»Bist Du so Drei mehr und anders?" fragte sie spitz.„Duwillst zu hoch hinaus. Es sind andere Leute wie Du mit denhiesigen Verhältnissen ausgekommen."„Sonderlich viel gelte ich Dir also nicht?"„Papa sagt, Du bist doch noch gar nichts. Und Du kannstfroh sein, wenn er Dir seine Einwilligung gibt. Das mußtDu bedenken. Wir müssen immerhin noch ein paar Jahrewarten, bis wir heiraten können. Angenehm ist das für ihnnicht. Ich, ich will's ja gerne abwarten. Aber glaub nur,es ist manchmal nicht angenehm, was ich zu hören kriege."„Du mußt also schlimme Tage wegen mir ertragen?"„Nun ja, wenn Mama nicht wäre.">„Mama ist auf unserer Seite?"„Mama beschwichtigt Papa immer. Weißt Du was, eswar ein Fabrikdirektor aus Hanau da, der um mich angehaltenhat. Es kostete einen harten Kampf. Wenn Mama nichtgewesen wäre. Was Papa alles gesagt hat, will ich Dir garnicht wieder erzählen."«Nun erzähl's nur, ich kann mir's denken."»Weißt Du, der Fabrikdirektor ist ja eine ausgezeichnetePartie- Er hat schon jetzt zehntausend Mark Gehalt, undPapa sagt, er bekomme Gewinnanteil. Aber ich will ihnnicht."Philipp war gereizt. Er sah sich um— es war weitund breit niemand. Er nahm ihren Kopf zwischen seinebeiden Hände und kiißte sie.„Mädchen!" sagte er.Er war bis über die Ohren verliebt.„Du verdrückst mir die ganze Frisur."Und er nahm dann noch einmal ihren Kopf zwischen dieHände und küßte sie.„Luise!"Nun dachte auch sie nicht mehr an ihre Frisur.„Was hat Papa noch gesagt?"„Nun, Du weißt doch— daß Du ja noch kein Examengemacht hast."„Ja, und was noch?"„Und daß Du arm bist."„So, daß ich arm bin?"„Ja, Du weißt doch? Papa kennt doch alles!"�,Wieso?" Was kennt er?"„Nun, daß Deine Mutter nur eine Arbeiterin ist."„Meine Mutter, bitte—"„Ja, ich weiß ja. Erreg Dich nicht, sonst erzähl ich Dirnichts mehr. Ich sage ja nur, was Papa gesagt hat-"Philipp riß sich zusammen. Zugleich war er neugierig.„Ich sage Dir gar nichts mehr," schmollte Luise.Nun bat er und versprach, nicht böse zu werden, undwenn es auch das Allerschlimmstc sei.Sie erzählte denn:„Nun, Papa weiß alles schon lange und war schon immergegen unser Verhältnis. Jetzt natürlich ganz besonders,nachdem der Direktor da war. Er sagt, er brauche seineKinder noch lange nicht zu verschenken. Fahr nicht auf,Philipp, sonst kann ich Dir nichts mehr erzählen."„Also, ich bleibe ruhig," versprach er.„Nun, ich wollte Dir's ja nicht sagen, aber weil Du's dochwissen willst: nicht wahr, die dreitausend Mark, die hat dochPapa gegeben, weil Professor Winter ihn gebeten hatte, damitDu niit ihm an s?ine.!> Werk u- Veiten könntest und daherkennt er ganz genau Deine Verhältnisse zu Hause. Er istdoch Kaufmann, vergiß nicht."Nein, Philipp vergaß nicht. Er war wie auf den Kopfgeschlagen. Er hätte schreien mögen. Aber er schrie nicht.Es war ihm ganz dumpf. Er schämte sich. Die ganze Zeitalso hat man ihn daraufhin angesehen. Und ProfessorWinters ernstes Verhalten— ja, der empfand's auch. Un-würdig war's. Er spielte eine unwürdige Rolle hier. Erwar der Paria in diesen Kreisen. Geduldet. Einen Titelbekäme er ja wohl— eine Anstellung eventuell auch. Titelund Anstellung. Feines Volk.Er sparte nicht der Worte.Luise weinte.In den Bäumen flüsterte es. Uebee die Wege und dasgrüne Moos fielen die Sonnenreflexe. Lustig, beständig inBewegung. Ein Kuckuck rief. Die Reflexe zitterten, unddie Schatten des Gezweiges gaukelten.ll Fortsetzung folgt.)s71 Der fuebs,Ein Tiermärchen von Karl Ewald.(Autorisierte Uebersetzung von Hermann Kiy.)'