immer Vorfühlend, nie beharrend. Immer töollend selten Renug vollbringend. Er hat irgendwo eine Schwäche er t zu biegsam, wo er knochig und hart sein sollte. Er hat einen Energiemangel, eine Weichheit, die aus Alter, Rassen- Mischung und geschichtlichen Erlebnissen zu erklären ist. Der Philipp bemühte sich jetzt, hochdeutsch zu sprechen. Aber der Schnabel   stand ihm noch nicht danach. Geh zum Browennersch Schorsch," sagten die Buben zu ihm,und laß Dir erst's Maul stellen!" DerBrowennersch Schorsch" hatte nämlich ein bißchen einen scheppen(schiefen) Mund und hatte immer die Pfeife in derscheppen Ecke" hängen. Drum sagte man den Schulentwachsenen, wenn sie die erste Zigarre rauchten:Geh zum Browennersch Schorsch und laß Dir's Maul stellen." Der rhcinhessische Spott ist immer rasch bei der Hand. Alle Buben im Dorfe waren dem Philipp feind. Er ge- hörte nicht mehr zu ihnen obgleich er zu ihnen gehören mußte. Er war aus ihren Reihen herausgetreten da stießen sie ihn aus ihren Reihen hinaus. Er kam in besseren Kleidern, er versuchte eine bessere Sprache zu sprechen, er versuchte sich besser zu benehmen, er ging in eine bessere Schule. Das konnte ihm nicht verziehen werden. Ging er über die Straße, wurde er verhöhnt. DerDanzdochl" mit einem hohen A hieß er seit dem Auflauf in der Ziegler» gasse. Manchmal ärgerte ihn das so, daß er mit Fäusten dreinhieb. Manchmal flogen Steine. Dann gingen die Fenster auf, und die Alten riefen heraus: Ist's das, was Tu in der feine Schul lernst? So, dadesür gehst Du in die feine Schul. Und willst Schullehrer werden. Schöner Schullehrer." Und andere sagten:Da lassen wir lieber unsere Buben in die Volksschul gehn. Da ist's doch gescheiter, unsere Buben gehen in die Volksschul." Und andere, die dem alten Krafft noch aus politischen und kirchlichen Gründen feind waren, die spielten's gegen den Krafft aus, was sie dem Philipp vorwerfen wollten, und sagten:Das muß ja eine feine Schul sein, wo Du hingehst. Und ein feiner Lehrer, wo Du so einen Anstand lernst. Da soll Dein Mutter lieber das Geld sparen und Dich in die Volksschul schicken, statt in so eine Heiden- und Judenschul." Dabei hatte der Philipp sich ja nur gewehrt. Er hatte eben immer unrecht. Er war außerhalb gestellt. Er war Freiwild geworden für Jung und Alt. Instinktiv wurde er angefeindet und bekämpft. Wo er hinging, wurde er ge- hänselt. Geradezu teuflisch waren die Buben manchmal in der Erfindung von Hänseleien. Sie ließen den Philipp an ihren Spielen teilnehnien, gleich, als seien sie gut Freund mit ihm, aber plötzlich, wie auf Kommando, brach das Spiel ab, und sie fielen über ihn her. Einer machte denDanzdoch". Er ging in einem ge- spreizten Gang, hielt den Kopf, als sitze das Hütchen auf einem Ohr, machte eine hochmütige Fratze und lief die Reihe herum, bis er sich vor dem Philipp verbeugen konnte, zum allgemeinen Hallo, und das war dann nur der Anfang. Es ging immer weiter und weiter, bis die Sache in Roheiten ausartete. Wort gab Wort und schließlich Hieb gab Hieb. Der Philipp hatte das von seiner Mutter und ließ sich nichts gefallen. Aber die Buben schickten ihn nicht selten