Ilnterhaltungsblatt des Dormärts Nr. 183. Dienstag, den 27. September. 191S 681 Der Entgleiste. Von Wilhelm G o l z a m e t. Zerr Bender und Philipp sprachen dann von Deutsch- land, schwärmten vom Rhein   und Odenwald  , vom Wein und dem Frühling. Mirim lächelte nun deutlich. Heinrich Willibald sagte: Und so was kommt nach Paris  ! Geben Sie acht, daß Sie hier nicht untergehen, Herr Doktor Kaiser. Hier haben Sie das Beispiel. Der Montmartre ist nicht so ohne. Nicht wahr, Bender?" Bender lächelte nur und sah ihn mit zwinkernden Augen an. Warum sind Sie eigentlich hierher gekommen?" fragte der kleine Wiener.Studienhalber? Für immer? Oder nur so zum Vergnügen? Vorübergehend?" Bedächtig fügte er Frage an Frage. Philipp wurde es ungemütlich. Aber nun half ihm Mirim. Der Herr Doktor Kaiser will das Leben hier sehen, Herr Doktor Söhnchen." So so das Leben sehr schön! Da haben Sie sehr richtig getan, daß Sie nach Paris   gegangen sind, Herr Doktor. Sehr richtig." Herr Doktor Söhnchen ist nämlich Spezialist im Pariser Leben  . Er ist außerdem Lyriker. Darin aber Wiener," er- klärte Mirim mit lebhafter, überlegener Miene. Was haben Sie denn schon gesehen von Paris  , Herr Doktor?" fragte der Wiener beharrlich weiter. Philipp stammelte ein paar Namen. Was halten Sie für das Sehenswerteste, Herr Doktor Söhnchen?" fragte Mirim und rieb sich die Nasenspitze. Das Sehenswerteste?" dehnte Doktor Söhnchen das Wort.Im vergangenen Jahre habe ich von acht Tagen zu acht Tagen den Bois de Boulogne   kontrolliert wie die Knospen kamen, wie die Blätter wurden, wie die Blüten kamen denn es müßte sich doch feststellen lassen, wann der Bois am schönsten sei." Lyriker!" höhnte Heinrich Willibald. Wiener Lyriker!" spottete Mirim und schluckte den Rauch seiner Zigarette herunter, um ihn dann in einer dicken Säule herauszustoßen. Das war sehr schön, sehr zu empfehlen," sagte Doktor Söhnchen unbeirrt.Sehr schön ist auch noch etwas, was ich entdeckt habe. Sie finden in der Rue de Provence, nahe beim Boulevard Haußman ein kleines Restaurant, englisch  . Jockeys und Nennmenschen verkehren dort. Die Besitzerin ist die ehe- malige Köchin des Herzogs von Devonshire   und sie macht einen englischen Senf, ich sage Ihnen!" Doktor Söhnchen machte ein sehr geistreiches Gesicht. Lyrikerl" sagte Heinrich Willibald. Und Wiener" betonte Mirim. Es ist wahr," hob Doktor Söhnchen noch besonders hervor.Sehr schön ist auch die neue Arbeit von Rodin  . Ich lade Sie ein, Herr Doktor Kaiser, daß wir einmal zu- sammen hingehen." Philipp verneigte sich. Kennen Sie auch Anatole France  , Eugäne Carridre, Gustave Kahn  , Steinten, Maeterlinck  ? Ich kenne sie alle. Wollen Sie sie kennen lernen?" Nur Jean Jaurds hat ihn hinausgeschmissen," kicherte Mirim.Das Französisch   war ihni zu schlecht, da war er für ein Kammerbillett nicht zu haben." Doktor Söhnchen zog eine Miene. Alle lachten. Mirim ließ die Zigarette lose im linken Mundwinkel hängen. Herr Bender aus Mannheim   fragte nach dem Groß- herzog von Hessen  . Er ist ein moderner Mensch, wie?' Ja," sagte Philipp. Jedenfalls wird er auch nicht können, wre er will." Ja, er hat halt den BureaukratisinuS um sich." Und die Dumnibeit!" ergänzte Mirim. Idealismus also?" fragte Heinrich Willibald. Nein, die richtige dumme Dummheit, wie sie nur die Höfe züchten, die Dummheit, die hemmt, kriecht, stänkert, schmeichelt, eingebildet ist, lakaienhaft, falsch Na, noch etwas?" fragte Heinrich Willibald. Ich habe das rechte Wort noch nicht," entschuldigte fiH Mirim.Ich war nämlich Hofprediger an einem kleinen katholischen Höfchen bedeutungslosen Namens. Goethes gibt» heute keine mehr an den Höfen. Aber Schwindler und Schmarotzer. Das ist das Wort." Aber dann und wann ist eine Köchin vernünftig und brennt durch, um in Paris   ein Restaurant zu eröffnen," sagte Söhnchen. Grandioser Witz, Doktor Ephraim Söhnchen," quittierkl Mirim.Aber sehr richtig. Ich muß mir doch Ihre Köchin! mal ansehen. Nur, wenn sie so schlecht französisch spricht wi» Sie englisch, brenne ich auch durch." Sie sollen mich nicht immer Ephraim nennen," verbal sich Doktor Söhnchen. Gut. ich nenne Sie in Zukunft Devonscheier, zu Ehre« Ihrer Köchin." Heinrich Willibald brüllte. Mirim aber erbat sich eint Zigarette von dem Gehöhnten. Er erhielt das silberne Etuk gereicht, das er leerte." Inzwischen warder große Journalist und Kunstkritike» C. Hood", wie Mirim vorgestellt hatte, an den Tisch getreten, Er sah so aufgeschwemmt aus, als habe er die chronisch« Wassersucht, falls es so etwas gibt. Was halten Sie für das Sehenswerteste von Pari», Herr C. Hood?" fragte ihn Mirim.Hier Herr Doktor Kaisetz aus Hessen   sucht danach." Die Weiber!" antwortete Herr C. Hood, ohne sich zv besinnen, und dabei lief ihm der Speichel von den Lippen. Die Weiber, Herr Doktor," wandte er sich nochmals an Philipp. Ich habe Sie am Sonntagmorgen in den Pavillon dÄrm6nonville fahren sehen, Herr C. Hood, zu zweien la la-* zu zweien la la." schnalzte Mirim. Teure Chose," sagte Hood.Sehr teure Chose." Wenn man so viel verdient wie Sie, sagte Heinrich Willibald. Und einen so reichen Vater hat," ergänzte Söhnchen. Zu zweien la la, zu zweien la la," trällerte Mirim. Wer sich das Leben schön machen kann, soll sich's schön machen." sagte Herr Bender aus Mannheim.  Sie haben ganz recht, Herr Hood." C. Hood," korrigierte Mirim,denn sonst heißt de» Herr auf gut deutsch   Joseph Meier." Herr C. Hood machte sich nicht viel aus diesem Wih. Er wischte seine feuchten Lippen und sagte: Wie weit bist Du in der Philosophie der Liebe gekommen?" Und Du, Heinrich Willibald, immer noch im Gesichtswinkel?" Du Esel!" erwiderte der große Heinrich Willibald. Du hast ja da wieder einen Schwindel in der letztenZu- kunft" losgelassen, erstunken und erlogen alles. Lauter Mist« Du bist nächstens wahrhastig reif, in Deutschland   Bilder- Händler zu werden. Du verstehst's" Aber Deinen Ouatsch!" Da ist doch Mark drin." Mark! Aber bloß Rückenmark aus der unteren Partie, wo der Rücken aufhört einen Namen zu haben. Gehirn» schmalz fehlt." 'Na, na, Kinder, deckt Euch Eure Karten nicht zu deutlich auf," vermittelte Mirim,Ihr seid einander würdig, wie wir alle einander würdig sind. Es sind nur Nuancen, die die Unterschiede machen. C. Hood schwindelt mit Form ich persönlich verabscheue das, besonders wenn dabei doch keine Form herauskommt, Heinrich Willibald schwindelt mit Persönlichkeit mir ebenso unangenehm, wenn einem dabei das Maul nur durchgeht und die Feder nicht nachkommen kann. Kommen Sie, Herr Doktor Kaiser, die Herren der- fallen nun in ihre allabendliche Geistreichigkeit, da fliehe ich jedesmal mit sämtlichen Grazien und Musen. Man sollte jedem einen geladenen Revolver zu verschlucken geben, damit er von innen aus losginge." Er war aufgestanden und nahm Philipp mit, den er auch zahlen ließ. Auf der Straße sagte er so beiläufig: Sagen Sie, Doktor, Sie sind gewiß nvch bei Kasse 1 könnten Sie mir zehn Frank pumpen�"-.