(Schluß.)Eines Nachts, als der Fuchs an seinen gewöhnlichen Platz amWaldcsrande kam, sah er zu seiner Ueberraschung einen großenHahn im Schnee liegen. Er wollte schon darauf zuspringen, besannsich aber und setzte sich in einiger Entfernung hin und betrachteteden Hahn.Der Hahn war tot, das war sicher. Und er war auch groß undfett und außerordentlich appetitlich. Insoweit war nichts im Wege.Die Frage war nur, w i e er hierher gekommen war. In derFörsterei gab es keine Hühner, das wußte der Fuchs besser alsirgendjemand. Auf dieser Seite des Waldes lagen auch keineandern Gehöfte, von wo der Hahn hätte kommen können. Wie inaller Welt war es zugegangen, daß er sich gerade hier im Waldehingelegt hatte, um zu sterben? Es mußte irgendeine List dahinterstecken. Natürlich hing die Sache mit dem alten Förster zusammen.Der Fuchs zog sich etwas weiter zurück und starrte den Hahnan. Er war nicht auf den Kopf gefallen. Er wußte zum Beispielrecht gut, daß es etwas gab. was Fuchsfallen hieß, und was einehöchst unangenehme Geschichte war. Andererseits war er sohungrig, daß sich alles vor ihm im Kreise drehte. Er mußte alleseine Willenskraft aufbieten, um nicht auf den Hahn zuzustürzen.Wie er da nun so in seiner Seelennot saß, gewahrte er einenkleinen Buchfinken, der zusammengekrochen auf einem Zweigeüber dem Kopf des Fuchses schlief. Der Fuchs hustete. Da er-wachte der Buchfink und wäre vor Schreck dem Fuchs beinahe inden Rachen gefallen..Guten Morgen, Buchfink," sagte der Fuchs.»„Schäme Dich, mich so zu erschrecken," erwiderte der Buchfink.„Ich wäre Dir beinahe auf den Kopf gefallen, und dann hättest Dumich gefressen."„Das glaub ich nicht," sagte der alte Fuchs.„Neint Wennich richtig nachdenke, kann ich mit aller Bestimmtheit sagen, daß ichDich nicht gefressen hätte."„Ich kenne Dich. Es gibt im ganzen Walde keinen hinter-listigeren Räuber als Dich."„Danke, die Melodie kennen wir. Ueberall wird sie gesungen.Ich verzichte darauf, mich gegen solche Beschuldigungen zu ver-leidigen. Ich will sogar so weit gehen, zuzugeben, daß ich Dichunter anderen Umständen mit Vergnügen verspeist hätte. Aberheute nacht nicht. Heute nacht bestimmt nicht."„Warum nicht?" fragte der Buchfink.«Hast Du bielleichtkeinen Hunger?"„Hunger? Ich vergehe vor Hunger. Aber ich effe keinen Buch-sinken, wenn ich einen Hahn kriegen kann.- Dort im Schnee liegtein Hahn: ich kann ihn aber nicht ohne Deine Hilfe bekommen."„Sieh mal an? Warum sollte ich Dir wohl helfen? Du hastuns Vögeln viel zuleide getan und nichts zuliebe. Du hast michheute bloß deshalb nicht gefressen, weil Du mich nicht erwischenkonntest. Aber Du sagst ja selber, daß Du mich ein andermalfressen wirft. Ich helfe Dir nicht."„Das hat man nun von der Ehrlichkeit!" sagte der Fuchs.„Uebrigcns ist die Hilfe, die ich von Dir verlange, gar nicht groß.Ich möchte bloß, daß Du mir sagst, ob Du weißt, wie der Hahnhierher gekommen ist."Der Buchfink dachte nach. Er wußte nicht, wie der Hahnhierhxr gekommen war, aber er konnte sich ebenso wie der Fuchszusammenreimen, was dies bedeutete. Er war auch selber einmalin einer Dohne mit Vogelbeeren gewesen und nur durch ein reinesWunder entkommen; darum verstand er recht gut, woran der Fuchsdachte. Und er gönnte dem Fuchs von Herzen alles Unglück.„Was nun?" fragte der Fuchs.„Ja--- der Hahn?" erwiderte der Buchfink.„Gewißweiß ich, wie er hierher gekommen. Ich Hab ja die ganze Nacht hiergesessen und geschlafen. Er ist ganz einfach herbeigeflogen. Erwar jedenfalls krank, denn er wehklagte ganz jämmerlich, als ersich in den Schnee setzte. Dann wird er wohl, während ich schlief.gestorben sein."„Vermutlich," sagte der Fuchs.„Während Du schliefst, sindwohl auch die Fußspuren dort in den Schnee gekommen? Siesehen genau so aus wie die des Försters."„Davon weiß ich nichts," entgegnete der Buchfink.„Soviel ichweiß, ist niemand hier gewesen außer dem Hahn. Können die Fuß»spuren nicht schon da gewesen sein, bevor der Hahn kam?; Ün»möglich wäre das doch nicht."„Das ist möglich. Natürlich."Der Fuchs saß eine Weile da und dachte nach. Er fühlte, daßer entweder den Hahn nehmen oder fortgehen müsse. Lange hielter diese Seelcnqualen nicht aus.„Möglich ist es ja auch, daß der Förster den Hahn für Dichhingelegt hat," sagte der Buchfink.„Der Förster--- soll mir einen Hahn hinlegen?" DerFuchs lachte laut auf.„Ja, warum nicht? Der Förster ist ein guier Mann. � Ichhabe gestern in seinem Walnutzbaum gesessen und gesehen, wie erund der Knecht den Schnee von dem Kohl wegschaufelten.„Der istfür meine Hasen bestimmt," sagte er,„mögen sie sich ihn ruhig.holen. Sonst sterben sie mir alle in diesem gräulichen Winter."