Mnterhallungsblatt des vorwärts Nr. 138. Dienstag, den 19. Juli. 1910 <7!aqdruli tzeriot«.? 8] Der Entgleiste. Von Wilhelm Holzamek. Ich habe keine Zeit." wiederholte der Pfarrer mit gleichmäßiger Betonung vollständig gleichgültigen Tones. Dann ist's gut," sagte die Klar.Dank auch schön." Sie drehte sich um und ging nach der Türe zu. Der Pfarrer plazierte seinen Krebskorb nun zu sicherem Fang. Das heißt." sagte erin einem Fall--" Der Klar lag die Sache am Herzen, der alte Krafft hatte sie aufgeklärt, wie wichtig es für später wäre, wenn der Philipp Latein lernen könnte. Sie hielt inne und drehte sich um. Was war das für ein Fall?" fragte sie. Aber nun war dem Pfarrer die Frage zu gerade. Sie durfte nicht so gerade beantwortet werden. Warum haben Sie Ihren Buben zum Krafft in die Schule getan?" Die Klar war nun gereizt, weil sie merkte, daß sie hin- gehalten werden sollte, und es schoß ihr heraus: Weil er was lernen soll, und bei den dreigedrehten Schulmeistern in der Volksschul nix lernen tät." So" es war ein langgedehnter Ton, der grunzend klang. Wenn Sie ihn aber gleich nach Mainz täten?" Es wird mich später noch genug kosten und was ich jetzt noch sparen kann, das will ich sparen." Ins Konviktl Das könnte fast frei besorgt werden." Die Klar horchte auf. Leichter könnte sie's doch nicht haben. Klar. Sie hat nur Wäsche, Bettwäsche, Kleider zu stellen. Es findet sich immer jemand, der etwas beisteuert." Der Klar leuchteten die Augen. Sie wollte schon mit beiden Händen zugreifen, da fiel ihr der Krafft ein. Nur nicht den Buben binden für später," hatte er ge- sagt.Verpflichtungen, von denen man nicht weiß, ob man sie später halten kann, die sind nicht gut, und hält man sie dennoch, so tut das auch selten gut." So etwas von dem, was er ihr gesagt hatte, war ihr im Gedächtnis geblieben. Sie wußte ganz genau, was gemeint war, wenn sie auch die Worte vergessen hatte. Also hieß es jetzt Vorsicht. Und dann vom Konvikt aus was dann?" fragte sie. Dann müßte er ins Seminar." Und wenn er nicht wollte?" Dem Pfarrer machte die Frage heiß. Sollte er sie kurz und klar beantworten, sollte er um sie herum gehen? Sein Krebskorb saß nicht fest auf dem Grund auf. Das müßte er wohl." Aber wenn er nicht wollte, einfach nicht?" Der Krebskorb hatte seinen beschwerenden Stein ver- loren und schwamm. Es war nichts mit-dem Fang; der Pfarrer spürte das. Also keine Umstände. Er müßte sich verpflichten oder dann die Kosten zurückzahlen." Proste Mahlzeit. Da tät ich fein georgelt werden. Verpflichten, meinen Sie. binden für seiner Lebtag gib's einfach nicht. Gibt's nicht. So können wir's also gar nicht anfangen." Nein, fangen wir's nit an. Adje, Herr Pfarrer." Sie riß die Tür auf. Noch eins wenn Sie ihn wieder aus der Krafftschen Schule nähmen?" rief der Pfarrer nach. Aber nun war's der Klar deutlich, wo's hinaus ging. Sie durchschaute den Pfarrer ganz klar. Und die Galle lief ihr über. Händel, " sagte sie,mach ich mit dem Jud da richt ich mich gleich ein, daß ich nit übers Ohr gehauen werd aber Händel mit einem Pfaff machen, da wird man beschissen, so sicher wie zweimal zwei vier isl" .Und damit schlug sie die Türe zu. Sie ging nicht die Vordertüre auS dem Pfarrhaus« hinaus, sie ging durch den Hof und durch den Pfarrgarten« der in Prangen stand. Obstbaum an Obstbaum, Reben« spaliere und Rebenlauben, eine wilde, ungeordnete Ueppig« keit. Am Zaun die Haselnußsträucher, und neben der Aus« gangspforte hohe Sonnenblumen. Der Garten von Krafft