775 MenschensiromS. B« Mischen Seit HimnelhoHen Häuserfronten hin und her flutete. Dort war Wahl und Menschenansammlung. Rufen und Schreien, tausend geöffnete Munde, tausend funlelnde Augen, tausend trippelnde Fütze und unruhige Menschenkörper in dichtem Gewühl und Gedränge um ihn herum... Er befand sich zwischen einer Unzahl von Rädern und Rollen und Treibriemen, wo der Roihstoff verschwand, um bald in anderer Gestalt wieder zum Vorschein zu kommen, wo die Verwandlungs- Wunder der Weltindustrie sich vollzogen... Dann wieder waren es die großen Linien des Weltverkehrs, die von den gewaltigen Mittelpunkten strahlenförmig nach allen Seiten des Weltenhorizontes auseinander gingen... Die Bilder wechselten schnell und leicht. Wie eine Schar Vögel zogen seine Gedanken in starkem und immer stärkerem Flug hin über kommende und verschwundene Zeiten und Stätten. Er bog in emen Seitenweg ein. auf dem viele Spuren im Heidekraut nebeneinander herliefen, wo der Schnee des letzten Winters noch unter den Büschen lag; er führte hinunter durch kleine, seichte Wasserpfützen und hinauf über schmale Holzbrücken über rieselndes Wasser mit treibenden Eisstücken. Ja. die grüne Kiste war ihm von seinem Baterhause hinaus in die Fremde ge- folgt. Und nun brachte er sie aus dem bewerten Leben der großen Welt draußen hierher in diese einsamen Dunen... Doch es war am Tage nach der Hochzeit, er spürte den Glanz des Festes in seinem Gemüt; daS Leben strahlte und sein junges Weib wartete daheim mit leuchtenden Augen auf ihn. Zu ineser Tatsache kehrten seine Gedanken zurück und rasteten gleich schweigsamen Vögeln, die sich spiegeln in einem stillen, sehr tiefen See. ---- Ander? Krage hielt Feiertag. Aus dem Hause drangen so viele köstliche Düfte, die ihn von den Außengebäuden draußen hereinlockten, und der Haufen Hühnerknochen, der von seinen starken Kiefern zermalmt mittag» auf seinem Teller lag, kegte Zeugnis davon ab. daß Anders sich nicht nur mit den Düften von den Ueberresten des gestrigen Festtage? begnügte. Er begrüßte Jürgen in der Tür:«Die enthält nicht nur Federn," sagte er und hob prüfend die Kiste hoch. »ES find Goldkörner. Anders I" Der Alte riß die Augen verwundert auf und noch nachdem Jürgen sich zum Essen an den Tisch gesetzt hatte, saß er nachdenk. lich da. kaute seinen Tabäk und schielte nach der grünen Kiste. deren Deckel so fest schloß, wie ein Paar aufeinander gepreßter Lippen. .Du solltest sie mit neuer Farbe anstreichen. Jürgen; ich sehe, sie ist von der guten, alten, soliden Art!" Ander? kratzte mit dem Nagel an dem Kistendeckel herum. .Neu anstreichen I Nein, am liebsten will ich sie so behalten, wie sie ist. Anders l''. .Das ist doch'ne merkwürdige Idee," murmelte der Alte un. deutlich zwischen den Zähnen.. Jürgen saß gemachlich ausruhend auf der Bank und hatte nur klugen und Ohren für sein junges Weib, das den Tisch abräumend aus und ein ging. Aber endlich stand er auf endlich hob sich nun doch auch der Deckel der Kiste. Zuerst nahm Jürgen einen eingerahmteis Holzschnitt heraus; es war das Brustbild eines Mannes. .Was ist das für ein Kerl?" frug Anders. .Ach, das ist gewiß der Vorsteherl' rief Marie.»Ist er das nicht. Jürgen?" Ja, das war er. .DaS ist doch ein sonderbarer Mensch. Der kann ja nicht ein. mal spucken vor lauter Bart." .Wo soll eS hängen?" Marie blickte sich überall um. Zwischen den Betten ging ein Balken von unten bis an die Decke. Doch an dieser Bretterwand hing schon Anders doppelkapselige, neusilberne Uhr am schwarzwollenen Stoßbande und darunter sein Konfir» mationsvers unter Glas und Rahmen. Ueber dem Ofen standen die Leuchter und zwischen der Küchentür und dem einen Fenster hing die Uhr mit den Bleigewichten. Der freie Platz zwischen der Tür nach dem Korridor uuo der Tür nach der nördlichen Kammer, dys mußte der recht« sein. Ander? streckte den Hals, um besser sehen zu können, was wohl jetzt aus der Kiste zum Vorschein kommen werde. Als dann aber nur etliche Bücher zum Borschein kamen, verzog er den Mund. AlS aber Jürgen fortgesetzt nichts alS Bücher und Zeitschriften hervorholte, nahmen Ander? Gesichtszüge einen direkt schmerzlichen KlqSdruck an. Kjesten stopfte mit ihren unruhigen Fingern daS Haar unter hie Haube und ließ zweifelnd den Blick von einem zum anderen gleiten. Marie aber blickte Jürgen mit großen, strahlenden Augen an. Leise und vorsichtig fragte dann endlich Anders:.Hast Du sonst nicht so etwas hml etwa», daS man einen heimlichen Aufbewahrungsort nennen kann, wohin Du etwa» gelegt hast...?" Jürgen verstand ihn und antwortete:.Nein, Anders, da» Hab' !(Sortsttzu«g folgt., Die Gründung der dniverfttät Berlin . IL Erst mit der Berufung Wilhelm v. Humboldts in die Sektion für Kultus und Unterricht(Februar 1809) kamen die Arbeiten ini fluß. Humboldt ist der eigentliche Gründer der Universität Berlin, r ist der einzige preußische Kultusminister von geistiger Bedeu« tung und freier Gesinnung gewesen und geblieben. Die Herrliche keit dauerte auch nicht lange. Er erlebte nicht einmal den Beginn seiner Schöpfung. So sehr Humboldt dey. weitgespannten Ideen Fichtes widerstrebte, so sehr er zu diplomatischen Zugestände nissen geneigt war, und obwohl er durchaus an die geschichtlichen Ueberlieferungen des Univcrsitätswesens ohne sonderliche Aendo» rung anknüpfte sein Interesse gehörte zunächst der Berufung der tüchtigsten Männer, so brachte er doch einen tiefen Begriff von der Aufgabe der Wissenschaft und der Universität mit, de« schlechterdings unfaßbar für den preußischen Kasernenfinn sein mußte. In seinem unvollendeten Reformprogramm über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin liest man Sätze wie die folgenden:..Sobald man aufhört, eigentlich Wissenschaft zu suchen, oder sich einbildet, sie brauche nicht aus der Tiefe des Geistes herausgeschaffen, sondern könne durch Sammeln extensiv aneinandergereiht werden« so ist alles unwiderbringlich und auf ewig verloren; verloren» die Wissenschaft, die, wenn die? lange fortgesetzt wird, dergestalk entflieht, daß sie selbst die Sprache wie«ine leere Hülse zurück« läßt, und verloren für den Staat... Dem Staat ist eS ebenso« wenig als der Mensdjijeit um Wissen und Reden, sondern nutz Charakter und Handeln zu tun." Humboldt will dem Staat ledig« lich die Aufgabe zuweisen, für den Unterhalt der Universität zif sorgen und der Gefahr des Cliquenwesens entgegenzuwirken? WaS nun aber das Aeußere des Verhältnisses zum Staat und seine Tätigkeit dabei betrifft, so hat er nur zu sorgen für Reich« tum(Stärke und Mannigfaltigkeit) an geistiger Kraft durch dis Wahl der zu versammelnden Mäner und fiir Freiheit in ihrer Wirksamkeit. Der Freiheit droht ober nicht bloß Gefahr von ihm, sondern auch von den Anstalten selbst, die, wie sie beginnen, einen gowissen Geist annehmen und gern das Aufkommen eines anderen ersticken. Auch den möglicherweise hieraus entstammenden Nach« teilen muß er vorbeugen." Für Humboldt ist das Ziel der Schulen wie der Universitäten und Akademien die harmonische Ausbildung aller Fähigkeiten im Menschen, und er gerät schon mit dieser Auf« fassung in den schroffsten Gegensatz zu dem niedrigen NützlichkeitS« sinn Friedrich Wilhelms Hl., dem Humboldt ohnehin von Anfang an wegen seiner zweifelhaften Rechtgläubigkeit verdächtig ist. Humboldt hat Widerstände aller Art zu überwinden. Seia» Stellung in der Sektion ist auf jede Art beschränkt und abhängig, Er ist als Direktor der Kultusabteilung dem Minister Dohna untergeordnet, den Steinschwachköpftg, unbehilflich, geifi» und willenlos" genannt hat. Sein nächster Mitarbeiter, der ihm übrigens Freundschaft bewahrte, Nicolovius, ist ein positiver Christ, dem Kants religiöse und politische Ansichten ein Greuel sind, und der Goethe,.abgesehen von seinem unüberwindlichen Aergernis am sechsten Gebot," einen dergefährlichsten und weich« lichsten Dichter' nannte. Humboldt weiß, daß er, wie er einmal äußert,am Rande des Abgrunds" arbeitet. Dennoch arbeitet er unermüdlich. Sein kühnster Gedanke, der ihm für die Gründung der Berliner Universität am wichtigsten schien, war die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit für alle Zeiten. Zu diesem Zwecke schlug er vor. zur Unterhaltung der Universität ihr k ö n i g« liche Domänen als freies Eigentum zu überlassen. Auf den Rat des Finanzministers Altenstein machte Humboldt dem König, dessen Habsucht bekannt war, den Gedanken in der Weise mundgerecht, daß er als Ersatz' für die an die Universität abzu» tretenden Domänen die Einziehung von katholisch-geistlicben Gütern in Schlesien und Westpreußcn empfahl. Friedrich Wil« Helm scheint durch diese Aussicht, weitere Domänen zu gewinnen, in der Tat gewonnen worden zu sein; die Absicht und die Trag» weite d«S Plans selbst hat er zunächst offenbar nicht begriffen. Und so erging am 16. August 1869 die überraschende Kabinetts» order: Statt der bisherigen so vielen einzelnen Summen für die beiden Akademien und wissenschaftlichen Institute und Eamm- lungen in Berlin will ich Ihnen und der neuen Universität, um sie gegen die Stürme der Zeit und selbst in dem Vertrauen der Ratwn durch Eigentum mehr zu sichern, ein Grundeigentum bis zum jährlichen reinen Ertrage von 150 999 Talern in der Art an« weisen, daß dazu benachbarte Domänengüter verliehen, dagegen aber wieder katholisch-geistliche Güter in Schlesien und West, Preußen von gleichem Betrage zu den Domänen gezogen, und des. halb säkularisiert werden, sobald die Zeitumstände solches ge, statten." Di« Kabinettsorder wurde eine? der vielen königlichen Ver, sprechen, die gebrochen worden sind. Vergebens kämpfte Humboldt um die Verwirklichung dieses Versprechens, mit einem Aufwand von Scharfsinn, der an die Vernunft von Gründen appellierte, wo man längst nicht wollte. Man bog das Versprechen um, indem man zum Beispiel es zw rr formell aufrecht erhielt, abtt Ml