hat ein Theaterstück vollendet, das im nächsten Winter in London aufgeführt werden soll und wohl auch seinen Weg auf die deutschen Bühnen finden wird. Ob das Stück.» das, einstweilen nur in der Ursprache gedruckt, einem beschränk-- ten Leserkreise zugänglich gemacht wurde, eine dauernde Bereicherung der Weltliteratur bedeutet, darüber werden die Meinungen der Kritiker vielleicht geteilt sein, daß es zu ihren interessantesten Erscheinungen gehört, wird kaum jemand bestreiten. Denn der AmerikanismuS des Dichters hat sich hier mit unerhörter Kühnheit an ein geradezu un» möglich scheinendes Thema gewagt. Kann man sich denken, daß ein Drama abwechselnd in der fünften Avenue, der Nelo-Dorker Milliardärstrahe, und im Nibelheim der alten deutschen Heldensage spielt, daß alS Handelude Personen neben dem Eisenbahnkönig Jsman und dem Kohlenbaron Himpton König Alberich und Mime der Schmied austreten und daß an dieser seltsam gemischten Gesellschaft unter den Klängen Wagnerscher Opernmusik der Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaftsordnung exekutiert wird? Man könnte es keinem Leser verdenken, wenn er nach diesen all- gemeinen Andeutungen den.Prinz Hagen " Npton SinclairS für daS absurdeste Produkt halten wollte, dos der sensationslüsterne Literaturindustrialismus der neuen Welt jemals auf den Markt ge- worfen hat. Und dennoch, SinclairS Drama ist ein wenn auch nicht in allen Teilen gleich gelungenes, so doch groß angelegtes Kunst- werk, das niemals parodistisch wirkt, sondern immer ernsthaft interessiert und stellenweise zu selten erreichten Gipfeln dramatischer Dichtung emporsührt. Prinz Hagen ist die dramatische Synthese von Wagner und Marx. Beide geben die wuchtigen Grundpfeiler ab, über die der Dichter, einem kühnen Ingenieur vergleichbar, den Brückenbogen einer in amerikanischen Gesellschaftskreisen spielenden Handlung spannt. Für uns als Deutsche und als Sozialdemokraten ist SinclairS Werk doppelt interessant. Darum soll jetzt schon sein In- halt, wenn auch nur flüchtig, skizziert werden. Zu Beginn des Stückes befinden wir uns in einem Urwald, in dem der Eisenbahnkönig Amerikas John Jsman sein Sommer- lager ausgeschlagen hat. Gerald, der Sohn des alten JSman, ein Musiker und Dichter, hat sich weitab vom Lärm der Gesellschaft in sein Zelt zurückgezogen. Der Abend finkt und das Lagerfeuer verglimmt, da greift der Ein- same zu seiner Violine und spielt sein Lieblingsthema, das Nibe- lungenmotiv aus WagnerS.Ring ". Ein wandernder Krämer, der den Weg verloren hat, wird von den Klängen der Geige angelockt und gesellt sich zu ihm. Langsani gleitet die Handlung in? Traum- land hinüber. Denn der Krämer ist kein anderer als Mime, der Schmied. Wo Wagners Weisen klingen, steigt die Welt der alten deutschen Wundersage auf— selbst im kanadischen Urwald I Als eine Verherrlichung des deutschen Genius, Richard Wagners, beginnt dieses amerikanische Theaterstück; ähnlich endet cS auch. In der zweiten Szene fetzt dann die eigentliche Handlung ein. Mime hat Gerald nach Nibelheim geführt, wo König Alberich seiner
Ausgabe
27 (8.7.1910) 131
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten