Kreise. Jen fein Draußen mehr durchbrechen, dessen Zarmonieinnen nicht mehr gestört werden könnte. Dem Krafft saß einDruck auf der Brust, eine Beengung— und doch wieder:—nie war's ihm so vorgekommen, wie ein Mensch im Mittel-Punkt stehe eines Daseins und rings um sich seinen Besitz ab-zeigen könne, mit ausgestrecktem Arme, und zeigendemFinger, sich um sich selbst drehend. Halb aus diesem Gefühl,halb der Brustbeengung wegen richtete er sich höher auf unddrehte sich langsam um sich selbst und sah über sein Land,sein eigenstes und schönstes, darum draußen eine Mauer ge-zogen war, die Mauer seiner Art und seines Charakters, mitden Luken seiner Schwächen und mit den Pfeilern seinerKräfte.Ein Lächeln glitt über sein Antlitz. Da stand ein Namegeschrieben am Tor— nicht groß, aber fest und lesbar— undsich selbst hatte er's zu verdanken, sich allein, was hier drinnenwar.Er ging' weiter. Die Pfeife wurde kalt. Die erstenSchüler kamen, die von auswärts, die jetzt noch ihre letztenSchularbeiten drinnen in der Schulstube machten.Es winkte am Fenster zum Kaffee. Der Krafft wolltefolgen. Da geriet er ins Taumeln.„Mutter—" lallte er.Dann schlug er hin. Und die Pfeife glitt ihm voraus. Erbemühte sich, sich aufzuheben, und lallte lächelnd ein paarWorte. Aber sogleich schlug er wieder hin, und es war still.Der Tod war zu ihm getreten in der Morgenfrühe, daer seinen kleinen, glücklichen Besitz abgezeigt hatte. Er hatteeinen unerbittlichen Hieb gegen ihn geführt. Man trug denSterbenden hinein. Von seinen Schülern war sein Bett um-standen— die Nachbarn»varen gekommen und boten ihreHilfe an. Draußen in einer Ecke, vergessen und unbeachtetim Hin und Her stand der Philipp Kaiser und weinte. Erweinte sonst nicht leicht— heute aber flössen ihm die Tränenreichlich. Er wußte nicht, was es war, das ihn so packte. Aberer weinte, und das schien ihm deutlich, es sei jetzt etwasGroßes geschehen in der Welt. Etwas ganz Großes,'das dieWelt erfüllen müßte. Und er merkte nicht, daß kaum imGange des Dorfes ein Eindruck davon war. Ein Zuruf, einerdem andern, ein bedauerndes Wott— die Menschen gingenihren Beschäftigungen nach, die Wagen fuhren hin und her,Peitschen knallten, Buben pfiffen— und die Blätter derBäume säuselten wie sonst. Nur. schien es dem Philipp,etwas weicher, beinahe ein wenig zage, wenigstens hier inKraffts Garten, in dem ein seltfames Verlassensein sich ausbreitete, so daß der Philipp gar nicht hinsehen und hinein-horchen konnte. Drinnen starb der Krafft einen guten, starkenTod— nicht leicht, nicht sanft; als seren noch Rufe nach demLeben, nach seiner Arbeit, in seinem Stöhnen— aber seinAntlitz verzerrte sich nicht, wenn sich seine Seele wehrte undsein Körper sich aufstemmte. Und als er besiegt war, schienes faß. als habe er gesiegt und ruhe davon aus, so genigtund schön lag er da.—•Auf der Treppe saß die Klar und band einen Kranz.Fast nie, daß sie Blumen in ihrem Garten schnitt. Nun hattesie gar aus den Buchseinfassungen die schönsten Büsche heraus-geschnitten. Und die Nelkenstöcke waren ganz abgepflückt, dieBalsaminen, die Margeriten, die Schwertlilien. Die schönstenRosen hatte sie geschnitten, und als es nicht genug waren,war sie sogar über die Lettenkaute hinweg an der Stanginihren Rosenstrauch geschlüpft und hatte den tüchtig geplün-dert. O, wenn sie nur etwas tun könnte. Etwas Großesund Tüchttges für ihn. Und lebendig stand er vor ihr, wieer damals in seinem Garten vor ihr gestanden hatte. Undwie sie mit ihm auf und ab gegangen war— und wie derGarten schön gewesen warl Der schönste im ganzen Dorf,der schönste, den sie sich denken konnte. Und vornehm! Vor-nehm, daß die Bauern all daheim bleiben konnten. Und siewar drin neben ihm hergegangen, freundlich hatte er zu ihrgesprochen und guten Rat gegeben. Wenn sie nur weinenkönnte. Es erschütterte sie und schüttelte ihren ganzen Körper,daß sie nicht weinen konnte.Sie saß auf der Treppe und band den Kranz. Sie warnicht geschickt darin, in ihrem ganzen Leben hatte sie so etwasnoch nicht gemacht. Aber es mußte gehen.Sie hatte an einem Zuber einen Reif abgeschlagen undhatte ihn mit Stroh umwickelt. Darum band sie nun denBuchs. Und dahinein band sie die Blumen. Dicht aneinander,Farbe neben Farbe, und unten eine schwere Fülle, die weißenRosen und die roten Rosen dazwisch-n, und mitten in denRing frei hineinragend die Schwert'ilien. Es war langeSchon Abend geworden, da faß sie noch. Und noch drin bei derLampe, die halbe Na'cht hindurch. Es gab' einen vollen hunkmKranz. Sie wunderte sich selbst, daß er ihr so gelungen war,Sie war zufrieden, und es tat ihr Wohl, daß sie sich sagenkonnte, sie habe doch nun noch etwas für dm alten Krafftgetan.