Sie sahen sich in die Augen. Das waren ihre lautesten Stimmen: ihre Blicke. Der Philipp schämte sich. Sein Blick konnte ja nicht ganz offen sein. � „Wenn sie jetzt da wäre!" Er hätte es auch gerne gesagt. Aber das durfte er nicht sagen. Das durfte er nicht. Nun hatte er Mut. „Ich mutz Euch etwas sagen. Es ist etwas nicht recht. Ich glaub, ich bin schlecht gewesen. Aber ich will nicht mehr schlecht sein. Drum mutz ich's Euch sagen." Sie sahen einander betroffen an. „Meine Veilchen darfst Du ihr nicht geben— sie sind unehrlich." Er warf sie ins Wasser. „Du darfst mich nicht mehr zu ihr schicken— ich werd sonst schlecht an Dir. Du mutzt's nur verstehen— jeden Tag Hab ich sie gesprochen— jeden Tag Hab ich ihre Stimme ge- hört— jeden Tag ihre Augen bewundert. Wenn sie nicht so schön wäre! Aber sie ist ja schön! Und siehst Tu— da ist es in mir geschehen. Ich lieb sie so, so— ich lieb sie so wie Du!" Der Otto lachte. „Bravo ! Ich lieb sie auch. Wir lieben sie alle drei." „Sei still," fuhr ihn der Philipp an—„es ist mein heiligster Ernst. Ich bin ganz unglücklich vor lauter Liebe." „Und sie?" keuchte der Franz. „Sie weitz es nicht. Sie weiß von gar nichts. Ich Hab immer richtig besorgt, was Tu mir aufgetragen— ich Hab mich bezwungen. Aber ich Hab Dir's auch nicht zu sagen ge- traut." „Gott sei Dank!" atmete der Franz auf. „Gott sei Dank, so?" fragte der Otto.„Nun fängt's erst an. Auf Leben und Tod. Ihr mutzt Euch duellieren." Der Philipp nahm den Spatz todernst auf. „Auf Pistolen oder Säbel?" „Säbel," entschied der Otto,„da zeigt sich's, wer der Stärkere ist." Sie gingen in die Eulenmühle. „Aber ich Hab kein Recht," warf der Philipp ein. Es half ihm nichts. Der Otto hatte zu viel Freude an seiner Idee. Der Eulenmüller hatte zwei französische Säbel. Die Wurden geholt. Der Otto war Unparteiischer, Schiedsrichter. Sekundant, Arzt, Protokollführer, alles in einer Person für beide Teile. Drinnen im Dorf klangen voll alle Kirchenglocken zu- sammen. Dem Philipp siel es ein, daß sie jetzt wohl in die Kirche gehe. Das machte ihn traurig— und auch ein wenig zage. Der Kampfplatz war ausgesucht. Zwischen drei Weiden, die an einer Biegung der Selz standen. Der Otto zählte:„Eins, zwei, drei— los!" Die Klingen klangen aneinander. Der Otto hatte seine Freude dran. „Zweiter Gang— los! Eins, zwei, drei!" Dem Philipp blutete die rechte Hand— dem Franz die rechte Wange. „Versöhnt Euch!" kommandierte der Otto. Sie reichten einander die Hände. � „Und wer hat sie nun?" � „Ich Hab ja kein Recht," sagte der Philipp. „So mutz sie selbst gefragt werden," entschied der Un- parteiische, �der jetzt auch sein Arztgeschäft besorgte und die Wunden nachsah. Dem Philipp fiel die verächtliche Betonung ein, wenn sie ihn„Kaiserphilipp" nannten im Ort. Und er sagte: „Schick mich nicht mehr zu ihr, Franz— ich leiste feierlich Verzicht. Sie ist Dein, und nicht mein. Es war Untreue von mir." Damit ward der große Akt beschlossen. Es löste sich alles *n Wohlgefallen auf. Mit Wichtigkeit trugen die beiden ihre Wunden. Und die Freundschaft ward neu besiegelt. Aber dem Philipp war's nicht leicht. Er hütete sich, die Emilie auch nur von weitem wiederzusehen. Nur manchmal im Traume geschah es, daß er sie kützte. Dann lvar er so selig. Und so unglücklich am Tage. Er machte sich sogar aus seinem Traume einen Vorwurf.— '.(gortsetzung folgt.X >3 � Knut ftamfun. Wenn ein Mann, ein Schriftsteller und Dichter, w emetN Alter von SN Jahren auf 22 Werke seiner Feder zurückblicken kann» ohne daß ein einziges Werk Unterhaltungsliteratur im üblichen Sinne ist, dann ist es wohl berechtigt, wenn man bei der Gelegen» heit einmal auch die Persönlichkeit dieses Menschen zu würdigen, sich bemüht. Alle sterben sie dahin, die großen Norweger: Kjörnson, Ibsen , Kielland und Jonas Lie . Da kommt es dann ganz von selbst, daß die Blicke der Lebenden sich auf den Lebenden richten werden und es bedarf keiner großen Prophezeiungsgabe, um zu sagen, daß fich die Aufmerksamkeit der weiteren literarischen Welt in Zukunft ganz besonders auf den Norweger Knut Hamsun lenken wird, dessen Geburtstag sich am 4. August d. I. zum 50. Male jährt. Er ist den Lesern kein Unbekannter, denn seine Werke wurden an dieser Stelle eingehend gewürdigt. Aber wenn man bedenkt, daß heute in einziges Modebuch leicht eine Auflage von 3l)(XX) Stück erreicht, während Hamsuns 22 Bücher vielleicht insgesamt in doppelt so großer Anzahl verbreitet