erlittene Unbill damit rächt, alles um sich herum, waS er bisher fcheinbarl hochgehalten, verärgert oder wenigstens mit Spott zu kritisieren, und nur noch das eigene kleine Glück und Behagen wichtig nimmt und einzig gelten läßt. Der Vergleich mit dem Höchsten scheint hier lediglich einen Unterschied der Quantität zu ergeben! ziffern- mäßig handgreifliche Macht- und Besitzverhältnisse wirken auch hier bestimmend mit bis aufs letzte in Färbung von Gedanken und Wort. Der mehr oder weniger freiwillige Verzicht des Alters auf die uneingelösten Forderungen seiner Jugend ist allgemein mensch- lich und typisch. Wenn nun ein Dichter, der als solcher ein Genie, als Mensch mit äußeren Gütern und Ehren reichlich bedacht ist, jenes Stadium der Altersresignation erreicht, spricht man wohl von olympischer Ruhe und Klarheit, von harmonischer Ausbildung der Persönlichkeit, von heiterem Sichselbstgenießen. Bei einem talent- vollen Schriftsteller, der allerdings nicht einen genialen Zug an sich hat und seine Arbeitstage sich durch Pfennigfuchserei der- gällen mußte, heißt dieselbe Sache anders. Der Ausdruck wird dürftiger, ärmlicher, kärglicher, schwungloser, sachlicher, härter, spitzer und spöttischer, ganz so wie das soziale Milieu und die ökonomischen Voraussetzungen im zweiten Falle entsprechend anders geartete ge- Wesen; aber die Sache scheint mir dieselbe. Bei Fontane heißt es dann etwa:„Gott , was ist Glückt Eine GrieSsuppe, eine Schlaf- stelle und keine körperlichen Schmerzen— das ist schon viel."<1884 an den Verleger Hertz.) Oder noch eindrucksvoller schon 18S4 an Th. Storni:.Es ist wunderbar, in wie nahen Beziehungen Menschen- glück und Putenbraien zu einander stehen und welche Püffe das Herz verträgt, wenn man jeden Schlag mit einer Flasche Markobrunner parieren kann." Am 2ö. April 1856 schreibt der damalige Offiziosus Fontaue aus London an den Kunstschriftsteller Friedrich Eggers :.Als ich noch direkt unter Euch<im Tunnel) war, sah ich meine damals doch auch nur literarische Beschäftigung mit der Politik schon als ein be- fonderes Glück an, als ein frisches, stärkendes Bad, als ein Schutz- mittel gegen alle Einseitigkeit und die bei uns so häufige Ueber- schätzung der Kunst aus. Kosten des Lebens. Hier Hab' ich nun das Leben; die Dinge selbst, nicht mehr bloß ihre Beschreibung. Ihr Zeitungsschatteu tritt an mich heran, und jede Stunde belehrt den armen Balladenmacher, daß jenseits des Berges auch Leute wohnen." Dieses Zitat enthält dreierlei Punkte von Wichtigkeit. Erstens daß jener soeben breit erörterte Gegensatz von Schein und Sein bereits damals deutlich vor Fontanes Bewußtsein stand und daß der Dichter trotz allem sich nicht aus Kosten des Lebens an die Kunst zu verlieren gesonnen war. Zweitens daß es die Politik war, mit Hilfe deren er sich aus dem Phantasiereich aus den festen Boden der Wirklichkeit gerettet hatte leine Tat übrigens, die in zeitgemäßer Nacheiferung der gegenwärtigen Poetengeneratton den größten Segen verheißen dürfte). Und drittens und letztens, daß England im besonderen ihm Gelegenheit dazu gab, diese Lebens- rettung an sich selbst zu vollbringen. Die englischen Eindrücke wurden zu einem wesentlichen Element in der Bildung, der intellektuellen wie der moralischen, seines ganzen Menschen. Demgegenüber be- deutet eine Psychologie, die aus Fontanes ftanzösische Abstammung zurückverweist, wenig oder gar nichts. Denn auf so lange Zeiten hinaus, wie sich eine Blutmischung oder Blutreinheit zurückverfolgen läßt, bleibt der<doch politischen und sozialen Veränderungen un- ablässig unterworfene) Charakter eines Volkes oder einer Rasse, wenn dieser überhaupt fixierbar, sich nicht be- ständig gleich, kann also auch nicht das nachgeborene, zufällige Individuum zu starrem Abbild formen. Ungleich bedeulungsvoller als solche mystisch- physiologischen Bande werden die Eindrücke des eigenen