Anders antwortete scharf und mit leicht vibrierender Stimme:„Ich bin es Wohl, der hier die Steuern zu bezahlen hat!"Seine Worte reizten sie zu neuem Gelächter, denn Anders Kragehatte seinen Platz so unglaublich weit unten auf der Steuerliste.An dem Muskelspiel der Wangen und Schläfen unter der Hautsah man deutlich, wie Anders mit den Zähnen knirschte und seineAugen hatten einen stechenden Glanz, als er der Gesellschaft ent-gegenrief:„Macht, daß Ihr fortkommt, Ihr Affen! Ihr naseweisenBurschen! Und wenn Ihr Euch noch mal hier blicken laßt, dannwerdet Ihr meiner See! die Folgen zu tragen haben!"Damit entfernte er sich eiligst, als fürchte er ganz und gar dieHerrschaft über sich selbst zu verlieren.Doch lautes Gelächter schallte hinter ihm her. Und was ihmvorhin aus ihren Augen entgegengeleuchtet hatte, ward durch diesesLachen bekräftigt.Und Anders Krage setzte sich in seiner Scheune hin, kaute aneinem Strohhalm und sann darüber nach, welch große Macht esdoch verleihe, eine lange Reihe von Vorfahren zu haben und aufgutem, altem, bebautem Grund und Boden zu sitzen, wo Wohlstandund Ansehen sich von Geschlecht auf Geschlecht vererbten.Sein Antlitz verzog sich schmerzlich. Wie er so dasaß und nach-dachte, hatte es den Anschein, als seien all die höhnischen Blicke zuStacheln geworden, die in sein Inneres gedrungen wären und säßennun dort und bohrten sich tiefer und immer tiefer hinein und alstöne das Lachen noch unablässig vor seinen Ohren.So saß er lange.Das Licht brannte. Anders, die Frau und eine erwachseneTochter saßen am Tisch vor einer Pfanne mit Kartoffeln undRübenmus, jeder mit einem Holzlöffel versehen. Aber es herrschteein bedrücktes Schweigen, und die Frauen schauten verstohlen zudem Mann hinüber, von dem die triste Stimmung ausging.„Was war das, was ich vorhin im Brauhause klappern hörte?"fragte endlich Anders in einem Ton, als gälte es ein Verhör ab-zuhalten.Die Tochter blickte vor sich nieder auf den Tisch. Die Frau wardunruhig, pustete auf den Löffel, als sei das Mus plötzlich zu heißgeworden und stopfte erregt ihr ungekämmtes Haar unter die bäum-wollene Haube.„Nun?" fragte er etwas lauter und sah die Frau mit einemBlick an, dem sie nicht ausweichen konnte.Sie mußte bekennen, daß der neue, stählerne Kochtopf ihr ausden Händen geglitten sei.„Aber er hätte schon lange einen Riß ge-habt," fügte sie hinzu.„Wenn nicht einmal Eisen und Stahl halten, dann weiß ichmir keinen Rat mehr... So, er hat also schon lange einen Riß ge-habt,— hm!" stieß er hervor.Nach der Abendmahlzeit ergriffen Kjesten und Marie ihreSpinnrocken und Kardätschen, doch Anders ließ seine Weidenrutenund Strohbändcr unberührt liegen und ging sofort zu Bett.Und als er am nächsten Morgen— nachdem die Tiere zumerstenmal versorgt waren— wiederum zu Bett ging, da wußteKjesten Bescheid, nämlich, daß er nun ein paar Tage in den Kissenzubringen werde, ohne auch nur ein Wort zu reden.Sie schritt vorsichtig durchs Zimmer, als sei Anders wirklichkrank, schob den Bettvorhang etwas beiseite und sagte in be-dauerndem Ton:„Soll ich Dir nicht ein gutes Stück Brot zumFrühstück bringen, Vater?— Vielleicht mit Rollwurst, Anders, wie?"Aber er sah sie an mit ein Paar Augen, als wolle er sie ver-schlingen, sagte kein Wort und kehrte sich der Wand zu, daß es imWette krachte.Kjesten strich trotzdem das Frühstücksbrot und stellte eS mitsamt einem Kräuterbittern auf einen Stuhl. Darauf ging siehinaus auf die Vordiele und sagte zur Tochter, daß Anders wohlden Tag über liegen bleiben werde, und es daher wohl das Geschei-teste sei, daß sie, Marie, zum Höker laufe, um etwas Kaffee undderlei Kleinigkeiten zu holen.Uebrigens sah sie recht vergnügt dabei aus. Kjesten Kragekannte ja ihren alten Anders ganz genau. Sie wußte, daß er wiederaufstehen und vergnügt an seine Arbeit gehen werde, wenn er eineZeitlang in Einsamkeit, Ruhe, Dunkelheit und lautloser Stillehinter den Bettvorhang zugebracht hatte.Jeder Mensch hat ja so seine Gewohnheiten.II.Im Kätnerhause saß Anders direkt vor dem Fenster, im Be-griff, seine Mittagsmahlzeit zu halten. Es war ein grauer Herbst-tag, nur ein mattes Licht fiel auf Anders großzügiges Antlitz, undKjesten, die im Hintergrund des Zimmers stand, war eingehüllt ineine vom Kachelofen kommende Dampfwolie, die aus einerprasselnden, zischenden Pfanne emporstieg.Er saß mit seinem Taschenmesser in der Hand und wartete aufdas Essen, wobei er aus den spinatgrünen Stern starrte, mit demder Boden des glasierten Lehmtellers verziert war.„Es ist nur etwas Bratwurst, Anders," sagte Kjesten und kamnäher.Er lächelte der braunen Wurst zu, die zusammengerollt in derPfanne lag und prasselte.Nachdem er eine Weile gegessen hatte, meinte sie in bcdeu-tungsvollem Ton:„Ja, Bratwurst,— das ist ja Dein Leibgericht,Anders?"Er hielt plötzlich im Kauen inne. Es schien ihm etwas einzu-fallen. Darauf sandte er ihr einen schiefen Seitenblick zu, wie umihre Gedanken zu erforschen.„Wir sind nun nicht mehr jung, Anders!" meinte sie nach einerWeile wieder.„Nei— n," antwortete er zögernd, als fürchte er in irgend eineFalle gelockt zu werden,„so ganz jung, das sind wir nicht mehr!"Es entstand eine Pause, während der man nur Anders essenund Kjesten am Ofen herumhantieren hörte. Die beiden warenallein im Zimmer.„Und Marie ist ja auch kein Kind mehr!" begann die Frau vonneuem.„Sie wird ja älter von Tag zu Tag!"„Komm her, ich will Dir frisches Bier zapfen, Pater," rief sie,als sie ihn nach dem Trinkgefäß greifen sah.Nach ihrer Rückkehr setzte sie sich auf den äußersten Rand desSchemels und sagte schelmisch:„Wir beide sind doch auch einmaljung gewesen, Anders!"„Das sind wir weiß Gott, Kjesten!" antwortete er freundlichund nahm einen tüchtigen Schluck.„Und unsere Marie hat doch Gefühl wie alle anderen Leute!"„Das wird sie wohl haben!" Er wischte sich langsam die Fingeran den Aermeln seiner Lederjoppe ab und rülpste laut nach derfetten Wurst. Dann lehnte er sich zurück, zog die Tabaksdose ausder Tasche, schüttelte sie und entnahm ihr mit zwei Fingern einpassendes Stück Kautabak. Nachdem dieses mit Hilfe der Zungeauf den gewohnten Platz im Munde gelangt war, sagte er:„Hat sieeinen Schatz gekriegt, das Mädel?"„Ja, er dient in Tarup und soll zu der Branderschen Familiehier im Westen der Lendumer Dünen gehören."„Djah!" Anders spuckte in weitem Bogen mitten auf den Fuß«boden.„Viel wird wohl nicht an ihm sein.— Wenn er nurwenigstens keiner von diesen neumodischen Affen ist!"„Sie sind ja schon mehrere Jahre gut Freund gewesen und'möchten jetzt gerne bald zusammenkommen!"„Na, erst wollen wir uns den Burschen doch mal ansehen!"Anders machte eine ungeduldige Bewegung.„Es soll ein Prachtkerl sein," sagte Marie.„Und ich will meiner Seel den Burschen erst sehen, sage ich!"Er stand auf.„Denn es wird auf alle Fälle ein Mensch werden,mit dem Du und ich zu tun haben werden, solange wir leben!"(Fortsetzung folgt.)!*Pädagogik, phllofophic undtcchmk.Wer die Geschichte der menschlichen Wissenschaften nur einiger-maßen kennt, der weiß, daß es im Anfange nur eine einzigeWissenschaft gegeben hat, die sogenannte Theologie. Von denNaturwissenschaften, die sich erst ziemlich spät der theologischenLeitung entwunden haben, ganz zu schweigen,— auch die technischen Wissenschaften sind ursprünglich ein Glied der Theologie ge-Wesen. Die Geschichte der Wissenschaften ist eigentlich nichts alsdie Geschichte der Befreiung und Loslösung der einzelnen Wissen»schaften aus den Banden der Theologie. Von einer Wissenschaft-lichen Philosophie z. B. können wir erst reden, seitdem die Philo-sophie„gottlos" geworden ist, d. h. seitdem sie den Gottesbegriffals die erste Voraussetzung ihrer gesamten Denkarbeiten aufgegebenhat. Und auch die Sprachwissenschaft, die Philologie, ist erst zumSelbstbewußtsein gekommen, als sie sich entschloß, etwas anderesals eine„Magd" der Theologie zu sein.Nachdem im Zeitalter der Aufklärung der alles beherrschendeEinfluß der Theologie gebrochen war, zeigte es sich, daß doch diePhilosophie nicht imstande war, sich in richtiger Selbsterkenntnisauf diejenigen Gebiete der Erkenntnis zu beschränken, die wissen-schaftlicher Fassungskraft zugänglich waren. Vielmehr maßte siesich in kühner Ucberhebung an, Fragen zu beantworten und Rätselzu lösen, die entweder gar nicht in ihr Gebiet gehörten oder außer-halb des Gebietes menschlicher Erkenntnis überhaupt liegen. Mitanderen Worten: die Philosophie wiederholte in gewisser Weise diealten Unarten der Theologie. Sie sah sich für die alles beHerr-schende, alles wissende Mutter der Wissenschaften an und merkte—gleich jener Henne, die Enteneier ausgebrütet hatte— gar nicht,wie verschiedene ihrer Töchter, die sie zu beherrschen meinte, längstihr entflohen waren und sich aus eigener Kraft und nach eigenemErmessen auf dem großen Ententeiche der Philosophie tummelten.Zu solchen Töchtern gehörten die Psychologie und die Sozio-logie. Die Psychologie ist eine rein naturwissenschaftliche Unter-suchung der seelischen Vorgänge. In außerdeutschen Ländern istsie auch äußerlich von der Philosophie getrennt. Der Lehrstuhl derPhilosophie hat doch nichts mit dem für Psychologie zu tun. Beiuns beginnt dieser Gedanke sich erst allmählich Bahn zu brechen.Auch eine besondere Soziologi« gab es vor fünfzig Jahren nochnicht. Der Philosoph, der Ethiker, hatte über die Probleme dessozialen Lebens wissenschaftlich abzuurteilen. Der wissenschaftlicheEntwicklungsgang von Karl Marx zeigt uns in typischer Weise, wiesich aus der philosophischen Arbeit allmählich die soziologische alseine selbständige loslöst. Auch für dieses Forschungsgebiet gibt esbei uns in Deutschland noch keine schulmäßige Vertretung. Ent-