MnterhallungMatt des vorwärts Nr. 144. Mittwoch den 27. Juli. 1910 !r«a«dnia lasfua.} 141 Der Entgleiste. Von Wilhelm Holzamer . 11. Nun, er hatte nicht geruht, und die Klar hatte nach- gegeben: sie hatte den Tüncher Anderbach bestellt, hatte die Stube tünchen lassen und»var mit dem Muster einverstanden, das der Philipp gewählt hatte, abschon es ihr gar nicht ge- fiel. Gar nicht. Das war ein Muster für den Friedens- richter, nicht für sie. Rote Rosen mit grünen Blättern, ganz hell und saftig, die in Bogen an der Wand hingen, wie sie Girlanden an die Häuser hängen, wenn das Sängerfest ab- gehalten wird. Das war gerad, als könnt man nur in seide - nen Kleidern drin herumgehen, und der Anderbach hatte selbst gesagt: ihm sei's ja egal, und der Bub hätt einen Shisi. „Hochmutsstuß, Hochmutsstuß, Hochmutsstuß I" so wie er's dreimal hinter einander nach seiner Gewohnheit mit seiner unglaublich raschen Zunge sagte. Aber da hatte sie ihren Buben verteidigt und hatte ihm erklärt, daß das schöne Muster gerad so viel koste wie das ekelige, und daß die armen Leut auch haben könnten, was die reichen Leut hätten, besonders wenn's nit mehr kosten tat. „Man kann sich doch das Leben grad so schön machen mit demselben Geld, und es braucht ei'm doch nit auch noch an die Wand geschrieben zu werden, wie lumpig man ist, so wie du's den armen Leut tust und ihnen was an die Wand schmierst, schön oder nit schön, gut für das Lumpenzeug." Da hatte er sie angesehen und mit den Augen gezwinkert, und auf seiner roten Weinnase gab's ein feines Funkeln, fast, als war ein Streichholz dran angestrichen worden— so wic's im Dunkeln nachleuchtet an der Wand— und das Funkeln lief blaurot hinauf bis in die Stirne unter das Kappenschild, und der Anderbach sagte: „Was? Was? Was? Was schwätzt Du, was schwätzt Du, was schwätzt Du?" „Na ja,'s ist doch so!" Da �ubr ihm der Zorn heraus, und er welschte hebräisch. Das tat er imnier, wenn er zornig war. Er hatte es von den Juden gelernt, mit denen er viel verkehrte. Den Schluß seines Gewelsches machte er mit einem dreimaligen: ftatäjem, Katäsem, Katäsem— was so viel wie Lump heißt. Aber die Klar kannte das Wort auch, und ihm nach- spottend sagte sie, so rasch es ihre Zunge erlaubte: Selbst Katäsem, selbst Katäsem, selbst Katäsem I und ging rasch hinaus. Das verjagte dem Andcrbach den Zorn, und er lachte laut auf. Aber nach einer Weile hörte ihn die Klar von ihrer Küche aus doch im Selbstgespräch sagen:„Narrenmensch, Narrcnmensch, Narrenmensch l" Dann pfiff er. Und den ganzen Tag hörte das Pfeifen nicht mehr auf. Aber der Klar war es nicht wohl in der feinen Stube, dem Philipp freilich war's noch nicht genug. Eines Tags fand sie ihn, daß er mit Petroleum und Riiböl die nuß- baumene Kommode und das Schatullchcn abrieb, daß er die Tisch- und Stuhlbeine polierte, die Stuhllehnen und die Banklehne, und alles anders stellte in der Stube. Das Eck- brettchen hatte er abgenommen und die Perlensransen umge- dreht, die linke Seite nach außen, weil sie noch frisch war, den Lampenkuß hatte er fein abgerieben und den Nahmen vom Haussegen. Tann hatte er das Bild vom Großherzog aufgehängt, das er die Kircfyveih von seinem„Kerwegeld" gekauft hatte. Es war bunt und hatte einen Nahmen aus Blech, der aber wie das pure Silber aussah. Darum hatte er dann ein paar Photographien gehängt— ein Schulbild, auf dem auch der alte Krafft mit seineni Weißen Bart war— ihr Bild, wie sie Mädchen war, und ein Bild vom Bater, wie er noch ein ordentlicher Bursch war und frisch und flott aus- gesehen hatte. Das Bild war freilich ein bißchen blaß ge- worden. Aber der Philipp hatte das schön arrangiert, und man konnte meinen, man sei in einer Herrschastsstube. Eines Abends sagte die Klar zu ihm: „Fein ist's jetzt bei uns, wie bei Baronen." „Ach," sagte er,„lauter alter Kram. Was Gescheites ist damit nicht