nationalen Arbeiterbewegung mitzubestimmen. Sehr Siele find eS, die auch zu Hause nicht nur den Verhandlungen folgen, son. Sern auch dem Orte nachdenken und den Wegen, auf denen die Ge- Wählten dem diesjährigen Kongreßorte zustreben. Weitaus die Mehrzahl der Teilnehmer am Kongreß wird den bequemen Weg über Warnemünde -Gjedser(sprich Geeßer) wählen. Er bietet nur eine Seefahrt von zwei Stunden, und wenn wir es auch neulich erleben mußten, daß eine Dame nach der andern stöhnend in gewissen Lokalitäten verschwand, daß einige bei Warnemünde noch recht redselige Berliner Münder all- mühlich immer stiller wurden, so lag das wohl mehr an dem stürmischen Wetter... Sonst gleitet die Riesenfähre über die Ostsee wie über den Bodensee . ohne nach links oder rechts, nach dorn oder hinten zu s chwanken. Es will einem freilich schwer fallen, diese Schiffe Fähre zu nennen; denn wenn man ihnen von weitem auf der Fahrt begegnet, sehen sie aus, wie jeder moderne Seedampfer— schlank und behende. Man merkt ihnen nicht an, daß sie außer Passagieren und Gütern zuweilen noch ein halbes Dutzend ö-Wagen auf sich beherbergen. Das ist für Binnenländer vielleicht das Interessanteste an der ganzen Fahrt: Bald nachdem man sich durch das bei allem politisch üblen Rufe so seenreich anmutige Mecklenburg hindurchgewunden hat, wird der Zug, oder vielmeljr nur seine feudale und groß- bürgerliche Hälfte(die erste und zweite Klasse), aufs Wasser gelassen, d. h. die Wagen rollen bei einem Aufenthalt von kaum 10 Minuten auf das bereitliegende Schiff, werden durch mächtige Klammern auf Deck befestigt und die Fahrt geht per Achse und Schiff weiter. Links taucht der berühmte Badestrand von Warne- münde, rechts Darß und Zingst auf. Nach einer halben Stunde schwimmt man mitten auf der See und kann, wenn die Aussicht nicht gerade durch einen Pfeiler verdeckt wird, vom Coupe aus das schönste Meerbild überschauen. Zuweilen tauchen am Bug des Schiffes Tümmler auf, fette, kleine Delphine. Immer aber ist die See links und rechts mit weißen Segeln und rauchenden Schloten bevölkert. Wir kreuzen den Lübeck -Stockholmer Kurs. Meist haben die Schiffe Holz geladen— nicht nur binnen Schiffs. Mehrere Meter hoch ist das schwedische Holz auf Deck gestapelt. Oder eS sind Erz-Schiffe aus Haparanda . Dicht vor Falster geht die Route Lübeck -Kopenhagen entlang, von der nachher zu reden ist. Eine halbe Stunde vor Landung kommt die dünne Zunge von Falster in Sicht, fast zu schnell für den, der auf eine richtige Seefahrt sich freute. Die Zunge mit ihren 25 Kilometern Länge verkürzt die Fahrt um ein Beträchtliches. An Heul- und Klingel- boje vorbei, auf peinlich genau markiertem Wege(wegen der be- nachbarten Untiefen) schiebt sich der Dampfer in den kleinen Fischerhafen Gjedser hinein. Die Klammern fallen von den Wagen, und in 10 Minuten sausen wir, rechts See und links blumcnübersäete Wiesen, durch Dänemarks südlichste Insel hin. Jedem wird sofort das Frische der Farben ausfallen, das von der See herrührt. Solches Grün wächst in Hessen nicht. Solches Rot der Dächer findet man weder in Breslau noch in Köln . Aus den Dörfern schauen die stumpfen Türme der Kirchen heraus. Daß Dänemark ein Agrarland— wenn auch besonderer Färbung— ist, merken wir in der ersten Stunde. Was links hinter der See auftaucht, ist die Insel Laaland . Der dazwischen liegende Guld- borgsund ist so schmal, daß bei dem alten Hafenort Nhkjöbing zwei Brücken ihn bequem überschlagen. Daran, daß dieser kleine Hafen- ort, den wir passieren, die Hauptstadt der ganzen Insel ist, wird klar, welchen kleinen Maßstab man in Dänemark (abgesehen von der einzigen Großstadt) überall anlegen muß. Wir sausen weiter. In einem bequemen dänischen