sind, so geht daraus schon zur Genüge hervor, daß Hamsun durch und durch ein Eigener ist, einer, der tatsächlich bisher dem herkömmlichen Geschmack auch nicht die kleinste Konzession gemacht hat. Er hat, wenn man so sagen darf, seine Gemeinde, die ihn innigst verehrt, ohne daß er je den Pcrsucht macht, sich als Meister dieser Gemeinde, die er selbst kaum kennt, zu fühlen. Im Gegenteil, es ist ihm im tiefsten Innern peinvoll, wenn sich jemand mit seiner Person beschäftigt. So konnte es Schreiber dieses geschehen, daß, als er fich an Hamsun persönlich wandte, er eine Antwort von dessen Freund Morburger erhielt. Und darin stand zu lesen, daß„Hamsun eine starke Anti» pathie dagegen habe, daß man sich mit seiner Person befasse", Rech drastischer und geradezu charakteristisch für den Norweger ist ein anderer Fall. Albert Langen , der jüngst verstorbene ,.Simplicissimus "-Verleger, der nicht weniger als zwanzig der Hamsunschen Werke verlegt hat, trat an ihn, wie an andere be» kannte Autoren seines Verlages, mit dem Ersuchen heran, ihm zu einem Verlagskatalog eine Selbstbiographie zu schreiben. Der bescheidene Otto Julius Bierbaum schrieb damals gleich zwei ganze Seiten über sich. Hamsun brachte es auf— sechs Zeilen und die lauteten:„Ich bitte Sie, so freundlich zu sein, die Biographie selbst zu schreiben. Beginnen Sie mit dem 4. August 1860, wo ich geboren wurde, und fahren Sie mit vielen schönen Worten fort, bis zu diesem Jahre. Denn, was soll ich sagen? Ich glaube, daß die Leute todmüde sind von allen Biographien und Bildern sämtlicher Autoren der Welt. Und unserer sind so viele..." Das ist keine Pose, keine Manieriertheit, kein Trick» um sich besonders selten und interessant zu machen, das ist ganz und gar der Hamsun , der da wünscht, daß man ihn ungeschoren lassen möge. Denn: will man ihn kennen lernen, so muß man seine Bücher lesen. Es gibt in Deutschland und Skandinavien keinen Schrift- steller, der so persönlich ist wie Knut Hamsun . Er ist es, der fich überall abschildert. Er ist es, der in den Helden und Haupt- Personen immer wiederkehrt. Nicht als ob er den Hochmutsteufel in sich habe, der ihm den Hermelin für den„Großen Menschen" reicht. Aber man hat das Gefühl, als ob er aus sich heraus- klettere und nun das kuriose Monstrum Hamsun vor sich agieren lasse, um es auf all seinen Regungen, Sprüngen, geheimsten Ge- danken festzuhalten und abzukonterfeien. Und das ist der große Wert der Hamsunschen Epik, daß sie uns zeigt, w i e alles äußere Geschehen von dem inneren abhängig ist, wie gesprochene Worte oft nur Worte sind, die sich ängstlich bemühen, vor das Geheimnis des Seelenlebens undurchdringliche Schleier zu ziehen. Wo ein anderer erschrickt und erschauernd sich wendet, steigt Hamsun immer tiefer hinab, bis zu jenen geheimnisvollen Pforten, die viel früher vor ihm schon ein Gottfried Kinkel geöffnet hat, als er in einer Rede gegen die Todesstrafe sagt«:„In jedem Menschen liegt die Möglichkeit, ein Mörder zu werden. Möge jeder von uns nach» denken, er wird in seiner Seele den Punkt finden, wo der Ge» danke an den Mord keimt." Und doch ist der Norweger viel zu stark und zu urwüchsig, als daß man in seiner Begleitung jemals auf den Gedanken käme, er wandele die Wege der Dekadence. Das Unerforschte, Geheimnisvolle, Neue, Seltene seiner eigenen Seele lockt ihm immer wieder an. Und nur so ist es möglich, daß wir in seinen Romanhelden immer ihren Schöpfer wiedererkennen, ohne daß der Held anders zu deuten wäre, als Hauptperson, wobei das äußere Geschehen oft ganz unbedeutend ist. Höchst eigenartig ist der Werdegang dieses Mannes. Ein un- bebolfener weltfremder Bauernjunge, kommt er zu einem Schuh- macher in die Lehre. Mit 17 Jahren verläßt er sie und wird, bar jeglicher Unterstützung, Lastträger im Hafen. Er kann das ganz gut, denn er ist kein langmähniger, schmalbrüstiger Cafehaus- literat, sondern ein breitschultriger, starkknochiger Mensch mit Atlethenstatur. Sodann wird er, wie Karl Morburger(Knut Hamsun . Eine literarische und psychologische Studie. Tenien-Ver- lag, Leipzig 1910) berichtet, Aushilfslehrer, Gerichtsbote, geht auf die Wanderschaft und wird Steinhauer, Waldarbeiter und Straßen- arbeitcr. Schließlich schifft er sich nach Amerika ein und wird drüben Farmacbeiter in den Prärien, Straßenbahntonduktcur iv
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27 (4.8.1910) 150
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