�Fortsetzung folgt.);Der JVIiible-XandenEine Narrengeschichte aus dem Schwarzwald.Von Hans Michel Schneider.(Schluß.)Bei anderer Gelegenheit ist Xander selbst Bürgermeister ge-Wesen. Eiy müder Handwerksbursch kam in die„Insel", einenSchoppen zu trinken, welchem Geschäft auch unser Eulenspiegel ob«lag. Jenem als Ortsvorsteher sich präsentieren, ihn nach Namen,Herkunft, Reiseziel und Papieren fragen, war eins. Doch wurdeder Verängstigte gleich in Gnaden entlassen. Mit einem Landauerdes Posthalters, der leer heimfährt, kutschiert Xander darauf derAmtsstadt zu, dem Handwerksburschen nach, nimmt mit ShwlockHolmesscher Fixigkeit eine Verwandlung seines äußersten Menschenvor. stellt den armen Reisenden und schnarrt ihn an:„Ich bin derOberamtsrichter von Xdorf und erkläre Sie wegen Bettelns undLandstreicherei verhaftet!" Der also Verhaftete will ausreißen,strauchelt aber und stürzt auf dem spitzen Schotter sich ein Lochin den Kopf. Der Herr Amtsrichter wird nun recht Menschenfreund-lich und veranlaßt ein des Weges kommendes Bernerwägele, denVerwundeten zurück ins Dorf, in die„Insel" zu schaffen, er werdeden Bezirksarzt nachschicken. Richtig, in kaum einer halben Stundeist der Herr Doktor, angetan mit Zylinder, Brille und einemschweren Pflasterkasten, zur Stelle und verbindet kunstgerecht denWanderburschen, der dann unbehelligt, sogar mit einem Zehr-Pfennig beschenkt, weiter walzen darf, froh, so leichten Kaufesdavongekommen zu sein.Das war die berühmte Dreimännertat des Mühle-Xanders.Die Ausstattungsstücke für den Bezirksarzt lieferte ihm Insel-Wirts Urväterhausrat, des Amtsrichters Exterieur erreichte er durcheinen hohen Stehkragen, aufgezwirbelten Schnurrbart und Eni-waffnung des Auges vom Nasenglas, als Bügermeister konnte ersich in seiner gewöhnlichen Gestalt darstellen. Freilich, das Gesichtdes genialen Dorfkomödianten(an Herkomer erinnerte es mich)in seiner jeweiligen Maske kann kaum eine Schreibfeder, daskönnte nur ein tüchtiger Zeichenstist festhalten. Die GesichterXanders muß man gesehen haben. Und seine Streiche muß manvon ihm erzählen gehört haben; wie ihm alle Register von derhöchstakadcmischen Ausdrucksweise bis zum intimsten Wälderdeutschso meisterlich zu Gebote standen.Als später der Hauptmann von Köpenick„das Zwerchfell derganzen Kulturwelt" erschütterte und die Nachahmer eine Köpc-nickiade nach der anderen zeitungsfähig machten, mußte ich oftvergleichsweise an den Mühle-Xander und seine Taten denken.Hätte der alte Schuster Voigt seinen Streich in einem unsererstillen, einsamen Schwarzwalddörfer ausgeheckt, er wäre wohl nichtannähernd zu der Berühmtheit und den närrischen Triumphengekommen wie so, in der Nähe Berlins. Der Köpenicker hatte janur eine„große" Idee und einen großen Tag, mein Mühle-Xanderaber versteht sich auf geniehafte Improvisationen in fortgesetzterTat. Des ersteren Ruf hat nur ein weltstädtischer Journalismusgemacht, den Xander jedoch ländlicher Mangel an Zeitungsschreib-kunst zum Unbekanntsein verdammt. Bis zu dieser Stunde, dieauch ihn lachend ans Licht zieht!Lachend und doch mit einem nassen Auge. Sie sagen, derXander„spinnt", und amüsieren sich über seine Tollheiten, Leute,deren rasches Urteil nur an der Oberfläche bleibt. Der wahreMenschenfreund, der immer auch ein besserer Menschenkenner ist,sieht tiefer. Man braucht kein Fanatiker oder Griesgram der Ent-haltsamkeit zu sein, kann ganz gut selbst mitmachen und gleichwohlsehen, wie der Teufel Alkohol hinter diesen Streichen steckt undhinter dem wieder eine arme Seele. Die Seele wollte einst hochund weit und mächtig fliegen, konnte aber nicht. Die Flügelwaren beschnitten und eine große Wunde entstand. Da hat diearme Seele sich jenem Teufel verschrieben; wenn auch nur tage-weis. Oder denken wir uns ei» Herz, in dessen Winkeln vor Zeiteneine gewaltige Sehnsucht wohnte, jetzt jedoch nur mehr die großeOede hockt, das vor dieser Oede die schlimme Flucht in die Oeffent-lichkeit ergreift und dort mit Dingen sich übertönt, und betört, dieauf der Gasse schallen und immer ihr Publikum finden, bis dannjener Zustand eintritt, den man trivial„moralischen Katzenjammer"zu nennen pflegt: das heulende Ich, das uns aus den tollstenStunden in die Leere reißt, von der wir kaum wissen, ob es einNebelmcer oder ein Abgrund ist.Im Fastnachtstrubel bin ich einmal Hofnarr des PrinzenKarneval gewesen; mit einem großen Höcker und wackeligem Gang,glattrasierter Grimasse und dem Monokel im affektiert blödenAuge; ein schon äußerlich wirkungsvoller Hofnarr, den die Geisterdes Weines so lustig, so geistsprühend, niedertächtig schlagfertigund toll machten, daß er an sich selbst sich berauschte, von allen