anzufangen." „Nit anzufangen? wiederholte die Mutter. „Na ja. sollst mal bei's Kraffte sehen." „So? Dann geh ganz hin"— er hörte mit beleidigtem Ohr das hohe A in„ganz"—„wenn Dir's bei Deiner Mutter nit mehr gefällt." „Ach, Mutter, Du redst dumme Sachen"— er sagte nun nicht mehr ihr, sondern Du zu ihr—„Ziegelerleut sind Ziegelerleut, und Schullehrerleut sind Schullehrerleut. Du willst ja, daß ich Schullehrer werden soll, da kann ich doch kein Ziegler bleiben." Das leuchtete der Klar ein, und sie nickte und lächelte. Aber wohl fühlte sie sich in der Stube nicht. Oester stand sie auf der Treppe und sah nach der Eulen« mühle mit eineni bösen Blick. Da war der Philipp. Da ging er hin, sobald er nur seine Schulaufgaben gemacht hatte. Zu Hause wollte er nicht bleiben. Erst zum Spengler Schlüssel, der ihm Reden aus seinen Büchern hielt und lauter gefährlich Zeugs vorschwätzte, und dann hinaus in die Eulenmühle. Bei den reichen Leuten fühlte er sich wohl. Nun hatte sie auch noch die Dummheit gemacht und ihn mit der alten Uhr von: Vater zum„armen Lukas" geschickt. Er sollte die Uhr als Abendmahlsgeschenk haben. Denn nun war er schon vierzehn Jahre— und hätte sie die Stange mit dem Schullehrer nicht im Kopfe, könnte er jetzt schon in der Ziegelhütte arbeiten und Geld verdienen. Aber nein. Na gut— es war angefangen und wurde durchgesetzt. Der Anderbach sagte zwar immer zum Philipp:„Hochmutsstuß, Hochmutsstuß, Hochmutsstuß l" aber wenn der närrische Anderbach sich auch ärgerte, was lag daran I Nun hatte der Philipp um die Uhr gequält. Den„weißen Sonntag" hatte sie so müssen vorüber gehen lassen, ohne ihm etwas schenken zu können. Nun sollte er die Uhr haben. Er brauchte sie ja auch. Jetzt hockte er noch jeden Tag bei dem einfältigen„armen Lukas" und ließ sich die Uhr reparieren. Gescheites Geschwätz konnte der Lukas machen, aber getaugt im Leben hat er gar nichts, �ätt erst mal leisten und verdienen sollen mit seiner Gescheitigkeit. Aber nixl So ein bißchen da herumbosseln. Dreck— da pfiff der Hund hinein. Und der Philipp hockte bei ihm und hörte sein Geschwätz an, als hätt der Lukas die Weisheit mit Löffeln gefressen. So ein Bosselmännchen, der sich nicht einmal einen Hosenknopf richtig verdienen kann. Der war dem Philipp wieder gut genug, aber sie nicht. Die Eulenniiihle, der arme Lukas, der Spengler Schlüssel, die alte Lisbeth und natürlich: der alte rafft. Nur nicht seine Mutter. Nein, gegen den alten Krafft wollte sie ja nichts sagen: aber die andern. Und das Wort vorn Andcrbach kam ihr wahrhaftig selbst aus die Zunge: Hochmutsstuß, Hoch- mutsstuß, Hochmutsstuß l Kam er ihr nur heim? Sie wollte ihm schon die Leber schleimen. Zornig stapfte sie die Treppe herunter und ging in die Ziegelhütte— und schaffte wie ein Feind, vor lauter innerer Wut. Und wenn ihr einer nur mit einein Wörtchen zu nahe kam, dann flog ihm gleich ein ganzer Sautrog voll an den Schädel. Die Klar sagte zum Philipp gar nichts. Sie fand nie den Mut so recht. Und wenn sie etwas sagen tvollte, kam es ihr so dumm vor. Sie flüchtete sich hinter ein Schimpfivort. Bei jeder Gelegenheit schmiß sie ihm ein„'Lausbub!" an den Kopf. Er sollte fühlen, wer er war und wer sie war. Und manchmal sagte sie auch„Hochmutsstuß!" Aber er blieb doch, wie cr nun einmal war. Sein zweiter Vater, sagte sich manchmal die Klar, nur anders. Aber doch grad wie der. Und sie hatte einen Zorn auf ihn. Aber noch mehr auf die andern, die Eulenmüllerbuben, den Schlüssel, den Lukas, den Krafft. Nein, auf den nicht. Aber doch. Himmel! sie wollte auch>vas gellen! Und manchmal kam ihr sogar die Angst, ob die Leute nicht recht haben könnten, ob's am Ende wirklich nicht gut ausgehe. Aber sie hatte nun einmal den Narren dran gefressen, daß derPhilipP etwas Extraes werden sollte.
Ausgabe
27 (27.7.1910) 144
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten