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Weise geschildert hat. Wollen wir von den Ausnahmen zu der all- waren durch Konsuln vertreten. Die Baren Indiens   und Italiens  gemeinen Regel übergehen und sehen, wie die Hinrichtungen ge- wurden gegen englische und flämische ausgetauscht. In der Stadt felber wöhnlich", sozusagen in dem durchschnittlichen Alltagsmilieu, wurden Wollstoffe, Samt, Seide, Leinwand und Teppiche fabriziert, und als Sinnbild der Tuchindustrie als der Quelle des flandrischen bollftredt werden.

Noch vor kurzem hat sich der Gefangene Rudolf Glasto, der fich Reichtums wählte Herzog Philipp der Gute von Burgund, der fchon einige Jahre ohne Gericht und Untersuchung im Rigaer Ge- Schirmherr Brügges  , das goldene Bließ, als er 1430 den bor fängnis befindet, an den Abgeordneten Gegetschtori gawandt. Er nehmsten Ritterorden des Mittelalters stiftete. fleht ihn an, eine gerichtliche Untersuchung für ihn durchzusehen,

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Diese

Fabelhafte Dinge werden vom Reichtum der Brügger erzählt. die auf diese oder jene Weise seinen physischen und moralischen Dinas de Rapondis, ein Kaufmann, schoß dem Herzog Johann ohne Martern ein Ende sehen würde. Wie Lomtatidse, so betrachtet Furcht, als der 1396 bei Nicopolis   von den Türken gefangen ge auch er die Nachbarschaft der Todestandidaten" als die schwerfte nommen worden war, 200 000 Dutaten als Lösegeld vor. aller Martern. Man sette mich", so schreibt er, in eine Einzel- Bürger machten sich ein Vergnügen daraus, Fürsten   und Könige in zelle unmittelbar neben der Belle der Todeskandidaten. In der den Schatten zu stellen. Die Gemahlin Philipps des Schönen von Nacht schlief ich nicht. Die Todestandidaten flopften eilig an die Frankreich  , Johanna von Navarra, mußte bei ihrem Empfang in Wand. In den frühen Morgenstunden ertönten im Gang Sporen Brügge   beschämt eingestehen: Ich glaubte die einzige Königin hier gellirr, Lärm, herzzerreißendes Geschrei: Lebt wohl, Kameraden!" zu sein, statt dessen sehe ich sie zu Hunderten." Auf dem Hofe löscht man die Laternen aus. Die Todes fandidaten werden zur Hinrichtung geführt."( Retsch, März 1910.) Dieses Bild, in großen allgemeinen Zügen entworfen, stellt den Hintergrund dar, auf den die übrigen Quellen, die uns zu gänglich find die Details zeichnen. Ich erhielt persönlich folgende Abschrift des Briefes eines Gefangenen an seine Schwester oder seine Braut, in dem die Eindrücke der Gefängnisbevölkerung, d. h. von Hunderten von Personen(!!), während der Hinrichtungen geschildert werden.

Natürlich reizte der Brügger Reichtum die Habgier der fran zöfifchen Könige. Ihr Statthalter Jacques de Châtillon schmuggelte eine starke Besagung in die Mauern ein, aber es ging den Franzosen wie zu Neapel   in der Sizilianischen Vesper". In einer Nacht bewaffneten sich die Bürger und machten alles nieder, was die Flämische Losung schildt en vriendt" nicht aussprechen konnte, 4000 Mann, darunter 1500 Ritter. Nun zog das fleine Flandern  eine Streitkräfte zusammen und schlug, ein Heer von Bürgern, bei Coutrai, in der blutigsten Schlacht des ganzen Mittelalters, die Ritterschaft von Frankreich  . Man hat diese Schlacht nachmals die Goldsporenschlacht" genannt, zur Erinnerung daran, daß fie zu Coutrai die erbeuteten Sporen der französischen   Edeln zu Hunderten im Glodenturm aufbingen. Als es mit dem Brügger Reichtum schon start bergab ging, weil der Kanal mehr und mehr bersandete, der die Stadt mit der Nordsee   verband, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, leisteten sich die Bürger von Brügge   noch eine legte Machtprobe. Sie nahmen Magimilian I. von Habsburg  gefangen, setzten ihn in der Kranenburg   nahe den Euchhallen fest und schlugen vor seinem Fenster den Räten, die ihn dazu veranlaßt hatten, die alten Brivilegien anzutasten, die Köpfe Mühe mit ihrer Totengräberarbeit. Die Entdeckung Amerikas  , das den Handel vom Drient, vom Mittelmeer   und von Italien   abzog, hatte Brügge   der Schönen den Todesstoß versetzt. Der Verfall Brügges   muß furchtbar gewesen sein. Die fremden Schiffe konnten den Hafen nicht mehr erreichen, die Konsuln und ausländischen Handelshäuser zogen fort. Von den Einheimischen rissen manche selber ihre Häuser ab, weil sie die Unterhaltungskosten nicht mehr aufbringen fonnten. Ganze, weite Stadtviertel liegen heute ber­ödet und lautlos da, die im 15. Jahrhundert noch von dem Gerassel der Wagen und dem Geschrei der Menschen widerhalten.