Wagen— mit Lcderkissen. Gegenuber sitzen zwei dänische Mädchen. Eine raucht, die andere läßt eine Schildkröte spazieren laufen. Es ist alles loser, ungezwungc- ner, französischer als in Deutschland . Zum Beispiel das Baden. Hier in Charlottenlund badet alles durcheinander— ohne daß davon das echte deutsche Entrüstungs- oder Zustimmungsgeschrei ge- macht wird, Viw dem Sylt widerhallt. Heute morgen, als wir aus den Badekarren stiegen, schwammen vor uns ein paar splitter- nackte Männlein umher. Derweilen ist Falster durchfahren. Von Seeland , der Haupt« insel, trennt uns der Storeström. In einem halben Stündchen wird auf dieselbe Manier wie vorhin die Ostsee überfahren. Noch eine kleine Insel und Eisenbrücke— und vor uns liegt breit und grün die Hauptinsel des Königreiches. Ein altertümliches Städt- chen begrüßt uns. Vordingborg mit dem berühmten Gänseturm aus Waldemar Atterdags Zeit. Wir erstehen von dem Zeitungs- mann ein paar Kopenhagener Zeitungen und sind nun gerüstet auf die letzten zwei Stunden Bahnfahrt— immer durch Wiesen und Buchenwälder. Einmal, bei Kjöge, sehen wir plötzlich wieder auf die Ostsee . Nach einer halben Stunde bei Roskilde schon auf das Kattegat . So klein ist auch diese„große" Insel. Tiefe fjord- artige Buchten ziehen freilich von allen Seiten in sie hinein. Kaum einer der Genossen wird sich Zeit nehmen, in Roskilde (sprich Roskille, d. h. Rosenquell) auszusteigen. Früher zirka 100 000 Einwohner zählend, ist sie gleich andern alten Hansa- städten, gänzlich heruntergekommen. Mit 8400 Einwohnern zehrt sie lediglich an historischen Erinnerungen. Der grüne Doppelturm, den man bei der Ausfahrt aus der tSadt sieht, gehört zum Ros« kilder Dom. einem uralten Backsteinbau, der neben den Resten der dänischen Könige einige köstliche spätgotische Erinnerungen birgt. Man erinnert'jb, wie vor einiger Zeit ein paar„schwere Jungen" diesen reichen KönigSgräbern einen erleichternde» Bo« such abgestattet haben. In Roskilde stößt die Warnemünder Route mit zwei andern zusammen. Bevor wir die Fahrt der letzten halben Stunde an- treten, suchen wir den Weg der übrigen Genossen zu beschreiben. die von Kiel resp. Fredericia kommen. Die Fahrt via Kiel -Korsör«st in mancher Beziehung die emp- fehlenswerteste. Sie bietet eine schöne Seereise und eine an» regende Fahrt' durch den auch landschaftlich ausgezeichneten Kriegsschiffhafen. Das Bild der links und rechts aus dem Wasser tauchenden Inseln Langeland und Laaland ist unvergeßlich, bc» sonders für den, der die Nachtfahrt wählt und die dänische Küste und die ausfahrenden Fischerboote im roten Sonnenaufgangs- lichte sieht. Freilich ist den kurzen Ostseewellen auch auf dieser kleinen Strecke nicht zu trauen. Wir sind schon gefahren, daß keiner schlafen gehen mochte, sondern alles saß bei Licht auf Deck — so ruhig und fest schob süh das Schiff dahin. Wieder ein ander Mal, da mußten wir gerade auf dieser kleinen Strecke dem Gotte Neptun unfern Tribut zahlen. Wer das bunte Treiben des Kieler Hafens zu sehen wünscht, fährt mit dem deutschen Tages- dampfcr(die Nachtdampfer find dänisch ) vormittags weg. Er wird um die Mittagszeit an der Backbordseitc einen kleinen Leuchtturm sehen. Es ist der Leuchtturm von Fakkebjerg(sprich: Fakkeberg) auf Langeland , das erste Stück Dänemark nach dieser Seite hin. Allmählich entfaltet sich die Insel. Das alte Wikinger - schloß Trankjaer schaut von den weißen Felsen herunter. Rechts kommt Laaland näher, das wir auf der Warnemünder Route kennen lernten, mit Nakskow, wohin die Kieler öfter ihre Sonn- tagsausflüge unternehmen. Strobö, die kleine Leuchtturminscl mitten im Bclt, steigt aus dem Wasser auf. Eine Biertelstunde noch, und wir laufen in den geräumigen Hafen