blutend, beschmutzt und zerrissen heim. Art muß bei Art bleiben Art gibt nichts her von Art, das wird im Dorf mit unerbitt- licher Strenge bewacht, von den Kleinen wie von den Großen, das vereint alle in ihrem Fühlen und Tun, in der Partei- nähme und Verurteilung. Der Philipp war immer der Ver- urteilte. Klagte er der Mutter, so hatte die nur eine Ant- wort:Schmeiß drauf I Wehr Dicht Schmeiß drauf, daß die Schwärt kracht! Schmeiß ihnen all die Hornviecher- köpp eint" Das war aber leichter gesagt als getan. Bei so. vielen zog der einzelne immer den kürzeren. (Fortsetzung folgt.» 61 Sine alltägliche Erscheinung. Von Wladimir Korolenko. Dabei sind diese Briefe irtim größten Teil von professionellen Expropriateuren geschrieben, die t»ie vergiftende Luft der vulgär» anarchischen Psychologie atmeten Wrren aber die Mehrzahl der Opfer der Kriegsjustiz Leute dieses Schlages?. Das Exproprio» tionSuntvesen Kar ein« Epidemie. Nicht selten ergriff eS NtSe von dem gewöhnlichen DurchschnittStypuS, die einen Monat vor dem Verbrechen nie daran dachten, daß sie an dem letzteren teil- nehmen könnten, und die von dem Taumel, der sie erfaßt hatte, wie von einem schweren Schlaf erwachten. In den Zeitungen wurden nicht selten Briefe zum Tode Verurteilter an die Anver» wandten veröffentlicht, die dies Erwachen von dem Alb grell zum Ausdruck brachten und von leidenschaftlicher Reue erfüllt waren. Ein gewisser Karamyschew diente in der Oekonomie des Grafen Orlow-Dawydow im Kreise AtkarSk, Gouvernement Saratow. Er war ein gewöhnlicher Angestellter, der im Dienste verstümmelt wurde und eine entsprechende Geldabfindung erhalten sollte. In- zwischen beteiligte er sich aber an einem Raubüderfall auf einen Kaufmann, bei welchem niemandem irgendwelche Verletzungen zu- gefügt wurden. Es war ein einfacher Raub, gefärbt mit dem modernen Kolorit derExpropriationen  ". Dessenungeachtet wurde er zum Tode verurteilt. Der Brief, den er vor der Hinrichtung an seine Eltern richtete, lautete:*) Meine teuren Eltern, Papa, Mama und Schwesterchen Fenja. Ich schreibe Euch meinen ergebensten Brief mit Tränen in den Augen; ich benachrichtige Euch, daß ich zum Tode durch den Strang verurteilt bin. Teure Eltern, ich bitte Euch, vergebt mir und ver- zeiht alle meine Verbrechen gegen Euch. Vor dem Tode habe ich gebeichtet und das Abendmahl genommen, ich konnte das nicht ablehnen. Leb wohl, mein guter Vater, leb Wohl, meine gute Mutter, leb wohl, Du mein liebes Schwesterchen, lebt Wohl, meine Brüder und alle meine guten Freunde; Ihr werdet mich nicht mehr wiedersehen, werdet bis zum Tode an mich denken. Ich bitte Euch, teure Eltern, laßt eine Seelenmesse für mich lesen. Ach, wie schwer ist es, eines solchen Todes zu sterben. Teilt dem Bruder Wanja mit, daß ich nicht mehr am Leben bin. Mein teurer Papa, teure Mama. Wahrend ich diesen Brief schrieb, blutete mir das Herz. Tränen rollten mir aus den Augen und fielen direkt auf den Tisch. Teilt meiner Frau mit, auch sie möge eine Seelenmesse lesen lassen. Meine Frau und meine Brüder kamen bis zu meinem Tode zu mir. Ich bitte Euch noch außerdem, sagt Onkeln und den Tanten