" Teure N. N.! Ich weiß nicht, ob dieser Brief Dich erreichen wird, weil ich ihn auf ungewöhnlichem Wege und unfrantiert abe sende. Ich will Dir die Hinrichtung von vier unserer Kame­raden schildern, die in der Nacht vom 5. zum 6. November vollstrect wurde. Am Abend des 5. kam der Gefängnisdirektor in unsere Belle und versicherte uns, daß unsere zum Tode verurteilten Kame­raten begnadigt feien. Wir glaubten fast dem Direktor, um so mehr als die zum Tode Verurteilten an den Oberkommandieren­den des Moskauer Militärbezirks ein Gesuch gerichtet hatten, so daß es leicht möglich war, daß der Oberkommandierende die Todes­ftrafe in lebenslängliche Zwangsarbeit umgewandelt hatte. In Wirklichkeit erwies es sich aber, daß der Direktor uns übertölpeln herunter. Ein paar Jahrzehnte später und die Spanier hatten leichte wollte. Er wußte natürlich, daß die Hinrichtung in dieser Nacht vollstreckt werden mußte und wollte uns beruhigen. Die Ver­urteilten wußten auch bis zu dem Moment nicht, wo die Hinrich tung begann, so daß sie sich nicht einmal von ihren Verwandten verabschieden konnten. Aber einige unter uns glaubten dem Direk tor nicht und beschlossen, die Nacht nicht zu schlafen. Ich schlief um 12 Uhr ein, ohne daß ich etwas bemerkt hätte. Um 3 Uhr er wachte ich und vernahm Geschrei. Man hat sie hinausgeführt!" Ich wecke alle Kameraden und laufe zu der Deffnung in der Tür. Ich sehe, im Gange stehen Soldaten( gewöhnlich sind sie hier nicht). Dann bernahm man das Geklirr der Ketten und das Scharren vieler Füße auf dem Asphaltboden des Ganges  . Nach einiger Zeit gingen an meiner Tür eine Gruppe von Soldaten vorüber. In ihrer Mitte gingen die vier Verurteilten, im bloßen Hemde, ohne warme Oberkleidung. Man hatte sie direkt aus den Betten geholt, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich warm anzukleiden. Das Klirren der Ketten, das Scharren der Füße auf dem Fußboden, das Ge­flüster der Aufseher alles wurde von lautem Schluchzen über­tönte. Es weinte einer der Verurteilten, ein junger zwanzig­jähriger Bursche, namens Surkow. Die Verurteilten wurden auf den Hof hinausgeführt, von ihren Fesseln befreit und zu der Stelle geführt, wo sie gehentt werden sollten. Es war eine frostige Nacht. Ein falter Wind wehte. An den inneren Seiten der Gefängnis­mauern waren überall Soldaten und an der Außenseite Kosaten aufgestellt. Für die Hinrichtung war ein Plaz gewählt worden, der aus den Fenstern der Zellen nicht sichtbar war. Ein Galgen war nicht vorhanden. An seiner Statt wurde eine einfache Feuer­Teiter benutzt, die gegen die Gefängniswand gelehnt war. Die Delinquenten wurden hingeführt und in Reih und Glied auf­gestellt. Mar las ihnen das Urteil vor und fragte sie, ob sie das Abendmahl nehmen und die Beichte ablegen wollten. Zwei lehnten es ab, während die übrigen zwei das Abendmahl nahmen. Surfom schluchate in einem fort; die übrigen drei beruhigten ihn, so gut fie fonnten. Einer der Verurteilten, namens Noschin, hielt sich troh feiner 17 Jahre merkwürdig ruhig. Nun, und dann begann die Hinrichtung. Man bentte je einen, während die übrigen warten mußten, bis er ganz starr war. Man sagt, daß zwei Aufseher aus unferem Gefängnis als Henter fungierten. Damit man sie nicht erkannte, hatte man ihnen Masten aufgelegt. Uebrigens, man weiß es noch nicht mit Bestimmtheit, wer die Henker waren." ( Schluß folgt.)