fiel ihr ein. Hier reizte sie alle�i zur Verwüstung, hier ärgerte sie die üppige Fülle, dort ver« ehrte sie den Sinn und die Ordnung. Schön war der Garten vom Krafft und der hier war lauter Habgier. NichÜ genug kriegen können. Erst als sie durchs Feld ging, wurde ihr wieder frei zumute. Sie ging quer über den Kleeacker, der an den Pfarrgarten stieß nach dem Feldweg, der ums Dorf führte. Dann ging sie die Lindenallee entlang, bis sie wieder an den ersten Häusern war. Aber an den Häusern besann sie sich. Sie ging nicht ins Dorf hinein. Sie konnte auch hinten. herum, durchs Feld, heimkommen. Und sie bog ins Feld hinein. Das fing schon an, still zu werden. Der Mittag nahte. Eben stieg an der Eulenmühle hinten dicker, weiße? Rauch auf. Der Elfuhrzug bog ins Tal hinein. Er kam aus der Pfalz . Und gleich darauf kam ihm ein anderer entgegen. Der schlüpfte bei der Eulenmühle wieder zwischen den Hügeln hinaus. Da wurde ihr die Welt weit. Sie warf die Arme in die Höhe und dehnte sich. Dann schrak sie zusammen. Sie dachte daran, wenn der Krafft jetzt neben ihr gehe. Das machte sie still. Die Grillen zirpten im Klee, zwischen den Halmen hupften die grünen Heuschrecken, Schmetterlinge flogen zu den Blumen, wiegten sich, schlugen ein paarmal mit den Flügeln und ruhten lange die Bienen summten,- eine Hummel stieß grob durch die Luft, so daß die Klar un- willkürlich den Kopf zurückwarf und mit den Händen wehrte Ameisen und Käfer, schwarze mit dicken Bäuchen, lange, schlanke, breite und grüngoldenglänzende liefen über den Weg. Die Vögel waren schön still. Auch die Klar schritt still und sann vor sich hin. Plötzlich blieb sie stehen und sah sich um, als sei sie eben erst wach geworden. Ihr Gesicht heiterte sich auf. Ein Zug pfiff. Es läutete elf. Sie marschierte mit ihren großen Männerschritten und pfiff sich eins dazu. Sie pfiff sich einen Militärmarsch und marschierte ihn im Takt, so fest wie ein gewesener Soldat. Sie war sehr froh. Und auch ein wenig stolz. Nein, nein, sie war sehr stolz. Keinen Teufel fürchtete sie, und mit der ganzen Welt nahm sie's auf. Der Pfarrer placierte seinen Krebskorb nun zu sicherem Man sprach keinen einheitlichen Dialekt im Dorf, wie fast überall in Mainzer Landen. Hier aber, an der Grenze zwischen Mainzer Land und Kurpfälzer Land war die Scheidung noch deutlicher. Es gab einen ganz alten Dialekt, gewöhnlich und roh statt Erde sagte man Arde, statt haben hunn, statt der dar er wurde nur noch von den ganz alten und den ganz gewöhnlichen Leuten gesprochen. Dann war der eigentliche Dialekt, in dem sich das hunn gern fest- hielt. Aber schon wurde es fast schämig vermieden, wenn man einbesseres" Gespräch fiihrte. Dazu schuf sich ein neuer Dialekt, der aus gutem Hochdeutsch, aus Worten des alten Dialektes und gelentlich aus Worten des Mainzer städtischen Dialektes bestand. Der Rheinhesse ist nun auf jeden Fall ein feiner Sprecher und Sprachempfinder. Je nach der Stimmung und momentanen Wirkung wählt er die Worte ein hochdeutsches oder ein Dialektwort und so ist seine Sprache nie ganz rein und erscheint dem Fremden nicht konsequent. Man muß es aber tiefer Hören können, wann und warum er nicht sagt und nit sagt. Beides be- deutet dasselbe, ist aber nicht dasselbe. Der Rheinhesse ver- sällt so durch seine Sprache leicht dem Gespött. Er ist einesteils nicht mehr genug Dörfler, anderenteils noch nicht genug Städter. Seine Sprache ist der Ausdruck seiner geistigen Verfassung: immer im Fluß, immer beeinflußt.