von Korsör ein. Hier machen wir eine Pause. Eben kommt die Fähre von Nyborg herüber, die diejenigen Genossen bringt, die aus gewichtigen Gründen auf jede Seefahrt verzichtet haben. Sie wählten den Landweg in direkten Wagen von Hamburg über Schleswig , Flens- bürg und Vamdrup. Der Belt ist hier bei Nyborg 23 Kilometer breit. Aber das Wasser nicht unruhiger, als an jeder großen Strommündung. Auch hier werden die Eisenbahnwagen auf großen Trajekten überführt. Wer diese Landrute wählt, durchquert von Hamburg aus Schleswig-Holstein in gerader Längslinie. Ganz allmählich, ohne viel Wechsel zu merken, gleitet er in das dänische Milieu hinüber. Zwischen Flensburg und Vampdrup wird er sich unwillkürlich der politischen Verhältnisse dieses Landstriches er- innern. Hier, besonders um die Zollstation und Landratsstadt Wohens herum, tobt am heißesten der Kampf zwischen den nordischen Hakatisten und den Danen. Und auch der kleine Grenzfluß, die Königsau , die Stadt Kolding und der Hafen Fredericia mit dem „Standbild des tapferen Landsoldaten"— alles erinnert den Rei- senden an die alten Kämpfe. In Fredericia teilt sich die Bahn. Der Hauptzweig geht nach Norden weiter, über Aarhus , Randers , Aalborg nach Fredcriks- havn, dem Abfahrtshaven für Gotenburg und Christiana, sowie weiter nach Kap Etagen, dem nördlichsten Punkte Dänemarks mit dem berühmten Badestrand. Der kleine Zweig biegt rechts ab und ladet die Wagen auf das Trajekt des Kleinen Belt . Dieser wird in zwölf Minuten durchkreuzt. Bei Strib landen wir auf Däne- marks zweitgrößter Insel, Fünen. Die Inseln sind alle von der gleichen landwirtschaftlichen wie ökonomischen Struktur. Ucbcrall Agrarwirtschaft in höchster Ausbildung, sowohl was die genossen- schaftliche Organisation als auch den maschinellen Betrieb anbe- trifft. Die einzige Stadt der Insel ist Odense (Ton auf der ersten Silbe!), durch einen Kanal mit dem Kattegat seit sechs Jahren ver- Kunden und von da an aufblühend bis zu jetzt 44 000 Einwohnern. Der in der Literatur Bewanderte kennt sie als Geburtsstadt des dänischen, vielmehr europäischen Märchendichters Andersen. Im Schloßgarten hat Hasselriis, der bekannte Schöpfer des Korfu- Heine-Dentmals, ihm ein Monument gesetzt. Bis Nyborg hält der Zug nicht an. Wir blättern in dem dänischen Jndustriekalender, der über unserm Platze hängt. Er enthält, zwischen den Reklamen zerstreut, allgemeine Statistiken. Welch lächerliche Blüten treibt doch die nationale Idee. Hier steht ein Verzeichnis von den zirka 200 berühmtesten Männern dec Welt. Wir zählen nach und finden: es sind etwa ein Drittel Dänen von ihnen, Namen, die wir Europäer nie gehört haben. Und unsere Gedanken spinnen sich weiter. Wir kommen just aus Oesterreich . Warum ist die Krone dort 80 Pfg. und hier 1,20 Mk. wert? Wahrhastig, man kann über Nationalismus nicht besser philosophieren als im internationalen D-Zag-Wagen. Derweilen haben wir Nyborg erreicht. Die Fähre ladet uns auf ihren breiten Rücken, und nach einer Stunde Beltfahrt ist Korsör und damit der Anschluß an die Kieler Route erreicht. Von Koriör bis Roskilde ist anderthalb Stunden Fahrt. Seeland ist bewaldeter als Fünen. In der Mitte der Strecke liegt, leider vom Bahnhof aus nicht sichtbar, das alte Sorä mit einem alten Cisterzienserkloster und des großen Lustspieldichters Holberg Grab. Immer wieder fällt die Frische und Wärme der Farben auf. Man merkt, daß hier das Klima von Süd-England herrscht. Der Golfstrom ist in der Nähe. Es gibt in und bei Kopenhagen Gärten von verschwenderischer Ueppigkeit. In Roskilde stößt unsere Linie mit der über Warnemünde führenden zusammen. Alle drei Routen vereint legen nun die
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