und auch der Gevatterin und dem Groß- Vater, daß ich schon tot bin. Uebergebt Fedor, Peter. Wassili, Mischa und allen meinen Bekannten meinen Todesgrutz. Auch bitte ich Euch, schreibt nach Baku   an die Tante und den Bruder Wassili, daß ich nicht mehr am Leben bin. Meine lieben Eltern, wenn Ihr die Entschädigung für meine Verstümmelung erhaltet, so bitte ich Euch, Euch für dieses Geld ein gutes HauS zu bauen und mich nicht zu vergessen. Lieber Vater und liebe Mutter I Weint nicht um mich, es bleiben Euch noch vier Söhn« übrig; diese ge- nügen Euch wohl, Ihr werdet auch ohne- mich auskommen. Nun, meine teuren Eltern, lebt nochmals herzlich wohl. Leb wohl, mein Heimatsdorf, wo ich geboren wurde und meine Jugend ver- brachte. Leb wohl, meine Heimatsgemeinde. Vergebt mir, dem verfluchten Bösewicht� Gott   wird mich vielleicht nicht verlassen und mir alle meine Sünden vergeben. Diesen Brief habe ich vor dem Tode geschrieben, die Hand zitterte, daS Herz schlug heftig. Verzeiht, daß ich so schlecht schreibe, ich habe Eile. Lebt wohl, lebt wohl. Ich bin nicht mehr. Leb nochmals wohl, mein teures, herzliebes Weib. Lebt wohl! Die Zeit ist um. Man erwartet mich. Euer Euch liebender Sohn Wassili Maximow Karamyschew." Der Leser sieht, daß hier auch nicht die geringste Andeutung auf die charakteristische Psychologie der Expropriateure und Anarchisten und auch kein Schatten der Abgeschiedenheit vom heimatlichen Milieu vorhanden ist. Die Seele, die hier von der Welt Abschied nimmt, ist die Seele eines Bauern, die mit der Familie, d«r Gesellschaft, der Dorfgemeinde eng verbunden ist. Wegen einer Expropriation im Kreise Balaschow  , Gouverne- ment Saratow, war ein gewisser Schurimow zum Tode verurteilt worden. Sein Vater, ein blinder Greis, der in Zymljanskaja Stanitza lebt, erhielt von ihm folgenden Brief:**)' Guten Tag, teurer Vater. Ich sende Dir meinen letzten Abschiedsgruß und wünsche Dir viel... viel... Glück. Ver- zeih, Teurer, daß ich Dir so lange nicht schrieb. Du wirst Wohl denken, ich hätte Dich vollkommen vergessen. O, lieber Vater, bc- schuldige mich nicht so hart. Die ganze Zeit, wo wir voneinander getrennt sind, war für mich«ine ununterbrochene Qual. Ich lebte nur dem Gedanken, daß eine Zeit.kommen werde, wo ich mich auf immer mit Dir bereinigen und imstande sein würd«, Dein graues Haupt an meine Brust zu pressen und die Wunden zu heilen, die ich Deinem armen, zerrissenen Herzen bei- gebracht. Aber diese Zeit kam nicht, meine Hoffnungen zer- flogen und nur die bittere Wirklichkeit blieb zurück. Ich fitze seit dem LS. Mai ISOS im Gefängnis. Am 23. Januar fand die Ge- richtSverhandlung statt, wo ich zum Tode verurteilt wurde. DaS Urteil ist dem Kommandierenden der Truppen zur Bestätigung übersandt worden, es besteht aber wenig Hoffnung, daß die Todes- strafe durch Zwangsarbeit ersetzt werden wird. Mir sind noch etwa dreißig Tage zum Leben übrig geblieben. Wenn Du kannst, *) Veröffentlicht in der ZeitungSaratowSki Listok", tSOg, Nr. 262. Der Stil des Briefes ist rn der Uebersctzung möglichst getreu wiedergegeben. D. Ueb. **),.Kiewer Nachrichten". Nr. SS, S. März 1969