Lebens. Was uns fran- zöfisch an Fontanes Wesen anmutet— er selbst scheint auch nicht übermäßig viel davon wissen zu wollen—, geht vielmehr auf direkten Einfluß des Vaters zurück. Im übrigen wies Fontane von je einen viel entschiedeneren Zug nach dem Norden. Seine Balladen singen vom skandinavischen Norden und von Großbrilannien. Italien hat ihm nicht viel gesagt. England, und speziell London , war und blieb der Gegenstand seiner Bewunderung. Während er<1856) an Paris. überall etwas DiebshöhlenhafteS bemerkt, oder im günstigsten Falle einen prahlenden, aber verdächtigen Lappen, der die Blöße oder den Schmutz nur so obenhin verbirgt", entdeckt er gleichzeitig an London jene neue Schönheit der Riesenstadt, die in der wechselnden Mannigfaltigkeit, in der unerschöpflichen Unendlichkeit der Eindrücke liegt, und die erst jüngste Kunstbetrachtung als.die Schönheit der großen Stadt" neben die kanonisierten idyllischen Landschaften der Vergangenheit gestellt hat. Aehnlich dem alten Goethe bleibt der Fontane der letzten Jahre ein lebhafter und interessierterLeser der englischen Zeitungen und Bilderjouruale, die ihm sein alter Freund von 1852, der Arzt James Morris, in regelniäßiger Auswahl zusendet, und erst als die neudeutsche.Weltpolitik" auch England anzurempeln be- ginnt, macht er sein erstes großes Fragezeichen hinter die alte Be- wundernng<1887):„Mit Schrecken sehe ich die„englischen Rüstungen", und daß das so weit- und lebcnLkluge England schließlich auch in diesen modernen Unsinn versällt. Die Kultur, die dadurch geschützt werden soll, geht darin unter. England, weil es reich ist, kann die Sache eine Weile aushalten, aber wir in Deutschland , die wir durchaus eine große Flotte haben wollen<oder sollen), um sie nach vier Wochen verbrannt zu sehen, wir könnten unser bißchen Geld besser anlegen. Alte Staaten müßten erst wieder den Mut kriegen, vor dem Kestegtwcrde» nicht zu erschrecken." Das Vorbild England gab ihm, der doch seinen Patriotismus» oft im aller landläufigsten Sinne, hinreichend bewährt hatte, auch das Recht und den Maßstab, an seinen eigenen Landsleuten strenge Kritik zu üben. Und es bleibt uns heute und hier vielleicht gerade das Interessanteste, Fontanes Entwickelung auf diesem Felde zu ver- folgen, den seltenen Fall zu beobachten, daß ein G es e l ls ch a st S» kritiker, der für die eigene Person der natürlichen Refignatton des Alters gehorcht, im Hinblick auf bat Gemeinwesen dennoch immer höhere ZukunftSforderungen erhebt, immer radikaler Vergangenes einreißt. Wenn Fontane den Vorwurf, die Deutschen seien, ganz im Gegensatz zu den Engläudern, das arroganteste Volk der Erde, sich zu eigen macht, so will er damit vor allem den sogenannten „gebildeten Mittelstand" treffen. Ihm galt seine Feindschaft von je. Aber während ihm in der Frühzeit mehr die angebliche Bildung, die im Prakttschen so kläglich versagte, wider den Strich ging, daS Chinesenlum des ewigen Examenbetriebs und das allgemein frucht« lose Theoretisieren,.Professorcnweisheit, Professorendünkel und Profefforenliberalismus", so richtet er später sein stärkstes Geschütz gegen den„Bourgeois", den Vertreter der„Geld- sackgesinnung". So verfolgte er mit seinem Berliner Roman „Frau Jenny Treibet" den ausgesprochenen Zweck:„das Noble, Phrasenhafte, Lügnerische, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeois- Standpunktes zu zeigen, der von Schiller spricht und Gerson meint". Man darf diesen und ähnlichen Urteilen bei Fontane natürlich nicht die Auffaffung vom ökonomischen Klassenkampf unterlegen, von der er sicherlich weit entfernt war; seine Kritik floß ganz allgemein aus dem Kulturgefühl des künstlerisch-gestimmten Menschen, der den Bourgeois und dessen auch auf Mlitär, Beamte. Prosefforen und Geistliche hinüber wachsende Geldsackgesinnung als ärgsten Feind dieses Gefühls erkannt hatte. So höhnt er die staatliche