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Belgische Städtebilder.

V. Brügge  .

Bon allen niederländischen Städten war Brügge   die reichste und die schönste. Wie in einem Brennpunkt sammelte sich hier Handel und Industrie. Das ging bereits im 11. Jahrhundert an, als Deutschland   noch ein halbbarbarisches Land war. Mit England, Dänemark   und Norddeutschland wurden Handelsbeziehungen an­gefnüpft. Jm 13. Jahrhundert ist Brügge   bereits das Haupt der Hansa  . Um 1846 tommen im Seehafen an einem einzigen Tage hundertfünfzig fremde Schiffe an. Das Leben war damals schon ganz international: nicht weniger als fiebenundvierzig Königreiche

Der Marktplatz ist riesengroß, größer selbst als der zu Brüffel. Aber er erscheint nicht öde, weil an einer Seite der Belfried, das Wahrzeichen städtischer Macht, wie ihn auch Gent  , Tournai   und pern besitzen, gebietend emporragt, diefer unvollendete, 84 Meter bohe Warttum mit seinem Glockenspiel, das ehemals für ein Wunderwerk galt. Dreimal ist er abgebrannt und in vier Jahr hunderten so geworden, wie er heute ist, und doch ein feingliederiger In drei Geschossen türmt er sich auf, Bau wie aus einem Guß. immer das höhere schlanker und gestreďter, als das untere. heute noch so einen Turm bauen tönnte! Die Tuchhallen, aus denen er emporschießt, mit Spigbogenfenstern, zweigeschossig, ziehen fich in breitem, unregelmäßigem Biered unter ihm hin, jämmerlich verfallen und mit Plakaten über und über besudelt.

Wer

Im allgemeinen war man hier eifriger im Erhalten alter Bauten als etwa in Gent  . Es hat funstsinnige Geistliche gegeben, die auf die Notwendigkeit der Restaurierung mit Wort und Schrift hinge­wiefen haben, auch die Stimmen der Künstler find nicht ungehört verhallt. Allerdings war gerade in Brügge   der Wille viel viel besser als die Kräfte. Wer die obere Kapelle vom Heiligen Blut neben dem Rathaus, oder das Hotel Gruthuse, einem ehemaligen Patrizierpalast, der jetzt zum Muſeum umgeschandelt wird oder die neurestaurierte Kirche von Notre Dame   betrachtet, wird sich davon überzeugen.

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die

Man braucht viel Geduld und unendlich viel Nachficht, um fich Brügge   wirklich mit Genuß betrachten zu können, so daß die alte Herrlichkeit dieser Wunderſtadt wieder vor einem lebendig wird. Brügge   ist eine Leiche, aber nicht eine in allen Teilen schöne und wohlerhaltene. Wenn man in der Gondel durch die Kanäle des Venedig des Nordens" gleitet, darf man nicht riechen und nicht ins Wasser schauen, das voll von Unrat und Aas ist, und man erhebe jeinen Blick über den Boden, der von wahrhaft füditalienischem Schmutz starrt, selbst am Bahnhof und auf den Hauptplägen. Man achte nicht auf die Mehrzahl der Menschen, in Elend und Schmuß, in tierischer Unwissenheit und Un empfindlichkeit, mit Spigenflöppeln und Betteln ihr Dasein fristen, noch weniger aber auf die Habgier des Klerus, der ein einträgliches Geschäft daraus macht, seine schändlich vernachlässigten Gemälde und Bildwerke in den Kirchen sehen zu lassen. Man hat sich nicht entblödet, die prachtvollen Grabmäler Karls des Kühnen und seiner Tochter Maria von Burgund   im Chor von Unserer lieben Frauen mit einer gemeinen Bretterwand zuzuschlagen, um einen Franken Eintrittsgeld herauspressen zu fönnen!

Man lasse sich's nicht verdrießen, daß Jan van Eycks Madonna des Kanonitus van der Baele, die Berle der altflämischen Malerei,