Knickerigkeit gegenüber den öffentlichen Bildungsinstituten, wie der Bibliothek, die .ein elendes Institut ist und wohl auch noch lange bleiben wird. Daflir sind wir das Volk der Denker und Dichter. In Wahrheit find wir daS Volk für zweieinhalb Silbergroschen". DaS ganze offizielle Preußen verliert schließlich für ihn an Wichtigkeit: Flottenparaden, Tempelhoser Feld, Zapfenstreich in der Mopke, Treptow<AuS- stellung 1896), selbst Li-Hung-Tschang— alles ist gleichgültig; aber Oberammcrgau, Bayreuth , Weimar sGoethetag), das find drei deutsche Dinge, deren wir uns fteuen dürfen." Das zuversichtliche Vertrauen in die scheinbar historisch bewährte und auch künftige nationale Mission des märkisch-preußischen Adels hatte Fontanes kritische Stellung gegen die Bourgeoisie von Anfang an erheblich begünstigt. Aber sein wachsender Sinn für Tatsächlich- leiten zwang ihn doch mit den Jahren, in dieser wesentlichen Be- ziehung alle Hoffnungen auf daS. alte Idol aufzugeben und dem trotz allem noch immer von ihm„aufrichtig geliebten Adel" gegen» über einzusehen, daß uns alle Freiheit und feinere Kultur, wenig- stens hier in Berlin , vorwiegend durch die reiche Judenschast vermittelt wird." Die Enttäuschung bekommt hier etwas stark Demonsttatives in der Betonung eines PhilosemitiSmus, dem er durchaus nicht mit Konsequenz anhing. Sein ganzes Verhältnis zu dem gefeierten Adel blieb überhaupt das einer enttäuschten, uner» widerten Liebe. Fontane kann im Gefühl nicht davon lassen und muß es dennoch all der bitteren Erkenntnis zufolge: er glaubte in Geschichte und Lebensführung des Adels die Flcischwerdung seines eigenen Sittengesetzes der selbstlosen Pflichterfüllung im Staatswesen zu sehen, mochte auch durch einzelne persönliche Erfahrungen sich zu günstigem Urteil berechtigt fühlen, während er doch immer deutlicher erkennen mußte, daß eben dieser grundbesitzende Adel als politische Interessengruppe in Wirklichkeit der nacktesten materiellen Profitgier huldigt und nur in schamhaften Momenten seinen kulturvcrlassenen Materialismus durch die Bibel und die nationale Phrase zu verdecken sucht.„Sie haben sich daS berühmte über die Jesuiten gesagte Wort zu eigen gemacht, aber sie werden nicht so lange dabei bestehen." Kein Wunder, daß sich Fontanes Sympathien, nach solcher Verurteilung der regierenden Klassen, allmählich— wenn auch keineswegs ausschließlich— sich dem Proletariat zuzuneigen beginnen. Bezeichnenderweise kam auch hier der Anlaß, das zu bekennen, von England, nach der Lektüre von Keir Hardies„Labour Lcader"<1896), welcher Ausspruch bereits früher an dieser Stelle wiedergegeben worden ist. Die ersten An- sänge dieser Einsichl lagen jedoch bei ihm viel weiter zurück und gegen die Bestrebungen deS Soziali st engesetzeS protestiert er heftig als unklug und unzweckmäßig mit den Worten:„Millionen von Arbeitern find gerade so gescheit, so ge- bildet, so ehrenhaft wie Adel und Bürgerstand; vielfach sind sie ihnen überlegen"... AlleidiesejLeute sind uns vollkommen ebenbürtig, und deshalb ist ihnen weder der Beweis zu führen,„daß es mit ihnen nichts sei", noch ist ihnen mit der Waffe in der Hand beizu- kommen. Sie vertreten nicht bloß Unordnung und Aufstand, sie vertreten auch Ideen, die zum Teil ihre Berechtigung haben und die man nicht totschlagen oder durch Einkerkerung aus der Welt schaffen kann." Bei Fontanes Lebzeiten hat sich das Junkertum nicht den Deut um ihn gekümmert; die reckte Ehre wird eS ihm erst antun, wenn es ihn verketzert. Denn er ist Einer gewesen, der diese Rasse und Klasse von Grund auf gekannt und erlannt, das heißt durckfchaut und verurteilt hat. Und darum bi.grüßen wir gerade diese mit schwerem Herzen bekannte„Abtrünnig'eit" auch als eine will- kommene Waffe irr Kampf des Tages gegen diese größte Kulturgefahr. A. J.
Ausgabe
27 (9.7.1910) 132
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